Das Buch ist beklemmend lustig (die Unverschämtheiten, die Kadoke sich bieten lässt, sind geradezu schmerzhaft), die Dialoge spritzig geschrieben, das Lesen macht Freude. Der arme Kadoke scheint ein rechter Antiheld zu sein.
Ja, das ist so ein Buch, das haarscharf vorbeischrammt am Unangenehmen und gerade nur so weit geht, dass das Lesen immer noch Spaß macht.
Die Einen mögen Kadokes "alternative Therapie" als eigenwillige, aber kreative Form der Behandlung ansehen. Die Anderen könnten ketzerisch behaupten, dass es sich hierbei um eine freundliche Verschleierung der Tatsache handelt, dass sich Kadoke eine Gratis-Auszeit in einem Hotel an der holländischen Küste "gegönnt" hat, inklusive Gratis-Betreuung seines Muttervaters. Die Logis wird vermutlich frei gewesen sein.
Irgendwer sprach da doch von moderner Sklaverei – ich denke, das war übertrieben, aber ich denke auch, dass Kadoke durchaus seine Eigeninteressen im Sinn hatte und nicht nur Michettes Wohl.
Rianne ist Mitglied bei den "Christen für Israel". Sie scheint großer Fan des Judentums zu sein, was dem Ganzen einen negativen Beigeschmack verpasst. Denn mir sind ihre Beweggründe noch nicht ganz klar. Sieht sie sich als Christin in der Pflicht, Gutes zu tun? Und wer bietet sich da nicht besser an, als Juden, die aus der Historie heraus als Opfervolk bezeichnet werden? Ich bin mir nicht sicher.
Auf mich wirkt sie wie die Art von Christin, die sich geradezu darin suhlt, wie wohltätig und gutschristlich sie ist. Hat für mich immer einen ganz fiesen Beigeschmack.
Cousine Anat hingegen ist eine Hardlinerin. Sie wittert überall Antisemitismus und wertet jede, auch noch so kleine Anmerkung zum Judentum sowie dem Palästinenserkonflikt als Steilvorlage, um Antisemitismus zu unterstellen. Fürchterlich.
Sie braucht ja noch nicht mal eine Anmerkung – Michette kotzt und sie denkt direkt, das liegt daran, dass Michette Antisemitin ist und sich vor Juden ekelt. Vor allem scheint sie ja auch zu glauben, dass ihr jeder direkt ansieht, dass sie Jüdin ist, und das bezweifele ich.
Sie scheint das Paradebeispiel für eine Philosemitin zu sein. Jemand, der das Klischee vom Judentum liebt. „Philosemiten sind Antisemiten, die die Juden lieben.“ Soll mal jemand so definiert haben.
Wieder was gelernt, interessant!
Ist es nicht auch sehr liebevoll konstruiert, wie sich diese Charaktere alle irgendwie um und auf Kadokes Sofa tummeln? Irgendwann landen sie alle dort, um sich mit dem Psychiater Kadoke auseinanderzusetzen, zu reiben oder was auch immer. Der Sternpunkt von LA 1 sozusagen war für mich dieses Sofa.
Ja, das fand ich auch klasse – um was sonst sollte sich ein Roman über einen sonderbaren Psychiater drehen, wenn nicht um dessen Sofa?
„ Ich bin Psychiater, weil ich mit dem Schmerz anderer nicht umgehen kann.“ Hä...ist das nicht die eigentliche Aufgabe eines Psychiaters?
Fand ich auch erst seltsam, aber irgendwie macht es Sinn: als Psychiater kann sich Kadoke auf die professionelle Distanz berufen und hat damit eine Ausrede, um nicht mitfühlen und mitleiden zu müssen.
Bei der alternativen Therapie bin ich gleich skeptisch, denn dabei gibts Dinge, die es auch in einer alternativen Therapie nicht gäbe. Niemals. Die Patientin kommt auch nach der Therapie noch ins Haus, sie fasst den Therapeuten an, sie besucht ihn in Begleitung ihres Freundes. Und die Erklärungen dafür von K. sind doch mehr als dürftig.
Selbst wenn man mal davon ausgeht, dass mehr tatsächlich nicht passiert ist, ist das hier schon ein No-Go.
Warum schenkt K. dem Chef nicht sofort reinen Wein ein über alles und klagt gegen den Schriftsteller und M. auf Unterlassung der Namensnennung. Das ist Rufschädigung. K. hätte gleich zu Anfang die M. darüber aufklären müssen, dass sie, wenn sie in die Sendung geht und wenn auch nur einmal sein Klarname fällt, mit einer Anzeige rechnen muss.
Ich halte es noch für möglich, dass da doch mehr Wahrheit drinsteckt, als Kadoke zugeben will, auch vor sich selber, und er deswegen nicht dagegen vorgeht.
Hach, sind diese Figuren alle mehr oder weniger schräg. Ich saß beim Lesen die meiste Zeit mit einem Grinsen im Gesicht da, obwohl ich mich zu Beginn mit der Einführung der Personen etwas schwer tat.
Ich habe auch ziemlich viel Spaß beim Lesen. Was gut ist, denn das andere Buch, das ich lese (ein Krimi) ist ziemlich langweilig.
Michettes Wutrede hat mich etwas irritiert. Bis zum ersten Punkt vergingen fast vier Seiten. Das hat selbst Thomas Mann nicht geschafft. Trotzdem fand ich den Einstieg originell.
Für eine Schrecksekunde dachte ich: oh Himmel, geht das jetzt das ganze Buch so?!
Anat ist mir bislang nicht sehr sympatisch. Überall sieht sie gleich Antisemitismus, nimmt aber selbst wenig Rücksicht auf die Befindlichkeiten von Kadoke.
Ich dachte zwischendurch: möglicherweise war es ja nicht "nur" das Kind, woran die Ehe gescheitert ist... Ich stelle mir ein Leben mit so einer Person unheimlich anstrengend vor.
Es ist perfide, wie hier Kadoke ins Unglück gerissen wird. Was im Buch steht, muss die Wahrheit sein.
Das fand ich auch interessant! Michette spricht so, als habe sie erst die Wahrheit erkannt, nachdem ihr Freund das Buch geschrieben hat. Was er schreibt, übernimmt sie als ihre Lebensgeschichte, ob es nun stimmt oder nicht.
Aber es sagt etwas über den Autoren aus. Bzw. den Erzähler: einen unzuverlässigeren Erzähler habe ich selten erlebt. Ich trau ihm nicht.
Ich liebe unzuverlässige Erklärer, die werden selten langweilig.
Doch anderseits, sollte sich ein Arzt, bzw. Psychiater niemals so privat auf Patienten einlassen, das wahr wahrscheinlich sein größter Fehler.
Absolut. Das ist für beide Seiten nicht gut, auch wenn sonst nichts Übergriffiges passiert.
Ob Anat wohl recht hat und ein Heim für ihn vielleicht besser wäre?
Das könnte durchaus sein. Ob ein jüdisches Heim das RIchtige ist, wo er sich schon so gegen das koschere Restaurant gesträubt hat, ist die andere Frage.
Kadoke erinnert mich ein wenig an den Protagonisten in Coetzees "Schande". Der war ein Professor, der wegen einer Beziehung zu einer Studentin freigestellt wurde, und sich offenbar auch keiner Schuld bewusst; allerdings leuchtete da die Unsauberkeit des Ganzen aus jeder Zeile förmlich heraus.
Oh ja, an das Buch habe ich auch gedacht! Allerdings ist Kadoke ja wirklich eine vollkommen andere Art von Protagonist.