1. Leseabschnitt: Kapitel 1 bis Kapitel 12 (Anfang bis S. 81)

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Um das klarzustellen: Ich glaube Kadoke, wenn er sagt, dass zwischen ihm und Michette nichts Sexuelles war. Insoweit unterscheidet er sich klar vom Protagonisten in "Schande", der wohl wirklich völlig blind ist für die Bedeutung seines Verhaltens. Trotzdem hat Kadokes Verhalten etwas irgendwie Unklares, Grenzwertiges. Er spricht ja selbst in seiner Verteidigungsrede von, wenn ich mich richtig erinnere, (sinngemäß) unprofessionellem Gebaren.
Ich bin erstaunt, wie unterschiedlich er hier wirkt. Einige Leserinnen sprachen - erinnere ich mich richtig? - von Narzissmus. Ich finde das nicht, abgesehen von einer allgemeinen, etwas larmoyanten Selbstverliebtheit, die aber viel zu schwächlich ist, als dass ich sie Narzissmus nennen würde.
 

claudi-1963

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29. November 2015
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Um das klarzustellen: Ich glaube Kadoke, wenn er sagt, dass zwischen ihm und Michette nichts Sexuelles war. Insoweit unterscheidet er sich klar vom Protagonisten in "Schande", der wohl wirklich völlig blind ist für die Bedeutung seines Verhaltens. Trotzdem hat Kadokes Verhalten etwas irgendwie Unklares, Grenzwertiges. Er spricht ja selbst in seiner Verteidigungsrede von, wenn ich mich richtig erinnere, (sinngemäß) unprofessionellem Gebaren.
Ich bin erstaunt, wie unterschiedlich er hier wirkt. Einige Leserinnen sprachen - erinnere ich mich richtig? - von Narzissmus. Ich finde das nicht, abgesehen von einer allgemeinen, etwas larmoyanten Selbstverliebtheit, die aber viel zu schwächlich ist, als dass ich sie Narzissmus nennen würde.
So geht es mir auch, ich denke ebenfalls das Kadoke ihr nichts angetan hat, sondern Michette das hier einfach aufgebauscht hat, warum auch immer.
Allerdings hat er klar Fehler gemacht, er hätte diese enge Beziehung niemals machen, bzw. alleine tun dürfen. Klar hat er es vielleicht gut gemeint, doch als Psychologe sollte er wissen wo seine Grenzen sind.
Anderseits kann ich eine Klinik nicht verstehen, die so eine Patientin dann entlassen.
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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So, nun bin ich mit dem Abschnitt komplett durch.
Michette bringt sehr heftige Anschuldigungen hervor. Alle scheinen zu glauben, was der Schriftsteller über die Therapie in seinem Buch geschrieben hat. Auch wenn ich nicht glaube, dass Kadoke dies wirklich getan hat, wird es sicher schwer das Gegenteil zu beweisen. Was wäre das beste für Kadoke? Er scheint sich eher für den Rückzug zu entscheiden.
Der Vorschlag von Anat ihn zu besuchen, Vater in ein Heim zu geben, zeigt, dass sie ihn in der kurzen Zeit lieb gewonnen hat. Es zeigt mir auch, dass sie eine gute Menschenkennerin zu sein scheint, ich habe nämlich das Gefühl, dass sie mit ihrer Einschätzung Kadoke gegenüber richtig liegt.
 
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Sassenach123

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So geht es mir auch, ich denke ebenfalls das Kadoke ihr nichts angetan hat, sondern Michette das hier einfach aufgebauscht hat, warum auch immer.
Allerdings hat er klar Fehler gemacht, er hätte diese enge Beziehung niemals machen, bzw. alleine tun dürfen. Klar hat er es vielleicht gut gemeint, doch als Psychologe sollte er wissen wo seine Grenzen sind.
Anderseits kann ich eine Klinik nicht verstehen, die so eine Patientin dann entlassen.
Ja, professionell war sein Verhalten mit Sicherheit nicht. Ich glaube auch nicht, das Michette mit ihren Vorwürfen recht hat, doch ich denke schon, dass er sie sehr gern hatte, oder, dass er zumindest großes Mitleid mit ihr hatte. Diese Tatsache ließ es zu, dass er die Alternative Therapie austestet. Er betont ja immer wieder, dass es die einzige Möglichkeit war, ihr überhaupt noch helfen zu können. Ich denke, damit versuchte er sein eigenes Gewissen zu beruhigen, da er genau wusste, dass es das eigentlich nicht war
 
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Wandablue

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18. September 2019
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Ich habe das auf das professionelle Verhalten bezogen. In meinen Augen ist es ihm bewusst, dass er aus persönlichem gehandelt hat, weil er sie mag.

Danke. Das habe ich auch so verstanden. Meine Frage ist, wie hätte man M. noch helfen können, was hätte er tun sollen. "Austherapiert" ist ein furchtbares Urteil.

K. ist aber schon seltsam. Das wird im weiteren Verlauf immer klarer.
 

claudi-1963

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Danke. Das habe ich auch so verstanden. Meine Frage ist, wie hätte man M. noch helfen können, was hätte er tun sollen. "Austherapiert" ist ein furchtbares Urteil.

K. ist aber schon seltsam. Das wird im weiteren Verlauf immer klarer.

Ja das ist die Frage, kann es sein das man Menschen bewusst dem Selbstmord ausliefert nur weil sie austherapiert sind? Ich denke das wollte Kadoke einfach nicht auf sich sitzen lassen, das man für solche Patienten nichts mehr tut.
 
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Mikka Liest

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14. Februar 2015
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Hilter am Teutoburger Wald
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Erstmal mein Eindruck, bevor ich eure Kommentare lese:

Ich habe das Gefühl, das wird ein Highlight. Die Figurenkonstellation ist großartig, das kribbelt richtig beim Lesen, macht einfach Spaß. Der unzuverlässige Erzähler gibt dem Ganzen eine tragikomische Vielschichtigkeit, da weißt du nie, was dich erwartet – das ist manchmal fast schon absurd, aber es ist oft auch zum Haareraufen komisch und gleichzeitig bitter.

Am Anfang habe ich Kadoke erstmal Vertrauensvorschuss gewährt und bin davon ausgegangen, dass er zwar Grenzen überschritten hat, aber nicht in der Art, wie ihm von Michette vorgeworfen wird. Aber gegen Ende des Leseabschnittes beschlich mich der Verdacht, dass er kein zuverlässiger Erzähler ist, weil er sich seine Realität ganz massiv zurechtbiegt, vielleicht ganz unbewusst.

Ich bin mir immer noch ziemlich sicher, dass Michette zumindest heftigst übertreibt und sich zur tragischen Heldin hochstilisiert, aber ich halte es für möglich, dass es da doch Grenzüberschreitungen der sexuellen Art gegeben haben könnte.
 

Mikka Liest

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14. Februar 2015
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Hilter am Teutoburger Wald
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Das Buch ist beklemmend lustig (die Unverschämtheiten, die Kadoke sich bieten lässt, sind geradezu schmerzhaft), die Dialoge spritzig geschrieben, das Lesen macht Freude. Der arme Kadoke scheint ein rechter Antiheld zu sein.

Ja, das ist so ein Buch, das haarscharf vorbeischrammt am Unangenehmen und gerade nur so weit geht, dass das Lesen immer noch Spaß macht.

Die Einen mögen Kadokes "alternative Therapie" als eigenwillige, aber kreative Form der Behandlung ansehen. Die Anderen könnten ketzerisch behaupten, dass es sich hierbei um eine freundliche Verschleierung der Tatsache handelt, dass sich Kadoke eine Gratis-Auszeit in einem Hotel an der holländischen Küste "gegönnt" hat, inklusive Gratis-Betreuung seines Muttervaters. Die Logis wird vermutlich frei gewesen sein.

Irgendwer sprach da doch von moderner Sklaverei – ich denke, das war übertrieben, aber ich denke auch, dass Kadoke durchaus seine Eigeninteressen im Sinn hatte und nicht nur Michettes Wohl.

Rianne ist Mitglied bei den "Christen für Israel". Sie scheint großer Fan des Judentums zu sein, was dem Ganzen einen negativen Beigeschmack verpasst. Denn mir sind ihre Beweggründe noch nicht ganz klar. Sieht sie sich als Christin in der Pflicht, Gutes zu tun? Und wer bietet sich da nicht besser an, als Juden, die aus der Historie heraus als Opfervolk bezeichnet werden? Ich bin mir nicht sicher.

Auf mich wirkt sie wie die Art von Christin, die sich geradezu darin suhlt, wie wohltätig und gutschristlich sie ist. Hat für mich immer einen ganz fiesen Beigeschmack.

Cousine Anat hingegen ist eine Hardlinerin. Sie wittert überall Antisemitismus und wertet jede, auch noch so kleine Anmerkung zum Judentum sowie dem Palästinenserkonflikt als Steilvorlage, um Antisemitismus zu unterstellen. Fürchterlich.

Sie braucht ja noch nicht mal eine Anmerkung – Michette kotzt und sie denkt direkt, das liegt daran, dass Michette Antisemitin ist und sich vor Juden ekelt. Vor allem scheint sie ja auch zu glauben, dass ihr jeder direkt ansieht, dass sie Jüdin ist, und das bezweifele ich.

Sie scheint das Paradebeispiel für eine Philosemitin zu sein. Jemand, der das Klischee vom Judentum liebt. „Philosemiten sind Antisemiten, die die Juden lieben.“ Soll mal jemand so definiert haben.

Wieder was gelernt, interessant!

Ist es nicht auch sehr liebevoll konstruiert, wie sich diese Charaktere alle irgendwie um und auf Kadokes Sofa tummeln? Irgendwann landen sie alle dort, um sich mit dem Psychiater Kadoke auseinanderzusetzen, zu reiben oder was auch immer. Der Sternpunkt von LA 1 sozusagen war für mich dieses Sofa.

Ja, das fand ich auch klasse – um was sonst sollte sich ein Roman über einen sonderbaren Psychiater drehen, wenn nicht um dessen Sofa?

„ Ich bin Psychiater, weil ich mit dem Schmerz anderer nicht umgehen kann.“ Hä...ist das nicht die eigentliche Aufgabe eines Psychiaters?

Fand ich auch erst seltsam, aber irgendwie macht es Sinn: als Psychiater kann sich Kadoke auf die professionelle Distanz berufen und hat damit eine Ausrede, um nicht mitfühlen und mitleiden zu müssen.

Bei der alternativen Therapie bin ich gleich skeptisch, denn dabei gibts Dinge, die es auch in einer alternativen Therapie nicht gäbe. Niemals. Die Patientin kommt auch nach der Therapie noch ins Haus, sie fasst den Therapeuten an, sie besucht ihn in Begleitung ihres Freundes. Und die Erklärungen dafür von K. sind doch mehr als dürftig.

Selbst wenn man mal davon ausgeht, dass mehr tatsächlich nicht passiert ist, ist das hier schon ein No-Go.

Warum schenkt K. dem Chef nicht sofort reinen Wein ein über alles und klagt gegen den Schriftsteller und M. auf Unterlassung der Namensnennung. Das ist Rufschädigung. K. hätte gleich zu Anfang die M. darüber aufklären müssen, dass sie, wenn sie in die Sendung geht und wenn auch nur einmal sein Klarname fällt, mit einer Anzeige rechnen muss.

Ich halte es noch für möglich, dass da doch mehr Wahrheit drinsteckt, als Kadoke zugeben will, auch vor sich selber, und er deswegen nicht dagegen vorgeht.

Hach, sind diese Figuren alle mehr oder weniger schräg. Ich saß beim Lesen die meiste Zeit mit einem Grinsen im Gesicht da, obwohl ich mich zu Beginn mit der Einführung der Personen etwas schwer tat.

Ich habe auch ziemlich viel Spaß beim Lesen. Was gut ist, denn das andere Buch, das ich lese (ein Krimi) ist ziemlich langweilig.

Michettes Wutrede hat mich etwas irritiert. Bis zum ersten Punkt vergingen fast vier Seiten. Das hat selbst Thomas Mann nicht geschafft. Trotzdem fand ich den Einstieg originell.

Für eine Schrecksekunde dachte ich: oh Himmel, geht das jetzt das ganze Buch so?!

Anat ist mir bislang nicht sehr sympatisch. Überall sieht sie gleich Antisemitismus, nimmt aber selbst wenig Rücksicht auf die Befindlichkeiten von Kadoke.

Ich dachte zwischendurch: möglicherweise war es ja nicht "nur" das Kind, woran die Ehe gescheitert ist... Ich stelle mir ein Leben mit so einer Person unheimlich anstrengend vor.

Es ist perfide, wie hier Kadoke ins Unglück gerissen wird. Was im Buch steht, muss die Wahrheit sein.

Das fand ich auch interessant! Michette spricht so, als habe sie erst die Wahrheit erkannt, nachdem ihr Freund das Buch geschrieben hat. Was er schreibt, übernimmt sie als ihre Lebensgeschichte, ob es nun stimmt oder nicht.

Aber es sagt etwas über den Autoren aus. Bzw. den Erzähler: einen unzuverlässigeren Erzähler habe ich selten erlebt. Ich trau ihm nicht.

Ich liebe unzuverlässige Erklärer, die werden selten langweilig.

Doch anderseits, sollte sich ein Arzt, bzw. Psychiater niemals so privat auf Patienten einlassen, das wahr wahrscheinlich sein größter Fehler.

Absolut. Das ist für beide Seiten nicht gut, auch wenn sonst nichts Übergriffiges passiert.

Ob Anat wohl recht hat und ein Heim für ihn vielleicht besser wäre?

Das könnte durchaus sein. Ob ein jüdisches Heim das RIchtige ist, wo er sich schon so gegen das koschere Restaurant gesträubt hat, ist die andere Frage.

Kadoke erinnert mich ein wenig an den Protagonisten in Coetzees "Schande". Der war ein Professor, der wegen einer Beziehung zu einer Studentin freigestellt wurde, und sich offenbar auch keiner Schuld bewusst; allerdings leuchtete da die Unsauberkeit des Ganzen aus jeder Zeile förmlich heraus.

Oh ja, an das Buch habe ich auch gedacht! Allerdings ist Kadoke ja wirklich eine vollkommen andere Art von Protagonist.
 

ulrikerabe

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14. August 2017
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Wien
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Ich finde es ja ausgesprochen mutig, das Buch mit einer derartigen Tirade gegen den Protagonisten zu beginnen.
You know, the first cut is the deepest.
Es macht mir nicht leicht Kadoke unvoreingenommen oder gar wohlwollend zu begegnen.
Hängen bleibt "dass du ein feiger Bluthund bist mit ein paar Pillen, alternativer Therapie und Musiktherapie im Angebot und sonst nichts"

Ob es nun die Liebesbeziehung gab oder nicht gab, kann ich derzeit noch gar nicht sagen. Für mich gibt es drei Möglichkeiten:
  • Es gab sie und Kadoke leugnete sie (aus Selbstschutz und beruflichen Gründen) und schiebt sie Michette als Zeichen ihrer Erkrankung unter.
  • Es gab sie nicht und Michette glaubt daran als Zeichen ihrer Erkrankung.
  • Es gab sie nicht und Michette erfindet sie bewusst um Kadoke zu schaden.
Nicht nur Kadoke ist ein unzuverlässiger Erzähler.

A Grünbergs Humor muss ich mich erst gewöhnen. Es ist mein erstes Buch von ihm. So gesehen finde ich es auch schade, dass ich keinen Hinweis zu einem Vorgänger kannte. Die Mutter/Vater Geschichte würde ich gerne von Anfang an kennen.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Die Mutter/Vater Geschichte würde ich gerne von Anfang an kennen.
Der Inhalt von „ Muttermale“ wird in diesem Buch zusammengefasst. Es ist also kein Problem, diesen Roman ohne Kenntnis des Vorgängers zu lesen. Wenn Du nach dieser Lektüre noch Lust auf weitere Bücher von Grünberg hast, kannst Du das ja nachholen. „ Muttermale“ ist nicht ganz so heftig. Oder Du wartest auf den dritten Kadoke- Roman.
 
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Die Häsin

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Rhönrand bei Fulda
An diejenige(n), die "Muttermale" kennt/kennen: Geht es in diesem Buch hauptsächlich um Kadokes Eltern? Der Titel scheint darauf hinzuweisen. Oder geht es primär um Kadoke selbst, wie hier in "Besetzte Gebiete"?
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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An diejenige(n), die "Muttermale" kennt/kennen: Geht es in diesem Buch hauptsächlich um Kadokes Eltern? Der Titel scheint darauf hinzuweisen. Oder geht es primär um Kadoke selbst, wie hier in "Besetzte Gebiete"?
Es geht primär um Kadoke, seinen Vater ( Mutter) und Michette
 
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