So, dieses Mal muss ich leider etwas hinterher tröpfeln, sorry dafür!
Puh, die ersten Kapitel machten mir den Einstieg nicht leicht. Der erste Satz ist zwar gut gewählt, danach werden wir aber mit Einzelheiten aus dem Leben eines uns noch unbekannten Charakters geflutet, die sich in meinem Hirn nicht recht verfangen wollten.
Mir gefällt der Schreibstil. Ich habe den Eindruck, dass der Autor versucht, sich an den Stil des ausgehenden 19. Jahrhunderts anzupassen - einer Epoche, die ich bekanntermaßen ja gerne lese. Er würzt manches mit etwas Humor, in dem er auf Absurditäten der Zeit hinweist (zum Beispiel die unterschiedlichen Wetterberichte am Todestag Greens). Anfangs fand ich das befremdlich, zunehmend gefällt es mir besser. Es finden sich schöne Sätze im Text (allerdings auch ein paar weniger gelungene):
"Die dünne weiße Schale hätte keinen Sinn, gehörte ihr Zerbrechen nicht zum PLan." 26
"...es war wohl richtig, dass bestimmte Leute mehr durch ihr Leben als durch ihren Tod zum Gemeinwohl beitrugen." 48
Wir erleben Green auf zwei Ebenen. Als Junge wirkte er auf andere offenbar feminin, was sich in seinem ersten Annäherungsversuch an seinen Freund manifestiert, als dessen Folge er nach NY geschickt wird. Die Mutter starb früh, das Verhältnis zum Vater ist angespannt. Zunächst empfindet man Greens Zwang zur Sauberkeit sehr eigenwillig. Wenn man aber seine Erfahrungen als Junge im dreckigen New York hinzuzieht, wird ein Schuh draus. Er kann den Dreck der Großstadt schwer ertragen. Der "große Fehler" taucht als Motiv wiederholt auf.
Früh schon denkt Andrew darüber nach, Baumeister zu werden. Er legt Wert auf Ästhetik und Schönheit.
Die Nebencharaktere werden sehr anschaulich beschrieben. Mir gefällt die virile Mrs Bray in ihrer Rolle, bei Inspector McClusky endlich mal wichtig sein zu können. Auch der Arzt Dr. Forbes mit seiner Taubenphobie, der sich kaum aus dem Haus traut und auf seinen Einsatz lauert.
Officer Kelly, der offenbar den Mob zum Lynchmord am farbigen Mörder aufrufen will. Der Rassismus in Amerika: omnipräsent!
Der geheimnisvolle Jongleur: Ich bin sicher, wir werden ihm wieder begegnen. Auch diese Szene war wunderbar bildlich beschrieben.
Die Anfänge im Handel stellen sich mehr als steinig für Andrew dar. Allerdings zeigt sich hier erneut (wie schon auf der Farm) sein Wille und Hang zum Perfekten, der der Grund ist, warum er sich als Lehrling bei seinem despotischen Chef halten kann. Andrew ist bei seinem mageren Lohn ein Gewinn für den Mann. Außerdem hat der Junge Nehmerqualitäten. Er träumt vom sozielen Aufstieg, auch wenn er noch keine Ahnung hat, wie ihm das gelingen soll.
Ein weiterer Protagonist scheint die Stadt NY selbst zu sein. Mich beeindrucken die Schilderungen vom Dreck, der noch aus den Fenstern geschüttet wird, vom verschmutzten Trinkwasser, von den räudigen Hunden überall (beeindruckend die Szene, als A. den Hund vor dem Tod retten will - eine prägende Erfahrung betitelet mit "Gewinn und Verlust", kaum etwas passt zu NY besser als das
).
Andrew ist ein genauer Beobachter, sowohl seiner Umgebung als auch der Menschen darin."In seinem Kopf begann seine eigene Version New Yorks zu entstehen" 71
Er sucht intuitiv nach seiner Chance und Gelegenheit. Wie üblich habe ich mich nicht mit der Person Andrew Greens beschäftigt. Ich lasse das Buch so allein auf mich wirken. Abgesehen vom holprigen Einstieg gefällt mir gut, was ich bisher lese.