1. Leseabschnitt: Kapitel 1 bis 7 (Beginn bis Seite 66)

otegami

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17. Dezember 2021
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Außer der geographischen Lage, der Hauptstadt und der verheerenden Wirbelstürme war mir über Haiti noch nichts bekannt. Das ändert sich jetzt schlagartig durch das Buch 'Töchter Haitis'!

Anhand von Lotus Degrave, die Tochter einer Prostituieren, wenig beachtet von ihrer Mutter, dafür aber geliebt und fürsorglich betreut von Maria, erleben wir die Kindheit eines unkonventionellen Mädchens, das mit 10 Jahren nichts so sehr liebt wie das Lesen.
Als 'Hurentochter' beschimpft, haben auch ihre drei Freundinnen Probleme, diese Freundschaft zu pflegen, denn in ihren Elternhäusern ist Lotos nicht gern gesehen. Männer sieht sie deshalb als ihre ärgsten Feinde an, weil sie ihr die Mutter gestohlen hatten.

Nach dem Tod ihrer Mutter und auch dem von Maria, lebt sie mit einem neuen Dienstmädchen, Gertrude, zusammen im Haus. Wertschätzend fand ich den Umgang mit ihrem Dienstmädchen nicht!
Sehr hilfreich empfinde ich die Erklärungen in den 'Anmerkungen'! Ob es Pflanzen, Musik, Währung, unterschiedliche 'Phänotypen von Menschen gemischter ethnischer Herkunft' sind, hier findet man die Lösung!
Auch die Sprache gefällt mir sehr gut: 'diese von Liebkosungen überwältigte Halbjungfrau' z.B.! :cool:
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Lotus sitzt gesellschaftlich zwischen allen Stühlen. Sie ist von heller Hautfarbe und damit eigentlich besser angesehen als dunkelhäutige Frauen, aber als Tochter einer Prostituierten ist sie zumindest als Freundin ihrer Klassenkameradinnen von deren Eltern nicht erwünscht. Der bescheidene Wohlstand, den sie von ihrer Mutter geerbt hat, kommt ihr immerhin zugute. Sie hat ein Haus und Dienstboten, die es in Ordnung halten, und muss nicht befürchten zu verhungern. Die Beobachtungen, die sie in ihrem Umfeld macht - Menschen, die auf der Straße zusammengeschlagen werden, das halbverhungerte Kind, das sich an sie klammert - machen ihr bewusst, wie fragil ihre Position ist. Zugleich scheint ihr eine halb bewusste Stimme (ihres Gewissens?) immerfort zu sagen, dass sie nicht so müßig gehen, sondern ihr Leben in die eigene Hand nehmen soll.

Zumindest in diesem ersten LA macht die Erzählerin einen passiven, auf Genuss und gepflegte Langeweile ausgerichteten Eindruck. Aber wie gesagt macht sich eine gewisse Unruhe bemerkbar.

Sehr hilfreich sind die vielen Anmerkungen am Schluss, ich habe mich auch ein wenig über Haiti belesen müssen, vor allem über die Geschichte der amerikanischen Besatzung und der Militärregierung. Die Gräben des Rassismus sind tief. Interessant ist der Umstand, dass diese Gräben künstlich gezogen oder jedenfalls von den jeweils Herrschenden bestärkt wurden, nach dem Motto "teile und herrsche" wurde die Gesellschaft entsolidarisiert, wie das gern in totalitären Regimes geschieht.
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Eine kleine Nachbemerkung noch am Rande. In Truman Capotes Erzählungssammlung, die unter dem Titel "Frühstück bei Tiffany" bei Rowohlt erschienen ist, gibt es eine Geschichte aus Haiti: "Das Blumenhaus". Ich kenne die Geschichte seit den Siebzigern und verstehe sie dank der Anmerkungen zu "Töchter Haitis" jetzt zum ersten Mal richtig ... :apenosee Da verfällt die Prostituierte Ottilie einem einfachen Zuckerrohrbauern, den sie bei einem "Hahnenkampf" kennen lernt: "Sie fand ihn seltsam, hatte bei ihm aber kein fremdes Gefühl, denn in ihr waren immer noch die Berge, und er kam aus dem Bergen."

Auch hier also die Kluft zwischen Stadt- und bäuerlicher Landbevölkerung (Anm. 37). Ottilies Liebhaber wird, da er "aus den Bergen" kommt, von ihren Freundinnen als eine Art unwürdiger Halbwilder angesehen, aber diese Kluft schafft auch Zugehörigkeit, so dass Ottilie ihr Luxusleben auf der Stelle stehen und liegen lässt und ihrem Bauern "in die Berge" folgt, wo sie übrigens auch glücklich wird - eine reichlich märchenhafte, aber schöne Geschichte.
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Puh, gut das wir für dieses Buch länger Zeit haben. Durch die teils sehr ausführlichen Anmerkungen ist die Lektüre sehr intensiv. Ich bin auch noch nicht mit dem 1. Abschnitt durch, aber bisher mag ich es. Und auch hier wird wieder deutlich, wie aktuell Klassiker heutzutage sind; allein durch Sätze wie diese
Heute schlug man Diebe, und eines Tages würden auch diejenigen geschlagen werden, die für Gerechtigkeit und das Wohl des Volkes kämpften. (S. 21)
:cool:.
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Ich staune immer wieder über deine Querverweise und Bezüge... Was bist du für eine belesene Frau, Häsin:smileeye!
Ich hab nicht mehr gelesen als alle anderen hier, bei mir ist nur das Problem, dass ich mir alles Gelesene merke - und alles andere nicht. :apenosee Ich gehöre zu den Leuten, die alles auf einem Einkaufszettel notieren und den Zettel dann daheim vergessen. Weil ich an meine Lektüre denke statt an den Einkauf. :apenosee :rolleyes:
 
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Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Puh, gut das wir für dieses Buch länger Zeit haben. Durch die teils sehr ausführlichen Anmerkungen ist die Lektüre sehr intensiv. Ich bin auch noch nicht mit dem 1. Abschnitt durch, aber bisher mag ich es. Und auch hier wird wieder deutlich, wie aktuell Klassiker heutzutage sind; allein durch Sätze wie diese

:cool:.
Ich frage mich bei der Lektüre immer wieder, ob diese vorgestrige Mentorenrolle, die George für Lotus bisher spielt, dem Umstand zuzuschreiben ist, dass es sich um einen Klassiker handelt - oder ob die Leute in Haiti halt so denken.
Auf den Seychellen zum Beispiel ist die Bevölkerung auch kreolisch und dort obliegt die Versorgung der Familie einschl. Lohnarbeit ganz selbstverständlich den Frauen. Die Männer machen Kinder und ziehen vorbei. In unserem Reiseführer (gekauft in den Nullerjahren, vielleicht ist es inzwischen anders) wurde dieses System übrigens als matriarchalische Familienstruktur bezeichnet. :grinning
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Oh! :monocle :think Dann würde mich interessieren, wie dann erst in ihren Augen die patriarchalische Familienstruktur aussieht! :oops:
Von partiarchalisch kann natürlich keine Rede sein in einer Familie, in der überhaupt kein Mann präsent ist. Insoweit ist die Bezeichnung durchaus richtig. Es geht ein wenig zu wie im Tierreich (ich meine das natürlich nicht beleidigend!). Die Männer sorgen für die Durchmischung des Genpools, die Frauen für alles andere.
 

GAIA

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27. Dezember 2021
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Ich bin sehr gut, wenn auch langsam und bedächtig, ins Buch eingetaucht. Ganz besonders positiv überrascht bin ich von den Anmerkungen, die mir dabei helfen, mich in das Leben in der ersten Hälfte des 20.Jh. auf Haiti reinzudenken. Dabei tauchen immer wieder auch Gedanken an "Back to Blood" von Tom Wolfe in mir auf. Der Roman spielt im Miami der Gegenwart. Dort gibt es neben viele kubanischen Einwohnern auch haitianische. Ein (schwarz-heitianscher) Familienvater, der den gehobenen Standard seiner Familie hervorheben will, verbietet den Kindern Kreolisch zu sprechen. Sie sollen fließendes Französisch können. Jetzt verstehe ich die klare Abgrenzung noch besser. Und ohne die Anmerkungen zu "Töchter Haitis" würde ich die komplizierten Einordnungen nach Hautfarbe und Sprache nicht annähernd gut durchschauen.

Die Figur der Lotus ist mir bisher nicht sympatisch (muss sie ja auch nicht). Sie scheint ein recht abgesichteres Leben zu führen. Und obwohl ihre Mutter als Prostituierte gearbeitet hat, damit also auch zur "dienenden" Bevölkerungsschicht gehörte, hat Lotus nur wenige Vorstellungen davon, wie schlecht es der unteren Bevölkerungsschicht geht. Sie schreit ihre Bediensteten an (im jungen Erwachsenenalter), behandelt sie herablassend, versucht tolle Partys zu feiern, fühlt sich damit aber auch nicht gut, und hat hysterische Ausbrüche, wenn ihre Zeichnungen sie erschrecken. Erst die Schreibkräfte und ihr "Buckeln" lassen sie so richtig aufmerken. Ob das von Dauer ist, werden wir sehen.
Kurios fand ich, wie sie es schafft, weiterhin nicht in kognitive Dissonanz durch George (hieß der Schuhe reparierende Bibelleser so?) zu kommen. Es geht ihm, seiner Tochter und den Enkelkindern schrecklich und sie geht seelenruhig nach jedem Treffen in ihr "größtes Haus im Stadtteil" zurück. Sie schien bisher das Leid in ihrem Land aus Selbstschutz ausgeblendet zu haben. Hadert eher mir eigenen Befindlichkeiten als mit dem Zustand ihrer Umwelt.

Ich bin sehr gespannt diese Geschichte weiter zu verfolgen und vor allem noch mehr über Haiti und dessen Bewohner zu lernen.
 

Die Häsin

Bekanntes Mitglied
11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Ich bin sehr gut, wenn auch langsam und bedächtig, ins Buch eingetaucht. Ganz besonders positiv überrascht bin ich von den Anmerkungen, die mir dabei helfen, mich in das Leben in der ersten Hälfte des 20.Jh. auf Haiti reinzudenken. Dabei tauchen immer wieder auch Gedanken an "Back to Blood" von Tom Wolfe in mir auf. Der Roman spielt im Miami der Gegenwart. Dort gibt es neben viele kubanischen Einwohnern auch haitianische. Ein (schwarz-heitianscher) Familienvater, der den gehobenen Standard seiner Familie hervorheben will, verbietet den Kindern Kreolisch zu sprechen. Sie sollen fließendes Französisch können. Jetzt verstehe ich die klare Abgrenzung noch besser. Und ohne die Anmerkungen zu "Töchter Haitis" würde ich die komplizierten Einordnungen nach Hautfarbe und Sprache nicht annähernd gut durchschauen.

Die Figur der Lotus ist mir bisher nicht sympatisch (muss sie ja auch nicht). Sie scheint ein recht abgesichteres Leben zu führen. Und obwohl ihre Mutter als Prostituierte gearbeitet hat, damit also auch zur "dienenden" Bevölkerungsschicht gehörte, hat Lotus nur wenige Vorstellungen davon, wie schlecht es der unteren Bevölkerungsschicht geht. Sie schreit ihre Bediensteten an (im jungen Erwachsenenalter), behandelt sie herablassend, versucht tolle Partys zu feiern, fühlt sich damit aber auch nicht gut, und hat hysterische Ausbrüche, wenn ihre Zeichnungen sie erschrecken. Erst die Schreibkräfte und ihr "Buckeln" lassen sie so richtig aufmerken. Ob das von Dauer ist, werden wir sehen.
Kurios fand ich, wie sie es schafft, weiterhin nicht in kognitive Dissonanz durch George (hieß der Schuhe reparierende Bibelleser so?) zu kommen. Es geht ihm, seiner Tochter und den Enkelkindern schrecklich und sie geht seelenruhig nach jedem Treffen in ihr "größtes Haus im Stadtteil" zurück. Sie schien bisher das Leid in ihrem Land aus Selbstschutz ausgeblendet zu haben. Hadert eher mir eigenen Befindlichkeiten als mit dem Zustand ihrer Umwelt.

Ich bin sehr gespannt diese Geschichte weiter zu verfolgen und vor allem noch mehr über Haiti und dessen Bewohner zu lernen.
Der Schuster heißt Charles, George ist ihr Freund. Beide haben so eine Art Mentorenrolle in ihrem Leben.
Bisher macht Lotus einen ziemlich armseligen Eindruck. Sie führt ein Leben, das man mit dem berühtem Satz "es gibt kein richtiges Leben im falschen" charakterisieren könnte. Sie weiß das auch selbst, macht es sich bisher aber aus Bequemlichkeit nicht bewusst. Da wird mit Sicherheit noch einiges kommen.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Lotus sitzt gesellschaftlich zwischen allen Stühlen.
Das muss man ihr zugute halten. Darüber hinaus hat sie wenig Liebe von ihrer Mutter erfahren. Alles, was sie über deren Broterwerb weiß, musste sie sich selbst zusammenreimen. Liebe und Fürsorge erfuhr sie nur durch das Dienstmädchen, das sie auch mit Charles, und damit dem wahren Leben, zusammen brachte. Auch Maria starb zu früh.

Dass Lotus in der Schule keinen Schaden nahm, hat sie ihrem starken Willen zu verdanken, auch ihren treuen Freundinnen, deren individuellen Mehrwert unsere Protagonistin sehr genau zu definieren weiß. Ihren diesbezüglichen Jugenderinnerungen bin ich recht gern gefolgt, auch weil sie sich für die Schwachen einzusetzen wusste aus der eigenen Rebellion heraus.

Die erwachsene Lotus geht mir auf die Nerven. Es mangelt ihr an Arbeit. Vor lauter Langeweile dreht sich alles um flüchtige Liebschaften und Vergnügungen. Nun hat es sie mit Georges "erwischt". Sie läuft ihm nach- wohl wissend, dass er sie trotz ihres Geldes als unter seinem Stand stehend betrachtet. Sie demütigt ihre Gertrud, nur weil sie es kann. Sie tritt nach unten sozusagen.

Wie kann es sein, dass Lotus so wenig über das Leben mitbekommen hat? Sie hat helle Haut, sie ist zur Schule gegangen, hat aber offenbar keine Ausbildung genossen. Die Bücher, die sie liest, bezeichnet Georges als trivial...
Bereits am ersten Arbeitstag haut sie in den Sack und kleidet auch das in einen Akt der Revolte...

Ich habe noch kein klares Bild von Lotus, die ihre Erinnerungen im Präteritum und die Gegenwart im Präsens erzählt, oder? Mitunter stellt sie ihr eigenes Verhalten in Frage. Ihre diesbezüglichen Gedanken gefallen mir, auch wenn das Handeln davon abweicht. Man muss wirklich bedenken, dass sie (außer Charles?) keine Vertrauensperson hat. Ihre Beziehungen sind sehr oberflächlich und sollen keine wahren Gefühle zeigen. Das wenige Geld für sinnleere Feiern auszugeben, zeugt davon. Nur Fassade.
Wobei sie ihre Unschuld mit harten Bandagen verteidigt.

Bin gespannt, wie sich das weiter entwickelt.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Lotus sehnt sich selbst nach dem kleinen Mädchen zurück, dass Überdruss und Langeweile nicht kannte.
Sie sieht sich selbst schon kritisch, kann sich mit den Augen anderer sehen. Allerdings ändert das bis jetzt ihr privilegiertes Verhalten nicht.

Im zweiten Kapitel erzählt sie uns die Geschichte der zwei geklauten Bananen. Ein vertrauter Anblick und ein Blick in die Zukunft:
Was diese Frau.... erlebt hatte, sollte ich auch irgendwann kennenlernen.

Das Bild an der Wand ist eine Art Reflexionsfläche für sie. Die bösen Augen starren sie an, wenn sie nicht zufrieden mit ihren Handlungen ist. Nun werden sie übergestrichen. Ob sich jetzt etwas ändert? Fängt sie jetzt neu an?
 

Die Häsin

Bekanntes Mitglied
11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Ich habe noch kein klares Bild von Lotus, die ihre Erinnerungen im Präteritum und die Gegenwart im Präsens erzählt, oder?
Was das angeht, hätte das Nachwort für Klärung sorgen können, wenn man es als Vorwort vorangestellt hätte - sorry, dass ich vorgreife: im Kreol werden Verben nicht konjugiert, es gibt keine Vergangenheitsform bzw. sie ergibt sich aus dem Zusammenhang. Ähnlich wie wenn wir sagen "Gestern geh ich zu Edeka und kauf Kartoffeln" - machen ja viele Leute. Man hat also bei der Übertragung versucht, diesen speziellen Charakter der Sprache zu bewahren. Manchmal muss man es sich zusammensuchen, welche Zeit eigentlich erzählt wird, mich verwirrt das auch.
 

petraellen

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11. Oktober 2020
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Der Beginn des Romans beschreibt zunächst die Protagonistin Lotus, die eine helle Haut hat, aber dunkle gelocktes Haar, was aus ihrer Sicht einen unharmonischen Kontrast darstellt. Sie ist Haitianerin und gehört der Bevölkerungsgruppe der Mulatten an, die einen weißen und schwarzen Elternteil haben. Dieser Kontrast setzt sich in der Beschreibung ihres Wohnortes weiter fort. Sie wohnt im Zentrum von Port -au Prince nahe dem Armenviertel Bolosse. Sie besitzt ein große Haus, das sie von ihrer Mutter geerbt hat mit zwei Bediensteten. Trotzdem ist sie weder richtig reich noch arm. Wie ihr Aussehen ist ihr Leben am Ort nach zwei Seiten ausgerichtet. Im weiteren Verlauf spiegelt sich diese Kontrastwelt im Umgang mit ihren Freundinnen, Ansehen in der Gesellschaft wider. Ihre Beziehung zu ihrer Mutter muss sie mit deren Männern teilen. Männer werden für sie zu Feinde. Nach dem Tod ihrer Mutter lernt sie, allein zu leben. Sie erlebt Haiti als Polizeistaat, der nicht davor zurückschreckt, einen Dieb, der eine Kochbanane gestohlen hat, weil seine Familie hungert. Die brutale Gewalt erfährt ebenso seine Frau, die versucht ihm zu helfen. Lotus merkt, dass ihr dieses Schicksal der Gewalt noch bevorsteht.

„Heute schlug man Diebe, und eines Tages würden auch diejenigen geschlagen werden, die für Gerechtigkeit und das Wohl des Volkes kämpften“. (S. 21)

Sie lernt Georges Caprou kennen, der erste Mann vor dem sie Achtung hat.

Der erste LA beschreibt schon eindringlich die Zeit um 1940 in Haiti und führt Stück für Stück in die Geschichte ein, die noch kommen wird. In Kapitel 7 werden die ersten Zeichen des Auflehnens gegen Gewalt, Ausbeutung und einer Korruptionsgesellschaft sichtbar. Lotus stellt sich mutig dagegen. „Weiße Herren, ihr beutet den Schwarzen aus […].“ (S. 66)

Sie zeigt ihre mutige, souveräne Haltung gegenüber einer zermalmenden Gewalt.