1. Leseabschnitt: Kapitel 1 bis 6 (S. 9 - 80)

Anjuta

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8. Januar 2016
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Ich teile viele Einschätzungen von oben, die davon handeln, wirklich schwer in den Roman reinzukommen. Der Autor macht es uns auch nicht leicht, denn alles ist irgendwie halb und verschwimmt in den relativierenden und die Handlung nicht wirklich vorantreibenden Darlegungen des Erzählers.
So zum Beispiel ein Zitat von Seite 55:
"Barnaby war offensichtlich nur so herumgeschlendert, weder wirklich interessiert noch nicht interessiert, weder hungrig noch nicht hungrig."
Genauso fühlt sich das nicht besonders erbauliche Lesen derzeit für mich an, weder so noch so. Also warum eigentlich dann???
Vielleicht erschließt sich die Antwort ja noch!!! Die Hoffnung stirbt zuletzt.
 

Renie

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19. Mai 2014
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Anfangs hatte ich meine Schwierigkeiten, in das Buch reinzukommen, wozu der Sprachstil von Howard Jacobson beigetragen hat. Sie wirkt auf mich anfangs sehr zynisch. Er arbeitet mit Umschreibungen, die man sehr aufmerksam lesen muss, um sie zu verstehen. Daher war es auch schwierig, mir ein erstes Bild von den Charakteren zu verschaffen.

Ohne ein bisschen über das Original zu wissen, ist es überhaupt schwierig den Inhalt zu verstehen.
Die erste Szene auf dem Friedhof wirkt auf mich sehr düster, wobei ich mich hier schon an ein Shakespeare Stück erinnert fühlte. Trotz Englisch-LK und Shakespeare im Abi kann ich mich nicht an Einzelheiten erinnern. Aber trotzdem muss ich immer an deprimierende Szenarien denken, wenn es um Shakespeare geht (Macbeth z. B.)

Natürlich habe ich versucht, Parallelen zu den Charakteren im Original zu finden, was mir bisher nur im Ansatz gelungen ist. Mir ist die Beziehung zwischen Shylock und Strulovitch noch nicht ganz klar. Zumindest habe ich nicht verstanden, warum Shylock bei Strulovitch übernachtet. Die beiden scheinen sich nicht wirklich gut zu kennen.

So ganz nebenbei frage ich mich auch, wie ich meine Rezension gestalten werde. Denn hier tauchen antisemitische Sprüche auf, bei denen ich mir nicht sicher bin, ob ich diese zitieren kann, ohne von der braunen Fraktion bejubelt zu werden.:confused:;)
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Zumindest habe ich nicht verstanden, warum Shylock bei Strulovitch übernachtet.
Der Erzähler hat uns anfangs auch den Eindruck vermittelt, dass die beiden sich nicht mögen (wenigstens war das so bei mir angekommen).
Doch haben beide ähnliche Probleme: sie sind Juden, haben ihre Frauen mehr oder weniger verloren und Probleme mit den Töchtern... Das verbindet vielleicht?
Aber Strulovich ist vermögend, Shylock arm.

Was die jüdischen Stereotype betrifft, bin ich wieder mal erstaunt, wie unverkrampft und offen ein jüdischer Autor das Problem schildert. Bestimmt wird das noch Sinn machen in der weiteren Erzählung.
 
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Leseglück

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7. Juni 2017
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Da geht es mir wie dir, ich habe auch keine Idee. Seine Pose könnte auch bedeutsam sein, erinnert ein wenig daran als ob er sich schützend wegdreht. Vielleicht ergründen wir das Rätsel ja noch gemeinsam

Noch ein Vorschlag zur Interpretation des Covers: Auf der Vorderseite sieht es für mich so aus als ob der halbnackte Mann schwer an dem Namen Shylock trägt. Auf der Rückseite sieht es so aus als ob er den Schriftzug "Der Kaufmann von Venedig" abwehren will.
Meine vorläufige Interpretation: Die Juden haben mit ihrem jüdisch sein zu kämpfen, müssen sich dagegen wehren oder haben daran schwer zu tragen.
Vielleicht zu weitgehend...aber man darf doch mal geistig experimentieren;)

Da musste ich sofort an James Joyce denken, Anna Livia Plruabelle aus Finniganes Wake und die entsprechende Brunnenfigur in Dublin.
Vielen Dank für diesen Hinweis. Da wäre ich nie drauf gekommen. Die Brunnenfigur habe ich mir im Internet angeschaut. Man könnte meinen, dass sich unser Autor bei der Beschreibung von Plurabelle von der Statue in Dublin hat inspirieren lassen.
Warum hat unser Autor wohl auf diese Figur in Joyce Roman Bezug genommen?

Ich habe das Theaterstück von Shakespeare nicht gelesen, von daher entgehen mir sicher einige Parallelen...allerdings kenne ich den Inhalt und von daher habe ich zumindest ein Zitat entdeckt: S.23 fragt die erste Ehefrau von Strulovitch diesen nach dem sie die Scheidungspapiere unterschrieben hatte: "Bist du jetzt glücklich, da du dein Pfund Fleisch bekommen hast?"
In dem Stück fordert doch Sherlock ein Teil von dem Körper seines Schuldners wenn er seine Schulden nicht bezahlen kann.

Ihr habt das Verhältnis von Sherlock und Strulovic diskutiert. Das fand ich interessant zu lesen.
Sherlock steht irgendwie mehr für die jüdische Tradition als Strulovic. Dieser erwägt einmal kurz den Gedanken, ob Shakespeare Sherlock erlaubt hätte ihm zu erscheinen.
Wie sich die beiden über ihr Jüdisch-sein, und darüber wie sie von Christen wahrgenommen werden, unterhalten hat mir sehr gut gefallen. Nur ein jüdischer Autor (ich glaube Howard Jacobson hat jüdische Wurzeln) kann so offen die Vorurteile oder angeblichen Vorurteile von Christen gegenüber Juden ansprechen.
Von dem Stereotyp "Geldgier" (und auch wie es entstanden ist) wusste ich schon. Dass Juden angeblich von Christen als "unbarmherzig" und rachsüchtig erlebt werden, das ist mir neu. Aber ich denke so wird der Sherlock in dem Theaterstück von Shakespeare wohl dargestellt.

Die Beschreibung von dieser reichen Erbin Plurabelle fand ich witzig bis sarkastisch! Hier macht sich der Howard Jacobson wohl über die Klasse der It-girls und Promis lustig. Wie witzig, dass sie dort einen Traurigkeitskurs für Reiche besucht! Sehr sarkastisch.
. Auch eine Parodie auf die sozialen Medien...obwohl das schwer zu parodieren ist, denn die Wirklichkeit übertrifft da wohl die Phantasie.

Jetzt bin ich gespannt auf den nächsten Abschnitt. Für diejenigen, die das Original gelesen haben: bitte schreibt weiter wenn ihr Parallelen erkennt. Das fände ich sehr interessant.
 

MRO1975

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11. August 2018
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Anfangs hatte ich meine Schwierigkeiten, in das Buch reinzukommen, wozu der Sprachstil von Howard Jacobson beigetragen hat. Sie wirkt auf mich anfangs sehr zynisch. Er arbeitet mit Umschreibungen, die man sehr aufmerksam lesen muss, um sie zu verstehen. Daher war es auch schwierig, mir ein erstes Bild von den Charakteren zu verschaffen.

Ohne ein bisschen über das Original zu wissen, ist es überhaupt schwierig den Inhalt zu verstehen.
Die erste Szene auf dem Friedhof wirkt auf mich sehr düster, wobei ich mich hier schon an ein Shakespeare Stück erinnert fühlte. Trotz Englisch-LK und Shakespeare im Abi kann ich mich nicht an Einzelheiten erinnern. Aber trotzdem muss ich immer an deprimierende Szenarien denken, wenn es um Shakespeare geht (Macbeth z. B.)

Natürlich habe ich versucht, Parallelen zu den Charakteren im Original zu finden, was mir bisher nur im Ansatz gelungen ist. Mir ist die Beziehung zwischen Shylock und Strulovitch noch nicht ganz klar. Zumindest habe ich nicht verstanden, warum Shylock bei Strulovitch übernachtet. Die beiden scheinen sich nicht wirklich gut zu kennen.

So ganz nebenbei frage ich mich auch, wie ich meine Rezension gestalten werde. Denn hier tauchen antisemitische Sprüche auf, bei denen ich mir nicht sicher bin, ob ich diese zitieren kann, ohne von der braunen Fraktion bejubelt zu werden.:confused:;)

Da gebe ich dir völlig recht. Die Thematik ist schwierig und manche von den geäußerten Ansichten zum Jüdischsein oder den Gründen für den Antisemitismus kann ich einfach nicht beurteilen. Ich habe machmal das Gefühl hier durch ein Minenfeld zu gehen.
 
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Querleserin

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30. Dezember 2015
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Wadern
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So ganz nebenbei frage ich mich auch, wie ich meine Rezension gestalten werde.
Da sehe ich auch ein Problem, neben dem, wie man den Inhalt ordentlich zusammenfassen kann, da zu Beginn alles sehr zerfasert wirkt. Habe dreimal mit dem Roman begonnen, um hineinzukommen. Allmählich kristallisieren sich die von @MRO1975 skizzierten Handlungslinien heraus. Shylock wirkt auf mich wie ein aus dem Shakespeare-Stück gefallener Charakter, oder? Irgendwie nicht real, ein Geist, wie @Mikka Liest auch schon festgestellt hat.
 

Renie

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aber ich glaube, ich habe mehr von dem Buch, wenn ich mich davon löse.
Den Eindruck habe ich für mich auch. Mir gefallen die kleinen und großen Hinweise auf Shakespeares Werke. Strulovitchs erste Frau hieß z. B. Ophelia-Jane. Aber ich glaube auch, dass der Autor sehr freimütig mit der Vorlage umgegangen ist. Auf meinem Buch ist ein Aufkleber des Verlages, der den Roman als "tiefsinnig und stellenweise irrwitzig" bezeichnet. Vielleicht liegt hier des Rätsels Lösung, was es mit Shylock auf sich hat (-> irrwitzig). Außerdem gibt es die Aussage, dass sich Johnson mit dem vermeintlichen Antisemitismus auseinandersetzt. Hier ist m. E. der Schwerpunkt zu sehen. Das Antisemitismus-Thema hat er dann noch mit einigen Querverweisen und Parallelen zu dem Original geschmückt.
 

Anjuta

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8. Januar 2016
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Das letzte Kapitel des ersten Teils (Shylock und Strulovitch bei letzterem zu Hause auf dem Anwesen) ist das erste, in dem mir die Figuren und die Situation einigermaßen konkret werden und sie mir nicht angesichts von immer wieder abschweifender bzw. relativierender Erzählweise komplett verwischen. Hoffentlich geht es nun so konzentriert weiter.
Bei mir bleibt aber die Frage bestehen nach dem Warum des Nebeneinanders von Shylock und Strulovitch. Strulovitch ist ja wohl der eigentliche Shylock aus dem "Kaufmann". Mehr jedenfalls als der Shylock aus Shylock, auch wenn auch letzterer einige Analogieansätze zu bieten hat. Irgendwie muss ich immer wieder die beiden Personen addieren, zusammenbringen und das Zusammenspiel der beiden betrachten. Wie seht ihr das?
 
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Paula Grimm

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8. August 2018
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Guten Tag,

vielleicht bin ich etwas spät dran mit meinem Einstieg in die Diskussion. DA es schon etwa 35 Jahre her ist, dass ich das Theaterstück erlebt habe, wäre es wohl besser gewesen, es noch mal irgendwie zu hören.

Meine anfängliche Verwirrung habe ich darauf zurückgeführt, dass mir der Kaufmann von Venedig nicht mehr präsent genug war. Aber offenbar war das nicht der Grund, wenn ich in den vorangegangenen Beiträgen lese, dass im Grunde alle hier verwirrt waren oder sind.

In der bisherigen Diskussion wurde der Verdacht geäußert, dass Strulowich und Shylock eine Spaltung des Shylocks aus dem kaufmann von Venedig sein könnte. Der Gedanke ist mir auch gekommen. Und der Shylock im Roman ist der inaktivere Teil der beiden, in seiner Trauer und Armut eingeklemmt oder gefangen.

Bislang kommt mir der Roman mit "Themen vollgestopft" vor. Es soll nicht nur das Stück vorkommen, sondern auch das Judentum, Judentum und Christentum, jüdische Geschichte, Venedig, Bedeutung der Kunst, Geld und Wirtschaft etc. Die genannten Themen kommen natürlich auch in der Vorlage zur Sprache. Aber es sind vier Jahrhunderte und neue Gesellschafts- und Wirtschaftsformen dazu gekommen. Ist vielleicht ein Bisschen viel!
 

Literaturhexle

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Meine anfängliche Verwirrung habe ich darauf zurückgeführt, dass mir der Kaufmann von Venedig nicht mehr präsent genug war.
Das hast du richtig erkannt. Ich Teile deine Empfindungen völlig, erst in der zweiten Hälfte hat sich für mich der Schleier ein wenig gehoben.
Aber es sind vier Jahrhunderte und neue Gesellschafts- und Wirtschaftsformen dazu gekommen.
Das ist das Problem irgendwie. Das Alte personifiziert in Shylock reibt sich an den zum Teil ultramodernen Lebensentwürfen. Teilweise ergeben sich dadurch auch fast humorvolle Dialoge.
 

Mikka Liest

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14. Februar 2015
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Hilter am Teutoburger Wald
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Die genannten Themen kommen natürlich auch in der Vorlage zur Sprache. Aber es sind vier Jahrhunderte und neue Gesellschafts- und Wirtschaftsformen dazu gekommen. Ist vielleicht ein Bisschen viel!

Da sagst du was, da könnte was dran sein... Ich bin im Moment auch noch etwas am kämpfen, was ich aus dem Buch für mich herausziehen kann und soll.
 

milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
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Puh, der Einstieg in die Geschichte ist mir auch ziemlich schwer gefallen. Ich habe auch mehr als einen Anlauf gebraucht, dabei war ich soo gespannt auf das Buch.

Einerseits gefällt mir der Schreibstil sehr gut. Er hat etwas Antiquiertes, das mich an klassische Literatur erinnert und was zur einer Shakespeare-Neuinterpretation ganz gut passt. Andererseits war der Einstieg in die Geschichte damit auch nicht so einfach, weil ich einiges mehrfach lesen musste. Für mich ist es definitiv kein Buch, was man unkonzentriert mal so einfach nebenbei lesen kann.

Ich bin mir bei einigen Punkten auch nicht sicher, ob ich alles richtig verstanden habe. Eure Deutungsansätze finde ich aber sehr spannend. Ich denke, ich muss mich auch noch mal mit dem Original auseinandersetzen, bevor ich das alles ganz erfassen kann.
 

Renie

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19. Mai 2014
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Einerseits gefällt mir der Schreibstil sehr gut. Er hat etwas Antiquiertes, das mich an klassische Literatur erinnert und was zur einer Shakespeare-Neuinterpretation ganz gut passt. Andererseits war der Einstieg in die Geschichte damit auch nicht so einfach, weil ich einiges mehrfach lesen musste. Für mich ist es definitiv kein Buch, was man unkonzentriert mal so einfach nebenbei lesen kann.
Genauso habe ich es auch empfunden. Sobald die Gedanken abschweiften, war ich wieder raus. Aber hinterher wurde es besser.
 
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Xanaka

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12. Juli 2015
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Jetzt nachdem ich die Berichte der anderen lese, bin ich froh darum - denn auch mir fällt es schwer in das Buch zu kommen. Es ist wunderbar zu lesen, springt aber mitunter hin- und her. Man muss sich schon echt konzentrieren, um den wesentlichen Faden zu erkennen und am Ball zu bleiben. Wobei die Sprache dabei wunderschön ist.
 
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Literaturhexle

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Es ist wunderbar zu lesen, springt aber mitunter hin- und her. Man muss sich schon echt konzentrieren, um den wesentlichen Faden zu erkennen und am Ball zu bleiben. Wobei die Sprache dabei wunderschön ist.
Absolut! Ich habe die ersten 80 Seiten sogar zwei Mal gelesen, bis ich die "Verortung" hatte.
Mit der schönen, auch anspruchsvollen Sprachgestaltung stimme ich unbedingt mit dir überein. Manche Passagen sind ein Genuss.
Die Geschichte selbst bleibt aber nicht einfach ;)
 

Xanaka

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12. Juli 2015
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Ich finde es interessant, dass viele hier Mitlesende nach Parallelen suchen. Ich habe bisher nichts von Shakespeare gelesen. Vielleicht fällt es mir deshalb auch so schwer in das Buch zu kommen.
 

Renie

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Ich habe bisher nichts von Shakespeare gelesen. Vielleicht fällt es mir deshalb auch so schwer in das Buch zu kommen.
Nicht unbedingt. Mir ist es mit diesem Buch leichter ergangen, als ich aufgehört habe, nach Parallelen zu suchen. Der grobe Inhalt des Originals hat für mich ausgereicht.