1. Leseabschnitt: Kapitel 1 bis 4 einschließlich

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Schon in den ersten Zeilen bekommen wir einen Eindruck, welcher Geist hier herrscht: Im Atelier des Malers Hallward duftet es nach Rosen, durch die Tür weht Fliederduft, der Bohnenbaum duftet auch, und Lord Henry Wotton quarzt dazu "unzählige Zigaretten", die auch noch mit Opium getränkt sind. Na prost ...

Hallward will Grays Namen nicht nennen, nennt ihn dann aber doch, Er will nicht sagen, warum er das Bild nicht ausstellen will, tut es dann aber doch. Er will Dorian seinem Gast auf keinen Fall vorstellen, im nächsten Augenblick steht Dorian im Zimmer. Hallward will das Bild zerstören, tut es dann aber doch nicht. Und zum Schluss des 2. Kapitels noch einiges Hin und Her, wer nun mit wem und warum ins Theater geht.

Der zynische Wotton legt es darauf an, Gray (ich sag jetzt mal meine persönliche Meinung) zu einem genauso blasierten Nichtsnutz zu machen, wie er selbst einer ist. Hallwards Gesicht nimmt "einen schmerzverzerrten Ausdruck an". Und Gray möchte niemals alt werden. Damit sind die Weichen gestellt.
 

Skadi Auriel

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12. März 2021
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Kapitel 1 – 4:

Ich finde die Art wie Oskar Wilde die Umgebung beschreibt eindrucksvoll. Er nutzt verschiedene Sinneseindrücke, die das ganze plastisch wirken lassen. Das Gespräch über Kunst und Wesen des Menschen ist für meinen Geschmack etwas langgezogen, aber dadurch bekommt man auch einen guten Eindruck von der Persönlichkeit des Malers und Lord Henry. Letzteren finde ich unsympathisch und ich habe den Eindruck, er nutzt Menschen als Unterhaltungsobjekte.

Dann wird Dorian vorgestellt er ist wohltätig, sanftmütig und scheint ein netter Kerl zu sein, dessen Schicksal unter einem dunklen Stern zu stehen scheint. Lord Henry versucht ihn zu verführen, indem er seine Grundwerte in Frage stellt.

Der Onkel von Lord Henry wird vorgestellt und passt gut in die Familie, scheint auch wenig sozial orientiert zu sein. Der Egoismus Egoismus von Lord Henry wird deutlich: „Kredit ist mein Geld, bezahle meine Rechnung nie.“ Das hebt nicht gerade meine Sympathie gegenüber ihm. Ich vermute, er will Dorian finanziell ausnutzen, indem er ihn manipuliert. Die Gedankenspiele sind gut beschrieben und verdeutlichen Lord Henrys Charakter. Ich finde es schwierig, dass nicht in jedem Absatz explizit gesagt wird, wer etwas sagt. Da muss ich teilweise nochmal durchlesen und mich mehr konzentrieren und dann auch mutmaßen. Bei dem essen wird Dorian Gray außen vor gelassen, man hört und liest nichts von ihm, er scheint eher Beiwerk zu sein. Da tat er mir leid.

Die Ehe zwischen Henry und seiner Frau scheint so zu sein, wie auch der Charakter von Henry vermuten lässt. Eher kalt und lieblos. Dorian scheint immer höriger gegenüber Henry zu werden, acuh wenn er sich noch von dessen Aussagen distanzieren kann. Ich freute mich für Dorian, dass er sich verliebt hat. Die philosophischen Gedankengänge waren für meinen Geschmack zu langatmig.

Das ist meine erste Leserunde als Leser und nicht als Autor. Daher bitte sagt Bescheid, wenn ich etwas falsch mache.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Zunächst muss ich sagen, dass dies meine erste Berührung mit dem Bildnis ist - ich habe es weder gelsen noch gesehen. Insofern sind meine Eindrücke noch völlig unverstellt.
[zitat]Es gibt weder moralische noch unmoralische Bücher. Ein Buch ist entweder gut oder schlecht geschrieben.[/zitat] Bei diesem Satz aus der Vorrede musste ich schmunzeln, weil dies der Satz war, mit dem sich Wilde vor Gericht verteidigte. Alle, die "Der Mann im roten Rock" mitgelesen haben, werden sich erinnern.

Der Maler hat mit Dorian seine Muse gefunden. Er wird seine Gründe haben, warum er den jungen Mann gegenüber Lord Henry abschirmen will. Der Lord ist ein Dandy besten Typs (auch hier grüßt Barnes;)), der für sein Amusement alles tut, im Zweifel auch Menschen opfert. Was er genau mit Dorian vorhat, weiß ich noch nicht. Anfangs strahlte die ganze Szenerie auch viel Homoerotik aus. Wir wissen ja durch Barnes´Lektüre, dass recht viele Dandys sich nicht nur auf eine Geschlechtspräferenz festlegen ließen.

Interessant sind die arroganten Einlassungen des Lords: Wer schön ist, kann nicht intelligent sein (das wird er später genau anders herum sagen - eben, wie es passt). Frauen sind ohnehin hirnlose Wesen.

Mit dem Geschwätz über die Jugend wird offengelegt, dass die Herren Angst vor dem Altern haben. Davon wird auch Dorian gleich angesteckt. Der Lord hat keinerlei Werte und macht daraus auch keinen Hehl. In seiner Position scheint er das zu können, ob es für Dorian auch das Richtige ist, wird man sehen. Die Anziehungskraft zwischen den beiden scheint zudem auf Gegenseitigkeit zu beruhen, der Maler ist nun erst einmal außen vor.
[zitat]Er wollte versuchen, ihn zu beherrschen, hatte das in der Tat schon zum teil getan. Er wollte diesen wunderbaren Geist zu seinem eigenen machen. S. 49[/zitat]
Später bezeichnet er Dorian auch als ein wunderschönes Studienobjekt. Für den Lord ist alles nur ein Spiel.

Die Verabredungen zu Tisch empfinde ich als höchst unterhaltsam. Immer mal wieder sind feine Weisheiten eingetreut, die auch als Sprüche taugen:
[zitat]Wie alle Menschen, die bestrebt sind, ein Thema zu erschöpfen, erschöpft er seine Zuhörer.[/zitat] Dafür habe ich das ein oder andere Beispiel im Bekanntenkreis:D

Im 4. Kapitel lernt Dorian seine Schauspielerin kennen und vergöttert sie so sehr, dass er sich in Windeseile mit ihr verlobt. Das wird Lord Henry so nicht stehen lassen, vermute ich mal. Da wird er seine Ränke schon noch schmieden... Wie in vielen Büchern aus dieser Zeit werden Juden sehr hässlich und berechnend dargestellt. Hier könnte man nicht einfach Vokabeln austauschen, um die Vorurteile zu tilgen.

Ich bin sehr angetan. Natürlich muss man sorgfältig lesen. Aber sprachlich ist das ein Hochgenuss!
 
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Literaturhexle

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2. April 2017
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Ich vermute, er will Dorian finanziell ausnutzen, indem er ihn manipuliert
Ich bin nicht sicher, ob er materielle Gründe hat, scheint es dem Lord selbst an nichts zu fehlen. Zunächst will er sich Einfluss auf den jungen Mann sichern. Mal sehen, wozu er ihn nutzt.
Das ist meine erste Leserunde als Leser und nicht als Autor. Daher bitte sagt Bescheid, wenn ich etwas falsch mache.
Haha! Da kann man doch nichts falsch machen, es geht doch nur um den Austausch von Eindrücken;). Passt alles!
 
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Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
"Wenn man seine Jugend zurückerobern will, braucht man nur die eigenen Torheiten zu wiederholen." (Lord Wotton)

Ich habe eine ganze Weile darüber nachgedacht. Mit Jugendtorheiten hätte ich genug aufzuwarten. Aber ich fürchte, statt meine Jugend zurückzuerobern, würde ich mich nur ein zweites Mal bis auf die Knochen blamieren.
Die Gesellschaft in Kapitel 4 ist eine wahre Fundgrube von Wilde'schen Bonmots. Man müsste sich das alles aufschreiben und auswendig lernen, damit man es bei Bedarf bei der Hand hat. :p
 

Xirxe

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19. Februar 2017
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Immer mal wieder sind feine Weisheiten eingetreut, die auch als Sprüche taugen:
Ja, so empfinde ich das auch. Alleine schon das Vorwort - da kannst Du die Hälfte davon an die Wand hängen ;)
Aber sprachlich ist das ein Hochgenuss!
Findest Du wirklich? Mir kommt das ziemlich manirieriert vor, passend zur Art und Weise des Lord Henry. Der schon ziemlich übel ist, andererseits aber mit den Schwächen seines Standes bemerkenswert offen umgeht. Ein Zyniker wie er im Buche steht, was man angesichts der Art und Weise wie der Adel lebt, wohl auch nur sein kann. Damit finde ich ihn deutlich ehrlicher als die bisher Bekannten seines Umfeldes.
"Wenn man seine Jugend zurückerobern will, braucht man nur die eigenen Torheiten zu wiederholen." (Lord Wotton)
Ich habe eine ganze Weile darüber nachgedacht.
Ja, es gibt eine Menge solcher Überlegungen, die des Nachdenkens wert sind. [zitat]Ein Künstler sollte Schönes schaffen, aber dabei nichts von sich selber hineinlegen. ... Wir haben den reinen Sinn für Schönheit verloren.[/zitat]Bei Erstem zweifle ich, aber das Zweite finde ich durchaus auch heute zutreffend. Wenn ich unsere Häuser sehe, unsere Städte, die Umgebung - Alles zweckmäßig oder modern oder stylish oder beeindruckend oder was auch immer. Aber einfach schön? Stellt sich natürlich die Frage: Was ist schön?
Lord Henrys Lebensinhalt bzw. -sinn hat er uns ja schon offenbart:[zitat]Das Leben strebt nach Selbstentfaltung. Uns voll und ganz zu verwirklichen, dazu sind wir da.[/zitat]Grundsätzlich nicht die schlechteste Einstellung, aber da gibt es ja noch andere Menschen. Weshalb die völlig ausgeklammert werden, erschließt sich mir noch nicht so ganz. Weil er etwas Besseres ist?
Überhaupt: Was für eine Gruselgesellschaft! Selbst die scheinbar so Wohltätigen machen ihre Wohltätigen doch auch nur, um toll dazustehen. Ein richtiges Horrorkabinett, das Wilde da aufgebaut hat.

Ich werde das Buch vermutlich nicht am Stück lesen, da ich hier noch ein, zwei, drei Bücher habe, die gelesen werden müssen ;) Hach, schon schwierig manchmal ;)
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Findest Du wirklich? Mir kommt das ziemlich manirieriert vor,
Ja, aber das ist doch herrlich! Man wird gleich im diese Gesellschaft hinein versetzt:rolleyes:.
Damit finde ich ihn deutlich ehrlicher als die bisher Bekannten seines Umfeldes.
Teilweise. Nicht alles spricht er sich aus. Außerdem dreht und wendet er seine Aussagen, wie es gerade vorteilhaft ist. Aber er ist eigentlich genau so, wie Barnes uns den Dandy geschildert hat.
Überhaupt: Was für eine Gruselgesellschaft! Selbst die scheinbar so Wohltätigen machen ihre Wohltätigen doch auch nur, um toll dazustehen. Ein richtiges Horrorkabinett, das Wilde da aufgebaut hat.
Und doch bin ich überzeugt, dass große Teile der so genannten höheren Gesellschaft genau so drauf waren. Es mag überzogen sein. Aber so stellte es sich dar. Dank seiner Kunst bekam Oskar ja Einblick in diese Kreise.
 
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Xirxe

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19. Februar 2017
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a, aber das ist doch herrlich!
Uaaah, da gehen unsere Meinungen über herrlich eindeutig auseinander ;) Auch wenn es das Ganze treffend wiedergibt - ich finde diesen Stil nicht sehr schön.
Außerdem dreht und wendet er seine Aussagen, wie es gerade vorteilhaft ist.
Stimmt, aber selbst dazu steht er ja. Wenn ich mich richtig erinnere, sogar wortwörtlich
Aber er ist eigentlich genau so, wie Barnes uns den Dandy geschildert hat.
Wohl wahr. Ob Barnes ihn vor Augen hatte?
Und doch bin ich überzeugt, dass große Teile der so genannten höheren Gesellschaft genau so drauf waren.
Da habe ich nicht die geringsten Zweifel. Umso gruseliger empfinde ich die Beschreibungen. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass in bestimmten Kreisen das auch heutzutage noch so vor sich geht. Die Wortwahl ist vermutlich eine andere, aber inhaltlich läuft es wohl auf das Gleiche hinaus.
 

Xirxe

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19. Februar 2017
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Was ich noch fragen wollte: Welche Ausgaben habt ihr denn? Es gibt ja wirklich jede Menge verschiedene Übersetzungen. Meine ist von Hans Wolf aus dem Jahre 1999 und heisst Das Bild des Dorian Gray.
Sehr hilfreich finde ich den Anhang, in dem damals geläufige Ausdrücke erklärt werden. Habt ihr so etwas auch?
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Meine Ausgabe ist ein Ullstein-TB von 1966. Übersetzt hat Johannes Gaulke.
Ich kann mich erinnern, dass ich um die gleiche Zeit, als ich das Buch damals kaufte, auch "Tief unten" ("La-bas") von Joris-K. Huysmans gelesen habe, der ja in unserem Rotrock-Buch auch eine Rolle spielte. Vermutlich hat mich die Epoche damals interessiert. Dürfte in den Siebzigerjahren gewesen sein. "Tief unten" werde ich garantiert nicht wieder lesen, das ist ein gänzlich humorbefreites, manieriertes Machwerk, aber Dorian Gray ist zu Recht ein Klassiker geworden.
 

Querleserin

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30. Dezember 2015
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Wadern
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Die Ehe zwischen Henry und seiner Frau scheint so zu sein, wie auch der Charakter von Henry vermuten lässt. Eher kalt und lieblos.
Ich war total überrascht, dass er verheiratet ist. Ich bin davon überzeugt, dass er homosexuell ist, was natürlich kein Widerspruch ist.

Der Lord ist ein Dandy besten Typs (auch hier grüßt Barnes;)), der für sein Amusement alles tut, im Zweifel auch Menschen opfert.
Ich muss auch ständig an Barnes denken ;).

"Wenn man seine Jugend zurückerobern will, braucht man nur die eigenen Torheiten zu wiederholen." (Lord Wotton)
Ich habe eine ganze Weile darüber nachgedacht. Mit Jugendtorheiten hätte ich genug aufzuwarten. Aber ich fürchte, statt meine Jugend zurückzuerobern, würde ich mich nur ein zweites Mal bis auf die Knochen blamieren.
Die Frage ist, ob man diese genauso wiederholen will, oder beim 2.Mal nicht alles anders machen würde...
Insofern stimme ich der @Die Häsin zu.

Auch wenn es das Ganze treffend wiedergibt - ich finde diesen Stil nicht sehr schön.
Ich finde, es liest sich gut, aber es ist mir auch "too much" der Ausschweifungen, Reflexionen, Gedankenspiele. Komm mal zum Punkt, habe ich mehr als einmal gedacht ;)
Nein. Ich habe keinen Anhang und die Diogenes Ausgabe von 1986. Übersetzt haben W. Fred und Anna von Planta.
Diese Ausgabe habe ich auch.
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Was Henrys Bonmots angeht, ist mir besonders ins Auge gesprungen, was er zu seiner Frau sagt: "Heutzutage kennen die Menschen den Preis von allen erdenklichen Dingen, aber nie ihren wahren Wert."

Das ist eine Sentenz, die ich schon sehr oft gehört habe, bezogen auf eine bestimmte Art Vertreter der Konsumgesellschaft: "sie kennen von allem den Preis, aber von nichts den Wert." Jetzt wüsste ich wirklich gern, ob Wilde der Urheber dieses Gedankens ist.