Zunächst muss ich sagen, dass dies meine erste Berührung mit dem Bildnis ist - ich habe es weder gelsen noch gesehen. Insofern sind meine Eindrücke noch völlig unverstellt.
[zitat]Es gibt weder moralische noch unmoralische Bücher. Ein Buch ist entweder gut oder schlecht geschrieben.[/zitat] Bei diesem Satz aus der Vorrede musste ich schmunzeln, weil dies der Satz war, mit dem sich Wilde vor Gericht verteidigte. Alle, die "Der Mann im roten Rock" mitgelesen haben, werden sich erinnern.
Der Maler hat mit Dorian seine Muse gefunden. Er wird seine Gründe haben, warum er den jungen Mann gegenüber Lord Henry abschirmen will. Der Lord ist ein Dandy besten Typs (auch hier grüßt Barnes
), der für sein Amusement alles tut, im Zweifel auch Menschen opfert. Was er genau mit Dorian vorhat, weiß ich noch nicht. Anfangs strahlte die ganze Szenerie auch viel Homoerotik aus. Wir wissen ja durch Barnes´Lektüre, dass recht viele Dandys sich nicht nur auf eine Geschlechtspräferenz festlegen ließen.
Interessant sind die arroganten Einlassungen des Lords: Wer schön ist, kann nicht intelligent sein (das wird er später genau anders herum sagen - eben, wie es passt). Frauen sind ohnehin hirnlose Wesen.
Mit dem Geschwätz über die Jugend wird offengelegt, dass die Herren Angst vor dem Altern haben. Davon wird auch Dorian gleich angesteckt. Der Lord hat keinerlei Werte und macht daraus auch keinen Hehl. In seiner Position scheint er das zu können, ob es für Dorian auch das Richtige ist, wird man sehen. Die Anziehungskraft zwischen den beiden scheint zudem auf Gegenseitigkeit zu beruhen, der Maler ist nun erst einmal außen vor.
[zitat]Er wollte versuchen, ihn zu beherrschen, hatte das in der Tat schon zum teil getan. Er wollte diesen wunderbaren Geist zu seinem eigenen machen. S. 49[/zitat]
Später bezeichnet er Dorian auch als ein wunderschönes Studienobjekt. Für den Lord ist alles nur ein Spiel.
Die Verabredungen zu Tisch empfinde ich als höchst unterhaltsam. Immer mal wieder sind feine Weisheiten eingetreut, die auch als Sprüche taugen:
[zitat]Wie alle Menschen, die bestrebt sind, ein Thema zu erschöpfen, erschöpft er seine Zuhörer.[/zitat] Dafür habe ich das ein oder andere Beispiel im Bekanntenkreis
Im 4. Kapitel lernt Dorian seine Schauspielerin kennen und vergöttert sie so sehr, dass er sich in Windeseile mit ihr verlobt. Das wird Lord Henry so nicht stehen lassen, vermute ich mal. Da wird er seine Ränke schon noch schmieden... Wie in vielen Büchern aus dieser Zeit werden Juden sehr hässlich und berechnend dargestellt. Hier könnte man nicht einfach Vokabeln austauschen, um die Vorurteile zu tilgen.
Ich bin sehr angetan. Natürlich muss man sorgfältig lesen. Aber sprachlich ist das ein Hochgenuss!