1. Leseabschnitt: Kapitel 1 bis 4 (Beginn bis Seite 67)

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29. März 2022
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Ich habe heute nachmittag den ersten Abschnitt gelesen und bin bisher sehr von der Geschichte angetan. Wir lernen die wichtigsten Protgonisten kennen: allen voran Bobby und Aaron. Sie treffen nach dreijähriger Haftzeit von Aaron erstmalig wieder aufeinander.
Auch die vermutliche Schlüsselszene wird beschrieben: Aaron schlägt mit einem Zigelstein einen jungen Schwarzen nieder und obwohl er mit dem Leben ringt, begehen Bobby und Aaron Fahrerflucht. Puh!
Man merkt gleich zu Beginn, dass wir es in diesem Roman mit hartem Tobak zu tun haben. Es geht um Gewalt und Rassismus: ein Thema, mit dem ich auch beruflich viel zu tun habe. Jetzt im kommenden Wintersemester werde ich dazu wieder eine Lehrveranstaltung anbieten. Insofern bin ich sehr gespannt auf den weiteren Verlauf des Romans und Eure ersten Eindrücke.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Ja, harter Tobak! Mir gefällt sehr, wie der Autor seine Geschichte aufzäumt. Er zeigt uns die Protagonisten zunächst in ihrem Arbeitsumfeld. Sehr persönlich bekommen wir die Sorgen jedes einzelnen geschildert. Bobby und Isabel arbeiten im Diner, verdienen wenig, für die Miete reicht es kaum. Mutter Isabel ist Alkoholikerin, so dass der Sohn mehr zur Miete beiträgt als sie selbst. Isabel muss sich von ein paar reichen Schnösel-Studenten um die Zeche prellen lassen. Sie nehmen sie (als Farbige) nicht ernst. Bobby war mal ein fröhliches Kind, ist es aber nicht mehr. Wie auch? Offenbar liest er gern und flüchtet in andere Welten.
Nico tut Isabel nicht gut. Pocket würde ihr vielleicht besser tun, aber sie will ihn nicht. Isabel hat das Treffen mit Robert sehr aufgewühlt, es gibt ihr einen Vorwand, um wieder zu trinken.

Aaron hat eine schreckliche Zeit im Knast hinter sich, wirkt traumatisiert auf mich. Er ist rechtsradikal (geworden?), ein Rassist. Gerade entlassen, wird er wieder gewalttätig und reißt den unbescholtenen Bobby als Komplizen mit. Die Szene mit dem Stein ging unter die Haut, diese Brutalität ist kaum fassbar. Es scheint mir, dass Aaron aus Angst gehandelt hat, Kurzschluss - aber nicht weniger verwerflich. Er hat sich offenbar sehr verändert im Gefängnis.
Bobby ist überfordert. Er fühlt sich schuldig, auch wegen der Fahrerflucht. Gewiss hat er auch deshalb Schuldgefühle, weil er selbst schwarz ist (Wohl für andere nicht sichtbar). Er versetzt sich in die Mutter des Attackierten hinein, ist sehr sensibel.

Schließlich der Arzt Robert Winston. Er hat ihn vermeintlich geschafft, den Ausstieg aus dem Homewood. Trotzdem hat er mit Rassismus zu kämpfen. Er kennt das Gesetz der Straße, setzt den Krankenpfleger auch mit deutlichen Worten zurecht. Robert plagen Eheprobleme, er ist einsam. Seine Frau Tamara will sich nach einer Fehlgeburt scheiden lassen. Da scheint mehr dahinter zu stecken als eine Kindbettdepression. Mal gucken.
Als Robert Schichtende hat, wird der schwer verwundete schwarze Junge eingeliefert. Man bekommt Gänsehaut, wenn man über dessen Verletzungen liest!

Bis jetzt spielt die Handlung im März 1995. O.J. Simpson wird der aufsehenerregende Prozess gemacht, in dem auch zahlreiche rassistische Vorwürfe erhoben wurden. Rassismusvorwürfe bei den Vollstreckungs- und Justizbehörden der USA sind auch heute noch ein Thema Die Handlung wird ganz bewusst in der Vergangenheit angesiedelt worden sein. Die Verhältnisse damals waren wahrscheinlich noch weit prekärer als heute.

Die Hauptfiguren kennen wir jetzt und auch, wie die einzelnen Szenen/Figuren zusammenhängen. Nur die Protas selbst wissen das noch nicht.
Mir gefällt die Struktur und der Stil auch. Die Lebensverhältnisse werden deutlich, Rückblicke zeigen die Verletzbarkeit der einzelnen Figuren. Ich bin sehr positiv gestimmt.
 

Renie

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Erstmal sortieren:
wir haben Bobby und Aaron, langjährige Freunde. Bobby arbeitet in einem Restaurant, Aaron ist Sohn einflussreicher Eltern, was ihn jedoch nicht davor bewahrt hat, 3 Jahre wegen irgendeiner Drogensache im Gefängnis zu verbringen. Jetzt ist er wieder draußen, und der Knast hat aus ihm einen neuen Menschen gemacht, leider nicht zu Aarons Vorteil: aus dem
Hänfling ist ein breitschultriger Skinhead geworden, der an seinem ersten Abend in Freiheit, den er mit seinem Freund Bobby verbringt, einen jungen Schwarzen tötet- fast.
Im weiteren Verlauf dieses Leseabschnitts begegnen uns noch weitere Charaktere, u. a. ein Arzt und Isabel, die sich als Bobby's Mutter erweist, in zunächst scheinbar parallel verlaufenden Handlungssträngen.
Mir gefällt, wie der Autor John Vercher, diese Handlungsstränge miteinander verknüpft: Plötzlich tauchen wie aus dem Nichts irgendwelche Nebendarsteller auf, die sich zu Keyplayern in diesem Roman entwickeln könnten.
Kapitel 1 bis 3 habe ich als gemäßigten Start in einen beliebigen
Krimi gelesen, doch mit der Wendung in Kapitel 4 gewinnt dieser Roman einiges an Potenzial und hat mich gepackt.
 

Sassenach123

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Offenbar liest er gern und flüchtet in andere Welten.
Die Szene als er von den Abenteuerbüchern erzählt, die er sich mühsam von seinem Essensgeld abgespart hat, hat mich sehr berührt. Er hatte so das Gefühl mehr Buch für sein Geld zu bekommen. Nur seine Idee die Höhlenvariante zu nehmen, ging in die Hose. Ich ahne, dass es im Leben ähnlich für ihn laufen könnte.
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Puh, wir haben es hier mit schweren Schicksalen zu tun. Aaron ist im Gefängnis gebrochen worden, er musste ein harter, skrupelloser Mensch werden, oder er wäre selbst zerbrochen.
Für Bobby, der sich sonst eher als sein Beschützer gesehen hat, wirkt Aaron beängstigend.
Nach dem Vorfall mit dem Ziegelstein merkt man, das Bobby nur aus Angst nicht zur Polizei geht, er weiß was richtig wäre. Ich glaube momentan nicht einmal, dass es mit Loyalität zu Aaron zu tun hat, dafür hat dieser sich zu sehr verändert. Dann das Geständnis, Bobby ist selbst ein gemischtrassiger Schwarzer.
Bobbys Mutter stellt die Verbindung zu dem verletzten Jungen im Krankenhaus dar, zumindest glaube ich, dass ihr Treffen mit dem Arzt, der sich als Bobbys Vater herausstellt, in diese Richtung gehen wird.
Der Autor bringt alles recht direkt auf den Punkt, das gefällt mir, auch wenn wir es hier mit sehr belastenden Fakten zutun haben.
 

Renie

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Bobby und Isabel arbeiten im Diner, verdienen wenig, für die Miete reicht es kaum. Mutter Isabel ist Alkoholikerin, so dass der Sohn mehr zur Miete beiträgt als sie selbst. Isabel muss sich von ein paar reichen Schnösel-Studenten um die Zeche prellen lassen. Sie nehmen sie (als Farbige) nicht ernst.
Bist Du sicher, dass Isabel eine Farbige/Schwarze ist? Das ist übrigens eine Frage, die ich mir von Anfang an bereits bei Bobby gestellt habe.
Bei den ersten Sätzen bin ich noch davon ausgegangen. Stutzig wurde ich spätestens mit dem 2. Kapitel, als Aaron und Bobby bei diesem Cort aufmarschiert sind. Hier stellt Aaron Bobby als Itaker dar. Es wäre auch komisch, wenn ein Skinhead einen Schwarzen als seinen besten Freund bezeichnet. Und warum hat Bobby Angst vor Aaron? Hier stimmt etwas nicht.
Komisch wäre auch, wenn Isabel als Farbige in der Bar von Nico willkommen ist, man den schwarzen Arzt Robert hingegen nicht so freudig begrüßt.
 

Renie

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Nein, ist sie nicht. Meine Erklärung ist glatt falsch. Die Schnösel haben sie als Frau oder warum auch immer nicht ernst genommen. Gelegenheit macht Diebe.
Bobby hat einen farbigen Vater, sieht aber weiß (oder italienisch-stämmig) aus.
Ich frage mich, warum Bobby seine Mutter beim Vornamen nennt. Als das erste Mal der Name Isabel gefallen ist, dachte ich, sie wäre seine Freundin. Vielleicht will sie sich in dieser, von Rassismus geprägten Umgebung, von ihrem farbigen Sohn distanzieren, will zumindest diese enge Verbindung nicht so offensichtlich machen und hat ihn daher genötigt, sie beim Vornamen zu nennen. Aber das ist reine Spekulation! Auf jeden Fall finde ich die Figurenkonstellation in diesem Roman hochinteressant. Allein das sorgt schon für Spannung in diesem Krimi.
 

Wandablue

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Mein erster Eindruck ist zwiegeteilt.
Zuallererst bin ich ziemlich verwirrt, es wird mir nicht so recht klar, wer weiß und wer schwarz ist. Sicher ist das Absicht, aber es ist trotzdem verwirrend.
Isabel muss eine weiße Frau sein, sonst wäre S.26 die Eröffnung für Bobby, dass er selber das Erbgut eines Schwarzen hat, nicht überraschend gekommen. Also sieht Bobby weiß aus. Sein Vater Robert, den Isabel bei Nico's wiedersieht, ist ein Schwarzer. Er ist Arzt und hat Probleme. (wer hat die nicht?).
Was ist Aaron? Ein Weißer aus gutem Haus? Ja, denke ich mal.
Ich mags nicht, dass ich mir das zusammenwurschteln muss.

Das erste Kapitel ist das stärkste. Für mich. Aron komm aus dem Knast und geht stracks zu Bobby, seinem besten Freund von damals. Im Auto erzählt er Bobby wie es gelaufen ist. Furchtbar.
Stark die Szene im Besuchsraum!
Bobby macht sich Gedanken darüber, ob er noch den selben Menschen vor sich hat wie früher. Diesen Part finde ich am besten.
Schnell nimmt das Verhängnis seinen Lauf. Aron wird provoziert und lässt sich nichts mehr gefallen. Etwas hat sich verändert.

Sehr gut gefällt mir, wie der Autor diese Veränderung ins Spiel bringt. Normalerweise hätte man nicht viel Verständnis für jemanden, der mit einem Ziegelstein einen anderen jungen Menschen für eine kleine Beleidigung krankenhausreif schlägt - vllt totschlägt - lebenslange Behinderung mindestens wird die Folge sein. Aber weil wir wissen, was man Aron angetan hat, haben wir Empathie für ihn. War es nicht unvermeidlich?

Es machen sich doch viele Menschen Gedanken über den Strafvollzug. Und das nicht erst seit gestern. Wenn man zu einer Haftstrafe verurteilt ist, ist man doch nicht gleichzeitig dazu verurteilt, vergewaltigt und gefoltert zu werden. Ich frage mich, warum sich in diesem Bereich nichts ändert.
 

Wandablue

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Jedenfalls ist es ein echtes Durcheinander. Ich weiß nicht, wie ich das am Ende werte.
Wenn die alle weiß sind, versteh ich auch nicht, warum der Dinerbesitzer die Zechpreller nicht bei der Polizei anzeigt.
Jetzt will ich die Eltern von Aron kennenlernen, switsche aber einstweilen zurück ins 19. Jahrhundert. Da ist die Atmosphäre sanfter, die Dinge selber sind genau so elend, allerdings anders.
 

Literaturhexle

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warum der Dinerbesitzer die Zechpreller nicht bei der Polizei anzeigt.
Pocket ist nicht der Dinerbesitzer. Er ist auch nur ein Angestellter. Würden sie den Fauxpas zugeben, würde der Besitzer ihnen die Schuld geben, sie vlt kündigen. Davor haben sie Angst. Auch Pockets Kasse muss stimmen. Große Zugeständnisse kann er Isabel gegenüber nicht machen, sonst werden auch die anderen Angestellten neidisch. Kleine Vergünstigungen genießt sie bei ihm, weil er sie mag. So habe ich das verstanden, ohne jetzt noch einmal nachzulesen.
Die Truppe ist entkommen. Weg. Was bringt die da eine Anzeige gegen unbekannt? Nur Scherereien.

Jedenfalls ist es ein echtes Durcheinander. Ich weiß nicht, wie ich das am Ende werte.
Also ich bin ja eher eine Langsam- Leserin und empfinde es gar nicht als Durcheinander. Mir gefallen die Szenenwechsel, bei denen sich nach und nach der Zusammenhang erschließt. Bei der Wertung bin ich noch lange nicht: die Toten werden am Ende der Schlacht gezählt;)
 
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Wandablue

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Pocket ist nicht der Dinerbesitzer. Er ist auch nur ein Angestellter.
Eine Art Geschäftsführer. Natürlich bringt eine Anzeige etwas. Man kann die Leute z.B. wiedererkennen, man kann sie beschreiben und nach ihnen suchen, etc. etc. Die meisten Zechprellereien werden zur Anzeige gebracht, denke ich. Dann auch: ist man dagegen versichert in der Regel. 1995 ist nicht Steinzeit.

Mit Wertung meine ich nicht Punktzahl ... aber das behalte ich im Hinterkopf. Dass ich den Anfang als Durcheinander empfinde. Es ging euch genau so, wie ich aus euren Beiträgen entnommen habe, ist Bobby weiß, schwarz, was ist mit Isabel? Ihr wusstet es nicht.
 
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