1. Leseabschnitt: Kapitel 1 bis 4 (Beginn bis Seite 63)

alasca

Bekanntes Mitglied
13. Juni 2022
2.973
9.429
49
Meine Gedanken zum 1. Kapitel:

Die Liste derjenigen Berühmtheiten mit Syphilis ist lang ( von den unbekannten Männern weiß man darüber weniger ):
Sisi hatte es auch. Von ihrem geliebten Prinzen angesteckt. Ich sehe das ähnlich wie wanda.
 
Zuletzt bearbeitet:

alasca

Bekanntes Mitglied
13. Juni 2022
2.973
9.429
49
Ich bin auch ziemlich lärmempfindlich, hier haben die beiden Brüder mein vollstes Mitgefühl :sad.
Bin ich auch, ist mit den Jahren weniger geworden. Auch bei Musik bin ich nur begrenzt konsumfähig. Irgendwann ist halt alles nur noch Geräusch. Mein Limit liegt bei einer Stunde, mehr, wenn man sich dazu bewegen darf. Rock/Popkonzerte sitzend und nicht im Innenraum, wo man tanzen kann, sind für mich völlig unvorstellbar.
 

alasca

Bekanntes Mitglied
13. Juni 2022
2.973
9.429
49
Gefällt mir gut bisher. Der Einstieg mit dem Unfall ist schon mal ein Schocker, die Interpretation als Omen wirft ein düsteres Licht auf das, was kommen wird.

Dann die Beschreibung von Jules Symptomen - grauenhaft. Sein allmähliches Erlöschen. Ich hab ja mit allem gerechnet, aber nicht mit der Beschreibung eines Syphilistodes im zweiten Kapitel. Es ist ein furchtbarer Tod. Und alle geben es weiter auf Teufel komm raus, manche machen sich gar einen Sport daraus. Ich verstehe allerdings nicht: Wenn die Brüder mit derselben Frau schliefen, warum hat es die Hebamme nicht und warum Edmond nicht? Edmond will es nicht wahrhaben und nicht darüber sprechen. Weit verbreitete Haltung, die den Leidenden allein läßt. Es wird vom frühen Tod der Prostituierten gesprochen, aber nicht von der Todesursache. Hier können wir wohl ebenfalls von Syphilis ausgehen.

Krass finde ich auf der einen Seite die Überfeinerung der Brüder in ihrer Wahrnehmung von Kunst und Literatur (sehr idiosynkratisch die Ablehnung von Musik), auf der anderen Seite ihre völlige Indolenz gegenüber allem, was nicht in ihre Sphäre fällt - das Leiden des Pferdes in seiner viel zu engen Box (ein Horror!) und die Billigung, ja das Begrüßen von Pélagies Analphabetentum. Am Pferd stört sie nur der Krach, den es in seiner Verzweiflung macht. Auch ihre völlige Nichtwahrnehmung von Rose - sonderbar auch, dass sie bei all ihrem sonstigen Anspruchsdenken das grässliche Essen akzeptieren, das Rose ihnen vorsetzt.

Was für Vorstellungen man damals von der Welt hatte! Gegen Syphilis anzugehen, indem man mit weiteren Syphilisbakterien dagegen animpft? Absurd aus unserer wissenschaftsgeleiteten Weltsicht heraus. Aber so dachte man damals noch, auf der Schwelle zum rationalen Zeitalter, das ja schon aufdämmert, denn die Syphilis"impfung" ist immerhin bereits von offizieller Seite verboten worden.
 

Wandablue

Bekanntes Mitglied
18. September 2019
9.383
21.222
49
Brandenburg
Dass die Männer es weitergegeben haben an ihre Ehefrauen ist natürlich furchtbar und nicht zu entschuldigen. Die meisten Männer gingen anscheinend damals zu Prostituierten, ohne Ehefrau ansonsten keinen Sex. Und manche hatten auch mit Ehefrau kaum welchen.
Die Liste derjenigen Berühmtheiten mit Syphilis ist lang ( von den unbekannten Männern weiß man darüber weniger ):
James Joyce.
Oh, Schopenhauer: deshalb der Frauenhass. Keiner der Kerle denkt mal darüber nach, dass er villt selber schuld hat.
 
  • Stimme zu
Reaktionen: Die Häsin

Lesehorizont

Bekanntes Mitglied
29. März 2022
2.536
9.576
49
53
Mainz
Bin ich auch, ist mit den Jahren weniger geworden. Auch bei Musik bin ich nur begrenzt konsumfähig. Irgendwann ist halt alles nur noch Geräusch. Mein Limit liegt bei einer Stunde, mehr, wenn man sich dazu bewegen darf. Rock/Popkonzerte sitzend und nicht im Innenraum, wo man tanzen kann, sind für mich völlig unvorstellbar.
Musik geht bei mir. Was ich hingegen schlecht ertragen kann, ist wenn alle durcheinanderreden, an einem Tisch viele Parallelkommunikationen laufen oder in einem großen Raum 1000 Gespräche gleichzeitig laufen. Sehr anstrengend!
 

Lesehorizont

Bekanntes Mitglied
29. März 2022
2.536
9.576
49
53
Mainz
Der Unfall zu Beginn hat auch mich sehr geschockt.
Insgesamt lernen wir in diesem Abschnitt erst mal viel über die Brüder und deren Verhältnis zueinander. Auch über ihren Umgang und die Kontakte erfahren wir Einiges.
Die Syphiliskrankheit, die Leiden - all das ist sehr eindringlich beschrieben. War sicher zu der Zeit ein großes Thema.
Über Rose wissen wir noch nicht allzu viel, bislang. Da bin ich mal gespannt.
Ich lasse mich übrigens komplett vom Buch überraschen. Was die Brüder betrifft, habe ich kaum Vorwissen und auch erst mal nicht recherchiert...
Es geht also auch darum, eine Bildungslücke zu schließen...
Bisher gefällt mir das Buch gut. Sprachlich passt es glaube ich gut zur verhandelten Zeit, manchmal empfand ich sier etwas "schwulstig", wobei. ich weiß nicht, ob es das passende Wort ist. Insgesamt bin ich aber vom Buch insgesamt recht angetan und voller Hoffnung, dass sich die Lektüre lohnen wird. :)
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.250
49.196
49
Mich begeistert zunächst einmal diese altertümliche, gediegene Sprache, die wunderbar zu den intellekuellen Brüdern und zum Setting passt. Wir lesen einen personalen Erzählstil - ich vermute, dass Sulzer sich hier die Tagebuchaufzeichnungen zur Hilfe genommen hat, aus denen man gewiss eine hervorragende Biografie zaubern kann. Ist es Sulzers Stil oder der der Brüder? Sehr viele persönliche Anekdoten, Wertungen und Gefühle finden Einlass - ohne die Tagebücher (hat sie jemand (an-)gelesen?) wird das nicht funktioniert haben.

Das Wesen der Brüder wird schon im ersten LA bestens skizziert. Sie haben einen eigenwilligen Blick auf die Welt, scheinen keine Philanthropen zu sein. Musik können sie gar nicht ab, wie offensichtlich viele berühmte Literaten dieser Zeit. Hat mich verwundert: "Die Kreise berührten sich nicht, Musik und Literatur trennten sich auf natürliche Weise."56
Andere Größen werden wie nebenbei erwähnt und machen das Buch tatsächlich auch zu einem Sittengemälde. Barnes´roter Rock lässt grüßen. Alphonse Sax hat das Saxofon erfunden, ich kann mir den Lärm (Fanfarenstöße, Quetschgeschosse, Ventilfürze, musikalische Folterkammer - herrlich:grinning) lebhaft vorstellen... Ebenso findet man die Kurtisane Anna Deslions in Wiki. Hugo und Balzac kennen wir.

Die Syphilis hat durch die Erfindung des Penicillins ihren Schrecken verloren. Bei netdoctor habe ich den fiesen Verlauf der Krankheit nachgelesen, er deckt sich mit dem von Jules. Das Tückische scheint mir, dass die Symptome über ein Jahrzehnt lang in der Versenkung verschwinden, um dann mit aller Deutlichkeit zurückzukehren und zu zerstören. Brutal. Ebenso wie AIDS nach wie vor nicht heilbar ist. Über die moralische Seite habt ihr schon viel gesagt. Frauen galten damals wenig, das wird auch in diesem Roman überdeutlich. Ihr Nutzen beschränkt sich klar auf sexuelle und andere Dienste.
Ich habe den Eindruck, dass Edmond den zunehmenden Verfall seines Bruders auch vor sich selbst verdrängt: nicht sein kann, was nicht sein darf.

Zahlreiche Formulierungen finde ich grandios! So wird jedes Syphilis-Opfer zum Jungbrunnen der Krankheit: "Ihre Kraft versiegte nie, ihre Zerstörungswut entzündete sich stets von Neuem." 41
"Erfolgreich war er (Sax) meistens, laut war er immer, und vielleicht war er besonders erfolgreich, wenn er lauter war als alle anderen."54
"Auch ihre Schönheit löste sich wie ein Regentropfen, der eben noch in der Sonne geglänzt hatte, in einer unscheinbaren Pfütze auf."60
Sind diese Ergüsse und Bonmots von Sulzer oder von Goncourt? Eigentlich egal, ich genieße sie sehr!
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.250
49.196
49
Sowas macht unsere Häsin nicht:)
Die meisten Männer gingen anscheinend damals zu Prostituierten, ohne Ehefrau ansonsten keinen Sex. Und manche hatten auch mit Ehefrau kaum welchen.
Darüber haben wir auch im roten Rock lesen dürfen: Die Ehefrauen durften keine Freude am Sex haben, die hätte sie möglicherweise zur Untreue verführt. Also wurden sie nur zwecks Zeugung "bestiegen", was einer Vergewaltigung nahe kommen dürfte. "Spaß" hatte mann mit Prostituierten/ Kurtisanen. Eine sehr befremdliche Sexualmoral, in der so etwas wie Liebe offenbar nicht zu finden war.
Wenn die Brüder mit derselben Frau schliefen, warum hat es die Hebamme nicht und warum Edmond nicht
Es wird sein wie bei AIDS: Nicht jeder Schuss ist ein Treffer, manche haben einfach Glück. Jules scheint auch der sexuell Aktivere gewesen zu sein.
Ich lasse mich übrigens komplett vom Buch überraschen. Was die Brüder betrifft, habe ich kaum Vorwissen und auch erst mal nicht recherchiert..
So halte ich das generell;)
 

Die Häsin

Bekanntes Mitglied
11. Dezember 2019
4.557
16.329
49
Rhönrand bei Fulda
Die Ehefrauen durften keine Freude am Sex haben, die hätte sie möglicherweise zur Untreue verführt. Also wurden sie nur zwecks Zeugung "bestiegen", was einer Vergewaltigung nahe kommen dürfte. "Spaß" hatte mann mit Prostituierten/ Kurtisanen. Eine sehr befremdliche Sexualmoral, in der so etwas wie Liebe offenbar nicht zu finden war.
Das ist eine Moralvorstellung, die Zola zum Beispiel sehr explizit gegeißelt hat. Auch wenn genaue Beschreibungen von sexuellen Begegnungen, wie sie üblich sind, damals noch unvorstellbar waren, ist er sonst ein sehr unverblümter Autor gewesen, der (insbesondere in "Pot-Bouille") dem Verhalten bürgerlicher Arbeitgeber gegenüber ihrem Dienstpersonal energisch den Spiegel vorgehalten hat.

Sowas macht unsere Häsin nicht:)
Selbstverständlich nicht! Ich stelle das Buch nach Ende der LR vor.
 

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
6.408
23.983
49
66
ch vermute, dass Sulzer sich hier die Tagebuchaufzeichnungen zur Hilfe genommen hat, aus denen man gewiss eine hervorragende Biografie zaubern kann.
Ich habe das Interview mit dem Autor auf der Verlagsseite gelesen. Sulzer hat die Tagebücher für die NZZ besprochen, d.h. er hat sie mehr als nur gelesen.
Mich begeistert zunächst einmal diese altertümliche, gediegene Sprache, die wunderbar zu den intellekuellen Brüdern und zum Setting passt
Die Sprache gefällt mir auch sehr gut, etwas altmodisch, aber sehr passend. Ich habe auch zahlreiche Formulierungen unterstrichen.
Mich interessiert aber auch das ganze Setting: die beiden ungewöhnlichen Brüder, über die ich nicht viel mehr wusste als dass sie umfangreiche Tagebücher hinterlassen und die Gründer des nach ihnen benannten Preises waren.
Ich habe früher viel Balzac und Maupassant gelesen - Zola weniger - ich mag die Zeit, wobei ich nicht die Moralvorstellungen teile. Das Verhältnis zwischen Mann und Frau, Bediensteten und ihren Arbeitgebern kann man nicht mit heute vergleichen. Da hat sich zum Glück viel verändert. Dass sich z.B. die Brüder nicht für das Privatleben von Rose interessierten, war sicher nicht ungewöhnlich für damals.
 

Barbara62

Bekanntes Mitglied
19. März 2020
3.773
14.418
49
Baden-Württemberg
mit-büchern-um-die-welt.de
Was haben die Brüder Rosa angetan?
und so weiter.
Ich hatte eher den Eindruck, sie hätte ihnen etwas angetan? War sie indiskret?

Empathie haben die beiden Brüder für niemanden.
Sie sind grauenhaft.
Ein Alptraum, so jemanden in der Nachbarschaft zu haben. Als Romanfiguren sind sie drollig und interessant, im echten Leben eher ein Graus.

Der Unfall zu Beginn wird als Vorahnung gedeutet.
Es heißt, dass Edmond erst nach Jules' Tod diesen Unfall als Vorahnung deuten konnte, im Nachhinein also. Zunächst messen sie ihm keine große Bedeutung zu.

Was mich überrascht hat ist die Einstellung zur Musik, die die Brüder anscheinend mit anderen Geistesgrößen teilen. Lärm macht mich aber auch verrückt.
Automatisch vermute ich immer, dass Schöngeister auch Musik lieben müssten, ist aber nicht so. Dass man ausgerechnet Marschmusik mag, wenn man lärmempfindlich ist, scheint mir ein Widerspruch.

und die Billigung, ja das Begrüßen von Pélagies Analphabetentum.
Wahrscheinlich war Rose ihnen zu klug, sie hat irgendetwas angerichtet, was mit ihrer Intelligenz (und Neugier) zu tun hatte, deshalb jetzt eine ungebildete (und vielleicht ungefährlichere?) Haushälterin. Ich bin sehr gespannt, was sie getan hat.
 
Zuletzt bearbeitet:

Barbara62

Bekanntes Mitglied
19. März 2020
3.773
14.418
49
Baden-Württemberg
mit-büchern-um-die-welt.de
Ist es nicht eine irre Vorstellung, ein Tagebuch gemeinsam zu führen? Für mich gibt es nichts Intimeres als ein Tagebuch (ich führe keines), aber es zu teilen, scheint mir unvorstellbar. Eher schon, es der Nachwelt zu überlassen.

Die Brüder hatten offenbar ein gesundes Ego und waren überzeugt, dass die Nachwelt sich für sie interessieren würde. Tun wir ja auch.

Ansonsten stimme ich eurer Begeisterung für Sprache und Erzählweise zu. Nach kurzen Einstiegsschwierigkeiten liest sich das Buch jetzt wunderschön. Und spannend finde ich es auch!
 
Zuletzt bearbeitet: