Ich bin sehr angetan von diesem ersten LA. Es scheint mir so, als ob Frances eine Verwandte von Emma Bovary sei, die in dem fremden Ehepaar Vertreter einer glamourösen Lebensweise sieht und hofft, dass durch den Kontakt ein wenig auf sie abfärbt. Dabei hat sie selbst - finde ich - unglaublich viel zu bieten. Ihre Beobachtungsgabe begeistert mich.
S. 58: "Ich wollte nichts davon wissen, dass die Welt alt und aus den Fugen war, dass der Mensch ein verletzliches Geschöpf ist und jeder mehr oder weniger ein Sterbender war.(...) Jetzt brauchte ich die Erfahrung, dass nicht jeder Mensch eine Wunde trägt, die sein Leben lang immer wieder einmal blutet."
Oder S. 60: "Wahrscheinlich ist das der Grund, warum ich schreibe - um die Ereignisse neu zu ordnen, sie schärfer zu konturieren, auch um sie komischer zu machen, als sie in Wirklichkeit waren."
Gemessen an dieser stillen, zugewandten Art, den Blick auf andere Menschen zu richten, ist das Verhalten des bewunderten Ehepaars einfach nur unverschämt und grob. Vor allem Alix' Benehmen. Die Einladung ist in Wirklichkeit keine, sondern ein Kommando "bei Fuß" wie an einen Hund. Und dass sie Frances einlädt, Olivia aber ausschließt, dafür gibt es auch keine Entschuldigung. Simek wird einfach abserviert und kommt gar nicht zu Wort - kurz gesagt, diese ganze Szene ist eine Katastrophe. Im Grunde braucht diese Frau ordentlich eins hinter die Löffel.
Ein anderer Punkt: ich habe mich natürlich auch gefragt, warum Frances in dieser Wohnung bleibt, die einem Museum gleicht und für sie viel zu groß ist. Ich glaube, da spielt ein schlechtes Gewissen mit. Einmal gegenüber ihren Eltern, vor allem der Mutter, die von Nancy gepflegt wurde, während Frances der Kranken anscheinend aus dem Weg ging. Und dann will sie wohl auch Nancy aus dem gleichen Grund nicht ihr Zuhause nehmen.
Es ist ziemlich sprechend, dass sie beim Anblick von van Goghs Selbstporträts nicht an diesen selbstbewussten, inzwischen unfassbar hoch gehandelten Maler denkt, sondern an seinen bescheidenen Bruder Theo, der immer der gebende Teil dieses Brüderpaars war, auch auf Kosten seiner eigenen Familie.
In einem Punkt geht's mir wie auch anderen hier - ich hätte dieses Buch zeitlich viel früher verortet. Ich kam mir anfangs vor wie in einem Roman von Barbara Pym, "Vortreffliche Frauen", in dem es auch um eine Erzählerin geht, die sich selbst als mittelmäßig empfindet und sich von der Schneidigkeit ihres Nachbarn angezogen fühlt wie die Motte vom Licht. Dieses Buch spielt in den Fünfzigern und da hätte ich anfangs Brookners Roman auch hingetan - ich weiß selbst nicht genau warum, vielleicht aufgrund des Erzähltons, der auf mich wie aus der Zeit gefallen wirkt.