1. Leseabschnitt: Kapitel 1 bis 3 (Beginn bis Seite 71)

Eulenhaus

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13. Juni 2022
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Frances Hinton ist eine junge, wohlhabende, gebildete Frau, die in einer medizinischen Bibliothek arbeitet und wie die Autorin kunsthistorisch versiert ist. Die Ich-Erzählerin Frances beschreibt die Unterschiede in der Darstellung der Melancholie: Frauen sind furchterregende, grimmige, verwirrte Wesen, Männer eher an einer romantischen Liebe leidend. Dies ist ein geschickt in die Handlung eingearbeitetes Motiv.
Die teilweisen Schrulligkeiten der Mitarbeiter/innen - Streit zwischen Simek und Halloran!!! - kann man sich gut vorstellen. Besonders der wissenschaftliche Mitarbeiter Nick Fraser erregt Aufsehen und ist sehr beliebt.
Frances findet solche Menschen faszinierend und möchte Ihnen zurufen „Seht mich an!“ Aber sie führt ein einsames Leben und flüchtet sich ins Schreiben. Sie lebt mit einer Haushälterin in einer sehr großen altertümlichen Wohnung. Überraschend kommt sie in näheren Kontakt mit Nick und seiner Frau Alix. Sie genießt den Klatsch und Genuss und möchte am Leben der Schönen und Reichen teilnehmen.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Anita Brookner hat Kunstgeschichte studiert und war Professorin für die schönen Künste.
Wer sich für die besprochenen Gemälde interessiert, für den habe ich hier die Links:

 

alasca

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13. Juni 2022
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Der Roman erweist sich im Einstieg als erstaunlich philosophisch. Welche Funktion die Überlegungen über Melancholie und Wahnsinn haben, wird sich noch zeigen müssen - oder ist es einfach so, dass die Autorin hier einfach ihr Steckenpferd reitet?

Die Protagonistin eine altmodische junge Frau, sie träumt von Freundinnengesprächen über Liebschaften, Kleider und Frisuren, und das in den 80ern, der Zeit der dramatischen feministischen Umbrüche.

Vor allem aber legt Brookner den englischen Klassismus bloß; Nick und Alix typische Vertreter dieser privilegierten Spezies, mit diesem durch nichts zu erschütternden Selbstvertrauen, das durch ihren Hintergrund der Oberschicht begründet ist - was Frances auch weiß, aber lieber ausblendet, denn sonst müsste sie von vornherein einsehen, dass dieses Level für sie nicht erreichbar ist. Stattdessen setzt sie alle ihre Hoffnungen in diese beiden neuen "Freunde" und hofft, dass sie sie auf ihre Ebene hinaufziehen. "Ich hatte noch von Experten den reinen Egoismus zu lernen, zu dem ich es bisher nicht gebracht hatte..."

Und: "Nur Gutes konnte sich daraus ergeben." Rührender Optimismus, schon die kategorische Formulierung dieser Feststellung lässt ahnen, dass das nicht ohne Blessuren abgehen wird.

Der Schlusssatz des LA geht in dieselbe Richtung. Durchaus spannend, trotz des langsamen Erzähltempos.
 

GAIA

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27. Dezember 2021
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Thüringen
Welche Funktion die Überlegungen über Melancholie und Wahnsinn haben, wird sich noch zeigen müssen - oder ist es einfach so, dass die Autorin hier einfach ihr Steckenpferd reitet?
Ich hoffe, dass es quasi das "theoretische Hintergrundwissen" zum späteren Romanplot darstellt und damit eine Verquickung dieser beiden Ebenen.
und das in den 80ern
Gerade der Erzählstil und Inhalt ihrer Fantasien haben in meinem Inneren eher eine Frau in den 40ern oder 50ern auftauchen lassen, deren Eltern um die Jahrhundertwende die Wohnung erworben haben. Also allein ein Stück zurückversetzt. Immer wieder musste ich mich beim Lesen selbst daran erinnern, dass es in den 80ern spielt!
Sehr gute erste Sätze!
Das finde ich auch. Mir gefällt der Schreibstil von Anita Brookner wirklich sehr gut. Die Sprache liegt genau in der richtigen Balance zwischen verschachtelten, intellektuellen Sätzen und zugänglicheren Erkenntnissen und Gedanken. Wobei die Sprache, zumindest in der Übersetzung, gar nicht so richtig nach den 1980ern klingen will. Sie wirkt irgendwie getragener und etwas älter, wie auch die Themen von Frances andeuten. Mir gefällt das bisher sehr.

Inhaltlich finde ich bezeichnend, wie stark sich Frances selbst in ihrer Freiheit durch die Vergangenheit in dieser Wohnung als auch Nancys Anwesenheit einschränken lässt, obwohl sie die finanziellen Mittel hätte, ihr Leben so einzurichten, wie sie es wollte.

Zu @RuLeka s Liste kann ich noch folgendes Bild beisteuern. Einfach weil es als A2-Poster in unserer Wohnung hängt :cool:
Wie ihr seht, es handelt sich um das Cover eines Metal-Albums. Meines Erachtens das beste Album der Band Machine Head - falls es jemanden hier ( @Christian1977 *zwinker-zwinker*) interessiert. ;)
 

alasca

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13. Juni 2022
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Die Sprache ist etwas gewöhnungsbedürftig, aber die Geschichte entwickelt einen Sog, dem man sich nicht entziehen kann. Ruhig und unaufgeregt, aber sehr präzise beschreibt Brookner die Protagonistin und die weiteren Personen und Charaktere.
Mir gefällt die Sprache sehr gut. Sie ist einfach und dennoch geschliffen, keine ungewöhnlichen Sprachfiguren, die die Aufmerksamkeit auf die Formulierungen lenken. Stattdessen eine große Klarheit, die einzig dem Ausdruck dient.
 

Christian1977

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8. Oktober 2021
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Gerade der Erzählstil und Inhalt ihrer Fantasien haben in meinem Inneren eher eine Frau in den 40ern oder 50ern auftauchen lassen, deren Eltern um die Jahrhundertwende die Wohnung erworben haben.
Da gebe ich dir recht! Ich würde es als etwas altmodisch bezeichnen.
Meines Erachtens das beste Album der Band Machine Head
Die sind mir ja etwas zu hart, aber das Cover ist auf jeden Fall cool! ;)
 

Christian1977

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8. Oktober 2021
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Ich werde bislang leider nicht warm mit dem Roman, was weniger an der Sprache als an der Handlung und den Figuren liegt.

Am interessantesten finde ich den Handlungsort und die Tätigkeit der Ich-Erzählerin. Eine Bibliothek und ein Bilderarchiv über psychische Krankheiten finde ich spannend. Auch den Anfang mochte ich mit seinen Schnittstellen zur Kunst.

Die Protagonistin selbst ist gnadenlos langweilig, weiß dies aber erstaunlicherweise selbst. Sie betont ständig ihre Normalität, ihre Durchschnittlichkeit. Keine Träume, keine besonderen Kenntnisse, keine Leiden. Gähn. Ich mache Anita Brookner keinen Vorwurf, denn die Figur ist ja bewusst so angelegt. Allein sie interessiert mich leider kaum.

Das größere Problem ist: Mit den anderen Figuren geht es mir nicht anders. Insbesondere die ach so wahnsinnig charismatischen Nick und Alix. Bei Letzterer ist immerhin der Name exotisch. Ansonsten regen die mich richtig auf mit ihrer Oberflächlichkeit und bislang verstehe ich überhaupt nicht, was Frances an ihnen findet. Sollen sie vielleicht auch, macht die Lektüre aber dadurch für mich nicht zu einem Vergnügen.

Anfangs hoffte ich ein bisschen, dass der Roman und seine Figuren vielleicht ein wenig in Richtung


Buchinformationen und Rezensionen zu Eine Laune Gottes von Margaret Laurence
Kaufen >

gehen würde, nicht nur wegen desselben Verlags und seines unbedingt zu unterstützenden Vorhabens, vergessene Autorinnen wieder in Erinnerung zu rufen.

Aber ich finde, dazwischen liegen doch Welten. Naja, vielleicht wird es besser...
 

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29. März 2022
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Mainz
Bisher liest sich der Roman ganz gut. Ich mag die Sprache, die zwar nicht sonderlich poetisch oder bildhaft ist, aber sehr klar ist und das Geschehen dadurch sehr zugänglich macht.
Francy ist wenig sichtbar und träumt von einem anderen Leben. Sie möchte angesehen werden. Dann lernt sie Nick und Alix kennen - ein Paar, das sie sehr fasziniert. Sie scheint deren Lebensstil ein wenig zu beneiden.
Ob die Beiden ihr aber gut tun? Ich bin gespannt!
Diese Idee mit dem vorgeschlagenen Wohnungstausch hat mich etwas aufhorchen lassen.
Ansonsten bin ich gespannt, welche Relevanz die vorangestellten Ausführungen zu Melancholie, Wahnsinn etc. für den Fortgang der geschichte haben werden...
 
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Christian1977

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Ob die Beiden ihr aber gut tun? Ich bin gespannt!
Ich gehe ehrlich gesagt davon aus, dass das der Grundkonflikt des Romans sein wird. Ich finde, man spürt recht stark, dass die beiden ihr nicht guttun werden.

Darauf deutet auch der Beginn hin, denn Frances wäre es offenbar lieber, wenn die Geschichte unbekannt bliebe.
 

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Ich gehe ehrlich gesagt davon aus, dass das der Grundkonflikt des Romans sein wird. Ich finde, man spürt recht stark, dass die beiden ihr nicht guttun werden.
Ich denke ähnlich. Und vielleicht kommen da die Überlegungen zu Melancholie, Wahnsinn etc. wieder ins Spiel?
Wir werden sehen...
 

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29. März 2022
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Bisher liest sich der Roman ganz gut. Ich mag die Sprache, die zwar nicht sonderlich poetisch oder bildhaft ist, aber sehr klar ist und das Geschehen dadurch sehr zugänglich macht.
Frances ist wenig sichtbar und träumt von einem anderen Leben. Sie möchte angesehen werden. Dann lernt sie Nick und Alix kennen - ein Paar, das sie sehr fasziniert. Sie scheint deren Lebensstil ein wenig zu beneiden.
Ob die Beiden ihr aber gut tun? Ich bin gespannt!
Diese Idee mit dem vorgeschlagenen Wohnungstausch hat mich etwas aufhorchen lassen.
Ansonsten bin ich gespannt, welche Relevanz die vorangestellten Ausführungen zu Melancholie, Wahnsinn etc. für den Fortgang der geschichte haben werden...
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Auch ich bin eher verhalten, bisher gefällt es mir ebenfalls nicht besonders gut.
Frances hält an den altmodischen Dingen fest, schämt sich teilweise sogar dafür, lebt aber weiterhin so. Ihr Wunsch sich mit Nick und Alix anzufreunden ist zwar nachvollziehbar, dennoch müsste ihr doch klar sein, dass sie wahrscheinlich nur etwas oberflächliches erwartet. Alix ganzes. Erhalten ist nur darauf ausgelegt Aufmerksamkeit zu erregen. Als sie Frances dann direkt einlädt, obwohl sie sich gerade mal 2 Minuten kennen, kam mir das direkt deplatziert vor.
Die Konstellation mit Nancy ist auch so eine merkwürdige Sache. Sie leben nebeneinander her, sehen sich so gut wie nie, dennoch bleiben sie gemeinsam in der großen, altmodischen Wohnung.

Die Aussicht darauf, dass die Auswertungen ihrer Arbeit wieder näher in den Fokus rücken könnten, hebt bei mir ein wenig die Spannung. Ich hoffe sehr, dass wir nun nicht den kompletten Roman mit Alix, Nick und Fanny und deren Freundschaft verbringen werden
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Inhaltlich finde ich bezeichnend, wie stark sich Frances selbst in ihrer Freiheit durch die Vergangenheit in dieser Wohnung als auch Nancys Anwesenheit einschränken lässt, obwohl sie die finanziellen Mittel hätte, ihr Leben so einzurichten, wie sie es wollte.
Das hat mich auch gewundert, sie wirkt ansonsten ja auch nicht naiv, warum also?
Ob die Beiden ihr aber gut tun? Ich bin gespannt!
Ich befürchte auch, dass dies nicht der Fall sein wird. Das Pärchen sieht außer sich selbst nicht viel, und genau das scheint Fanny ja suchen, jemanden der sie als Person wahrnimmt. Eine echte Freundschaft, die wird sie bei den beiden sicher vergeblich suchen