1. Leseabschnitt: Kapitel 1 bis 3 (Beginn bis Seite 68)

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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@Literaturhexle oh, ja, es ist schön wieder in dem kleinen, fiktiven Städtchen zu sein. Alte Bekannte habe ich allerdings noch nicht getroffen, zumindest nicht bewusst. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob Sheriff Beckham oder sein Nachfolger nicht auch in den anderen Romanen erwähnt wurden, bin was das angeht ein Namenslegastheniker. Aber sicher hat hier in der Runde der ein oder andere ein besseres Gedächtnis diesbezüglich.

Hier dreht sich alles um Jack Burdette, der plötzlich wieder auftaucht, und das , obwohl er Holt damals wohl um einiges an Geld erleichtert hat. Direkt drängt sich die Frage auf, warum er wieder da ist, und sich anstandslos verhaften lässt?
Die Rückblenden durch Pat, seinen Freund, mit dem er später gemeinsam das Collage in Boulder besuchte, zeigen, dass Jack in seiner Jugend schon immer speziell war, doch der Tod des Vaters ließ ihn verändert zurück. Nach dem Bruch mit der Mutter, die sehr merkwürdig auf mich wirkte, wohnt er in einem billigen Hotelzimmer, trinkt viel und lässt sich von seiner Freundin Wanda Jo Evans die Hausaufgaben machen, damit sein Football-Stipendium nicht platzt. Football ist seine Stärke, seine Größe und seine Kraft sind dabei sicherlich von Vorteil. Doch ihm fehlt eine Bezugsperson, jemand der sich kümmert, der sich sorgt, eine intakte Familie hatte er nie wie wir bereits erfahren haben. Und ich bin gespannt was wir noch so alles über diesen jungen Mann erfahren werden. Ich bin sicher Haruf hat noch mehr auf Lager;)
 

Querleserin

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30. Dezember 2015
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Wadern
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Auch ich habe bewusst noch keine Bekannte entdeckt, bei dem ein oder anderen Lehrernamen dachte ich, ich kenne ihn. Ist aber auch nicht so wichtig, denn wie @Sassenach123 bereits ausgeführt hat, steht Jack Burdette im Mittelpunkt des Geschehen, das uns aus der Ich-Perspektive seines ehemaligen Schulfreundes Pat geschildert wird. Waren sie wirklich Freunde? Spätestens im College trennen sich ihre Wege.
Stark finde ich das 1.Kapitel, das aus unterschiedliche Perspektiven erzählt wird und in der Gegenwart beginnt. Zunächst unser Ich-Erzähler:
Am Ende kehrte Jack Burdette doch wieder nach Holt zurück. Keiner von uns hatte mehr damit gerechnet. Er war acht Jahre dort gewesen, und in dieser Zeit hatte niemand in Holt etwas von ihm gehört. (9)
Damit wird sofort auf eine außergewöhnliches Ereignis verwiesen, dessen Auflösung wir in der Geschichte erwarten.
Dann wechselt die Perspektive zu Ralph Bird, dem Besitzer des Geschäfts für Herrenbekleidung, dem Jack Geld schuldet und der deswegen zum roten Cadillac geht, in dem Jack provozierenderweise in Holt auftaucht und in dem er einfach sitzt. Ralph, nachdem er Jack rüde beschimpft hat, informiert den Hilfssheriff - die Szene mit den Fingernägeln ist genial, absolut authentisch! Bird ist total außer sich, so dass man sich unwillkürlich fragt, was dieser Jack ihm angetan haben muss. Der Hilfssheriff wiederum ruft den Sheriff und auch der reagiert unerwartet, die Szene ist aus seiner Personalien Perspektive erzählt. Nachdem er Jack darauf hingewiesen hat, dass es unklug gewesen sein, wieder zurückzukehren.
„Wir regen uns immer noch ein bisschen auf, wenn jemand uns unrecht tut. Und sich anschließend einfach aus dem Staub macht.“ (22)
Was hat dieser Jack angestellt? Die Frage drängt sich umso mehr auf, als der Sheriff ihm
den Lauf (seiner Pistole) unvermittelt gegen das Ohr (schlägt) (23)
Er lässt ihn aussteigen, liest ihm nicht einmal seine Rechte vor und ihn in der Stille des Novemberabends
Es war immer noch diese ruhige Stunde in der Main Street, dieser kurze friedliche Augenblick, nichts bewegte sich, weit und breit war keine Menschenseele unterwegs.“ (25)
schlägt der Sheriff ihm erneut mit der Pistole auf den Hinterkopf.

Dieser Kontrast zwischen Stille, Frieden und der plötzlichen Brutalität verdeutlicht, das Jack etwas Unverzeihliches getan haben muss und dass die Ruhe Holts empfindlich gestört wurde und jetzt erneut empfindlich gestört wird. Ein unglaublich starker Einstieg, auf den der eher zusammenfassende Rückblick des Ich-Erzählers folgt:
Ich kannte Jack Burdette mein ganzes Leben lang. (26)
Der Erzähler etabliert sich direkt als Autorität, als derjenige, der befugt ist, die Geschichte zu erzählen.
 

Querleserin

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30. Dezember 2015
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Wadern
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Noch einige Ergänzungen zu Jacks Kindheit, kein Lehrer bzw. keine Lehrerin möchte ihn länger als ein Jahr unterrichten, so wird er einfach versetzt. Auch eine Strategie ;)
Auf der High School retten ihn sein Footballtalent, oder vielmehr seine Größe und Stärke, und vor allem Wanda Jo Evans vor dem schulischen Scheitern.
Interessant finde ich die Szene, in der Pats Vater ihn darauf aufmerksam macht bzgl. des tragischen Unfalls von Jacks Vater auch andere Zeugen zu befragen, sich mehrere Meinungen anzuhören. Werden auch wir andere Stimmen hören? Sein. Aber ist es auch, der ihn dazu zwingt über sein künftiges Leben nachzudenken. Während Pat Lehren zieht, macht Jack einfach weiter, wie man nach der Ermahnung durch den damaligen Sheriff sieht.

Pat glaubt, in Jacks Handeln ein Muster erkannt zu haben:
ein Muster, das eine plötzliche Entscheidung und eine überstürzt damit einhergehende Handlung mit sich brachte. (51)
Am College wird er damit nicht weit kommen.
 

Sassenach123

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Am College wird er damit nicht weit kommen.
Das denke ich auch. Die anderen entwickeln sich weiter, er tritt scheinbar auf der Stelle. Bleibt nur zu hoffen, dass er im Football wirklich überragend ist, wobei ich mir da noch nicht so sicher bin, denn es kommt ja nicht nur auf Stärke an in diesem Sport.
 

Naibenak

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Ich bin auch wieder sehr gern in Holt :) Haruf hat so ein Talent die Menschen und Orte mit wenigen Worten perfekt zu beschreiben. Die Szene mit dem Hilfssherriff zum Beispiel (Nägel schneiden etc) hat auch mir ein herrliches Kopfkino bereitet. Klasse! Oder die Kühlschrankaktion - großartig! Hauptsache Kühlschrankbier, auch wenn es noch warm ist :D:p

Mir gefällt sehr, wie sich eine Spannung aufbaut. Erst diese total aufgeregte, entsetzte Stimmung, als Jack zurückkehrt und dann der Rückblick, um zu erzählen, wie Jack zu dem wurde, der er offenbar ist. Sehr schön. Mag ich bisher total gern!
 

Barbara62

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Das denke ich auch. Die anderen entwickeln sich weiter, er tritt scheinbar auf der Stelle. Bleibt nur zu hoffen, dass er im Football wirklich überragend ist, wobei ich mir da noch nicht so sicher bin, denn es kommt ja nicht nur auf Stärke an in diesem Sport.
Es ist nicht nur Stärke, sondern auch Brutalität, die ihn im Spiel "auszeichnet". Ein Vorgriff, auf das, was er später getan hat und von dem wir noch nicht wissen, was es war.

Ich habe den Erzählerton sofort wieder ins Herz geschlossen und Pat erscheint mir als vernünftiger, zuverlässiger, ruhiger und sympathischer Erzähler. Es ist der früheste bisher übersetzte Roman, insgesamt Kent Harufs zweiter (der erste ist noch nicht auf Deutsch erschienen). Wenn man Kent Haruf einmal liebt, liebt man ihn immer. Bekannte habe ich allerdings noch keine entdeckt.

Jack Burdette ist wohl der Typ Kind, dem die Lehrerinnen und Lehrer schon früh eine kriminelle Zukunft voraussagen. Auch der Sheriff sieht das kommen. Sie alle scheinen recht behalten zu haben, nur wissen wir noch nicht, was vorgefallen ist. Anscheinend fühlt sich ganz Holt von ihm ungerecht behandelt und weiß, was er getan hat. Ich bin gespannt.

"Ein Sohn der Stadt" ist exakt die richtige Lektüre für einen Sonntagnachmittag am erstmals in diesem Winter angefeuerten Kamin, nachdem kurzfristig alle sonstigen Termine wegen Corona entfallen. :)
 

kingofmusic

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Mir gefällt sehr, wie sich eine Spannung aufbaut. Erst diese total aufgeregte, entsetzte Stimmung, als Jack zurückkehrt und dann der Rückblick, um zu erzählen, wie Jack zu dem wurde, der er offenbar ist. Sehr schön. Mag ich bisher total gern!
Auch hier darfst du meine Zustimmung genießen *g*.
 
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Ich war übrigens zunächst irritiert, dass es hier "wörtliche Rede" gibt. Nach
Buchinformationen und Rezensionen zu Kostbare Tage von Kent Haruf
Kaufen >
hatte ich geglaubt, es wär ein Stilmittel Haruf´s gewesen, durchgehend keine wörtliche Rede zu benutzen. Aber gut, dass macht die Lektüre etwas einfacher und flüssiger ha ha ha.
 

Literaturhexle

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Wenn dieser Roman zeitlich vor den anderen bereits verdeutschten angesiedelt ist, scheint es ja eher unwahrscheinlich, dass mann auf Bekannte stößt.

Trotzdem macht uns Kent Haruf den Einstieg leicht. Schnell bekommt man einen Eindruck, wer der "Sohn der Stadt" ist, der da nach Jahren zurückkommt - fast biblisch wie ein verlorener Sohn;)
Irgendwie muss Jack sich verändert haben. Wer würde sonst ohne Not an den Ort seiner Untaten zurückkehren? Sehr spannend die Erzählperspektive, die ihr oben schon gut aufgedröselt habt. Mir will scheinen, dass ein Zeitungsreporter auch in einem anderen Roman Harufs eine Rolle spielte. Klar, in einer Kleinstadt noch vor dem Internetz hatte die Zeitung sehr wichtige Lokalinformationsaufgaben.

Haruf ist einfach ein großartiger Geschichtenerzähler!
 

Naibenak

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Ich war übrigens zunächst irritiert, dass es hier "wörtliche Rede" gibt. Nach
Buchinformationen und Rezensionen zu Kostbare Tage von Kent Haruf
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hatte ich geglaubt, es wär ein Stilmittel Haruf´s gewesen, durchgehend keine wörtliche Rede zu benutzen. Aber gut, dass macht die Lektüre etwas einfacher und flüssiger ha ha ha.
Ja, ich war auch ganz überrascht. Mein zuletzt gelesener Haruf war "Unsere Seelen bei Nacht" und da musste ich mich echt erst reinlesen wegen der etwas anderen Schreibe. Hier flutschte es aber von Anfang an ganz wunderbar :D
 

Barbara62

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Ja, DAS habe ich mich auch schon gefragt. Warum ist/bleibt er so entspannt? So wie sich alle verhalten, muss er ja ein krasses Verbrechen begangen haben. Aber er hat die Ruhe weg... Und das macht es irgendwie umso spannender!
Er sagt ja, die Tat wäre juristisch verjährt. Die Rückkehr passt zu seiner Kaltblütigkeit. Er hofft allerdings vergeblich, dass die Holter vergessen haben.
 
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Literaturhexle

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Er hofft allerdings vergeblich, dass die Holter vergessen haben.
Da bin ich nicht sicher, dass er wirklich auf Vergessen spekuliert... Dann würde man sich doch nicht still an einem prominenten Platz hinsetzen, sondern sich eher "normal" benehmen...
Allerdings ist er sich sicher, dass sie ihm juristisch nichts mehr können.