1. Leseabschnitt: Kapitel 1 bis 25 einschließlich (Beginn bis Seite 89)

GAIA

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27. Dezember 2021
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Thüringen
Dass du darauf achtest, welcher Übersetzer jeweils für eien Roman zuständig ist?!
Den Herrn Stingl habe ich mir so gut gemerkt, da er der Übersetzer einer meiner Lieblingsautoren Colson Whitehead ist. Obwohl ich auch dessen Werke großartig finde, machte der Übersetzer dort ähnliche Fehler. Da ist er mir das erste Mal aufgefallen, und wenn man sich einmal einen Namen gemerkt hat, fällt er immer wieder auf, wenn man sich das Deckblatt durchliest. ;)
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Die ersten paar Seiten habe ich etwas gebraucht mich mit den ganzen Namen anzufreunden. Sie sind schon sehr speziell, aber sie passen hervorragend, fast fühlte ich mich ein wenig an Hillbillys erinnert. Das ständig das Wort Nigger fällt stört mich in dem Fall nicht, weil es einfach die Gesinnung gut darstellt, und es zur Handlung passt.
Zeitlich hätte ich persönlich es erst einiges früher eingeordnet, aber es wird ja anschaulich erklärt, dass vieles dort noch so wie früher läuft. Daher erweckt es tatsächlich den Eindruck, dass es einige Jahre zurück liegt.
Wie die Leiche immer wieder verschwinden kann ist mir ein Rätsel, und ich könnte mir das super als Verfilmung vorstellen.
Momentan wundert sich wohl nur Granny Cs Schwiegertochter über das Entsetzen von Granny C als der Schwarze herausgetragen wurde. Schon makaber, dass sie schon bei dem ersten Mord an die alte Geschichte denken musste, und kurz darauf ihr eigener Sohn dran glauben musste.
Die ganzen Wortspielchen, die sich ergeben, finde ich auch echt toll. Der Schwarze hat sie nun an den Eiern, würde man sonst nie sagen, aber hier fühlt es sich richtig an :cool:
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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dass "dieser Nigger" die Morde begangen hat.
Normalerweise würde mich das enorm stören, dass ständig das N- Wort fällt, aber hier passt es hinein, es unterstreicht die Haltung der Menschen die in Money leben. Schlimm, aber wahr
Danke für den Link - als Nicht-Amerikanerin hätte mir Emmett Till jetzt nichts gesagt. Aber um so gruseliger, dass es da in dem Roman solch einen Realitätsbezug gibt!
Ich hätte das auch nicht vermute, wer weiß was es noch gibt, was wir nicht erkennen, weil es uns nicht vertraut ist, wir hier nichts davon mitbekommen haben
 

Mikka Liest

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14. Februar 2015
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Hilter am Teutoburger Wald
wordpress.mikkaliest.de
Ich bring jetzt erstmal das Gemecker hinter mich: Oh Gott, die Übersetzung. Wörter und Phrasen sind viel zu wörtlich übersetzt (oder gar nicht), oft sinnentstellend oder kaum noch verständlich, zumindest für deutsche Leser. Der Sprachfluss ist über lange Passagen dadurch sehr holprig. Ich wechsele hin und her zwischen dem deutschen eBook und dem englischen Hörbuch, und das ist ein himmelweiter Unterschied. Ich kann GAIA wirklich nur zustimmen.

So, jetzt wo das aus dem Weg ist, kann ich ja sagen, dass ich das Buch ansonsten großartig finde. Es ist ein echtes Kunststück, Figuren so nahe am Absurden anzulegen und sie dennoch glaubhaft darzustellen.

Allein schon die Sache, dass die weißen Familien davon ausgehen, dass der Vater von "dem Schwarzen" ermordet wurde. Da ist egal, dass der Schwarze ebenso tot daneben lag. Es kann ja logischerweise nur ein bzw. dieser Schwarze gewesen sein.
Vor allem: Er lag ja nun schon mehrfach tot daneben, und sie halten es dennoch für möglich, dass er der Mörder ist! Oh Herr, schmeiß Hirn vom Himmel… Aber die Botschaft ist klar, denke ich: Rassismus ist nicht nur Hass, sondern auch Dummheit.

Die hier angedeutete Rassenlehre ist leider nicht aus der Luft gegriffen, in Amerika gibt es immer noch Rednecks, die das strenger halten wie die Deutschen damals mit dem Ariernachweis. Das geht noch zurück auf die "one-drop rule" der 20er Jahre: Ein noch so weit entfernter schwarzer Vorfahre ("ein Tropen schwarzen Blutes") reichte schon aus, um einen Menschen als der schwarzen "Rasse" zugehörig zu klassifizieren. Die Menschen, denen man ihre gemischte Herkunft nicht ansah ("passing"), hielten das ja auch oft geheim, um der Diskriminierung zu entgehen.

Oh, ich sollte erst alle Kommentare lesen, das hat Ruleka ja schon gesagt.

Da wird dann die Evolution mit den verschiedenen Vorgängern des Homo sapiens einfach mal wegretuschiert und dann passt wieder alles ins altbekannte rassistische Bild. Ach und wie praktisch, dass Gott und Jesus auch noch weiß waren...

Jepp. Weiß, blond und blauäugig. Ich habe vor einer Weile auf Instagram ein gemaltes Bild gesehen, dass Jesus realistisch so darstellte, wie er hätte aussehen können, mit braunen Augen, schwarzem Haar und etwas dunklerer olivbrauner Haut. In den Kommentaren regten sich allen Ernstes Leute auf, das wäre ja so typisch, jetzt würde das Bild Gottes schon von falscher Ideologie verfälscht blahblahblah. Lustig, umgekehrt wird wohl eher ein Schuh draus

Darf man bei einem Buch, bei dem es es um letztlich um rassistisch motivierte Lynchjustiz geht von Galgenhumor sprechen?
Jepp. Ich liebe diesen tiefschwarzen Humor, der in so einem perfekten Kontrast zum eigentlich Grauenhafen steht.

Hier tun sich Abgründe auf. Diese Typen sind echt!
Deswegen war Granny C anfangs auch so verstört und hat gesagt, der Junge habe sie überhaupt nicht angesprochen.
Ich wusste vorher schon, dass sich der Roman auf Emmett Louis Till bezieht, aber bevor ich die von Granny C erwähnten Namen/Initialien sah, war mir nicht klar, dass es so ein direkter Bezug ist! Uff, das gibt dem Ganzen nochmal eine ganz andere Brisanz.

Das ständig das Wort Nigger fällt stört mich in dem Fall nicht, weil es einfach die Gesinnung gut darstellt, und es zur Handlung passt.
Normalerweise würde mich das enorm stören, dass ständig das N- Wort fällt, aber hier passt es hinein, es unterstreicht die Haltung der Menschen die in Money leben. Schlimm, aber wahr
Ich habe gestern bei einer Internet-Leserunde mitgemacht, mit sehr gemischtem Publikum aus diversen Ländern. Eine der Leiterinnen und mehrere der Teilnehmerinnen sind schwarz, und die habe ich direkt mal darauf angesprochen, was sie davon halten.

Erst sagte ich nur, ich lese einen Roman, in dem sehr oft das N-Wort fällt, und bin unsicher, was ich davon halte. Da kam von Princess (sie heißt wirklich so) erstmal ein zögerliches: "Oh, I don't like that." Daijah fragte: "Wait, what's the context?" Und Nel wollte wissen: "Is the author black?"

Ich habe dann erklärt, dass es sich um "The Trees" von Percical Everett handelt und dass es den Mord an Emmett Louis Till thematisiert. Princess fand es trotzdem bedenklich und hätte gerne wenigstens ein entsprechendes Vorwort, aber die anderen beiden fanden, wenn man Rassimus darstellen will, darf man das auch nicht weichspülen. Für alle macht es aber einen Unterschied, ob ein weißer Autor das N-Wort benutzt, oder ob das jemand tut, gegen den es schonmal verwendet wurde oder verwendet werden könnte.
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Ich denke, die weiblichen Teilnehmer in unserer Runde sind mit den Gefühlen gut vertraut. Ich habe mit ca. 12, 13 Jahren "Die Heiden von Kummerow" gelesen. Der Roman ist wohl für Erwachsene geschrieben, spielt aber zum Großteil unter männlichen Jugendlichen, im gleichen Alter wie ich damals. Wie dort über Mädchen und Frauen gesprochen wird, zieht einem die Schuhe aus. Lange Haare, kurzer Verstand; Mädchen sind dumm, blödes Weibervolk, bla bla bla. Mir ist dieses Buch spontan eingefallen; ich könnte noch viele, viele mehr nennen. Damit musste ich damals auch klarkommen, was mir nicht leicht fiel. Man muss einfach versuchen, es in den Kontext zu setzen, obwohl es natürlich jedes einzelne Mal triggert.

Spannend ist, wie Jettys Frau (in einem späteren LA) das N-Wort gerade noch so verschluckt, weil es ihr plötzlich peinlich ist ... aus Gründen. :rolleyes:
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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darf man das auch nicht weichspülen. Für alle macht es aber einen Unterschied, ob ein weißer Autor das N-Wort benutzt, oder ob das jemand tut, gegen den es schonmal verwendet wurde oder verwendet werden könnte.
Zum einen, wenn man diese Leute so darstellen will, wie sie tatsächlich sind, muss sich das auch in ihrer Sprache darstellen.
Zum anderen macht es bei dem gesamten Roman einen Unterschied, ob der Autor weiß oder schwarz ist, nicht nur bei der Verwendung des N- Worts. Bei einem weißen Autoren hätte ich diesen Roman bedenklich gefunden.
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Bei einem weißen Autoren hätte ich diesen Roman bedenklich gefunden.
Ja - ich vermutlich auch. Und trotzdem - ich finde, in solchen Dingen sollte es keinen Unterschied machen, von wem die beißende Kritik kommt.
Ich erinnere mich, dass im Zusammenhang mit dem Fall Emmett Till eine Künstlerin heftig kritisiert wurde, die ein (stark stilisiertes) Porträt des Leichnams gemalt hatte und ausstellte. Das Bild ist auf Wikimedia zu sehen. Es hieß, sie profitiere als Weiße vom Leid einer schwarzen Familie. Ich kann das instinktiv "irgendwie" nachvollziehen, aber innere Logik hat der Vorwurf nicht. Wenn es ihr in erster Linie um "Profit" ging, ist es doch egal, ob sie weiß ist oder schwarz; es würde sie angreifbar machen. Ging es ihr umgekehrt nicht um Profit, sondern einfach um die Sichtbarmachung fremden Leids, ist es auch egal, ob sie weiß ist oder schwarz.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Ja - ich vermutlich auch. Und trotzdem - ich finde, in solchen Dingen sollte es keinen Unterschied machen, von wem die beißende Kritik kommt.
Das sind wir wieder bei der kulturellen Aneignung. Es ist ganz schwierig und dünnes Eis. Man muss bei aller politischen Korrektheit aufpassen, dass man das Kind nicht mit dem Bade ausschütten.
Ein Weißer Autor würde diesen Roman in der heutigen Zeit definitiv nicht so geschrieben haben.
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Eine Bemerkung am Rande, zum Thema political correctness: das ultimative Buch darüber ist (nach meinem Kenntnisstand) "Der menschliche Makel". Es ist kurios, dass dieses Buch schon um die Jahrtausendwende erschien, lange vor den jetzigen Empfindlichkeitsdebatten. Es zeigt m.E. anschaulich, wie Vertreter jedes Lagers wahre Eiertänze um äußerlich einwandfreie Haltung vollführen, während die primär Leidende in dem Romangeschehen, Faunia Farley, sich jeder Möglichkeit zu klagen bewusst enthält (sie gibt sich als Analphabetin aus und erhebt nie ihre Stimme), aber in jeder Hinsicht das stärkste menschliche Leiden erfährt, bis zum gewaltsamen Tod.

"Der menschliche Makel" ist aber wohl auch eines jener Bücher, die man in Abständen von ein paar Jahren immer wieder lesen sollte / könnte, um die eigene Rezeption zu überprüfen. Vielleicht sage ich in drei Jahren oder so, wenn ich es nochmal lese, was ganz anderes dazu ...
 

Literaturhexle

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Der menschliche Makel" ist aber wohl auch eines jener Bücher, die man in Abständen von ein paar Jahren immer wieder lesen sollte /
Meine (erste) Lektüre ist noch gar nicht so lange her und ich war wirklich überrascht, wie dezidiert das Buch die Komplexität des Rassismus aufzeigt. Man könnte fast meinen, Roth war seiner Zeit voraus.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Und trotzdem - ich finde, in solchen Dingen sollte es keinen Unterschied machen, von wem die beißende Kritik kommt.
Das nicht. Aber die Art, wie Everett es macht, fände ich bei einem Weißen bedenklicher.
Beispiel: Es gibt sehr viele Witze über Juden. Aber sie sollten von Juden kommen.
Vielleicht sage ich in drei Jahren oder so, wenn ich es nochmal lese, was ganz anderes dazu ...
Du entdeckst vielleicht noch neue Facetten, aber schlecht wirst Du den Roman nie finden. Dazu ist er einfach zu gut.
 

milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
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Einzig mit der Übersetzung von Nikolaus Stingl hadere ich ein bisschen. Grundsätzlich kann er übersetzen und ich glaube generell, dass es sich bei diesem Roman lohnt, wenn man das Original lesen kann, weil Everett stark mit Worten und Bedeutungen spielt.

Mit deinen Gedanken zur Übersetzung triffst du voll meinen Nerv. Deine Anmerkungen (auch die in deinem anderen Posting) kann ich nur unterstreichen. Danke auch wegen der Warnung vor diesem Übersetzer im Speziellen.

Gerade bei Übersetzungen aus dem Amerikanischen stelle ich selbst solche Fehler fest und habe mich schon einige Male geärgert, nicht einfach das Original gelesen zu haben. Leider fällt die Bedeutung von Übersetzer/innen vor allem dann auf, wenn sie einen schlechten Job machen, weil der Text dann holprig und verwirrend wird. Dabei gibt es viele gute Leute. Die Bezahlung und damit wirtschaftliche Situation ist aber nicht sehr attraktiv.

In diesem Fall könnte es sich wegen des Wortwitzes tatsächlich ganz besonders lohnen. Ich nehme mir jedes Jahr vor, mehr englischsprachige Originale zu lesen. Diesen Vorsatz habe ich zuletzt aber nicht eingehalten.
 
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milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
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Weil ich momentan nicht fit bin und besonders am Anfang Aufmerksamkeit bei diesem Roman gefragt ist, habe ich recht lange für den ersten Abschnitt gebraucht. Dennoch gefällt mir das Buch ausgesprochen gut bisher. Schon von der ersten Seite an musste ich immer wieder schmunzeln. Ich fühle mich abgeholt und kann mir die Szenen sehr gut vor dem geistigen Auge vorstellen. Kopfkino im besten Sinne.

Die unterschiedlichen Personen musste ich anfangs sortieren. Worum es da eigentlich geht, war mir zunächst auch nicht ersichtlich. Ich hatte diesmal den Klappentext nicht mehr genau in Erinnerung. Trotzdem habe ich mich von Beginn an prima unterhalten gefühlt.
 
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