1. Leseabschnitt: Kapitel 1 bis 13 (Beginn bis Seite 82)

Literaturhexle

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2. April 2017
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der Verwandlungsprozess; irgendwann wird es keine Seiten mehr geben und die Familie kann in ein neues Stadium der Trauer eintreten.
Sehr nachvollziehbar, so weit habe ich allerdings nicht gedacht. So wird ein Schuh draus.

Vor Schulte fängt sehr gut die Verlorenheit ein, findet auch gerade beim Vater starke Bilder,
Das gefällt mir auch sehr. Manche Abschnitte muss man erst einmal setzen lassen, weil sie so viel persönliche Tragik beinhalten.
Aber auch für die alte Frau, die jetzt nur noch aus der Konserve vorgelesen bekommt, ist das ein Verlust.
Unbedingt. Die Intention ist mir nicht klar geworden. Heutzutage ist es Usus, dass Ehrenamtliche in Heimen lesen, singen, basteln, etc. Da muss man als Angehöriger kein schlechtes Gewissen haben.
Auch die Pflegekraft wirkte sehr ablehnend dem Jungen gegenüber. Dafür fällt mir kein Grund ein. Wunsch nach Isolation? Dass keiner den Pflegern auf die Finger guckt? Der Fremde als Feind? Irgendsowas Irrationales wohl.

Insofern ist die Atmosphäre bewusst eiskalt gewählt und passt zum gesamten Setting, das surreale Züge aufweist.
 

otegami

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Die Intention ist mir nicht klar geworden. Heutzutage ist es Usus, dass Ehrenamtliche in Heimen lesen, singen, basteln, etc. Da muss man als Angehöriger kein schlechtes Gewissen haben.
Das sehe ich auch so! Das gleiche ist ja auch in Kinderkrankenhäuser! Als ich in den 50er oft im KH lag, waren große Säle voll mit Kinderbetten, eines neben dem anderen. Unterhaltung? Beschäftigung? Nix! Nulla! Niente! Wenn da nicht die Eltern zu Besuch kamen..........waren die Stunden seeeeeehr lange!
Das hatte sich schon Mitte der 60er geändert: da kam eine junge Frau, die mit uns bastelte. (Dabei empfand ich diesen Aufenthalt gar nicht mehr so schlimm - ich war ja eine Leseratte! ;) Aber bevor ich in die Schule kam war's schon heftig! Neben mir lagen etliche Kinder mit verbrühtem Rücken -> sie waren an den Waschtagen in die kochend heiße Waschbrühe im Zuber gefallen. Können sich heute wahrscheinlich die wenigsten mehr vorstellen!)
 

Irisblatt

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Sehr nachvollziehbar, so weit habe ich allerdings nicht gedacht. So wird ein Schuh draus.


Das gefällt mir auch sehr. Manche Abschnitte muss man erst einmal setzen lassen, weil sie so viel persönliche Tragik beinhalten.
Unbedingt
Die Intention ist mir nicht klar geworden. Heutzutage ist es Usus, dass Ehrenamtliche in Heimen lesen, singen, basteln, etc. Da muss man als Angehöriger kein schlechtes Gewissen haben.
Auch die Pflegekraft wirkte sehr ablehnend dem Jungen gegenüber. Dafür fällt mir kein Grund ein. Wunsch nach Isolation? Dass keiner den Pflegern auf die Finger guckt? Der Fremde als Feind? Irgendsowas Irrationales wohl.
Auch wenn die Welt, die vor Schulte entwirft unserer ähnelt, ist die Logik dahinter nicht dieselbe. Das zeigt sich auch in der Institution des Traueramts und dem Vorwurf der verschleppten Trauer. Johanne kann noch nicht so lange tot sein. In dieser Gesellschaft erscheint Trauer als Stigma - sie muss schnell und effizient beseitigt werden, die Menschen haben offensichtlich Angst, mit ihr in Berührung zu kommen. Ich denke, Micha darf nicht mehr kommen, weil er den Tod seiner Mutter noch nicht verkraftet hat und deshalb niemand mit ihm Kontakt haben möchte. Vor Schulte überzeichnet die Berührungsängste, die es auch in unserer Gesellschaft gibt.
Insofern ist die Atmosphäre bewusst eiskalt gewählt und passt zum gesamten Setting, das surreale Züge aufweist.
Dem stimme ich zu.
 

otegami

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......... die Menschen haben offensichtlich Angst, mit ihr in Berührung zu kommen. Ich denke, Micha darf nicht mehr kommen, weil er den Tod seiner Mutter noch nicht verkraftet hat und deshalb niemand mit ihm Kontakt haben möchte. Vor Schulte überzeichnet die Berührungsängste, die es auch in unserer Gesellschaft gibt.
Das ist ein interessanter Aspekt, auf den ich gar nicht gekommen bin! Ist aber nachvollziehbar! Danke schön!
 

Irisblatt

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So, ich hatte meine "Bedenk-Nacht" und bin im Reinen mit der Fantastik. Außerdem bin ich auch einen Tick weiter im 2. Abschnitt, aber ich passe natürlich auf.


Ein kleiner sachlicher Fehler ist mir aufgefallen: Frau Schmidt wohnt unter der Familie Mohn und hält das Glas zum Abhören an die Wand. Müsste das nicht die Decke sein? Oder leiten die Wände den Schall?
Es wurde erwähnt, dass die Wände sehr gut den Schall über die Rohre und diverse Gänge, die Mäuse geknabbert haben, leiten.
 

Irisblatt

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Da hast du recht. Mir stößt eher die allgemeine Ablehnung negativ auf. Warum beispielsweise sollte die Tochter der Seniorin Micha die Besuche verweigern? Warum reagieren die Lehrer mit so großem Unverständnis auf Linnes Verhalten? Das ist mir einfach zu extrem dargestellt.
Die dargestellte Gesellschaft verfügt über ein Traueramt und zwar eines, das nicht unterstützend Trauerprozesse begleitet, sondern eines, das Trauer schnellstmöglich beenden soll, weil sie als schädlich angesehen wird. In einer solchen Welt, in der es auch üblich ist Trauernde zu denunziert, wundern mich diese extremen Verhaltensweisen gar nicht.
 

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Das sehe ich auch so! Das gleiche ist ja auch in Kinderkrankenhäuser! Als ich in den 50er oft im KH lag, waren große Säle voll mit Kinderbetten, eines neben dem anderen. Unterhaltung? Beschäftigung? Nix! Nulla! Niente! Wenn da nicht die Eltern zu Besuch kamen..........waren die Stunden seeeeeehr lange!
Das hatte sich schon Mitte der 60er geändert: da kam eine junge Frau, die mit uns
Ich habe als Kind in den 70ern sehr oft im KH gelegen und sehr viel wurde mit uns Kindern nicht gemacht. Die Besuchszeiten waren auch sehr eingeschränkt - selbst für Eltern. Eltern blieben damals auch nicht beim Kind im KH, wie es heutzutage oft ist. Das war schon noch eine ganz andere Zeit...
 

otegami

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Die Besuchszeiten waren auch sehr eingeschränkt - selbst für Eltern. Eltern blieben damals auch nicht beim Kind im KH, wie es heutzutage oft ist. Das war schon noch eine ganz andere Zeit...
Eine Stunde pro Tag war die Besuchszeit! Und für diese eine Stunde fuhr meine Mutter jeweils eine Stunde mit dem Zug hin und eine Stunde zurück! Wahnsinn!
 

Querleserin

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Ich denke, Micha darf nicht mehr kommen, weil er den Tod seiner Mutter noch nicht verkraftet hat und deshalb niemand mit ihm Kontakt haben möchte. Vor Schulte überzeichnet die Berührungsängste, die es auch in unserer Gesellschaft gibt.
Das ist ein interessanter Gedanke. Ich hatte es eher so verstanden, dass die Tochter in Michas Verhalten erkennt, dass er sich im Gegensatz zu ihr, um Frau Kornmehl kümmert. Während sie ihre Besuche hasst, kommt er gern. Er hält ihr den Spiegel vor.
 

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Mir gefällt diese Tagebuchesserei in einem Roman (nur in einem Roman!) auch deshalb so gut, weil es der Familie (auch wenn Herr Ginster das vermutlich nicht so sehen würde) eine besondere Form des Abschiednehmens und der Trauerarbeit ermöglicht. Sie verleiben sich quasi das Persönlichste ein, das von der Mutter als Gegenstand geblieben ist - dann beginnt der Verdauungs-, der Verwandlungsprozess; irgendwann wird es keine Seiten mehr geben und die Familie kann in ein neues Stadium der Trauer eintreten. Sehr gefällt mir auch die Darstellung der einzelnen Familienmitglieder, der Vergleich
Genau - Du hast es shr gut auf den Punkt gebracht. Finde ich auch eine sehr gute und orginelle Konstruktion.
. Die Intention ist mir nicht klar geworden. Heutzutage ist es Usus, dass Ehrenamtliche in Heimen lesen, singen, basteln, etc. Da muss man als Angehöriger kein schlechtes Gewissen haben.
Ich habe lange Zeit als Jugendliche im Altenheim auf der Pflegestation gejobbt (9Ende 80er/ Anfang 90er), Mitte 2000 lag meine Oma im Altenheim. Leider muss ich sagen, dass oft die Zeit dazu fehlt, sich irgendwie mit den Älteren Herrschaften zu beschäftigen. Da bleibt vieles auf der Strecke. Traurigerweise: Je weniger Besuch die Menschen bekommen und desto hilfloser sie sind, desto weniger wird sich auch oft gekümmert frei nach der Logik, die können sich ja auch nicht beschweren. Traurige Zustände!
In dieser Gesellschaft erscheint Trauer als Stigma - sie muss schnell und effizient beseitigt werden, die Menschen haben offensichtlich Angst, mit ihr in Berührung zu kommen
Diese Gesellschaftskritik bzgl. der Unfähigkeit zu trauern findev ich brilliant gezeichnet.