1. Leseabschnitt: Kapitel 1 bis 13 (Beginn bis Seite 82)

Barbara62

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19. März 2020
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So, ich hatte meine "Bedenk-Nacht" und bin im Reinen mit der Fantastik. Außerdem bin ich auch einen Tick weiter im 2. Abschnitt, aber ich passe natürlich auf.

Für mich ist Herr Ginster kein Mensch aus Fleisch und Blut, auch wenn er als solcher auftritt, sondern sozusagen ein Konglomerat aus all denen, die meinen, ihren Senf zur Lage der Familie Mohn geben zu müssen.

Die für mich ergreifendste Figur ist Steve. Wie empathisch Adam ist, sieht man daran, wie treffend er Steve charakterisiert:

"Dass deine Oberfläche vergrößert ist. Auf alles und jeden fällt dein Gefühl." (S. 21)

Das sind unglaublich tolle Sätze von Stefanie vor Schulte. Während vor allem Linne, aber auch Micha, offensichtliche Probleme haben, versucht Steve, auszugleichen und den Alltag am Laufen zu halten, ungeachtet der eigenen Trauer. Er ist für mich bisher der stille Held der Geschichte.

Ich bin gespannt, ob die Obdachlose und Brassert einmalige Auftritte hatten, oder ob ihr Schicksal weitergesponnen wird.

Ein kleiner sachlicher Fehler ist mir aufgefallen: Frau Schmidt wohnt unter der Familie Mohn und hält das Glas zum Abhören an die Wand. Müsste das nicht die Decke sein? Oder leiten die Wände den Schall?

Ich bin soooo gespannt, was @Literaturhexle zur Fantastik sagt... ;)
 
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GAIA

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27. Dezember 2021
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Ein kleiner sachlicher Fehler ist mir aufgefallen: Frau Schmidt wohnt unter der Familie Mohn und hält das Glas zum Abhören an die Wand. Müsste das nicht die Decke sein? Oder leiten die Wände den Schall?
Hah! Den Gedanken hatte ich auch, könnte mir aber "Die Schmidt" auch so vorstellen, dass sie auf einem Hocker steht, um besser lauschen zu können. Vielleicht sind aber auch die "leitfähigen" Wände ein fantastisches Element, um die Hellhörigkeit der Umwelt darzustellen.
 

Christian1977

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8. Oktober 2021
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Oh weh! Jetzt muss ich ein wenig Spielverderber spielen, denn mir gefällt das Buch leider gar nicht. Und das, obwohl ich "Junge mit schwarzem Hahn" so mochte.

Fast scheint es mir, als handele es sich entweder um einen Schnellschuss oder um ein älteres Werk der Autorin, das wegen des Erfolgs von "Junge" nun doch noch veröffentlicht wird. Denn die Veröffentlichung ist echt noch nicht lange her...

Obwohl der Stil ähnlich ist (kurze, prägnante Sätze), passt er in meinen Augen gar nicht zum Roman. Denn anders als beim "Jungen" erkenne ich hier nichts Märchenhaftes, sondern eine Trauergeschichte mit skurrilen Nebenfiguren, die sich völlig unangemessen und unglaubwürdig verhalten.

Positiv möchte ich den ersten Satz und den von euch bereits mehrfach angesprochenen Abschnitt mit den trauernden Gegenständen erwähnen. Auch Adams auf S. 25 geschilderte Trauer fand ich intensiv.

Ansonsten wirkt das Ganze auf mich furchtbar artifiziell. Die Nachbarn verhalten sich völlig abwegig, die Familie bleibt für mich schemenhaft, verdeckt hinter bemühten poetischen Vergleichen. Einzig Steve hat zumindest etwas Profil. Ich kann nichts zu ihnen aufbauen.

Die Dialoge finde ich überwiegend schwach:

52: "Seit wann hast du denn Schnurrbart, Steve!" (auch grammatikalisch falsch übrigens)
"Noch nicht lang."
"Oh! (...) Nicht doch - wegen deiner Mutter?"...

63: "Das können die doch nicht machen ", sagt er.
"Alle machen alles", sagt Linne.

Auch andere Sätze sind schlichtweg unsinnig.

73: Angespannt und verklemmt wie zu Termin. (???)

Würde es sich nicht um eine Leserunde handeln, hätte ich das Buch längst abgebrochen. Schade, nach dem tollen Vorgänger (?) waren meine Erwartungen vielleicht zu hoch.
 

otegami

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17. Dezember 2021
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Die Dialoge finde ich überwiegend schwach:

52: "Seit wann hast du denn Schnurrbart, Steve!" (auch grammatikalisch falsch übrigens)
"Noch nicht lang."
"Oh! (...) Nicht doch - wegen deiner Mutter?"...

63: "Das können die doch nicht machen ", sagt er.
"Alle machen alles", sagt Linne.
Damit trifft sie aber den Zeitgeist! ;) Es sprechen inzwischen (leider) etliche so, auch wenn sich uns (hier) die Fußnägel hochrollen! :rofl Ich nenne es inzwischen WA-Slang! :p
 

Barbara62

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19. März 2020
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Oh weh! Jetzt muss ich ein wenig Spielverderber spielen, denn mir gefällt das Buch leider gar nicht. Und das, obwohl ich "Junge mit schwarzem Hahn" so mochte.
Ich verstehe, was du meinst, und obwohl ich nicht so kritisch bin, ist mir das ein oder andere auch aufgefallen. ABER: Die Atmosphäre, in der die Familie lebt, hat sich mir so drastisch vermittelt, und das gefällt mir sehr gut. Den Vergleich zum Vorgänger habe ich nicht.

Was die Nachbarn betrifft, so halte ich jede dieser Bemerkungen für absolut denkbar. Es ist nichts dumm genug, als dass es nicht ausgesprochen wird. Als wir die dritte Tochter bekamen, waren die Kommentare mancher Nachbarn wirklich unterirdisch und nahe an der Kondolenz: "Was ist es denn?" .... "Ach, das tut mir aber leid.". Manch einer hat nicht einmal gratuliert vor Mitleid (übrigens Männer und Frauen!).
 

otegami

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Als wir die dritte Tochter bekamen, waren die Kommentare mancher Nachbarn wirklich unterirdisch und nahe an der Kondolenz: "Was ist es denn?" .... "Ach, das tut mir aber leid.". Manch einer hat nicht einmal gratuliert vor Mitleid (übrigens Männer und Frauen!).
Meine Freundin hat fünf Töchter!!!! Und wirklich k e i n e n Sohn! Schlimm nicht?! :rofl (Ich kenne also die ganzen Kommentare, ob zu ihr direkt gesprochen oder zu mir hinterm Rücken der Eltern!) Und das als Arzt!!!! :rofl
 

Christian1977

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8. Oktober 2021
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Es sprechen inzwischen (leider) etliche so, auch wenn sich uns (hier) die Fußnägel hochrollen!
Hm. Aber das passt doch gar nicht zum ansonsten vorherrschenden Tonfall? Immer diese poetischen Bilder und dann aber solche sprachlichen Fehltritte? Würden wir einen Roman von einer jungen, etwas rotzigen Autorin lesen und dies zum Gesamtbild passen, hätte mich das wohl nicht so gestört. Aber hier finde ich es doch seltsam.
Was die Nachbarn betrifft, so halte ich jede dieser Bemerkungen für absolut denkbar.
Vielleicht individuell betrachtet schon. Mich stört aber, dass sich die gesamte Außenwelt der Familie als absolut schlecht präsentiert. Micha darf die Seniorin nicht mehr besuchen, die Lehrer sind furchtbar, die Nachbarn noch schlimmer... Aus welchen Gründen sollte dies so sein, dass die gesamte Gesellschaft einer trauernden Familie jede Empathie verwehrt?
 

Barbara62

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Vielleicht individuell betrachtet schon. Mich stört aber, dass sich die gesamte Außenwelt der Familie als absolut schlecht präsentiert. Micha darf die Seniorin nicht mehr besuchen, die Lehrer sind furchtbar, die Nachbarn noch schlimmer... Aus welchen Gründen sollte dies so sein, dass die gesamte Gesellschaft einer trauernden Familie jede Empathie verwehrt?
Ich denke nicht, dass alle schlecht reagieren, aber die, die schlecht reagieren, dringen durch und bleiben haften. Ich habe leider auch nur die Kommentare der Nachbarn im Ohr, die schlecht reagiert haben (auf unsere 3. Tochter). Die Gratulanten habe ich mehr oder weniger vergessen.
Die Familie mit dem Fahrrad hat sicher zunächst "anständig" kondoliert und Mitleid gezeigt, was nicht gesagt wird, weil es eben "normal" ist, aber jetzt hat sich die Forderung nach der Rückkehr zur vollständigen Normalität durchgesetzt.
Es ist ein Mehrfamilienhaus und erwähnt werden nur die Namen von zwei Parteien.
 

Christian1977

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8. Oktober 2021
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Es ist ein Mehrfamilienhaus und erwähnt werden nur die Namen von zwei Parteien.
Da hast du recht. Mir stößt eher die allgemeine Ablehnung negativ auf. Warum beispielsweise sollte die Tochter der Seniorin Micha die Besuche verweigern? Warum reagieren die Lehrer mit so großem Unverständnis auf Linnes Verhalten? Das ist mir einfach zu extrem dargestellt.
 

Lesehorizont

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29. März 2022
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Mainz
Vielleicht individuell betrachtet schon. Mich stört aber, dass sich die gesamte Außenwelt der Familie als absolut schlecht präsentiert. Micha darf die Seniorin nicht mehr besuchen, die Lehrer sind furchtbar, die Nachbarn noch schlimmer... Aus welchen Gründen sollte dies so sein, dass die gesamte Gesellschaft einer trauernden Familie jede Empathie verwehrt?
Das ist eine düstere Dystopie, die die Autorin zeichnet. Sie lebt von Überzeichnung. Für mich hat das am Anfang ganz gut funktioniert: das Bild einer Gesellschaft, dir in jeglicher Hinsicht unfähig ist, Trauer zuzulassen, geschweige denn damit umzugehen. Ich finde, Literatur darf solche Übertreibungen vornehmen.
Sehr schade aber, dass Dir das Buch bisher so gar nicht gefällt.
Zum Vorgänger kann ich leider nichts sagen, da ich den nicht gelesen habe. Ist das Buch denn ganz anders als dieses hier? "neugierig-frag!
 
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Christian1977

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Das ist eine düstere Dystropie, die die Autorin zeichnet.
Als Dystopie lese ich das Buch gar nicht. Eher als Trauergeschichte mit Gesellschaftskritik.
Ich finde, Literatur darf solche Übertreibungen vornehmen.
Ja, natürlich, finde ich auch. Ob es dann jedem gefällt, ist halt etwas anderes und eher Geschmackssache.
Ist das Buch denn ganz anders als dieses hier?
Ja und nein.

Der Schreibstil ist wie gesagt ähnlich. Kurze, prägnante Sätze, manchmal nur Satzfragmente. Auch die Motive sind gar nicht so verschieden. Im "Jungen" gibt es Martin, einen um seine Familie trauernden Außenseiter und es gibt die Tiersymbolik (Hahn vs. Schlange). Es gibt (deutlich ausgeprägtere) fantastische, fast schon düster-märchenhafte Bezüge.

Aber: Die Sprache ist in meinen Augen viel ausgereifter. Zumindest sind mir nicht solche Fehltritte aufgefallen wie oben angeführt. Zudem gelingt es der Autorin dort meines Erachtens nach viel besser, Empathie für den Protagonisten zu erzeugen. Und das, obwohl die Geschichte eben noch unrealistischer und fantastischer ist. Sprich: Obwohl die Realität weiter entfernt ist, wirkt die Geschichte näher und intensiver.
 

Lesehorizont

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Als Dystopie lese ich das Buch gar nicht. Eher als Trauergeschichte mit Gesellschaftskritik.
Letzeres in jedem Fall, denke ich auch. Aber hat nicht die SKizzierung einer Gesellschaft, die absolut "trauerunfähig" ist, auch dystopische Züge? Okay, vielleicht weiß ich zu wenig über das Genre "Dystopie"...
Ob es dann jedem gefällt, ist halt etwas anderes und eher Geschmackssache.
Da hast Du vollkommen Recht. Das macht ja auch die Buchbesprechungen so interessant: Man kann sie kontrovers diskutieren.
Der Schreibstil ist wie gesagt ähnlich. Kurze, prägnante Sätze, manchmal nur Satzfragmente. Auch die Motive sind gar nicht so verschieden. Im "Jungen" gibt es Martin, einen um seine Familie trauernden Außenseiter und es gibt die Tiersymbolik (Hahn vs. Schlange). Es gibt (deutlich ausgeprägtere) fantastische, fast schon düster-märchenhafte Bezüge.
Es könnte sein, dass Du dann am Ende noch mehr Parallelen identifizieren kannst. Denn die Fantastik spielt hier schon auch eine große Rolle...
 

Barbara62

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19. März 2020
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Da hast du recht. Mir stößt eher die allgemeine Ablehnung negativ auf. Warum beispielsweise sollte die Tochter der Seniorin Micha die Besuche verweigern? Warum reagieren die Lehrer mit so großem Unverständnis auf Linnes Verhalten? Das ist mir einfach zu extrem dargestellt.
Linne reagiert nicht so, wie es das Lehrbuch sagt: mit abfallenden Schulnoten, mit Unaufmerksamkeit usw. (obwohl sich das später ändert). Damit können die Lehrer mit ihrem pädagogischen Vorwissen nicht umgehen. Ich verstehe das schon. Sie haben ein Handwerkszeug aus dem Seminar mitgebracht, das sie nun nicht anwenden können, sie sind hilflos.
Die Tochter der Seniorin will keine fremden Besucher, vielleicht, weil sie keinen Dank schuldig bleiben will oder weil ihr Micha vor Augen führt, dass sie ihre Mutter öfter besuchen müsste. Abwegig erscheint mir das nicht.
Ich will dir deine Kritik keinesfalls nehmen, nur begründen, warum mich diese Punkte nicht stören.
 

GAIA

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27. Dezember 2021
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Linne reagiert nicht so, wie es das Lehrbuch sagt: mit abfallenden Schulnoten, mit Unaufmerksamkeit usw. (obwohl sich das später ändert). Damit können die Lehrer mit ihrem pädagogischen Vorwissen nicht umgehen. Ich verstehe das schon. Sie haben ein Handwerkszeug aus dem Seminar mitgebracht, das sie nun nicht anwenden können, sie sind hilflos.
Zusätzlich zu deinen Punkten ist es sicherlich auch wichtig, dass sie als Mädchen anfängt sich zu prügeln. Lehrer:innen können vielleicht besser damit umgehen, wenn Jungs in Rangeleien geraten und haben dann das Handwerkszeug für diesen Fall (Anti-Aggressionstraining oder was weiß ich) zur Hand. Es kann schon allein deshalb Berührungsängste geben, weil man nicht weiß, wie mit einem Mädchen umzugehen ist, was sich plötzlich Fight Club-mäßig prügelt.

Würde es sich nicht um eine Leserunde handeln, hätte ich das Buch längst abgebrochen. Schade, nach dem tollen Vorgänger (?) waren meine Erwartungen vielleicht zu hoch.
Ach krass, das hätte ich wirklich nicht erwartet. Gerade weil du häufig die Person bist, die in Leserunden (also bei den entsprechenden besprochenen Geschichten) so einen guten Draht zu jungen Protagonist:innen bekommst. Ich bin gespannt, wie deine Bewertung im Verlauf aussieht.

Die sprachlichen Schnitzer sind mir zwar beim Lesen aufgefallen, aber sie haben mich im Großen und Ganzen weniger gestört, sind mir nicht negativ aufgstoßen. Und da bin ich ja auch eher dafür bekannt, dass sich ein Lektüreerlebnis aufgrund der Sprache schnell mal negativ einfärbt. Aber so ist es eben. Wie du schon sagst, es muss dir ja nicht gefallen. (Persönlich finde ich es einfach mal interessant, dich mit so einer deutlich negativen Einschätzung der Lektüre - zumindest auf den ersten Seiten - zu erleben. ;) )
 

otegami

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17. Dezember 2021
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Vielleicht individuell betrachtet schon. Mich stört aber, dass sich die gesamte Außenwelt der Familie als absolut schlecht präsentiert. Micha darf die Seniorin nicht mehr besuchen, die Lehrer sind furchtbar, die Nachbarn noch schlimmer... Aus welchen Gründen sollte dies so sein, dass die gesamte Gesellschaft einer trauernden Familie jede Empathie verwehrt?
Weil 'der Wurm drin ist'! Und wir kennen wahrscheinlich alle so Situationen, dass 'wenn der Wurm drin ist, dann g'scheit'! Und dann hat man das Gefühl, die ganze Welt hat sich gegen einem verschworen. Eine Situation allein gesehen, fällt überhaupt nicht auf - wird weggesteckt, aber die Summe machts! ;)
Hm. Aber das passt doch gar nicht zum ansonsten vorherrschenden Tonfall? Immer diese poetischen Bilder und dann aber solche sprachlichen Fehltritte? Würden wir einen Roman von einer jungen, etwas rotzigen Autorin lesen und dies zum Gesamtbild passen, hätte mich das wohl nicht so gestört. Aber hier finde ich es doch seltsam.
Die Autorin spielt mit Gegensätzen! *Gg* und ich finde, wenn man sich das bewusst macht, dann passt es wieder! ;)
 
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otegami

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Zudem gelingt es der Autorin dort meines Erachtens nach viel besser, Empathie für den Protagonisten zu erzeugen. Und das, obwohl die Geschichte eben noch unrealistischer und fantastischer ist. Sprich: Obwohl die Realität weiter entfernt ist, wirkt die Geschichte näher und intensiver.
Interessant, wie es auf Dich wirkt! ;) Ich habe ja 'Junge mit schwarzem Hahn' auch gelesen, hat mir auch sehr gut gefallen und es bekam 5 Sterne von mir! Das Buch fiel aber bei mir rein unter Fantasie, Märchen. 'Schlangen im Garten' ist mir viel näher, weil es auch Bezug zu realistischen Personen hat. Und es erzeugt bei mir sehr viel Empathie für die trauernde Familie.
 

otegami

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Die Tochter der Seniorin will keine fremden Besucher, vielleicht, weil sie keinen Dank schuldig bleiben will oder weil ihr Micha vor Augen führt, dass sie ihre Mutter öfter besuchen müsste.
Genau, Micha erzeugt bei der Tochter ein schlechtes Gewissen! Und das ist unangenehm! Lieber lässt sie den Jungen nicht mehr zur Mutter! (An die Mutter wird dabei nicht gedacht! Direkt schon herrlich, wie viele narzisstische Züge in diesem Buch gezeigt werden!)
 

Literaturhexle

Moderator
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2. April 2017
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49
Die Geschichte wirkt irgendwie ein wenig wie so eine Art Schauermärchen.
Der Vergleich trifft es sehr gut!
Auf die Schlangen bin ich auch gespannt, bisher ist nur das Bild im Zimmer des Direktors aufgetaucht.
Und der Angler erwähnt die Aale, die wie Schlangen durch die Wiese schlängeln, wo man sie leicht fangen kann.
Eine eklige Vorstellung. Aale sind total glitschig-schleimig.
Er ist für mich bisher der stille Held der Geschichte.
unbedingt. Der Vater entzieht sich seinen Pflichten, kommt aus der Trauer-Depression nicht raus. Steve gibt sein Bestes, braucht aber auch Freiräume. Sehr nachvollziehbar.
Ich bin soooo gespannt, was @Literaturhexle zur Fantastik sagt... ;)
Oh. Sie ist begeistert bislang! Allerdings kann ich die Fantastik noch nicht recht greifen. Für mich wirkt es noch sehr skurril. Die ernste Tonart wird aber wunderbar transportiert. Diese Figuren und Begegnungen: lauter Fragmente, die die Tragik dieser Familie widerspiegeln, die zerbrochen ist, wo kein Stein mehr auf dem anderen steht.
Die sprachlichen Schnitzer sind mir zwar beim Lesen aufgefallen, aber sie haben mich im Großen und Ganzen weniger gestört
Mich auch nicht. Ein bisschen verkürzt, jedoch war mir klar, was gemeint war.

Ich teile eure positiven Eindrücke bislang. Stilistisch fühle ich mich schon an den Vorgängerroman erinnert. Allerdings wirkt diese Geschichte nicht so märchenhaft, sondern (zumindest bis hierhin) recht realistisch mit Verzerrungen oder Traumelementen. Die Gefühlslagen werden sehr anschaulich gemacht.
 

Irisblatt

Bekanntes Mitglied
15. April 2022
1.325
5.536
49
53
Bisher gefällt mir das Gelesene ausgesprochen gut. Mich hatte das Buch bereits mit dem sehr überraschenden ersten Satz für sich eingenommen. Die Idee, die Tagebücher der Mutter - ohne sie zu lesen - zu verspeisen finde ich gleichermaßen abwegig, skurril und genial. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich als Kind versucht habe, Papier zu essen. Das ist harte Arbeit und in den Mengen vermutlich auch schwer verdaulich. Mir gefällt diese Tagebuchesserei in einem Roman (nur in einem Roman!) auch deshalb so gut, weil es der Familie (auch wenn Herr Ginster das vermutlich nicht so sehen würde) eine besondere Form des Abschiednehmens und der Trauerarbeit ermöglicht. Sie verleiben sich quasi das Persönlichste ein, das von der Mutter als Gegenstand geblieben ist - dann beginnt der Verdauungs-, der Verwandlungsprozess; irgendwann wird es keine Seiten mehr geben und die Familie kann in ein neues Stadium der Trauer eintreten. Sehr gefällt mir auch die Darstellung der einzelnen Familienmitglieder, der Vergleich mit Steinen, Wasser usw. und Steve, der überall Gesichter sieht und nur durch die Geschwindigkeit auf seinem Skateboard davor geschützt ist. Vor Schulte fängt sehr gut die Verlorenheit ein, findet auch gerade beim Vater starke Bilder, wenn sie erzählt wie er zwar Alltägliches verrichtet, aber gar nicht mehr weiß, wann er das eigentlich getan hat. Gut hat mir da die der Vergleich auf S. 25 mit dem „immerwährenden Anschlussfehler“ gefallen. Oder auch dieses schwarze Zimmer mit den blinden Scheiben, in dem die Tür unauffindbar ist.
Die Nachbarn sind das pure Grauen, widerlich in ihrer Spionage und Denunziantentum - mit welcher Ignoranz sie behaupten, ein gebrochenes Herz sei kein richtiges Herzproblem. Micha tat mir sehr leid - er schien die Besuche bei der alten Frau zu mögen und gerade in seiner derzeitigen Situation hätte ihm das ein Stück weit Normalität und Halt geben können. Aber auch für die alte Frau, die jetzt nur noch aus der Konserve vorgelesen bekommt, ist das ein Verlust.
Der Fund der noch unbeschriebenen Tagebücher hat für große Erleichterung gesorgt, weil er als Beweis gesehen wird, dass die Mutter nicht vorhatte zu sterben. Ich habe mich gefragt, wie lange die Bücher wohl schon dort unter den Sitz lagen.
 

Irisblatt

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15. April 2022
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Auch die Gegenstände vermissen die Mutter:
Das fand ich stimmig gemacht - wie nach und nach bestimmte Gegenstände kaputt gehen.
Seltsam ist auch die Dame mit Hund, der eigentlich ein Ball ist
Ich mag solche Szenen. Ich habe mich gefragt, was wohl geschehen wäre, wenn Adam seinem Impuls nachgegeben hätte, sich neben sie zu setzen.
Die Autorin lässt den Leser / die Leserin spüren, wie ver-rückt die Welt ist, wenn die Trauer Einzug hält. Starre, Hilflosigkeit, Sehnsucht, Ohnmacht, ein Nicht-Wissen, wohin mit seinen Gefühlen...
Das gelingt der Autorin wirklich außerordentlich gut und it so wenigen Worten!