Der zu dickgeratenen Demarkationslinie ist es offenbar zu verdanken, dass Rosas Vorfahren aus dem ehemaligen Rumänien ausreisen konnten, daher der Prolog, so verstehe ich das. Von Rumänen zu Ungarn zu Israelis. Und Rosas Vater schließlich wanderte nach Deutschland aus - erst mit einem konkreten Ziel vor Augen, später weil es eben so war und er geheiratet hat.
Viel Einsamkeit gibt/gab es in der Familie, niemand stand für den anderen ein, niemand hörte dem anderen zu, jede:r hatte eigene Macken. Der Vater als Sprössling einer letztlich entwurzelten Familie, dazu mit seinen Kriegserfahrungen über die er nie sprach und mit einem Sonnyboy als Bruder, aus dessen Schatten er nie heraustreten konnte. In Deutschland "versumpft", schlechtbezahlte und stumpfsinnige Arbeit statt eine Professorenstelle, in Depressionen versunken, das einzige vor sich selbst zugelassene Gefühl: Wut - für alles andere fehlten ihm die Worte. Die Mutter, die eigentlich in den Bruder in Israel verliebt war, dann aber bei der Wiederbegegnung in Deutschland offenbar mit "dem Spatz in der Hand" vorlieb nahm, gescheitertes Studium, letztlich Hausfrau und Mutter, worin sie aber keine wirkliche Erfüllung sah. Die Eltern lassen gegenseitig kein gutes Haar am anderen. Die Schwestern ein gemeinsames Zimmer, die Jüngere schaut zur Älteren auf, die aber kaum ein Interesse an ihr zeigt. Rosa wirkt als Kind/Jugendliche verträumt, malt in der Schule vor sich hin statt zuzuhören, oftmals Familienmitglieder als Motiv. Die Gedanken kreisen offenbar oft um ihre Familie, aber es bleibt wohl keine andere Art des Audrucks als die Bilder - mit wem sollte sie darüber sprechen?
Mit Rosa mitschwingen konnte ich, als sie sich von ihrer Schwester alleine gelassen fühlte, da diese die Krankheit des Vaters nicht einmal zur Kenntnis nahm, geschweige denn sich kümmerte. Mit meinem Bruder habe ich eine ähnliche Erfahrung gemacht, und das hat mit "Jammern" nichts zu tun, es ist einfach ein Fakt. Insofern bin ich da ganz bei ihr.
Und die Situation des Nachmittags/Abends als auf den Bruder des Vaters gewartet wurde - beklemmend! All die Erwartungen, die im Raum mitschwingen und von denen sich keine einzige erfüllt. Warten, Enttäuschung, Wut, Sprachlosigkeit, der Vater verschwindet ohne ein weiteres Wort im Schlafzimmer, die anderen vertilgen das komplette Essen. Eine Situation, die allen vor Augen führt, wie wenig sie miteinander zu tun haben, dass es offenbar auch keinen Weg zueinander gibt. Und es gibt noch nicht einmal einen Sündenbock für den verdorbenen Tag, denn der erwartete Gast ist tödlich verunglückt...
Sprachlich empfinde ich den Roman als herausfordernd, lange Schachtelsätze mit einer Vielzahl von Informationen. Trotz der Zeitsprünge und des anspruchsvollen Schreibstils gefällt mir der Roman bisher recht gut. Ich bin gespannt, was sich in der Familie noch so alles offenbart.
Ein Kandidat für den kommenden Deutschen Buchpreis?