1. Leseabschnitt: Erstes Stück (Seite 5 bis 64)

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Bewusstseinsstrom ist auch die Vokabel, die mir gleich in den Sinn gekommen ist. Mrs. Dalloway lässt grüßen;)

Man bekommt die Notlage des Erzählers sehr plastisch mitgeteilt. Er hat schon lange nichts gegessen, es geht ihm schlecht. Doch er tut alles, um diese Tatsache vor seiner Umwelt zu verbergen. Das hat etwas sehr Verzweifeltes an sich. Dadurch verschenkt er noch das Wenige, was er hat, um den Eindruck zu zerstreuen, er könnte ein armer Mann sein.

Sein Verhalten ist völlig widersinnig. Seine Stimmungen schwanken. Er ist tatsächlich ein guter Geschichtenerzähler. Die Leute glauben ihm oder sind zumindest fasziniert wie die junge Frau, die angeblich ein Buch verlieren würde.

Ich hatte gehofft, er würde in sein Zimmer zurückgehen. Ohne Wohnung wird seine Talfahrt sich beschleunigen. Nun hat er den Brief gefunden. 10 Kronen könnten ihn eine ganze Weile über Wasser halten, aber unser Prota kann mit Geld nicht umgehen. Wie gewonnen, so zerronnen, könnte man sagen. Wie konnte er dem hinkenden Mann 2/3 des Westenerlöses geben?!? Fragt man sich. Der Mann hat seine 7 Sinne nicht mehr beieinander. Mir kommt sein Zustand wie eine Art Delirium vor. Er trinkt ja auch wenig... Ob es nur am Zustand liegt, oder ob er generell etwas wirr drauf ist, lässt sich nicht sicher sagen.
"Die Jungfer" machte eine Bemerkung in der Richtung, dass der Prota dafür bekannt ist, dass er sein verdientes Geld gleich wieder weggibt (S. 43)." Seine Armut resultiert eindeutig auch aus eigener Blödheit.

Er widersteht der Versuchung "zum Onkel" zu gehen. Ist das nur ein Pfandleiher oder eine kriminelle Type? Der Prota ist stolz, noch immer rechtschaffen zu sein. Das ist ihm ebenso wichtig, wie kein Bettler zu sein.
Aber Hamsun soll früher als Woolf gewesen sein. Ich dachte immer, Frau Woolf wäre die Erfinderrin des Bewusstseinsstroms... Egal, genial geschrieben ist es trotzdem. Was mich an der ein oder anderen Stelle etwas irritiert, ist, wenn sprachlich von der Vergangenheit in die Gegenwart gewechselt wird - auch von Satz zu Satz.
 

GAIA

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27. Dezember 2021
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Thüringen
Die Schriftstellerei wird hier als harter Job beschrieben, wo man nicht gewiss sein kann, ob der Verdienst für die Kosten des morgigen Tages reichen wird, vielmehr kann man sich überhsupt nichts wirklich gewiss sein.
Diese Beschreibungen von Hamsun haben mich an die Beschreibungen von Tove Ditlevsen bezüglich ihrer ersten schriftstellerischen Jahre erinnert. Sie ist 1917 geboren, damit etwas später als Hamsun und trotzdem ähnelt sich die Situation.

 

GAIA

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27. Dezember 2021
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Thüringen
Dennoch erhoffe ich mir auch etwas Entwicklung und nicht ein permanentes Umhertigern.
Du triffst meine Überlegungen auf den Punkt, die sich im kommenden LA noch verstärkt haben. Aber dazu dort mehr.
Es ist ein Bewusstseinsstrom, dem wir folgen, das sagt man doch so, oder?
Kann es sein, dass auch der Bewusstseinstrom in seiner Zeitform inkonsistent ist? Ich habe mir die Stellen nciht markiert, aber ich hatte das Gefühl, dass er in seinen Gedanken manchmal zwischen Präsens und Präteritum schwankt.
Der Mann hat seine 7 Sinne nicht mehr beieinander. Mir kommt sein Zustand wie eine Art Delirium vor. Er trinkt ja auch wenig... Ob es nur am Zustand liegt, oder ob er generell etwas wirr drauf ist, lässt sich nicht sicher sagen.
Ich würde sagen, ein bisschen von beidem. Anorektische Personen bekommen zunehmend kognitive Probleme, umso mehr die Nährstoffe fehlen. Gleichzeitig glaube ich, dass der Protagonist hier schon auch von der Grundpersönlichkeit her recht besonders ist. Ich denke, selbst mit vollem Magen ist er einer von den Menschen, die nicht gut mit Geld umgehen können, andere einfach mal einladen, etc. Meine Vermutung: Im Delir verstärken sich seine vorhandenen Tendenzen nur noch mehr. Du hast das so schön trocken benannt mit der eigenen Blödheit. ;)
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Oh, man, was für ein armer Kauz. Auf seine Art bemüht er sich ja, steht sich dabei aber selbst im Weg. Verkauft die Weste, ist berauscht vom Reichtum, und schwups weg ist es auch schon wieder.
Warum er allen immer einen Bären aufbinden will, erschließt sich mir nicht so ganz. Denkt er, die Leute halten ihn dann für respektabel? Ihm muss doch bewusst sein, was er für eine klägliche Figur abgibt.
Glück für ihn, dass er am Ende dann doch nochmal in die alte Wohnung geht, und den Brief findet. 10 Kronen, eine Menge, erst Recht für jemanden der großen Hunger hat. Bin gespannt, ob er diesmal umsichtig ist, und er fortan regelmäßig versucht Essays zu veröffentlichen, um sich diese Lage zu ersparen. Aber irgendwie glaube ich nicht so recht, dass er es schafft
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Dennoch ist es auch ein anstrengendes Buch.
Da stimme ich dir voll und ganz zu. Ich habe nicht das Gefühl, dass die Seiten nur so dahin fliegen, man muss konzentriert lesen. Außerdem ist alles recht traurig, nur gut, dass seine Art oft Anlass zum schmunzeln gibt, ansonsten wäre es mir zu viel
 

Barbara62

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19. März 2020
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Kann es sein, dass auch der Bewusstseinstrom in seiner Zeitform inkonsistent ist? Ich habe mir die Stellen nciht markiert, aber ich hatte das Gefühl, dass er in seinen Gedanken manchmal zwischen Präsens und Präteritum schwankt.
Der Wechsel der Zeitformen ist mir auch aufgefallen und ich kann mir bisher keinen Reim darauf machen.
 
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Reaktionen: kingofmusic und GAIA

Barbara62

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19. März 2020
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Baden-Württemberg
mit-büchern-um-die-welt.de
Du hast das so schön trocken benannt mit der eigenen Blödheit. ;)
Mir erschien das nicht als Blödheit, sondern als er der manische Versuch, die eigene Geldnot zu verschleiern, vielleicht sogar vor sich selbst. Wobei mir einfällt, dass das dann doch auch schon wieder blöd ist. :think
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Der Wechsel der Zeitformen ist mir auch aufgefallen und ich kann mir bisher keinen Reim darauf machen.
Je länger ich lese umso mehr bin ich überzeugt, dass mir dieses Phänomen des Zeitenwechsels schon öfter in Büchern mit Bewusstseinsstrom begegnet ist. Ich muss später mal in einem Buch aus dem letzten Jahr gucken (hab gerade den Titel nicht parat :cool:). Einen direkten Reim kann ich mir auch nicht machen, aber ich empfinde es nicht (mehr) als störend.
 

parden

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13. April 2014
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Niederrhein
www.litterae-artesque.blogspot.de
Das ist mal kein Roman, der einen direkten Lesesog hervorruft. Ich finde die Erzählung eher anstrengend zu lesen, der Mensch (hat er eigentlich einen Namen?) macht mich mit seinen ständigen abrupten Richtungswechseln in Gedanken, Gefühlen und Taten ganz wuschig. Alles toll, ach nein, alles blöd und hoffnungslos, ich bin der Größte, ach nein, ich schaffe eh nichts, ich bräuchte dringend Geld, ach nein, ich verschenke es lieber, damit keiner denkt, dass ich arm bin und mir eine Spende nicht leisten kann - Hilfe! Von himmelhochjauchzend zu zu Tode betrübt innerhalb von einer Sekunde - und gleich wieder zurück. Der Stolz scheint das Letzte zu sein, das ihm nicht genommen werden kann, weshalb er so erpicht darauf ist, den Schein zu wahren - ständige Ausreden, weshalb er etwas verpfändet, weshalb alles gar nicht so arg ist wie es scheint usw. Auch ich hoffe, dass im Verlauf eine Entwicklung stattfindet... Mal sehen.
 

milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
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Ist es Hochnäsigkeit, die immer wieder dazu führt, dass er an andere Leute Geld/Dinge verschenkt, damit er nicht allzu arm dasteht vor ihnen?

Ich finde, er ist ein Aufschneider und Hochstapler. Mir ist er bisher leider nicht sympathisch und mein Mitgefühl hält sich in Grenzen, denn sein törichtes Verhalten hat erheblichen Anteil an seiner Lage.

Kann es sein, dass auch der Bewusstseinstrom in seiner Zeitform inkonsistent ist? Ich habe mir die Stellen nciht markiert, aber ich hatte das Gefühl, dass er in seinen Gedanken manchmal zwischen Präsens und Präteritum schwankt.

Dein Gefühl bzgl der Zeitformen täuscht dich nicht, liebe @GAIA :cool:. Es ist an vielen Stellen so. Zu viele um sie alle aufzuzählen ha ha ha.

Je länger ich lese umso mehr bin ich überzeugt, dass mir dieses Phänomen des Zeitenwechsels schon öfter in Büchern mit Bewusstseinsstrom begegnet ist. Ich muss später mal in einem Buch aus dem letzten Jahr gucken (hab gerade den Titel nicht parat :cool:). Einen direkten Reim kann ich mir auch nicht machen, aber ich empfinde es nicht (mehr) als störend.

Mich macht das schier wahnsinnig. Selbst wenn es als Stilmittel so gewollt ist, reißt es mich jedes Mal wieder aus dem Lesefluss raus.

Ich verstehe das System hinter den Anmerkungen leider auch nicht. Manche Orte werden erklärt, andere nicht. Sehr inkonsequent. Vielleicht werde ich sie künftig einfach ganz ignorieren.

Ansonsten geht es mir bisher so wie @parden . Ich empfinde das Lesen als etwas zäh und anstrengend, was vor allem an den wechselnden Launen liegt. Bis jetzt bin ich noch nicht begeistert. Ich hoffe, er bekommt noch die Kurve.
 

ulrikerabe

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14. August 2017
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Wien
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Ein seltsames Buch! Trotz des eigentlich schwierigen Themas muss ich oftmals richtig lachen, weil der Humor so schön irre ist. Beispielsweise als der Ich-Erzähler diese Frauen verfolgt und sich irgendeinen Namen ausdenkt. Oder als er mit dem Halbblinden auf der Bank sitzt und sich mal eben eine komplette Geschichte ausdenkt, die sein Gegenüber nicht nur glaubt, sondern sogar zu bestätigen scheint. Herrlich!
dann hast du einen ähnlichen Humor wie Astrid Lindgren :)
Bewusstseinsstrom ist auch die Vokabel, die mir gleich in den Sinn gekommen ist. Mrs. Dalloway lässt grüßen;)
ja, auch das Glöckengeläute, das immer wieder tönt

ege wach in meiner Dachkammer" bis "...Olsens frisch gebackenes Brot" erklären? Sieht er das in der Erinnerung bzw. vor seinem inneren Auge? :think Bin ziemlich verwirrt...

Ich würde sagen, die Werbung gehört zu den Zeitungsanzeigen des Morgenbladet, mit dem das Zimmer tapeziert ist?
die zwei Treiber: ausgehungert nach Nahrung(Olsen Brot.) und nach der Anerkennenung fürs Schreiben/Fabulieren (die Zeitung) gleich in den ersten Absätzen. Dann kommen auch noch die Leichentücher, was für Aussichten!

Ich höre auch parallel, allerdings diese Version


Vielleicht färbt die Stimme auch auf die Stimmung ab, der Vortrag ist überwältigend wie Oscar Werner diese verzweifelte Arroganz transportiert.

In dem Erzähler kocht sehr viel hoch, durchaus auch widersprüchliches: Scham, Stolz, Selbstüberhöung. Das Hadern mit Gott. Würde heute noch viele Gott für das eigene Scheitern verantwortlich machen? Schuld muss doch irgendwer anderer sein...
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Vielleicht färbt die Stimme auch auf die Stimmung ab, der Vortrag ist überwältigend
Das geht mir in meiner Fassung auch so. Ich möchte eigentlich lieber hören als lesen. Die Interpretation ist großartig, man kommt gar nicht auf die Idee, dass etwas "lustig" sein könnte, weil die Verzweiflung dominiert. Heute ist Hausarbeit angesagt, da sollte ich weiter kommen. Beim Laufen hatte ich in letzter Zeit immer nette Gesellschaft - da wäre ein Hörbuch unhöflich :grinning