1. Leseabschnitt: Erstes bis Zweites Kapitel (S. 7 bis 59)

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Ja, ich auch. Das Erste, was ich gelernt habe.
Die Mutter scheint eine echte Egozentrikerin zu sein. Schade, dass wir nicht erfahren haben, ob die Ehe eine glückliche war.
So wirkte sie auf mich auch, allerdings wird sie es auch nicht immer leicht gehabt haben. Ihr Mann wollte zum Beispiel nicht, dass sie mit den Kindern über Brasilien spricht, und auch das Ansehen in Lübeck spielte ja in den Kreisen eine große Rolle, da wird sie sicher sehr stark beobachtet worden sein, alles was man macht wird bewertet
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Mir gefällt das Buch bisher ganz gut. Ich finde es schlüssig, dass der Autor bereits im Elternhaus beginnt. Er scheint es recht allumfassend anzugehen, was ich gar nicht schlecht finde.

War Mann wirklich homosexuell? Ich würde ihn eher als bisexuell bezeichnen. Mich hat es auch irritiert, welche sexuellen Gedanken ihm hier untergeschoben werden. Ehrlich gesagt, empfinde ich das als ziemlich störend. Ich hoffe, es zieht sich nicht durch den Roman, befürchte es aber schon.
Vielleicht hätte er in der heutigen Zeit seiner Neigung nachgegeben und es damals aus Vernunftgründen nicht gemacht.
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Ja, das sehe ich auch so. Allerdings ist das ein Bereich seines Lebens, den er für sich behalten haben wird. Homosexualität galt ja noch als pervers und stand unter Strafe. Insofern halte ich die zahlreichen diesbezüglichen Anspielungen tatsächlich überwiegend für fiktional. Das schmälert meinen Lesegenuss bislang aber nur wenig ;)
In "Was geschah mit Schillers Schädel?" schreibt Rainer Schmitz, dass Thomas Mann seine Jugendtagebücher vernichtet hätte, sich aber in seinen späteren Tagebüchern (vor allem 1949 bis 1952) offen zu seinen homoerotischen Neigungen bekannt hätte. Besonders ein Junge namens Klaus Heuser hätte ihm "am meisten Gewährung" entgegen gebracht, mit ihm hätte er "die schönsten zwei Wochen" seines Lebens verbracht: "Nach menschlichem Ermessen war das meine letzte Leidenschaft - und es war die glücklichste".

Damit, dass sein Sohn Klaus ebenfalls schwul war, scheint er aber gar nicht so gut klargekommen zu sein - schreibt Rainer Schmitz (unter Berufung auf einen Artikel im "Stern" 24/1991). Später gern mehr dazu.
 
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Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
Dass Thomas Mann homosexuelle Neigungen hatte, ist eigentlich unumstritten. Es ist immer die Rede von unterdrückten Neigungen, da er in einer festen Ehe gelebt hat.
Fiktiv dargestellt meine ich damit. Wie ungeheuer genau man sich schreiberisch ausdrücken muss, merke ich immer wieder. Arme Schreiberlinge. Ich meine, dass die diesbezüglich beschriebenen Szenen natürlich Fiktion sind, wärend anderes faktisch abgebildet wird.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Der Romananfang erinnert mich darüber hinaus extrem an Manns Erstling „Die Buddenbrooks“, in dem er die Geschichte seiner eigenen Familie verarbeitet. Ob Toíbín das beabsichtigt hat?
Da Thomas Mann sich bei den „ Buddenbrooks“ auf seine eigene Familiengeschichte bezieht, lässt sich diese Ähnlichkeit nicht vermeiden.
Da ist das Gefühl für seinen Freund Armin Martens realistischer, der sehr cool auf die Thomas Gedichte reagiert und nur verlangt, die Gedichte niemandem zu zeigen. Erwidert wird die Liebe nicht. Die Episode mit Willri dient eher einem sexuellen Austesten.
So habe ich auch beide Stellen interpretiert. Armin erkennt, worauf Thomas‘ Schwärmerei hinausläuft, will davon aber nichts wissen. Und die Erlebnisse mit Willri sind dem ersten sexuellen Ausprobieren geschuldet.
ob die Nachwelt die homosexuellen Neigungen Manns nicht über- und ausinterpretiert hat. Letztlich war der Mann verheiratet, seine Frau stand fest an seiner Seite und zahlreiche Kinder gab es auch...
Überinterpretiert glaube ich nicht. Man ist doch erst durch die Tagebücher so richtig auf seine Homosexualität gestossen worden. ( Auch wenn manches aus seinem Werk den Verdacht nahegelegt hat.)
Ehefrau und Kinder sind kein Gegenbeweis. Da man bis vor einigen Jahren kaum offen zu seiner Veranlagung stehen konnte, waren viele Homosexuelle verheiratet. Ich kenne persönlich zwei Männer, die erst in späten Jahren ihr Coming- Out hatten, beide verheiratet, beide haben Kinder. Ein Musikerkollege meines Mannes hat sich erst vor einigen Jahren von seiner Frau getrennt und ist nun mit einem Mann verheiratet. Obwohl alle noch miteinander befreundet sind, war es damals ein schmerzhafter Schritt.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Mir kommt dieses Lübeck wie ein Dorf vor. Es wird geredet und geklatscht.
So groß ist Lübeck nicht und die wichtigen Familien kannten sich. Und deshalb wird auch geklatscht. Dass die Frau Overbeck lästert ist wohl klar. Wahrscheinlich hätte sie gerne ihre unverheiratete Tochter mit dem Senator verheiratet gesehen. Da kränkt es natürlich, wenn dieser eine brasilianische Schönheit bevorzugt.
Augenblick sieht es so aus, als ob dieser ein falsches Spiel gespielt hätte und gegen den Bruder oppuniert. Vielleicht hält er aber wirklich nichts von Thomas´Gedichten - dann hätte er das aber auch dem Bruder sagen sollen.
Hier ist schon die lebenslange Rivalität zwischen den Brüdern spürbar.
Was die Syntax angeht, kann ich euch nur zustimmen. Habe mich mehrmals dabei ertappt, dass ich denke, ich lese einen Thomas Mann Roman ;).
Das macht Colm Tóibín großar, wie er sich in Sprache und Stil an Thomas Mann anpasst.
Woher der Autor sein Wissen bezieht, würde ich auch gern erfahren
Das führt er hinten auf. Nicht nur die Schriften Thomas Manns und seiner Angehörigen, sondern noch eine lange Liste an Sekundärliteratur.
 

Anjuta

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8. Januar 2016
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Essen
Ein Buch zum Eintauchen. Bereits auf der ersten Seite fühle ich mich so als könnte ich Lübeck und die Charaktere vor mir sehen. Die Welt Thomas Manns als Jugendlicher und Nachkomme einer angesehenen Kaufmannsfamilie erscheint vor meinen Augen. Die Beziehungen zwischen den Geschwistern, die so unterschiedlich sind, wie sie nur sein können, wird mit Tiefe und Einfühlungsvermögen erzählt. Die Erwartungen der Eltern ebenso. Ich möchte einfach nur eines: weiterlesen!
Die Bezüge zu den Buddenbrooks sind sehr klar und deutlich. Liegt das an Toibin oder wohl doch eher an Thomas Mann, der in diesem Roman sehr erkennbar seine eigene Familie und das Leben in der Lübecker Bürgergesellschaft verschlüsselt hat?
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Ein Buch zum Eintauchen
So fühle ich mich auch. Ich freue mich einfach aufs Weiterlesen. Die Atmosphäre trifft Toibin sehr gut, außerdem ist die Figurenzeichnung vom Feinsten. Man sieht sie förmlich vor sich. Man fühlt sich bei Toibin an Thomas Mann erinnert und bei der Familie Mann an die Buddenbrooks. Das klingt alles sehr vertraut.
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Ich hatte gerade Gänsehaut beim Lesen der 1. Seite des 2. Kapitels - ich habe förmlich das Orchester gehört und gesehen. Großartig!
 
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Reaktionen: Sassenach123

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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In „ Königsallee“ lässt der Autor Hans Pleschinski den alten Thomas Mann kKlaus Heuser in Düsseldorf wieder treffen.
Von dem Autor habe ich Wiesenstein gelesen, es jedoch als sehr zäh empfunden. Wie ist es in Königsallee, ist der Schreibstil angenehm zu lesen?