1. Leseabschnitt: EINS bis DREI (Beginn bis Seite 69)

Literaturhexle

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2. April 2017
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Natürlich haben wir den Prolog ganz sorgfältig gelesen, Christian. Ist er ein Omen? Schauen wir deshalb mit Lise ängstlich hoch zum Berg, und vermuten, dass der Vulkan ausbricht?
Der Prolog könnte uns ja auch etwas über die Entstehungsgeschichte der Insel erzählen? Auf alle Fälle sind dessen Bilder sehr eindringlich und poetisch.

Poesie - das ist es auch, was mich aus diesem Roman überall anlächelt! Auf eine so schöne, erwärmende, melancholische Art. Wie fein hier Gefühle dargelegt werden. Denn bis jetzt dreht sich viel um Gefühle, allzu viel ist ja noch nicht passiert. Ich bin regelrecht begeistert! Man erspürt so vieles: Jon, der etwas vergeistigte, vaterlose Außenseiter, der den Vater so sehr vermisst. Martha, seine Lehrerin, spürt das, möchte ihm Zuwendung schenken, hat aber mit ihrem eigenen Joch zu tun, das aus der erkalteten Ehe mit Bert und ihrer desorientierten Mutter besteht.

Jons Mutter Lise fehlt der Ehemann auch. Während die Hebamme andeutet, dass Lars auf dem Grund des Meeres liegt, sieht Lise viel klarer:
Lise hat ein Kind, der Mann ist fort. Ein am Grund zerbröckelter Krebs oder einer, der ans Ufer kam und sich einen neuen Panzer wachsen ließ. 19
Wie hellsichtig diese Frau ist. Sie hat die Veränderung wahrscheinlich gleich wahrgenommen (die toten Blumen hat sie vergraben). Uns fehlt ja noch ein Stück in der Entwicklung. Lise ist eine nachdenkliche, scharf beobachtende Frau, muss sich dafür auch rechtfertigen. Den anderen Frauen fehlt das Verständnis dafür.

Im Grunde würde Lars zu Martha passen und Lise zu Bert. Dann gäbe es ein Paar, das Tristan verlässt und irgendwo neu anfängt und eines, dass am Ort glücklich würde. Nicht jeder ist für ein solch einsames, autarkes Leben geschaffen - zumal wenn man wie Lars schon zuviel von der Welt gesehen hat.
Aber ringsum wogt die große Erde, und ich gehöre nicht zu den einheimischen Spezies. 31
Im Grunde versorgt uns die Autorin mit Informationen, die fast ebenso kärglich wie die Insel sind. Auf den ersten Blick. Auf den zweiten stecken in kurzen Sentenzen geballte Informationen, ziemlich spröde verpackt:
Auf Tristan ist niemand ein Sir, und alle helfen, jeden Tag.

Sie ist Heimat, sie ist der einsamste Ort auf der Welt, und ich bin dort nie allein.

...und ich weiß, dass ich bald genauso stinken werde, dass ich bald wieder zu dieser Herde gehöre, die gemeinsam lebt und jagt und liebt.
Diese kurzen Sätze, die soviel aussagen über die Emotionen der Protagonisten, gibt es ständig. Ich mag diese Bilder. Sie finden in mir einen Widerhall, ich kann mich richtig in das Buch fallen lassen. Das passiert mir nur bei solch weichen, poetischen Texten.

Man hätte Martha und Bert mehr Glück gewünscht. Es fing doch so viel versprechend an. Doch das anfängliche Funkeln ist verblasst...
Martha wollte zu Hause weg. Die Ehe war ihre Zuflucht. Nun stellen sich aber keine Kinder ein (wie es wahrscheinlich bei allen Paaren auf der Insel selbstverständlich ist), dafür aber der Alltag, dem Bert nicht gerecht wird. Ich verstehe ihren Frust. Wie gut, dass sie sich als Lehrerin verdingen kann. Nur im Haus ginge sie vermutlich ein.

Die Rückblicke waren aufschlussreich. Nun bin ich gespannt, wie es im Jahr 1961 weitergeht.
 
G

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Nun zum Personal:

Lars, der Vater von Jon und der Mann von Lise, er geht Geld verdienen um seiner Familie und sich einige Luxusgüter zu ermöglichen. Aber ist dies der alleinige Grund? Und schließlich tobt das Leben und es begegnet ihm die Liebe?/ein Gefühl und dies ist sein Freifahrtschein von der Insel. Aber wirkt er in London glücklich? Nicht unbedingt. Ist dies nur das schlechte Gewissen?

Lise und Jon, die Zurückgelassenen, natürlich unglücklich. Das Kind in sich zurückgezogen, schnell erwachsen geworden. Warum? Die Frau/Mutter wirkt ebenso in sich zurückgezogen. Warum? Verbirgt sich da noch mehr?

Die alte Henderson, die Hebamme der Insel, die die Aufmerksamkeit von Lise und Elide sucht, Neugier und Wissensdurst, wegen der Einsamkeit oder ...?

Elide, die Freundin von Lise (ist dies eine wirkliche oder eine Zweckfreundschaft?) und ihr Mann Paul.

Martha, will heiraten, will von zu hause fort, heiratet sie etwa nur deswegen? Denn die Mutter von Martha scheint nicht völlig gesund zu sein. Und wo ist der Vater? Martha heiratet Bert, die Ehe bleibt kinderlos, was ihren Mann Bert von einem aktiven Menschen zu einem passiven/depressiven? Mann verändert. Eine heftige Reaktion!

Marthas Bruder Sam, hilft der Mutter, wie es auch Martha macht.
 

Literaturhexle

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Für mich klingt das einfach nur fremd, nicht gruselig. Für die Menschen ist das der ganz normale Alltag. Sie sind auf der Insel aufgewachsen. Kennen nichts anderes.
Sehr treffend beschrieben. Volle Zustimmung:smileeye
Die Sprache ist schön. Die Personen deutlich.
Ich freu mich auf den nächsten Teil
Jep:cool:. Sehr!
ts, ihren Namen kennen wir noch nicht. Du schon, weil du schon weiter bist, Ruthie.
Nein. Der Name wurde ganz am Anfang von Lars erwähnt;)- S. 28
 
G

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Eine Frage in die Runde. Wie interpretiert ihr dies? Ist auf Seite 54 zu finden.
Elide und Paul schenken ein Ochsengehörn, in das die Namen der Liebenden eingraviert sind. "Und ein Herz in der Mitte" sagt Elide und stößt Paul an, der sich die Hände reibt, als würde er zwischen ihnen einen Zahn, der ihm aus dem Mund gefallen ist, zermahlen.
Das klingt für mich irgendwie komisch.
 

Wandablue

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Aber mit Diaz kann man dieses Buch gar nicht vergleichen
Ich habe das anders gemeint.
Das vorige Buch, das man las, prägt einen schon ein bisschen.
Von der Sprache her.
Beeinflusst. Und bei einigen war Diaz das letzte.
Diaz Sprache ist auch schön, aber im Vergleich hart.
Doch. Sprache kann man schon vergleichen. Warum nicht?
Das machen Sprachwissenschaftler andauernd.
 

Wandablue

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Durch die Enge und durch das Wissen wie Menschen sind und reagieren können, wenn es keine Fluchtpunkte gibt.
Jaaa, eine Eskalation ist immer möglich. Aber es hat wohl schon jahrhundertelang funktioniert oder? Na gut, gucken wir mal. Wenn du das so siehst, bei mir herrschte das Gefühl von eintönigem Alltag vor.
 
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Ich habe das anders gemeint.
Das vorige Buch, das man las, prägt einen schon ein bisschen.
Von der Sprache her.
Beeinflusst. Und bei einigen war Diaz das letzte.
Diaz Sprache ist auch schön, aber im Vergleich hart.
Doch. Sprache kann man schon vergleichen. Warum nicht?
Das machen Sprachwissenschaftler andauernd.
Ich habe deine Formulierung auch als eine Art Prägung verstanden, Auch mir geht es so, dass ein Roman, der nach einem besonders guten Buch gelesen wird, es schwerer hat bei mir gut anzukommen, weil mein Maßstab höher hängt. Und deswegen war ich einfach nur froh, dass nach "Treue" bei mir ein sprachlich und in der Gestaltung schwer zu lesendes Buch folgte, welches sowieso viel Aufmerksamkeit erfordert.
 

Literaturhexle

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Meines Erachtens sind die Figuren absolut stimmig angelegt. Viele sind ähnlich wie ihre Vorfahren weitgehend zufrieden auf der Insel. Man hat auch viel Arbeit und tägliche Sorgen, so dass nicht allzu viel Zeit bleibt zum Grübeln. Das Grübeln über die Fragen "Bin ich glücklich? Bin ich in meinem Leben angekommen? Will ich hier sein? Etc." sind eher eine Auswirkung der Neuzeit. Selbst unsere (Groß-)eltern haben das Leben noch so genommen, wie es kam.
Diese Insel als abgeschlagener Mikrokosmos liefert da noch weit weniger Auswege. Sehr authentisch das Ganze. Grusel habe ich also keinen, aber ein leichtes Unwohlsein wegen des Vulkans.
 
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Weil du was anderes kennst.
Die meisten, Beispiele Freundin Lise, und auch Bert, finden das Leben ganz ok auf der Insel.
Bevor er eine Hoffnung auf eine Vaterschaft hatte, gefiel ihm das Leben auf der Insel schon, ja. Aber den Wechsel danach fand ich sehr interessant.
Mir kommt es so vor, dass sich die Menschen mit ihren Gegebenheiten anfreunden müssen. weil es nicht einfach ist da wegzukommen.
 

Wandablue

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Meines Erachtens sind die Figuren absolut stimmig angelegt. Viele sind ähnlich wie ihre Vorfahren weitgehend zufrieden auf der Insel. Man hat auch viel Arbeit und tägliche Sorgen, so dass nicht allzu viel Zeit bleibt zum Grübeln. Das Grübeln über die Fragen "Bin ich glücklich? Bin ich in meinem Leben angekommen? Will ich hier sein? Etc." sind eher eine Auswirkung der Neuzeit. Selbst unsere (Groß-)eltern haben das Leben noch so genommen, wie es kam.
Diese Insel als abgeschlagener Mikrokosmos liefert da noch weit weniger Auswege. Sehr authentisch das Ganze. Grusel habe ich also keinen, aber ein leichtes Unwohlsein wegen des Vulkans.
auf Island gerade mal wieder aktuell. Nähe Hauptstadt. Vulkantourismus finde ich gruselig.
 

Literaturhexle

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Eine Frage in die Runde. Wie interpretiert ihr dies? Ist auf Seite 54 zu finden.

Das klingt für mich irgendwie komisch.
Das Gehörn ist ja ein seltsames Geschenk. Möglicherweise soll es männliche Potenz symbolisieren. Das Herz in der Mitte als Symbol für ein gemeinsames Kind? Auf die Potenz komme ich, weil sich Paul ja hämisch die Hände reibt (bildlich beschrieben durch den Zahn, der gemahlen wird). Er denkt gewiss an etwas Schlüpfriges dabei (Männer eben!). Nur eine Idee. Vielleicht haben andere bessere Interpretationen;)
 
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Das Gehörn ist ja ein seltsames Geschenk. Möglicherweise soll es männliche Potenz symbolisieren. Die Form der Hörner lässt ja das luftige Herz in der Mitte erscheinen. Auf die Potenz komme ich, weil sich Paul ja hämisch die Hände reibt (bildlich beschrieben durch den Zahn, der gemahlen wird). Nur eine Idee. Vielleicht haben andere bessere Interpretationen;)
Da interpretiere ich rein gar nichts. Es gibt nicht allzu viele Dinge auf dieser kargen Insel, die man verschenken kann. Ich reihe es in die Walfisch und andere Zähne ein, die man graviert. ich finde das alles hässlich, aber es gibt halt nicht so viel Zeugs dort, also graviert man in Knochen Sachen. Es ist wie ein geknüpfter Teppich bei uns. Handmade. Ein Herzchen. Und Ochsen sind kastriert, also nix mit Phallussymbol und so.
 
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Gelöschtes Mitglied 2403

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Das Gehörn ist ja ein seltsames Geschenk. Möglicherweise soll es männliche Potenz symbolisieren. Die Form der Hörner lässt ja das luftige Herz in der Mitte erscheinen. Auf die Potenz komme ich, weil sich Paul ja hämisch die Hände reibt (bildlich beschrieben durch den Zahn, der gemahlen wird). Nur eine Idee. Vielleicht haben andere bessere Interpretationen;)
Jemand, dem Zähne/oder Zahn (weiß nicht) fehlen und deswegen nicht mehr mit offenem Mund lächelt, zerreibt einen Zahn, weil er sich diebisch freut. Das klingt doch eigen oder? :rofl
 
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Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Ich hatte den Eindruck, die Leute machen alle Verlegenheitsgeschenke, weil sie nichts Richtiges zum Verschenken haben. Wo sollte es auch herkommen? Wie kann man sich überhaupt irgendetwas anschaffen in diesem Setting, ohne dass alle es mitbekommen? Und wie geht man ein Hochzeitsgeschenk kaufen?

Zahnlosigkeit wird ja gern mit mangelnder Potenz assoziiert. Vielleicht hat Paul ein Problem?
 

Wandablue

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Jemand, dem Zähne/oder Zahn (weiß nicht) fehlen und deswegen nicht mehr mit offenem Mund lächelt, zerreibt einen Zahn, weil er sich diebisch freut. Das klingt doch eigen oder? :rofl
Vllt ist es (nur) eine Redewendung. Andere Sprachen haben komische Redewendungen. Im Türkischen gibt es die Redewendung "using your hair as a broom" - da kommt man auch nicht drauf, dass das bedeutet, bis zur Erschöpfung zu arbeiten und danach ausgewrungen zu sein.