1. Leseabschnitt: Die Wellen (Beginn bis Seite 81)

Emswashed

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9. Mai 2020
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Eigentlich ist schon alles im ersten Satz gesagt: "In diesem Sommer verliebte ich mich, und meine Mutter starb."

Wir lesen, wie Sam (15) diesen Sommer (mit einem Jahr Abstand) in Erinnerung hat und mit seinen Erinnerungen erleben wir ihn als schüchternen, unsicheren Jungen kennen.
Dieser Sommer ist voller Umbrüche, nicht nur er verändert sich, sondern auch sein unmittelbares Umfeld. Sein bisher bester Freund Stevie ist weggezogen, seiner Mutter geht es wieder schlechter und er nimmt seinen ersten Job ab. Und außerdem ist da noch Kirstie, die seine Aufmerksamkeit beansprucht.
Aber auch das Metropolis-Gespann, Kirstie, Cameron und Hightower scheinen nicht immer und überall die Coolen zu sein.
Der erste Kuss kommt dann überraschenderweise von Sarah.
 

Querleserin

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30. Dezember 2015
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Wadern
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Sam schwankt zwischen der Angst um seine Mutter, die einen Gehirntumor hat(te) und der es gesundheitlich besser geht und dem Wunsch, etwas zu erleben. Endlich hinter die 49 Geheimnisse (=Anzahl der Kapitel im Roman) seiner Heimatstadt Grady im Bundesstaat Missouri zu kommen. Er ist ein Einzelgänger, der zurzeit keine Freunde hat. Als Kind hatte er Panikattacken und war in psychotherapeutischer Behandlung, immer noch fällt es ihm schwer sich unter Gleichaltrigen cool und gelassen zu verhalten. Die Clique im Kino, die älter ist als er, weist ihn zunächst freundlich zurück, doch nachdem er sich Kristie offenbart, ihr seinen Kummer und seine Ängste anvertraut hat, verschiebt sich das Gleichgewicht und er wird aufgenommen in dieses seltsame Trio: der Schwarze Hightower, der mit Diskriminierung konfrontiert wird, Cameron, der homosexuell ist und Kristie, die trotz ihrer Art unsicher wirkt.
Wie @Emswashed schon beschrieben hat, ist es nicht Kristie, von der er zum ersten Mal geküsst wird. Nichtsdestotrotz ist sie gemeint im ersten Satz, in sie hat er sich verliebt.
Wells gelingt es hervorragend, dass man sich in diesen Heranwachsenden hineinversetzen kann. Auf mich wirkt die Figur völlig authentisch. Selbst die Sprache zeigt Anklänge der Jugendsprache (Satzstellung bei Weil-Sätzen), aber auch schöne Metaphern, wie
"Es war der Anfang der Sommerferien, und von dem Berg an Langeweile, der vor mir aufragte, hatte ich noch nicht mal die Spitze abgetragen." (11)
Zum Rat der Schulpsychologin, aus sich herauszugehen:
"Nur, wenn man darüber nachdenkt, ist es ja eine Bankrotterklärung an das eigene Ich, wenn man besser dran ist, da rauszuschlüpfen und es wie eine kaputte Hülle zurückzulassen." (26)
Das Verhältnis zu seinem Vater ist im Gegensatz zu seiner innigen Beziehung zur Mutter eher distanziert.
"Mein Vater war mir oft wie eine heruntergelassene Jalousie vorgekommen. Doch an jenem Mittag konnte ich zumindest durch die Ritzen spähen." (47)

Mir gefällt der Roman außerordentlich gut und ich freue mich schon aufs Weiterlesen ;).
 

Xirxe

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19. Februar 2017
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Ich bin auch schon hin und weg von diesem ersten Teil. Zwar klingt der Text für einen knapp 17jährigen (er erzählt es ja ein Jahr später) schon recht erwachsen, aber kann ich locker hinwegsehen ;)
Grandios finde ich, wie es Wells trotz der für Sam so traurigen Situation immer wieder gelingt, richtig lustige Szenen einzubauen. Beispielsweise als er nach seinem ersten übermäßigen Alkoholgenuss über der Kloschüssel hängt (S. 52) - herrlich :D Auch Sams Selbstironie trägt dazu bei, dass es nicht zu rührselig wird, sondern ein Lächeln bereits auf der nächsten Seite auf einen wartet.
Bisher eine wirklich wunderschöne Lektüre - ich glaube, ich werde mit diesem Buch viel zu schnell durch sein ;)
 

Emswashed

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9. Mai 2020
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(=Anzahl der Kapitel im Roman)

Na na na, da hat aber jemand schon vorgeblättert!;) Aber, good to know!

Die Bankrotterklärung ans eigene Ich, fand ich auch sehr bemerkenswert!

Aber! Liebe @Querleserin , es heißt Kirstie, nicht Kristie... habs allerdings auch erst kapiert, als die Kirstin erwähnt wurde, und Sam diesen Namen eigentlich nicht mag.
 

Emswashed

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9. Mai 2020
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Auch Sams Selbstironie trägt dazu bei, dass es nicht zu rührselig wird, sondern ein Lächeln bereits auf der nächsten Seite auf einen wartet.

Ganz so euphorisch bin ich noch nicht. Mir ist der nahende Tod der Mutter immer noch zu präsent . Da hat mich der erste Satz wahrscheinlich nachhaltig geprägt.
Auch sind mir die "Familiengeheimnisse" der anderen viel zu schnell auf den Tisch gekommen.
 

Querleserin

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30. Dezember 2015
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heißt Kirstie, nicht Kristie...
Stimmt, Kirstie! Danke ;) aber nur vorgeblättert, Ich fand die Nummern gleich „verdächtig“ und da öfters auf die 49 Geheimnisse verwiesen wird, dachte ich, die Kapitel decken diese Schritt für Schritt auf. Eine Theorie, die ich aber noch prüfen muss.

Auch Sams Selbstironie trägt dazu bei, dass es nicht zu rührselig wird, sondern ein Lächeln bereits auf der nächsten Seite auf einen wartet.
Bisher eine wirklich wunderschöne Lektüre - ich glaube, ich werde mit diesem Buch viel zu schnell durch sein
Lächeln, sogar lachen musste ich auch mehrmals. Auch wenn ich die Szenen mit der Mutter auch belastend finde.
Deine Befürchtung viel zu schnell durch zu sein, teile ich ;).
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Fest steht, ich fühle mich sehr wohl in diesem Setting der 80er. Auch wenn Sam mir jetzt bereits leid tut, wenn ich nur daran denke, was ihm noch bevorsteht, bzw, was er schon alles durchmachen musste.
Viele tolle Formulierungen machen den Roman sehr lesenswert.
Sam ist schüchtern, leidet an vielen Ängsten, und seine Eltern wünschen sich, dass er Freunde findet. Für die Mutter hängt dieser Wunsch sicher mit ihrer Erkrankung zusammen. Es würde ihr sicher ein besseres Gefühl vermitteln, ihren Sohn in eine Welt zu entlassen, in der es Entchen gibt, die ihn nach ihrem Tod auffangen. Mit dieser Möglichkeit wird sie sicher rechnen, und das stelle ich mir schrecklich vor. Der Vater ist noch ein wenig undurchsichtig für mich, mal sehen wie sich das noch entwickelt. Aber auch er trägt eine harte Bürde, wenn ich mir auch wünschen würde, dass Sam in ihm einen Hält findet im Ernstfall.
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Grandios finde ich, wie es Wells trotz der für Sam so traurigen Situation immer wieder gelingt, richtig lustige Szenen einzubauen. Beispielsweise als er nach seinem ersten übermäßigen Alkoholgenuss über der Kloschüssel hängt (S. 52) - herrlich :D Auch Sams Selbstironie trägt dazu bei, dass es nicht zu rührselig wird, sondern ein Lächeln bereits auf der nächsten Seite auf einen wartet.
Stimmt, das ließ mich an meine erste Erfahrung denken. Gott, wie schrecklich, der Arme, ich musste nicht nur lachen, ich hatte auch tiefstes Mitgefühl mit Sam. Ob es tatsächlich hilft ein Bein auf den Boden zu stellen und mit der anderen Hand an die Wand zu fassen? Da ich kaum Alkohol trinke, kann ich das schwer prüfen. :D
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Bei dem Namen hatte ich direkt eine Vorstellung dieses Jungen vor Augen. Ein Schrank von Mann, wie in den Police Academy Filmen damals. Ich liebe ja diese ganzen Verbindungen zu den 80ern. Songs wie "Don't you", das Zitat von Ferris zu Beginn des Romans, es macht richtig Spaß, ich fühle mich mittendrin, wenn es nicht auch so schwermütig wäre
 

Xirxe

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19. Februar 2017
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Ob es tatsächlich hilft ein Bein auf den Boden zu stellen und mit der anderen Hand an die Wand zu fassen?
Aus eigener Erfahrung kann ich Dir sagen: Es hilft :cool:;)
Lest mal ganz hinten eine der letzten Seiten. Dort ist die Trackliste zu finden, die ich mir beim Lesen jetzt immer reinziehe. Hach, ich kann sogar noch mitsingen ... :D
 

wal.li

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1. Mai 2014
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Ich fühlte mich gleich wohl mit dem Buch. Obwohl es Sam ja nicht leicht hat. Seine Mutter ist schwer krank und sein bester und einziger Freund ist weggezogen. Nach einigen Startschwierigkeiten erweist sich der Ferienjob im Kino als Glücksgriff. Ich glaube, das hilft ihm so eine Balance zu halten. Sonst wäre die Situation daheim wohl allzu schwer.
Der Autor trifft den Ton des Jugendlichen sehr gut.
 

Emswashed

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9. Mai 2020
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da öfters auf die 49 Geheimnisse verwiesen wird, dachte ich, die Kapitel decken diese Schritt für Schritt auf. Eine Theorie, die ich aber noch prüfen muss.

Das habe ich gleich nach Deinem Hinweis auch versucht, bin aber nicht wirklich fündig geworden (bis auf ein süßes Geheimnis, kommt aber erst im 2.Leseabschnitt).

Es würde ihr sicher ein besseres Gefühl vermitteln, ihren Sohn in eine Welt zu entlassen, in der es Entchen gibt, die ihn nach ihrem Tod auffangen. Mit dieser Möglichkeit wird sie sicher rechnen, und das stelle ich mir schrecklich vor.

Was meinst Du mit Entchen? Aber ich denke, dass die Eltern schon längst wissen, wie es weitergeht, sie sich aber abgesprochen haben, Sam so weit wie möglich zu schonen.

Lest mal ganz hinten eine der letzten Seiten. Dort ist die Trackliste zu finden, die ich mir beim Lesen jetzt immer reinziehe.

Aaaah, danke!

Nach einigen Startschwierigkeiten erweist sich der Ferienjob im Kino als Glücksgriff.

Es schaut sogar so aus, dass die drei Sam erst in ihre "Gruppe" lassen, nachdem sie mitbekommen haben, dass er es auch nicht "so leicht" hat.
 
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Reaktionen: Querleserin und Xirxe

Circlestones Books Blog

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28. Oktober 2018
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Wienerin auf Rügen
www.circlestonesbooks.blog
Der Autor ist ja selbst noch jünger und deshalb trifft er den Ton des unsicheren, etwas schüchternen demnächst-Sechzehnjährigen so gut, für mich liest sich die Sprache authentisch. Das Setting, diese konervative Kleinstadt, umgeben von Wäldern und Feldern hat man sofort vor Augen. Sam passt sehr gut in diese Gruppe, die ja alle gegenüber den anderen Jugendlichen eine Art Außenseiter sind, nur mit mehr Offenheit und Erfahrungen als Sam, aber sie sind ja auch etwas älter. Die Situation der todkranken Mutter und der Druck, der durch diese Situation in Sam konstant präsent ist, ist realistisch bedrückend beschrieben, aber dem Autor gelingt es, das Buch trotzdem nicht zu einer deprimierenden oder auch kitischigen Lektüre werden zu lassen, für mich ergeben die Sprache und die Ereignisse ein Gesamtbild, das ich mit Freude lese. Allerdings weiß ich bisher nicht, was ich von dem Verhältnis Vater - Sam halten soll, gibt es überhaupt noch eine Beziehung, oder ist es nur mehr ein Nebeneinander? Gespannt bin ich auch, ob aus Kirstie mehr wird als eine wunderbare Freundin, in die Sam weiterhin heimlich verliebt ist.
 

Querleserin

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Ich möchte noch etwas zum Titel des Romans ergänzen: Sam muss in der nächsten Klasse einen Gedichtzyklus lesen, der den gleichen Namen trägt und 1893 von einem Schriftsteller verfasst wurde, der aus Grady stammt. (Name finde ich gerade nicht)
Einige Zeilen liest Sam und sie scheinen genau auf ihn zu passen:

"...Fort mit dem Traum!
Fort mit dem Idyll!
Jugend überdeckte die Risse, doch nun sehe ich die
Lügen meiner Eltern.
Die Lügen meiner Freunde.
Die Lügen meiner Stadt." (46)

Der Titel dieses Teilabschnittes "Wellen" klärt sich erst in Nummer 10 - gemeint ist die hügelige Straße und die Jugendlichen veranstalten eine Art "Wellenreiten" auf dem Pick-up. Doch Sam ist zu ängstlich, es auszuprobieren, doch Hightower rettet ihn, indem er sagt, es sei mutiger zuzugeben, dass man Schiss hat.
 
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milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
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Sprachlich hat mich der Roman ziemlich überrascht. Ich hätte weniger Jugendsprache erwartet, kannte den Schreibstil von Wells bis dato aber auch nicht. Ich weiß noch nicht so ganz, ob mir das gefällt. Es liest sich aber sehr süffig.

Inhaltlich konnte mich die Geschichte definitiv schon erreichen. Krebs bei den eigenen Eltern ist immer hart, aber für einen erst 15-Jährigen besonders. Und dann wissen wir ja auch bereits, dass das nicht gut ausgehen wird. Die Mutter ist zudem eine sehr sympathische Figur.

Ansonsten haben wir es mit den Themen zu tun, die Jugendliche eben bewegen: erste Erfahrungen mit Alkohol und Liebesdingen, Gruppenzugehörigkeit und pubertäre Unsicherheit. Nichts wahnsinnig Neues, aber es langweilt mich dennoch nicht.