1. Leseabschnitt: Budapest? (Beginn bis S. 49)

Sassenach123

Bekanntes Mitglied
27. Dezember 2015
4.295
10.430
49
49
Hier kann ich direkt nach den ersten Sätzen sagen, dass mir das Buch gefällt. Auch hier haben wir wieder, wie in dem anderen Buch das ich von der Autorin kenne, Passagen. die sich hauptsächlich einem Charakter widmen.
Ich habe direkt mit Jacob mitgelitten, die Schilderungein von ihm wie er sich fühlt während der Manöver, sehr ergreifend. Dann die Szene als er hinter einem Baum einen Rumänen ausmacht und ihn verschont. Die Autorin schafft es tatsächlich das man enorm mitfühlt. Am ergreifendsten wäre alles was mit seinem kleinen Bruder Henri zutun hat. Ein naturverbundener Junge, der für sein Entdeckertum gescholten wurde, naja, es waren halt andere Zeiten. Aber das Ende, der Sprung, die Schuhe, die vorher noch ausgezogen wurden….da fehlen mir fast die Worte. Ich habe Jacobs Tod fast als Erlösung wahrgenommen, sein Leid, sein Verlust, hatte so jedenfalls ein Ende.
Zu Beginn sah es für mich so aus, als wenn es hier reinweg um den Krieg und die traumatischen Erlebnisse von Jacob gehen wird. Daher war ich sehr überrascht, als er auf dem Hof so intensiv über seinen Bruder sprach, und dann den Brief mit der schlimmen Nachricht seiner Mutter bekam. Das hatte ich nicht erwartet, verleiht der Geschichte aber noch mehr Tiefe
 

parden

Bekanntes Mitglied
13. April 2014
5.835
7.675
49
Niederrhein
www.litterae-artesque.blogspot.de
Wo begegnet sich der Mensch? Im Krieg hat jeder seine feste Rolle, schwarz und weiß, Freund und Feind - und dient letztendlich doch nur Kanonenfutter. Wie groß die Sehnsucht nach ein wenig Menschlichkeit, nach einer Begegnung vom Ich zum Du. Die kleine Freundschaft zwischen Jacob und Liliensteiner, der eine legt dem fiebernden Freund einen nassen Lappen auf die Stirn, der andere teilt die Essensgaben der Bäuerin mit seinem Freund. Oder die Hingabe der Bäuerin, die spürt, dass Jacob nur so wieder aus seiner Trauer auftauchen kann. Oder auch die Verschonung des feindlichen Soldaten, nur aufgrund von dessen offenem Blick - Begegnung. Mir haben diese menschlichen Momente gut gefallen, aber um so krasser empfand ich dann das Triste, Sinnlose, Willkürliche, Menschenverachtende des Krieges. Das hat Iris Wolff gut herausgearbeitet. Überhaupt zeichnet sie starke Bilder.

Die Karpaten und die Walachei - das waren für mich bislang immer Synonyme für irgendwo im Nirgendwo, hier gewinnen sie an Konturen.
 

Querleserin

Bekanntes Mitglied
30. Dezember 2015
4.048
11.068
49
50
Wadern
querleserin.blogspot.com
Hier kann ich direkt nach den ersten Sätzen sagen, dass mir das Buch gefällt.
Geht mir genauso, man ist direkt in der Geschichte, in wenigen Sätzen.
Ich habe Jacobs Tod fast als Erlösung wahrgenommen, sein Leid, sein Verlust, hatte so jedenfalls ein Ende.
Einerseits Erlösung, andererseits hat ihm das Zusammensein mit Alma auch Trost gespendet, auch wenn diese Beziehung keine Aussicht hat, weiter gelebt zu werden. Jedenfalls ein sehr überraschender Twist und völlig unerwartet. Ich bin gespannt, wie der Faden jetzt weitergesponnen worden.
Die Landschaft ist jene, in der die Autorin ihre Wurzeln hat: Siebenbürgen, wo viele Deutschsprachige gelebt haben und das im Herzen Rumäniens liegt.
Mir haben diese menschlichen Momente gut gefallen, aber um so krasser empfand ich dann das Triste, Sinnlose, Willkürliche, Menschenverachtende des Krieges. Das hat Iris Wolff gut herausgearbeitet. Überhaupt zeichnet sie starke Bilder.
Gut auf den Punkt gebracht.
 

Lesehorizont

Bekanntes Mitglied
29. März 2022
2.536
9.574
49
53
Mainz
Mich hat die Geschichte von Jakob tief bewegt.
Es geht um die Sinnlosigkeit des Kriegs, den tristen Alltag von Soldaten, aber dann auch um Hoffnungsschimmer und v.a. unvermutete menschliche Komponenten. Nicht nur verschont Jacob einen Mann, der einfach zum falschen Lager gehört. Er entdeckt auch Gemeinsamkeiten, wie z.B. dass Soldaten aus dem "feindlichen" Lager, dieselben Bücher lesen.
Besonders bewegend und intesiv fand ich die geschilderten Beziehungen - sei es zu Alma und Luise, sei es zu Henri. Ich habe den Schmerz über den Verlust des geliebten kleinen Bruders fast körperlich gefühlt.
Überrascht und eiskalt erwischt hat mich das Ende. Vielleicht erging es Jacob ebenso: ein Soldat darf sich halt keinen Moment der Unaufmerksamkeit leisten.

Was ich auch jenseits der Erzählung interessant finde ist die Bedeutung der Jahreszeit, in die man hineingeboren wird. Ob es wohl stimmt, dass die Meisten diese besonders lieben? Bei mir ist es der Herbst und ja: ich liebe ihn.
Und dann fand ich als Soziologin noch die verschiedenen Typen der Soldaten interessant. Typenbildung ist bei uns Soziologen ja ein sehr beliebtes Verfahren...
 

Lesehorizont

Bekanntes Mitglied
29. März 2022
2.536
9.574
49
53
Mainz
Ich habe direkt mit Jacob mitgelitten, die Schilderungein von ihm wie er sich fühlt während der Manöver, sehr ergreifend. Dann die Szene als er hinter einem Baum einen Rumänen ausmacht und ihn verschont. Die Autorin schafft es tatsächlich das man enorm mitfühlt. Am ergreifendsten wäre alles was mit seinem kleinen Bruder Henri zutun hat
Ja, das ist rührend, weil es hier um die Menschlichkeit geht. Es dürfte leider im Krieg nicht allzu oft vorkommen. Umso tragischer, das Jacob selbst infolge einer kleinen Unachtsamkeit stirbt.
 

Lesehorizont

Bekanntes Mitglied
29. März 2022
2.536
9.574
49
53
Mainz
Wo begegnet sich der Mensch? Im Krieg hat jeder seine feste Rolle, schwarz und weiß, Freund und Feind - und dient letztendlich doch nur Kanonenfutter. Wie groß die Sehnsucht nach ein wenig Menschlichkeit, nach einer Begegnung vom Ich zum Du. Die kleine Freundschaft zwischen Jacob und Liliensteiner, der eine legt dem fiebernden Freund einen nassen Lappen auf die Stirn, der andere teilt die Essensgaben der Bäuerin mit seinem Freund. Oder die Hingabe der Bäuerin, die spürt, dass Jacob nur so wieder aus seiner Trauer auftauchen kann. Oder auch die Verschonung des feindlichen Soldaten, nur aufgrund von dessen offenem Blick - Begegnung. Mir haben diese menschlichen Momente gut gefallen, aber um so krasser empfand ich dann das Triste, Sinnlose, Willkürliche, Menschenverachtende des Krieges. Das hat Iris Wolff gut herausgearbeitet. Überhaupt zeichnet sie starke Bilder.
Ich gebe Dir vollkommen Recht. Diese Sehnsucht nach Menschlichkeit wird gut rübergebracht. Auch hat man die Szenen fast schon wie bei einem Film sehr bildhaft vor Augen. Leider auch die Schreckensmomente.
 

Christian1977

Bekanntes Mitglied
8. Oktober 2021
2.556
12.500
49
47
Wo begegnet sich der Mensch? Im Krieg hat jeder seine feste Rolle, schwarz und weiß, Freund und Feind - und dient letztendlich doch nur Kanonenfutter.
Das ist eine sehr schöne Einleitung deines Beitrags, der ich ebenfalls voll zustimmen kann.
Ob es wohl stimmt, dass die Meisten diese besonders lieben? Bei mir ist es der Herbst und ja: ich liebe ihn.
Ich fand diese Idee sehr schön. Bei mir kommt es aber nicht ganz hin, denn ich bin emotional auch ein Herbstgeselle, aber im Winter geboren.
 

Christian1977

Bekanntes Mitglied
8. Oktober 2021
2.556
12.500
49
47
Ich bin bislang sehr begeistert und berührt von diesem Buch. Die Sprache ist ein Fest, und ich bin beeindruckt, wie es Iris Wolff gelingt, die Schrecken des Krieges sprachlich so poetisch und - ja - schön und elegant darzustellen, ohne etwas zu beschönigen. Klingt widersprüchlich, aber vielleicht wisst ihr, was ich meine.

Viele Dinge sprechen mich unmittelbar an. Diese Zugfahrt durch eine unwirtliche Landschaft, dichtende Soldaten, Berge, Wölfe, Schnee, Jacob in seiner Melancholie und natürlich Henri, der mit den Tieren genauso umgeht wie ich. Insbesondere mit den Spinnen. Fast habe ich das Gefühl, Iris Wolff hätte das Buch für mich geschrieben, weil es so unmittelbar in mein Herz trifft.

Es gibt so viele großartige Szenen und Stellen, dass man sie kaum alle aufzählen kann. Der rumänische Soldat, den Jacob verschont zum Beispiel. Oder die Schilderung des Waldes mit dem hinreißenden Satz: "Das Zischen der Raketen vermischte sich mit dem Heulen der Wölfe." Zwei Dinge, die unmöglich zusammenpassen, aber in diesem Buch und in Siebenbürgen geht das.

Das Ende hat mich geschockt, doch andererseits gestattet Iris ihrem empathischen Protagonisten einen Tod in einem seltenen Moment des Friedens, fast schon ein kontemplativer Moment. Das versöhnt. Dennoch wäre ich Jacob gern weiter gefolgt.
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.250
49.186
49
Ich kann euch aus vollem Herzen zustimmen. Besonders @parden und @Christian1977 geben meine Gefühle in Gänze wieder.

Diese Sprache: zum Niederknien. Wie Wolff die traurige Tristesse eines Aufstieges im Schnee ohne gescheite Stiefel so poetisch schildern kann, ist der Wahnsinn.

Im Krieg muss sich der Soldat offenbar Fantasiewelten schaffen, um zu überleben. Jacob beamt sich immer mal wieder in friedliche Gefilde, mal bewusst, mal unbeabsichtigt. Jeder hat seine Strategien, Hunger, Sehnsucht und Gefahr auszublenden. Man bekommt deutlich aufgezeigt, wie sinnlos Kriege sind, in denen Menschen nur Munition darstellen. Besonders eindrücklich das sich um die eigene Achse drehende Schlachtfeld auf S. 20. Wer muss da nicht an die Ukraine denken???

Es gibt wunderbare Formulierungen, die kurz und knapp eine Welt ausdrücken.
Das Versinken des Kahns ist nicht schlimm, dachte Jacob, nur die Augenblicke vorher, in denen man hofft, das Wasser ließe sich noch mit den Händen abschöpfen. 25
Wahnsinn, oder? Diese Augenblicke vorher blieben ihm durch den plötzlichen Tod erspart. Ohnehin hinterlässt er nicht viel. Seinen Bruder mochte er von allen am liebsten. Auch seine eigene Zukunft hat er eher verschwommen gesehen (26), hat seine Ausbildung nicht gerade stringent und abschlussorientiert betrieben. Gewiss gehört er zur Kategorie der Träumer.

Jacob ist alles andere als ein überzeugter Soldat. Er hat kein Feinbild, hinterfragt die Sinnhaftigkeit des Kampfes, hegt Sympathien fürs Desertieren. Die Tage auf dem Hof waren dringend nötig. Die heile Welt hat ihn wieder aufgerichtet. Dann die Nachricht von Henris Tod. Alma und Luise sind für ihn da, jede auf ihre Weise... Auch diese Szenen werden wunderbar warmherzig geschildert.

Die Schlussszene beinhaltet das vorangestellte Zitat:
Er lag neben der Quelle, versuchte seinen Atem zu beruhigen und bemerkte mit einem Mal die Stille, die alles umfangen hielt. S. 47
In diese Stille knallt der Schuss, der nur für Jacob lautlos blieb. Reine Poesie.

Ich bin total geflasht vom Schreibstil der Autorin, fühle mich gefangen in dieser getragenen Atmosphäre, die soviel Gefühl zum Ausdruck bringt und zu erwecken vermag. Ich liiiiebe Iris Wolff :joy
 

Lesehorizont

Bekanntes Mitglied
29. März 2022
2.536
9.574
49
53
Mainz
Im Krieg muss sich der Soldat offenbar Fantasiewelten schaffen, um zu überleben
Ich dachte zuerst die Eingangsszene wäre ein Fiebertraum. Diese Sehnsucht nach Budapest, verbunden mit Vorstellungen einer heilen Welt abseits des Krieges. Aber es war wohl doch nur eine Falschinformation, dass es nach Budapest gehen sollte.
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.250
49.186
49
Aber es war wohl doch nur eine Falschinformation, dass es nach Budapest gehen sollte.
Der Wunschtraum seines Freundes Lilienthal? Ist die Sehnsucht mit ihm durchgegangen, als er das Gerücht streute? Ich finde, es wird an so vielen Stellen deutlich, was Krieg für den einzelnen bedeutet, und das auf eine sehr kunstvolle, sensible Weise.

Ich glaube, Iris Wolff hat schon mehr geschrieben. Der Durchbruch kam aber mit der Unschärfe.
 

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
6.408
23.973
49
66
Wer hat denn schon ein anderes Werk von ihr gelesen? Hat sie außer "Die Unschärfe der Welt" noch etwas geschrieben?
Halber Stein und Leuchtende Schatten, beide kenne ich aber nicht.
Aber wer „ Die Unschärfe der Welt“ noch nicht kennt, wird das bestimmt nach eurer Leserunde nachholen. Ein großartiger Roman!
 

otegami

Bekanntes Mitglied
17. Dezember 2021
1.833
6.333
49
71
Mich hat die Geschichte von Jakob tief bewegt.
Oh ja, und ich hätte den 1. Leseabschnitt mit dem Satz zusammengefasst: 'egal ob Freund oder Feind - jeder Soldat hat seine Geschichte!'
Und dann fand ich als Soziologin noch die verschiedenen Typen der Soldaten interessant. Typenbildung ist bei uns Soziologen ja ein sehr beliebtes Verfahren...
Genau! Diesen Teil habe ich mir auch markiert! Fand ich hochinteressant!
 
  • Like
Reaktionen: Sassenach123

otegami

Bekanntes Mitglied
17. Dezember 2021
1.833
6.333
49
71
Wie groß die Sehnsucht nach ein wenig Menschlichkeit, nach einer Begegnung vom Ich zum Du.
Wunderschön zusammengefasst! :thumbsup Auch mich haben die Szenen, die Du aufführst wahnsinnig berührt!
Die Karpaten und die Walachei - das waren für mich bislang immer Synonyme für irgendwo im Nirgendwo, hier gewinnen sie an Konturen.
Gleich um die Ecke bei uns liegt eine Gastwirtschaft mit dem Namen 'Wallachei' :) . Was es mit diesem Namen noch so verbunden ist, erfuhr ich erst durch Bücher, die in Rumänien spielten.