Auf S. 59 flüstert Estela: "Sag mal, worum geht's eigentlich?" Dieser Satz ist eigentlich bezeichnend für mein bisheriges Leseerlebnis - es war mir nur bis zu Estelas sehr direkter Frage gar nicht bewusst. Im Augenblick schwebe ich etwas orientierungslos durch den Roman, der viele schöne Ideen hat und versucht, mit Worten, Büchern, Zitaten und Atmosphäre zu spielen, was ihm zwischendurch auch immer wieder sehr gut gelingt. Allerdings ist er auch immer wieder sehr üppig verschwurbelt, verloren versponnen und träumerisch langsam, sodass ich den Eindruck habe, dass der rote Faden mir aus den Händen gleitet.
Es ist Jahrzehnte her, dass ich den "Schatten des Windes" gelesen habe und es mag an Barcelona liegen oder an der Präsenz der Bücher oder dieser beginnenden Schnitzeljagd, aber ich sehe "Simón" irgendwie in dieser Tradition - dabei muss ich auch zugeben, dass ich die Handlung des "Schatten des Windes" nicht einmal mehr zusammenfassen könnte. Es sind eher Emotionen, die ich damals beim Lesen hatte, die auch hier an die Oberfläche treiben. (Manchmal ist es bei mir etwas verrückt - es kann durchaus passieren, dass ich nur noch weiß, wo ich ein Buch gelesen habe oder eben, was es bei mir ausgelöst hat, der Inhalt wird schwummerig...vielleicht kennt ihr das.)
Grundsätzlich mag ich Romane, die Bücher feiern, nicht sonderlich, aus dem einfachen Grund, weil es leider sehr häufig gewollt ist und die klare Absicht dahintersteckt, das bibliophile Publikum einzufangen - wer Bücher mag, wird schon einen Roman, der Bücher liebt, lesen. Bei Simon wandele ich noch auf einem schmale Grat und lasse mich gern positiv überraschen. Die sperrigen, antiquierten Floskeln, die er verwendet und die Tatsache, dass er in Romanen gelernt hat, wie man Streitigkeiten beseitigt (Duell!), zaubern mir ein Lächeln ins Gesicht - da bin ich schon sehr zufrieden.
Die Perspektive mit Simon als Fokalisierungsinstanz nervt mich allerdings ein wenig, was daran liegen mag, dass ich gerade (und auch sonst nicht immer so) Lust auf die Sicht eines Kindes habe. Die Erzählerkommentare hingegen finde ich wieder sehr gelungen! Ich setze allerdings sehr darauf, dass Simin älter und damit auch reifer wird.
Was mir außerordentlich gut gefällt ist das Spiel mit den Worte, das vielleicht nicht immer so leicht ins Deutsche zu übertragen ist. Die Baraja -Erklärungen, das "Rico, Rico"-Thema und die Tatsache, dass "Estela" übersetzt "Stern" heißt und ja, zumindest zur Zeit, der Stern ist, um den Simon kreist.