Hui, hier ist ja schon was los...
Es zeigt sich wieder einmal, wie unterschiedlich man Texte und Aussagen empfinden kann, je nach eigenem Hintergrund und der eigenen Erfahrung.
Ich fand das Verhalten von Lía am Sarg im Gegensatz zu einigen hier absolut nachvollziehbar. Vermutlich war sie schon lange nicht mehr gefestigt in ihrem Glauben, und dieses Verhalten der "gläubigen" Familie am Sarg der ermordeten Ana war in meinen Augen dermaßen heuchlerisch und unangemessen - ärgs. Da noch so zu tun als hätte solch ein Ereignis tatsächlich etwas mit "Gottes Willen" zu tun und man hat sich damit also gefälligst zu arrangieren, unfassbar. Die einzige, die zu trauern schien, war in Lías Augen jedenfalls Anas Freundin, die einfach geschlagen am Boden saß. Echte Emotionen. Alle anderen verkriechen sich im Korsett der Dogmen der katholischen Kirche - das mag Halt geben, erdrosselt aber womöglich auch jede echte menschliche Regung.
Nun treiben es einige Mitglieder der Familie hinsichtlich des katholischen Glaubens aber auch derart auf die Spitze, dass es sehr übertrieben wirkt. Aber aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es genau solche Menschen gibt - und gerade die erweisen sich im "echten" Leben oft als wahre Miststücke. Sorry für die deutliche Wortwahl, aber aus Gründen... Die Autorin hat womöglich ähnliche Erfahrungen gemacht, und daher... Naja, jedenfalls schockiert mich Lías Verhalten am Sarg wohl weniger als einige andere hier... Sie hat sich konsequent aus einem familiären Dogma-Gefüge befreit, auch wenn sie sich mit ihrem Maulkorberlass dem Vater gegenüber wohl gleich in ein neues geflüchtet hat. Jedenfalls ist es Lía gelungen, bis zur Todesnachricht des Vaters abseits der Familie ein zufriedenes Leben zu führen.
Mateo ist unreifer, natürlich, allein aufgrund seines Alters, aber eben auch, weil er zeitlebens die volle Dröhung Carmen mitbekommen hat. Ob die sich schlussendlich wirklich als die unnahbare (Schein-)Heilige erweist, als die sie bislang erscheint? Ich bin neugierig, mehr über die Hintergründe ihrer Einstellungen und Handlungen zu erfahren. Dieser Wahn, unbedingt die Briefe ihres Vaters in die Hände zu bekommen und zu betonen, dass der am Ende seines Lebens nicht mehr ganz richtig im Kopf gewesen sei - das finde ich ziemlich merkwürdig. Fast als habe sie etwas zu verbergen oder wisse um etwas was besser ungesagt bleiben sollte. Aber was könnte das sein?
Wen ich bislang am meisten mag, ist Mateos Großvater, Lías Vater. Der scheint das menschlichste Familienmitglied zu sein, der im Stillen seinen Überzeugungen entsprechend handelt ohne andere damit zu brüskieren - Leben und leben lassen. Der aber auch versucht, die "Abtrünnigen" nicht fallen zu lassen, sondern zu ermutigen, zu unterstützen, zu lieben. Und doch deutet auch er ein Geheimnis an, das ihm schrecklich deucht. Hat das mit seinen heimlichen Nachforschungen zu Anas Tod zu tun?
Ich bin jedenfalls neugierig auf den Fortgang der Erzählung.