Abschnitt Lia
Danke, Ems, dass du diesen Abschnitt rausgelöst hast. Auch ich muss etwas dazu schreiben, was sonst untergehen könnte.
Zunächst hatte Lia meine ganze Sympathie (wir hören ja auch nur ihre Perspektive!). Die Familie macht doch einen sehr unsympathischen Eindruck, sie wirken recht distanziert bzw. theatralisch am Sarg Anas. Die einzig wirklich Trauernde scheint Marcela zu sein.
An diesem Tag beschließt Lia, sich zu ihrem Atheismus zu bekennen, was für die tiefgläubige Mutter einem Donnerschlag gleichkommt. Auch Carmen spricht ab diesem Tag kein Wort mehr mit ihrer Schwester. Hart und konsequent. Das ist aber auch Lia. Sie bricht rigoros alle Kontakte ab, als sie nach Spanien auswandert. Die Briefeschreiberei mit ihrem (geliebten ?) Vater halte ich für eine herzlose Farce: Was kann man sich mitteilen, wenn man Dinge, die einen zutiefst bewegen, nicht mitteilen darf? Diese "Regel" (es handelt sich entgegen Lias Aussage nicht um eine gegenseitige Vereinbarung) zwingt den Schreiber in die Oberflächlichkeit. Allein die Mitteilung, dass Carmen Julian geheiratet hat, wird mit monatelangem Schweigen bestraft...
Kein Wunder also, dass der Vater ihr nichts von seinem Leiden, seiner Krankheit, seinem bevorstehenden Tod erzählt hat.
Auch Lia ist also ein harter Knochen. Ebenso wie ihre Schwester Carmen, die eben mal unangemeldet nach 30 Jahren des Schweigens hereinschneit und um Hilfe bittet, um genau mit dem von Lia prognostizierten Schlag in die Magengrube wieder zu gehen (das Metallkästchen). Rührend, dass Julian Tränen in die Augen bekommt im Angesicht von soviel Härte und Hass.
Der Buchtitel taucht bereits in diesem Abschnitt häufig auf. Die Grundzüge der Erzählung von Raymond Carver werden netterweise skizziert. Man merkt dem Vater an, wie nahe ihm die Tochter steht. Wie schwer muss es für ihn sein, ihr nichts von Belang erzählen zu dürfen? Gespräche über Bücher, Holz und Blumen - Was interpretiert Lia da alles an Ungesagtem hinein? Lia hat sich selbst aus seinem Leben ausgegrenzt. Nicht einmal die Existenz Mateos als Enkel wagt er, ihr zu schreiben.
Mateo hadert offensichtlich auch mit dem Glauben - was einem Affront in dieser Familie gleichkommt. Welche "Lügen" soll der Vater durch seinen Tumor ausgeplaudert haben? Ich befürchte, dass es Wahrheiten waren, die die gottesfürchtige Carmen nicht hören will. Waren sie der Anlass für den Sohn, abzuhauen? Den Tod des Großvaters hat er nicht mehr abgewartet.
Wer wirklich glücklich ist, brüstet sich nicht damit, erst recht nicht in einer solchen Situation. Offensichtlich wollte sie sich vor allem selbst etwas vormachen. S.30
Da bin ich auch immer skeptisch...
Man erfährt bereits auf diesen ersten 40 Seiten sehr viel über die Familienbande. Warum wurde dieser brutale Tod nicht aufgelöst? Sehr seltsam das alles. Ich bin schon total gefesselt von diesem Buch und gespannt, was die nächste Perspektive hergibt.
Stilistisch ist das Ganze süffig geschrieben, aber keinesfalls flach. Ich habe einige Klebezettel gesetzt, weil ich noch weitere Hintergründe erwarte. Der Einstieg in den Roman ist Frau Pineiro grandios gelungen! Wer kann das Buch jetzt noch zur Seite legen???