1. Leseabschnitt: Beginn bis Seite 89

Eulenhaus

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13. Juni 2022
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Carmen „Wir haben ihn gut erzogen, … vor allem aber verlasse ich mich auf den Glauben.“
K. Marx „Sie (die Religion) ist das Opium des Volkes.“
Weil Mateo in Lias Buchhandlung eingekauft hat, suchen Carmen und Julian trotz aller Distanziertheit Lias Hilfe. Sie haben es aber nicht für nötig befunden, Lia über den Tod des Vaters zu informieren.
 

Emswashed

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9. Mai 2020
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Abschnitt Lia
Familie Sarda hat drei Töchter, Carmen, Lia und Ana, sie ist die Jüngste. Ana wird mit 17 ermordet. Die Familie trauert am geschlossenen! Sarg. Marcela, Anas Freundin trägt einen Ring, der eigentlich Lia gehört, doch öfter von Ana ausgeliehen wurde, weil sie ihm Glück zusprach.
Nach diesem Drama bricht Lia mit ihrem Glauben,ihrer Mutter und ihrer Schwester Carmen und zieht bald von Buenos Aires nach Santiago de Compostela in Spanien. Dort landet sie letztendlich in ihrem eigenen Buchladen. Nur zu ihrem Vater hält sie brieflichen Kontakt, hat aber auch ihm untersagt, über familiäre Dinge zu schreiben.

Bis nach dreißig Jahren plötzlich Carmen bei ihr im Laden steht und sie bittet (auffordert) nach ihrem verschollenen Sohn, Mateo 23, Ausschau zu halten. Beim kaltherzigen Abschied der beiden Schwestern, übergibt Carmen Lia wie beiläufig die Asche ihres Vaters.

Bei dem Versuch die Asche an Lias Lieblingsplatz im Park zu verstreuen, taucht plötzlich Mateo auf, den sie inzwischen auf dem Foto ihrer Schwester "kennengelernt" hat.

Obwohl mir manche Sachen sehr übertrieben erscheinen, bin ich absolut gefesselt von der Story. Ich habe natürlich auch versucht nachzurechnen, wie alt Lia und Carmen jetzt sind. Lia muss mindestens 19 + 30 und Cramen 20 + 30, also beide so um die 50 Jahre sein.

Außerdem habe ich mich die ganze Zeit gefragt, worum es in den Briefen zwischen Tochter und Vater gehen könnte, wenn man doch nichts Familiäres berichten konnte, aber das wurde dann ja auch noch angesprochen.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Abschnitt Lia

Danke, Ems, dass du diesen Abschnitt rausgelöst hast. Auch ich muss etwas dazu schreiben, was sonst untergehen könnte.

Zunächst hatte Lia meine ganze Sympathie (wir hören ja auch nur ihre Perspektive!). Die Familie macht doch einen sehr unsympathischen Eindruck, sie wirken recht distanziert bzw. theatralisch am Sarg Anas. Die einzig wirklich Trauernde scheint Marcela zu sein.

An diesem Tag beschließt Lia, sich zu ihrem Atheismus zu bekennen, was für die tiefgläubige Mutter einem Donnerschlag gleichkommt. Auch Carmen spricht ab diesem Tag kein Wort mehr mit ihrer Schwester. Hart und konsequent. Das ist aber auch Lia. Sie bricht rigoros alle Kontakte ab, als sie nach Spanien auswandert. Die Briefeschreiberei mit ihrem (geliebten ?) Vater halte ich für eine herzlose Farce: Was kann man sich mitteilen, wenn man Dinge, die einen zutiefst bewegen, nicht mitteilen darf? Diese "Regel" (es handelt sich entgegen Lias Aussage nicht um eine gegenseitige Vereinbarung) zwingt den Schreiber in die Oberflächlichkeit. Allein die Mitteilung, dass Carmen Julian geheiratet hat, wird mit monatelangem Schweigen bestraft...
Kein Wunder also, dass der Vater ihr nichts von seinem Leiden, seiner Krankheit, seinem bevorstehenden Tod erzählt hat.

Auch Lia ist also ein harter Knochen. Ebenso wie ihre Schwester Carmen, die eben mal unangemeldet nach 30 Jahren des Schweigens hereinschneit und um Hilfe bittet, um genau mit dem von Lia prognostizierten Schlag in die Magengrube wieder zu gehen (das Metallkästchen). Rührend, dass Julian Tränen in die Augen bekommt im Angesicht von soviel Härte und Hass.

Der Buchtitel taucht bereits in diesem Abschnitt häufig auf. Die Grundzüge der Erzählung von Raymond Carver werden netterweise skizziert. Man merkt dem Vater an, wie nahe ihm die Tochter steht. Wie schwer muss es für ihn sein, ihr nichts von Belang erzählen zu dürfen? Gespräche über Bücher, Holz und Blumen - Was interpretiert Lia da alles an Ungesagtem hinein? Lia hat sich selbst aus seinem Leben ausgegrenzt. Nicht einmal die Existenz Mateos als Enkel wagt er, ihr zu schreiben.

Mateo hadert offensichtlich auch mit dem Glauben - was einem Affront in dieser Familie gleichkommt. Welche "Lügen" soll der Vater durch seinen Tumor ausgeplaudert haben? Ich befürchte, dass es Wahrheiten waren, die die gottesfürchtige Carmen nicht hören will. Waren sie der Anlass für den Sohn, abzuhauen? Den Tod des Großvaters hat er nicht mehr abgewartet.
Wer wirklich glücklich ist, brüstet sich nicht damit, erst recht nicht in einer solchen Situation. Offensichtlich wollte sie sich vor allem selbst etwas vormachen. S.30
Da bin ich auch immer skeptisch...

Man erfährt bereits auf diesen ersten 40 Seiten sehr viel über die Familienbande. Warum wurde dieser brutale Tod nicht aufgelöst? Sehr seltsam das alles. Ich bin schon total gefesselt von diesem Buch und gespannt, was die nächste Perspektive hergibt.

Stilistisch ist das Ganze süffig geschrieben, aber keinesfalls flach. Ich habe einige Klebezettel gesetzt, weil ich noch weitere Hintergründe erwarte. Der Einstieg in den Roman ist Frau Pineiro grandios gelungen! Wer kann das Buch jetzt noch zur Seite legen???
 

alasca

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13. Juni 2022
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Ich bin nicht so begeistert nach diesem ersten Leseabschnitt. Sprachlich tendiert es ins Pathetische, und die Handlungen der Protagonisten sind dermaßen sentimental ... vor allem das Bild der übereinander gelegten Hände beim Zeichnen von Kathedralen (!) wird reichlich überstrapaziert - ich glaube, auf diesen 89 Seiten ist es mehr als ein Dutzend Mal vorgekommen. Auch die titelgebenden Kathedralen kommen, davon unabhängig, fast auf jeder Seite vor, damit auch die Dümmste kapiert, dass das das Hauptmotiv /-symbol des Romans ist... Dasselbe mit der "Narbe" der Familie. Von Subtilität ist das weit entfernt, ich finde das dermaßen penetrant!

Ich habe auch so meine Schwierigkeiten mit dem Personal. Vor allem die Beschreibung Carmens kommt mir reichlich eindimensional vor.

Auch Lía ist ein harter Brocken; sie ist als die Sympathieträgerin angelegt, was nicht so ganz funktioniert. Der Bruch mit ihrer Familie ist zwar nachvollziehbar, aber der Umgang mit ihrem angeblich so geliebten Vater ... sie tut das, was sie den anderen vorwirft, nämlich alles ausblenden, was sie irgendwie anrühren könnte. Ergebnis: Der Schock der Todesnachricht.

Mateo, der so schön ist, dass er allen den Atem verschlägt, mit seiner behaupteten Schüchternheit. Wie wahrscheinlich ist das? Schönen Männern sieht man alles nach, sie haben ein leichtes Leben, dominante Mutter oder nicht. Die ganze Figur kracht in allen Nähten, ich finde ihn völlig unglaubwürdig. Er fällt beim Anblick einer schönen Kirche in Ohnmacht (!) und empfindet im Bett mit begehrten Frauen plötzlich eine nicht näher erklärte "Ernüchterung".

"Aber spielt es, wenn wir an etwas leiden, überhaupt eine Rolle, warum?"
Nach diesem Satz (S. 74) habe ich mir an den Kopf gefasst. Ein derartiger Pseudotiefsinn!

Solche logischen Unstimmigkeiten kommen im Text immer wieder vor. Ich bin irritiert. Und ich hoffe wirklich, dass Pineiro nicht bis zum Ende des Buches wartet, bis wir den Inhalt dieser Briefe erfahren!

Bis jetzt gefällt es mir überhaupt nicht.
 
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RuLeka

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30. Januar 2018
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Die Anlage der Mehrstimmigkeit gefällt mir. So bekommt der Leser einen tiefen Einblick in die Geschichte, zumindest erwarte ich das.
Das erste Kapitel aus Lias Perspektive lässt den Leser auf ihrer Seite stehen. Dabei erhalten nicht all ihre Handlungen meine Zustimmung. Zu rigoros in ihrer Konsequenz. Wie ihr schon erwähnt habt, ist ihr Verhalten dem Vater gegenüber von unglaublicher Härte. Ja, Lia hat mit ihrer bigotten Familie gebrochen, doch warum beschränken sich die Briefe auf Allgemeingültiges. Dass das Unsinn war, wird Lia erst bewusst, als sie im Nachhinein von der Erkrankung des Vaters erfährt.

Warum Ana so schrecklich verstümmelt wurde, lässt mich aufhorchen. Sollte ihre Identität nicht herausgefunden werden?

Vielleicht hätte es doch etwas geändert, wenn Lia damals nicht zu müde gewesen wäre und ihrer Schwester zugehört hätte.

Möglicherweise hängt es mit Matteos rigoroser Erziehung zusammen, dass er trotz seiner Schönheit so wenig Selbstbewusstsein zeigt in Bezug auf Frauen. Erst durch diese Reise schafft er es, sich richtig von seiner Familie abzunabeln. Ein Schritt in Richtung Erwachsenwerden ist sein Wechsel des Studiengangs.

Bis jetzt verfolge ich die Geschichte mit Spannung. Die Vorwürfe der Eindimensionalität sind der Perspektive geschildert.
Auf einer sog. Kathedralen- Tour werden zwangsläufig Kathedralen vermehrt genannt. Zu Matteo, der ursprünglich Interesse an Theologie ( von den Eltern zwar aufgedrängt) und an Architektur hatte, passt diese besondere Form des Jakobswegs.

In Argentinien spielt die katholische Kirche eine dominantere Rolle als bei uns. Vor dreißig Jahren noch mehr. Dieser Roman ist als Kritik an dieser Kirche angelegt. Lias radikaler Bruch damit und ihr „Hohelied“des Atheismus ist daraus zu verstehen.
 

GAIA

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27. Dezember 2021
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Thüringen
Der Einstieg in den Roman ist Frau Pineiro grandios gelungen! Wer kann das Buch jetzt noch zur Seite legen???
Ich jedenfalls kaum!

Wirklich ein toller Einstieg in den Roman. Ich bin total gefesselt und möchte das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen.
Die "Briefverwandtschaft" zwischen Vater und Tochter habe ich tatsächlich gar nicht so hart wahrgenommen. Sie haben eine Art gefunden, miteinander umzugehen. Und selbst dieses "über Eck"-Reden, indem es um Kathedralen, Hold und Blumen geht, scheint mir sehr liebevoll zu sein. Dass Lía es nicht mehr mit Mutter und Schwester zuhause ausgehalten hat, ist mir vollkommen nachvollziehbar. Und so, wie der Vater schon nach der Atheismus-Bekundung von Lía wusste, mit ihr umzugehen, so weiß er es jetzt auch per Brief. (Oder wusste, da er ja verstorben ist.) Klar, Lía ist willensstark in der Umsetzung ihrer Abgrenzung von der Familie. Da scheinen sich die Frauen der Familie nichts zu nehmen. Wie das bei Ana war, werden wir vielleicht noch erfahren durch verschiedenen Blickwinkel auf sie und ihren Tod.

Von Subtilität ist das weit entfernt, ich finde das dermaßen penetrant!
Die Wiederholungen dieser Bilder sind tatsächlich wenig subtil, aber als penetrant habe ich sie nicht empfunden. Der Großvater/Vater, Liá und Metao scheinen ja ähnlich zu ticken, und da scheinen ihnen wohl die Betonungen ähnlicher Besonderheiten wichtig.

Vor allem die Beschreibung Carmens kommt mir reichlich eindimensional vor.
Das stimmt, aber ich habe die Hoffnung, dass auch sie im Laufe des Romans noch zu Wort kommen wird und sich dann dadurch ein differenziertes Bild ergeben wird. Ich könnte mir vorstellen, dass sich hier die Wahrheit zwischen allen Wahrnehmungen verbirgt und wir erst ganz am Ende ein vollständigeres (nie vollständiges!) Bild von den Figuren haben werden.

Ich kann nur noch einmal unterstreichen, dass mir dieser erste LA wirklich sehr gut gefallen hat. Allein ganz zu Beginn die wiederholte Bedeuerung von Lía am Sarg ihrer Schwester, nicht mehr an Gott zu glauben, war mir too much. Der Rest stört mich bisher jedenfalls überhaupt nicht. Hier scheinen alle in der Familie die große Geste zu lieben. Aber mal ehrlich, Leute, die so nah an der Bibel aufwachsen, scheinen ja nichts anderes als Theatralik zu kennen. ;)
 

Emswashed

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9. Mai 2020
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Die Briefeschreiberei mit ihrem (geliebten ?) Vater halte ich für eine herzlose Farce: Was kann man sich mitteilen, wenn man Dinge, die einen zutiefst bewegen, nicht mitteilen darf?

Das habe ich mich auch die ganze Zeit gefragt... aber andererseits, ist das eigene Elternteil wirklich die große Vertrauenperson, der man alles mitteilt? Und ist es umgekehrt nicht ein Reflex, das eigene Kind vor schlechten Nachrichten zu schützen? Da kommt diese "Vereinbarung" gerade recht. Trotzdem komisch. Lia erkauft sich damit auch die Freiheit, sich keine Gedanken und keine Entscheidungen hinterfragen zu müssen.
Ich bin nicht so begeistert nach diesem ersten Leseabschnitt. Sprachlich tendiert es ins Pathetische, und die Handlungen der Protagonisten sind dermaßen sentimental ... vor allem das Bild der übereinander gelegten Hände beim Zeichnen von Kathedralen (!) wird reichlich überstrapaziert

Nachdem ich jetzt den Mateo-Abschnitt gelesen habe, muss ich dir recht geben. Carmen wird als durch und durch katholische Aufziehpuppe dargestellt und ihr Mann scheint überhaupt keinen Einfluss auf die Erziehung seines Sohnes genommen zu haben. (Er hat sich von seinem Priesterseminar gelöst, er müsste doch wissen, was in jungen Männern vor sich geht.)
 
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Emswashed

Bekanntes Mitglied
9. Mai 2020
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Abschnitt Mateo
Mit Mateo bekommen wir eine kleine Ahnung, was in der Zwischenzeit in Argentinien gelaufen ist - und eine große Ahnung, welche sehenswerten Kathedralen und Kirchen es hier in Europa gibt, haha!

Fast schon aus Lias Abschnitt vergessen, aber jetzt wieder in Erinnerung gebracht: Marcelas Kopfverletzung, die ihr einen bleibenden Schaden hinterlassen hat. Sie hat sie beim Tod Anas bekommen, richtig? Also wird sie auch noch eine Schlüsselrolle bekommen. Und dann ist da noch dieser Ring mit dem Türkis.

Aber ich muss @alasca recht geben, subtil ist hier wenig. Aber spannend! Und wie!
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Ich weiß nicht, ob ich mit meiner Ahnung richtig liegen werden, aber momentan habe ich das Gefühl, dass Anas Tod auch indirekt mit dem Glauben zutun hat.
Das eine Familie an so einem Ereignis zerbricht ist nicht ungewöhnlich, dass Lià aber ausgerechnet am Tag der Beerdigung mit der Sprache herausrückt, empfand ich als schlimm. Dieser Tag hätte voll und ganz dem Abschied der Schwester gelten müssen, dabei hätte es in meinen Augen keine Rolle spielen dürfen, ob Lià an Gott glaubt oder eben nicht. Der Bruch war nach diesem Ereignis nachvollziehba, soweit kann ich da mitgehen, die Art und Weise wie sie mit ihrem Vater umspringt, nicht so ganz. Allerdings zeigt es trotz allem, dass er der einzige zu sein scheint, der ihr noch am Herzen liegt, außerdem scheint er auch als einziger Verständnis für sie aufgebracht zu haben in der Vergangenheit.

Mateo wirkt sehr unsicher, vor allem Frauen gegenüber, ob dies tatsächlich seiner Erziehung geschuldet ist? Seine Eltern möchte man jedenfalls nicht haben, auch hier ist es Liàs Vater, der einen Draht hat…..
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Vielleicht hätte es doch etwas geändert, wenn Lia damals nicht zu müde gewesen wäre und ihrer Schwester zugehört hätte.
Das ging mir beim lesen auch durch den Kopf. Ich hoffe wir erfahren noch, was Ana ihr so dringendes erzählen wollte.
Lia erkauft sich damit auch die Freiheit, sich keine Gedanken und keine Entscheidungen hinterfragen zu müssen.
Stimmt wohl, allerdings räumt sie ein, dass sie informiert werden will, wenn der Mörder gefasst wird. Die Regel. die sie aufgestellt hat, hat also auch Ausnahmen. Ich könnte mir vorstellen, dass genau das ihren Vater noch mehr unter Druck gesetzt hat, den Mörder zu finden
 

alasca

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13. Juni 2022
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dabei hätte es in meinen Augen keine Rolle spielen dürfen, ob Lià an Gott glaubt oder eben nicht.
Sie ist traumatisiert und hat aufgrund der Ermordung ihrer Schwester ihren Glauben verloren. Es ist ein bisschen too much drama, soweit gehe ich mit, aber nachvollziehbar ist ihr Verhalten allemal - und ob man in einer solchen Situation die diplomatische Benimm-Messlatte anlegen muss, hm, wohl kaum ...
 

Renie

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Nach diesem Drama bricht Lia mit ihrem Glauben,
Ich bin mir fast sicher, dass dieses Drama das Fass zum Überlaufen brachte. Den Grundstein für Lias Atheismus ist bestimmt durch den überdimensionierten Katholizismus in ihrer Familie gelegt worden. Als Kind muss man das hinnehmen. Doch spätestens im Teenager-Alter gehen die Meinungen eigene Wege. Da hat es mit der Indoktrination scheinbar nicht geklappt - ähnlich wie bei Matteo.
Obwohl mir manche Sachen sehr übertrieben erscheinen,
Woran denkst Du dabei? Gib mal ein Beispiel.
Außerdem habe ich mich die ganze Zeit gefragt, worum es in den Briefen zwischen Tochter und Vater gehen könnte, wenn man doch nichts Familiäres berichten konnte, aber das wurde dann ja auch noch angesprochen.
Ich glaube, dass die Inhalte gar nicht so wichtig waren, sondern nur der Kontakt zueinander und das Wissen, dass der Andere noch da ist.
Die Briefeschreiberei mit ihrem (geliebten ?) Vater halte ich für eine herzlose Farce: Was kann man sich mitteilen, wenn man Dinge, die einen zutiefst bewegen, nicht mitteilen darf? Diese "Regel" (es handelt sich entgegen Lias Aussage nicht um eine gegenseitige Vereinbarung) zwingt den Schreiber in die Oberflächlichkeit. Allein die Mitteilung, dass Carmen Julian geheiratet hat, wird mit monatelangem Schweigen bestraft...
Ja, Lia war ganz schön stur. Damit hat sie sich auch keinen Gefallen getan.
Aber ich sehe auch Parallelen zu der frommen Fraktion in ihrer Familie. Man hält unerschütterlich an seinem Glauben fest, egal, wie irrational dieser Glauben erscheint. Und Lia hat geglaubt, dass ihre Verhaltensweise die einzig (für sie) Richtige war. Was für ein Irrglauben!
 

Irisblatt

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15. April 2022
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Bisher hat mich der Roman leider nicht gepackt. Vielleicht hat er es auch gerade schwer nach "Der Inselmann" und meiner aktuellen anderen Lektüre von Arundhati Roy. Sprachlich unterscheiden sich alle Werke stark, aber bei Gieselmann und Roy öffnen sich Welten hinter den Worten; es gibt dort so viele Ebenen, die mitschwingen. Das vermisse ich bei "Kathedralen". Die Figuren finde ich bisher eher flach gezeichnet, die Charaktere nur in ihren Grundzügen, aber nicht als lebendige Personen glaubwürdig. Der Briefwechsel zwischen Lía und ihrem Vater, die Art und Weise wie Carmen und ihr Mann in der Buchhandlung auftauchen, wie Mateo von sich spricht - irgendwie nehme ich der Autorin nicht ab, dass das alles so stattgefunden hat. Auch bei Anas Beerdigung war es mir zu viel Drama, manches nervt auch durch die häufige Wiederholung (das gemeinsame Zeichnen der Kathedralen). Das klingt jetzt so doof - von mir aus könnte es auch mehr Drama sein - das Problem ist, dass ich es als nicht authentisch empfinde und es deshalb bei mir nicht ankommt. Kann es gerade nicht besser ausdrücken. Irgendwas fehlt mir.
 

Renie

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Kathedralen kommen, davon unabhängig, fast auf jeder Seite vor, damit auch die Dümmste kapiert, dass das das Hauptmotiv /-symbol des Romans ist..
Dann muss ich dümmer als die Dümmste sein, da ich nicht davon überzeugt bin, dass die Kathedralen das Hauptmotiv/-symbol sind, bloß weil der Roman diesen Titel trägt. Da steckt mehr dahinter.
Vor allem die Beschreibung Carmens kommt mir reichlich eindimensional vor.
Natürlich, aus Sicht ihrer Schwester sowie des Sohnes kann die Beschreibung nur eindimensional sein. Daher freue ich mich schon sehr auf den Abschnitt "Carmen".
Nach diesem Satz (S. 74) habe ich mir an den Kopf gefasst.
Warum?
Dass das Unsinn war, wird Lia erst bewusst, als sie im Nachhinein von der Erkrankung des Vaters erfährt.
Ja, das war ein Eigentor!
Sie haben eine Art gefunden, miteinander umzugehen.
Das stimmt. Dem Vater ist wichtig, dass er den Kontakt zu seiner Tochter nicht verliert. Deshalb lässt er sich auf diesen Unsinn ein. Tatsächlich findet die Verbundenheit zwischen den beiden auf einer anderen Ebene statt. In den Briefen geht es mehr um die Dinge, die zwischen den Zeilen stehen.
 

Renie

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