1. Leseabschnitt: Beginn bis Seite 76

Literaturhexle

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2. April 2017
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Hier diskutieren wir die Seiten 7 bis 76 einschließlich.

Letzter Satz: "Ich hatte das nur die ganze Zeit vergessen."
 
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Literaturhexle

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Welch eine deprimierende Geschichte!

Die Erzählerin ist in einer stationären Nervenklinik . Nicht umsonst empfindet sie diese als eine Hölle. Alle Insassen müssen den ganzen Tag im Betti liegen. Wie schrecklich! Sie hört alles und spricht wenig. Natürlich gibt es auch wirklich Verrückte dort, die Erzählerin wirkt nicht verrückt, eher depressiv.
Sie hat beschlossen, der strickenden Nachtschwester ihre Geschichte zu erzählen. Es scheint ein paar dunkle Punkte im Leben der Erzählerin zu geben. Einer hängt mit Lientje zusammen, ihrer jüngsten Schwester...

Die Erzählerin durfte nur 6 Jahre zur Schule gehen. Die Schule hat sie genossen, dort war man auch mal fertig mit der Arbeit. Mit 13 musste sie zu Hause helfen, die Pflichten waren endlos, die Mutter war schwach, bekam ein Kind nach dem anderen. Insgesamt 13 Stück, von denen 10 überlebten. Der Vater war Maler von Beruf, ein Unfall machte ihn zum Pflegefall, trotzdem wurde noch Lientje gezeugt- eine Tatsache, die die Erz. dem Vater übel nimmt.
Sie ist die Älteste, muss sich ständig um die jüngeren Geschwister kümmern, Mutterpflichten übernehmen. Bis die Fürsorge es für einträglicher hält, dass sie in Stellung bei einer Schneiderin geht und Geld verdient. Zunächst genießt sie die Zeit abseits von Zuhause. Bis Lientje geboren wird. Da die Mutter zu schwach ist, muss sich die Erz. auch nachts um das Kind kümmern, so dass sie kaum noch Schlaf und Zeit für sich hat. Sie beginnt, das Baby zu hassen (übelnehmen kann man das nicht).
Sie weiß viel von der Welt, weiß auch, wo die Babies herkommen, weiß, dass die Eltern keine liebevolle Beziehung führen. Sie leidet unter der Armut. Anfangs kann sie sich im Atelier noch wegträumen (Spiegelmädchen), später gelingt das nicht mehr. Das braune Samtkleid ist für sie das Symbol ihrer Armut, das ihre Lage manifestiert.

Der Kaufmann Groenmans sieht etwas in ihr, was bis dato noch niemand gesehen hat: ihre Schönheit und Attraktivität. Ich war überrascht, dass sie zu ihm geht, obwohl ihr klar war, was passieren würde. Die Verzweiflung muss schon sehr groß gewesen sein. Die Angst, Lientje zu ersticken. Die Sehnsucht nach Veränderung.
Im Hotelzimmer passiert alles so, wie man es sich denken konnte. Es kommt zu einer weiteren Verabredung in der Stadt. Hoffentlich wird sie nicht schwanger!

Von Hannes ist die Rede. War er ihre große Liebe? Er hat sie anders angeschaut, als ob die Sonne aufgeht... (bis ihr der Zusammenhang mit dem flackernden Blick klar wurde;))

Niemals hat ihr jemand zugehört. Die Nachtschwester wird nun dazu genötigt. [zitat]Können Sie sich vorstellen, Schwester, dass ich am liebsten weinen würde, alle Tränen, die ich seit meiner Kindheit zurückgehalten habe?" vgl. 33[/zitat]

Diese Lebensgeschichte ist so traurig. Das vorläufige Ende kennt man ja schon: die Nervenklinik.

Was ich tapfer finde, ist, dass sie niemandem die Schuld für ihr Schicksal gibt. [zitat]Es waren weder die Umstände, noch die anderen Leute...- dort auf den Trottoirplatten hatte ich die Wahl. 76[/zitat]
Hatte sie die wirklich? Man hat von ihr erwartet, dass sie sich für andere aufopfert. Warum war nicht ein anderes Geschwister für das Neugeborene zuständig? Es waren doch genug da? Das ist doch zutiefst rücksichtslos gewesen. Warum aber hat sie auch nicht aufbegehrt? Sie ließ alles geschehen, hat nicht gejammert, sich nicht verweigert. Ein hartes Frauenschicksal. Vielleicht ein Stückweit typisch für diese Zeit (Wirtschaftskrise?).

Ich kann nicht sagen, dass ich das bislang gerne lese. Es ist wirklich so trostlos, geschrieben als Monolog, als Gedankenstrom. Mal schauen, was uns noch erwartet.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Ich bin noch nicht durch mit dem ersten Abschnitt ( habe deshalb hier nicht gelesen, was @Literaturhexle geschrieben hat), möchte trotzdem meinen ersten Eindruck mit euch teilen.
wie bei „Ich, Antoine“ haben wir es hier mit einem Ich- Erzähler zu tun. Hier ist der Adressat zwar kein Stuhl, sondern Heleen erzählt ihre Geschichte der Nachtschwester . Die könnte aber auch ein Möbelstück sein, denn sie antwortet nicht, zeigt keine Reaktion auf das Gehörte. Die Geschichte ist gleichfalls deprimierend.
Trotzdem lese ich hier gerne weiter und das liegt an der Sprache.
Beispiel: „ Ich möchte gern mit anderen Menschen reden, selber höre ich ja meine Stimme und meine Worte, aber heute kann ich es nicht ertragen, dass sie ungehört zu mir zurückkommen,...“
„ ... dass Vater keiner war, der küsst - er hatte nur für sich selber geheiratet.“
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Nun bin ich durch mit dem ersten Anschnitt und kann auf das Geschriebene hier eingehen.
. Alle Insassen müssen den ganzen Tag im Betti liegen. Wie schrecklich!
Der Roman ist bereits 1930 erschienen. Da waren die Zustände und „ Behandlungsmethoden“ noch anders als heute. Aber das Geschilderte ist tatsächlich grauenhaft.
Mit 13 musste sie zu Hause helfen, die Pflichten waren endlos, die Mutter war schwach, bekam ein Kind nach dem anderen. Insgesamt 13 Stück, von denen 10 überlebten. Der Vater war Maler von Beruf, ein Unfall machte ihn zum Pflegefall, trotzdem wurde noch Lientje gezeugt- eine Tatsache, die die Erz. dem Vater übel nimmt.
Keine schöne Kindheit. Als Älteste war sie ständig gefordert. Kinder übernehmen gerne mal kleine Arbeiten, doch wenn das ein Dauerzustand ist und keine Zeit für Spielen oder Lernen bleibt, ist es einfach zu viel. Ich kann ihre Vorbehalte dem Vater gegenüber verstehen. Auch als er zu krank zum Arbeiten war, war er immer noch vital genug zum Kindermachen. Er lässt sich als Christ feiern und als Kranker bedauern, nimmt aber keinerlei Rücksicht auf seine Frau. Für damalige Verhältnisse ist das Buch ganz schön kritisch.
Anfangs kann sie sich im Atelier noch wegträumen (Spiegelmädchen),
Aussagekräftiges Bild!
Was ich tapfer finde, ist, dass sie niemandem die Schuld für ihr Schicksal gibt.
Das gefällt mir auch! Kein Gejammere, sie sieht, dass man immer (? meistens? ) eine Wahl hat. Eine aufmerksame , junge Frau, die sich keinen Illusionen hingibt, sondern ihre Ziele verfolgt.
Warum war nicht ein anderes Geschwister für das Neugeborene zuständig? Es waren doch genug da?
Sie war die Älteste. Ich kenne das. Ich bin die Älteste von fünf Kindern und musste früh erwachsen sein. Es waren bei uns daheim nicht solche Bedingungen wie bei Heleen, doch ich habe mit zwölf Jahren schon einiges zu tun gehabt und mein jüngster Bruder,da war ich vierzehn, als der geboren wurde, war auch ein wenig mein Baby.
Als meine Mutter Krebs hatte, war ich mitten in meinem zweiten Staatsexamen, doch ich war jedes Wochenende daheim, habe geputzt, gewaschen, vorgekocht für die nächste Woche. Und auch heute noch trage ich die Hauptverantwortung für meine Eltern.
Man ( ich ) fühlt sich einfach verantwortlich, auch wenn man manches unwillig tut. Ansonsten ist das schlechte Gewissen da.
Bei Heleen scheint das niemand in Frage gestellt zu haben, auch sie selbst nicht.
Ich kann nicht sagen, dass ich das bislang gerne lese. Es ist wirklich so trostlos, geschrieben
Das Buch macht natürlich keinen Spaß, aber mir gefällt es. Mich interessiert das Schicksal dieser Frau, Dich wahrscheinlich auch.
 

Anjuta

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8. Januar 2016
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Essen
Die Insassin einer Nervenklinik nutzt die schlaflose Zeit der Nacht, um einer Schwester ihre Geschichte zu erzählen, die sie bisher anscheinend noch nicht losgeworden ist oder rauslassen konnte. Die Schwester als Zuhörerin ist ein schweigendes Gegenüber, von dem keinerlei Reaktion, Ermunterung oder auch Abwehr kommt. Aber die Erzählerin zieht es durch. Man merkt ihr den Drang zum Erzählen sehr stark an, trotz der wirklich traurigen Situation, dass ihr niemand wirklich zuzuhören scheint.
Die Geschichte ist die Geschichte eines "ältesten Kindes aus einer Familie, die von Almosen lebt". Freudlos, (kinder-)arbeitsreich und perspektivlos. Das ist sehr packend und anschaulich beschrieben. Ich kann mir sowohl zum armseligen Frauen-/Mädchenschicksal als auch zu der Szenerie in der Nervenklinik ein gutes Bild machen. Ich liebe bisher diese leise und unaufgeregte Erzählweise voller Trauer und Leid.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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lässt sich als Christ feiern und als Kranker bedauern, nimmt aber keinerlei Rücksicht auf seine Frau. Für damalige Verhältnisse ist das Buch ganz schön kritisch.
Diese Ambivalenz der Vaterfigur bringt die Autorin sehr geschickt vor. Ohne direkte Angriffe werden einfach nur die gemachten Beobachtungen geschildert, die beim Leser dann das Gesamtbild ergeben. Man stelle sich vor, dass der Mann noch 23 lange Jahre gepflegt werden musste:confused:.
Man ( ich ) fühlt sich einfach verantwortlich, auch wenn man manches unwillig tut. Ansonsten ist das schlechte Gewissen da.
Interessant. Da wird man praktisch in die Rolle hineinerzogen und kommt nicht wieder heraus, weil sich die anderen ja auch "verlassen".
Das Buch macht natürlich keinen Spaß, aber mir gefällt es. Mich interessiert das Schicksal dieser Frau, Dich wahrscheinlich auch
Klar. Das trifft es. Aber nach dem ersten Abschnitt brauchte ich eine Pause.
 

claudi-1963

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29. November 2015
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Sehr schade finde ich das in diesem Buch nur aus einer Person zu Wort kommt. Ich hätte es schöner gefunden wenn die Schwester nicht so nichtsagend danebensitzen würde.
Ich frage mich was mit Heleen passiert ist, das sie in der Nervenklinik ist. Anderseits kann man es gut verstehen, im Anbetracht der Dinge die sie als junges Mädchen schon tun musste. Ihre Eltern scheinen für mich doch recht egoistisch zu sein. Ohne darüber nachzudenken ob sie das überhaupt bewältigen setzen sie 10 Kinder in die Welt. Das Heleens Mutter dann bei ihrem letzen Kind nicht mehr fähig ist dies zu versorgen, gibt sie es einfach kurzerhand Heleen in ihre Obhut. Das ist schon ein dreistes Verhalten, zumal Heleen ja zu der Zeit arbeiten musste, Haushalt und nun noch das Kind versorgen und dadurch total überfordert ist. Wie kann man einfach so unüberlegt ein weiteres Kind bekommen? Zumal der Vater ja bettlägrig war, hätte die Mutter das nicht verhindern können? Oder wollte sich ihr Vater nochmals als ganzer Mann beweisen? Ich finde das hat auch nichts mehr mit Christsein zu tun wenn man um alles komm raus Kinder zeugt. Irgendwann sollte man einmal als Erwachsener wissen wann es genug sein muss.
Ich hatte sowas ähnliches mal in meiner Ausbildung erlebt. Die Frau brachte damals ihr 14 Kind auf die Welt, sah aber um Jahre älter aus. Keiner in der Wöchnerinstation konnte es verstehen, warum dieses Ehepaar nicht endlich begriff, das man als Mutter auch mal an seine Grenzen kommt. Ob es dann das letzte war weiß ich nicht, aber ich finde sowas total daneben. Vor allem in einer Zeit wo man verhüten kann, anders wie vielleicht Heleens Eltern und trotzdem gibt es sicher Wege um eine Schwangerschaft zu verhindern.

Es ist ja ok wenn Kinder auch etwas im Haushalt helfen, aber sie deshalb von der Schule zu nehmen und sie dann später sogar als Mutterersatz zu benutzen das geht ja gar nicht. Eigentlich eine traurige Kindheit die Heleen da erleben musste. Ich frage mich ob es nur ihr so erging oder auch ihren Geschwistern?

Also nach Antonio ist es auf alle Fälle weitaus besser zu lesen, da bin ich froh. Trotzdem würde ich mir mehr Resonanz wünschen auf Heleens Erzählungen. Ich befürchte allerdings, das es so das ganze Buch über weitergeht. Trotzdem finde ich es interessant und bin gespannt was Heleen noch erlebt und vor allem was zu ihrem Zusammenbruch geführt hat oder ob sie Lientje doch noch was angetan hat, zumindest hat sich das in einem Satz einmal so angehört.
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Mein Beitrag von gestern früh morgens ist verschwunden, hängt bestimmt mit der Umstellung zusammen.....
Ich frage mich, wie alt unsere Protagonistin zum Zeitpunkt des Erzählens ist. Die Handlung selbst liegt ja auch schon viele Jahre zurück, wie man auch daran erkennt, wie selbstverständlich die älteste Tochter Aufgaben übernehmen muss. Wobei ich es hier trotz allem, auch unter Berücksichtigung der damaligen Verhältnisse, als sehr extrem ansehe.
Hannes war nicht lange in ihrem Leben, er scheint aber ein sehr wichtiger Teil dessen gewesen zu sein. Ihr Hass auf das jüngste Geschwisterchen ist sicher der Überforderung geschuldet, ist aber dennoch besorgniserregend. Ob die Umstände für Ihren Aufenthalt dort zu finden sind?
 
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Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Sehr schade finde ich das in diesem Buch nur aus einer Person zu Wort kommt. Ich hätte es schöner gefunden wenn die Schwester nicht so nichtsagend danebensitzen würde.
Warum sie nichts sagt verstehe ich auch nicht so ganz. Liegt es daran, dass es Nacht ist, darf sie deshalb nicht reden, um den anderen Patienten die Ruhe zum schlafen zu lassen? Oder hält unsere Protagonistin diesen Monolg nur für sich?
 

Mikka Liest

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14. Februar 2015
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Hilter am Teutoburger Wald
wordpress.mikkaliest.de
Die Erzählerin ist in einer Nervenklinik. Mal sagt sie selber, sie sei verrückt, mal streitet sie das ab. Auf mich wirkt sie nicht verrückt, eher so, als sei sie nach einem Leben, in dem sie von allen Seiten ausgenutzt wurde, zusammengebrochen und habe etwas Schreckliches getan...

Schon als Kind und Jugendliche wurde sie überarbeitet und bekam dabei fast keinen Schlaf, das kann einen Menschen zum Extrem treiben. Dabei ist sie wahrscheinlich in dieser Zeit kein Einzelfall.

Ein paar Mal beginnt sie, etwas über ihre Schwester Lientje und ihre große Liebe Hannes zu sagen, bremst sich dann aber. Daher vermute ich, dass das Schreckliche mit ihnen zu tun hat. Hat sie Lientje doch noch getötet? Aber mein Eindruck ist, dass die Erzählerin keine junge Frau mehr ist, dass diese Nacht, in der sie Lientja fast erdrosselt hätte, also lange her ist.

Mein Eindruck ist, dass viele der Patient:innen in dieser Nervenklinik nicht "verrückt" sind. Die alten Menschen dort sind zum großen Teil wahrscheinlich einfach dement, die jüngeren wie die Erzählerin überfordert von ihrem Leben. Und dort wird niemandem wirklich geholfen, die Patient:innen sollen den ganzen Tag im Bett bleiben und erhalten wohl kaum richtige Therapie. Die Erzählerin hat ja mal einen Termin bei diesem Arzt, aber der beginnt schon nach dem ersten Gespräch, sie zu behandeln wie einen lästigen Gegenstand. Das Buch wurde in den 30ern geschrieben, soweit ich weiß, da war es wahrscheinlich wirklich so.

Die Nachtschwester bleibt ruhig, gibt keinerlei Signale, dass sie zuhört. Aber ich wette, das tut sie, sonst hätte sie die Erzählerin sicher schon längst wieder ins Bett verfrachtet... Wahrscheinlich wurde ihr beigebracht, nicht mit den Patient:innen zu sprechen, sie nicht zum Reden zu ermutigen. Stille Patient:innen sind pflegeleichter, und wenn sie erstmal angefangen haben, zu reden, fangen sie vielleicht auch an, zu weinen oder sogar zu schreien.

Also, ich kann mich der Geschichte jedenfalls nicht entziehen, sie hat mich richtig gepackt. Ich will wissen, wie es mit Heleen weitergeht, was sie erlebt hat, was sie in diese Nervenklinik gebracht hat.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Warum sie nichts sagt verstehe ich auch nicht so ganz.
@Barbara62 hat gestern eine gute Erklärung gegeben (sie fiel auch dem Update zum Opfer:(): die Schwester würde ja nur beschwichtigen können und trösten. Was soll sie sonst sagen?

Ich denke, die Intensität ist auch für den Leser größer, weil es eben keine Unterbrechungen gibt.
Ist nicht eine Beichte auch derart, dass der Pfarrer nur zuhört und ggf. erst ganz am Ende etwas sagt?
Also mir gefällt die Art des Erzählens außergewöhnlich gut. Die Geschichte nimmt auch mehr und mehr Fahrt auf (also im den nächsten Abschnitten).
 

Renie

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19. Mai 2014
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Ich frage mich, wie alt unsere Protagonistin zum Zeitpunkt des Erzählens ist.
Das habe ich mich tatsächlich auch gefragt. Man wird durch ihre Erinnerungen irre geleitet. Ich sehe zumindest immer eine junge Frau Anfang/Mitte Dreißig vor mir. Daher bin ich gespannt, ob wir hier eine Auflösung bekommen.
Die Nachtschwester bleibt ruhig, gibt keinerlei Signale, dass sie zuhört.
Die Signale gibt sie schon, das erfahren wir durch Heleen.
Die Nachtschwester spricht zwar nicht, reagiert aber mit ihrer Körpersprache. Und ich schätze mal, dass noch mehr Reaktionen von ihr kommen werden, denn Heleens Geschichte ist spannend und außergewöhnlich.
Beispiel: "Ah, jetzt runzeln Sie die Stirn" (S. 42)
 

Renie

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19. Mai 2014
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renies-lesetagebuch.blogspot.de
Ich liebe bisher diese leise und unaufgeregte Erzählweise voller Trauer und Leid.
Geht mir genauso. Die Erzählweise von Heleen ist sehr emotionslos. Sie schildert ihren bisherigen und sehr steinigen Lebensweg, ohne zu lamentieren und Schuld auszusprechen, als ob dieser Weg das Normalste der Welt war. Es war halt so.
Ich habe auch nicht den Eindruck, dass sie ihre schwere Kindheit als Entschuldigung ansieht, für das, was dann gekommen ist (was immer es gewesen sein mag :rolleyes:?)
 

Querleserin

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30. Dezember 2015
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Es ist wirklich so trostlos, geschrieben als Monolog, als Gedankenstrom.
Ich finde die Erzählweise sehr interessant. Ein langer Monolog, in dem die Ich-Erzählerin unbedingt ihre Geschichte los werden will. Es scheint, als habe sie schon lange auf diesen Moment gewartet. Seit 7 Monaten ist sie in der Nervenklinik, ich sehe sie auch im Alter von 30-40 Jahren.
Neben ihrem Monolog geht sie aber auch auf die Signale der Schwester ein, wie schon gesagt wurde. Diese hört ihr zu, aber was sollte sie schon sagen? Aufgrund der Tatsache, dass sie die Patientin nichts ins Bett zurück verfrachtet, zeigt sie ihr Interesse ebenso wie mit ihrer Gestik und Mimik.

Sehr schade finde ich das in diesem Buch nur aus einer Person zu Wort kommt. Ich hätte es schöner gefunden wenn die Schwester nicht so nichtsagend danebensitzen würde.

Die Wirkung ist jedoch dichter und intensiver, dadurch, dass die Ich-Erzählerin nicht unterbrochen wird.
Ob sie wirklich psychisch erkrankt ist, wissen wir nicht. Die Frage ist auch, inwiefern wir ihrer Erzählung und ihren Erklärungen trauen dürfen. Wir kennen nur ihre Perspektive.
 

Barbara62

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19. März 2020
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Baden-Württemberg
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@Barbara62 hat gestern eine gute Erklärung gegeben (sie fiel auch dem Update zum Opfer:(): die Schwester würde ja nur beschwichtigen können und trösten. Was soll sie sonst sagen?

Danke, dass du es wiederholt hast. Ich habe da wohl etwas verpasst, ein Update? Und das hat meinen Beitrag geschluckt? Wie gemein! Gestern konnte ich auf einmal nichts mehr zum zweiten Abschnitt posten und heute war unser Rückreisetag aus dem Urlaub. Ich melde mich deshalb morgen wieder, ich bin schon fast durch.

Mir gefällt das Buch gut, eben auch deshalb, weil die Ich-Erzählerin nicht klagt. Natürlich wissen wir nichts über ihre Zuverlässigkeit, aber geschönt wirkt ihr Bericht nicht.

Sie erzählt zum ersten Mal, hat sich dafür die Nachtschwester ausgesucht. Sie erzählt, um sich selbst über das Geschehene Klarheit zu verschaffen.

Ich hatte noch Bezug auf zwei andere Titel genommen, die ich in letzter Zeit gelesen hatte und die ebenfalls in der weiblichen Psychiatrie zu früherer Zeit spielen: "Die Frauen von Själö" (empfehlenswert) und "Die Tanzenden" (eingeschränkt empfehlenswert).
 

Barbara62

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Baden-Württemberg
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Das habe ich auch gelesen. Mir hat es gut gefallen, zeigt es doch, wie mit psychisch Erkrankten um die Jahrhundertwende umgegangen wurde. Das Mystische im Roman ist sicherlich nicht für jede*n geeignet ;)

Ja. Außer der Mystik hat es mir auch gut gefallen, aber die Einschränkung der Empfehlung bezieht sich genau darauf. "Die Frauen von Själö" kommt ohne aus und gefiel mir daher besser.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
19.469
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Außer der Mystik hat es mir auch gut gefallen, aber die Einschränkung der Empfehlung bezieht sich genau darauf.
Wieder eine Gemeinsamkeit zwischen uns, Barbara:)
Ich fühlte mich von der Querleserin gleich angesprochen. Ich habe das Buch noch nie in die engere Wahl gezogen, aber beim Thema Mystik ist es nun komplett raus. Ich bin immer froh, ein paar Themen komplett ausschließen zu können...