1. Leseabschnitt: Beginn bis Seite 66

Christian1977

Bekanntes Mitglied
8. Oktober 2021
2.630
12.864
49
47
Ich möchte zunächst einmal voranstellen, dass ich damals nicht für diesen Roman abgestimmt habe, weil die Beschreibung irgendwie recht banal und nicht besonders spannend auf mich wirkte.

Als feststand, dass es eine Leserunde geben wird, habe ich die Leseprobe gelesen - und war total angetan von dieser wirklich aberwitzigen Konstellation in der Altbauwohnung. Die Familie darf nur einziehen, wenn der Ex-Mann dort wohnen bleiben darf. Wer macht so etwas? Also außer Coordt und Franziska? Jedenfalls hatte ich das Gefühl, diese Konstellation könnte die Grundlage eines wirklich spannenden Romans werden. Und siehe da: Bisher wurde ich nicht enttäuscht.

Denn ohne genau zu wissen, warum, fasziniert mich "Unser Glück" bislang auf eine seltsame Art und Weise. Und um die alte Floskel zu bemühen, konnte ich es wirklich schwer beiseite legen.

Die Sprache gefällt mir. Sie ist klar, schnörkellos, was für mich nicht zwingend ein Qualitätskriterium ist, da ich es auch mal ein wenig verschachtelter mag. Die Sätze sind kurz. Aber hier funktioniert es für mich gut und harmonisiert mit dem Inhalt, denn auch die Kommunikation zwischen Coordt und Franziska ist ja eher nicht besonders ausschweifend.

Die Hitzewelle wird eindringlich dargestellt, die Trägheit des Sommers überträgt sich auf die Figuren. Auf mich aber nicht, denn ich möchte immer wissen, was als nächstes geschieht.

Die Figuren sind ein wenig spröde, Franziska sogar recht unsympathisch. Coordt ist dem Namen entsprechend (sorry an alle Coordts) vielleicht etwas langweilig, aber nicht unsympathisch. Bobo ist natürlich ein Phänomen. Ich dachte sofort an das auf S. 43 geschilderte Hikikomori-Phänomen, da ich mal einen sehr gelungenen deutschen Film dazu sah. Er heißt "1000 Arten Regen zu beschreiben". Da Bobo manchmal aber doch den direkten Kontakt sucht, scheint es das nicht zu sein.

Gewundert hat mich in diesem Zusammenhang, dass Coordt Franziska überhaupt nicht danach fragt, woher sie seinen (seltsamen) Namen weiß. Er lässt sich das gesamte Gespräch erzählen, aber auf den Namen geht er überhaupt nicht ein.

Sehr gut gemacht ist außerdem, wie langsam aber stetig sich das Konfliktpotenzial zwischen dem Paar aufbaut, ohne dass es dafür großer Worte bedarf. Erstaunlich auch, wie sich Franziska entwickelt, indem sie sich offenbar assimiliert. Das finde ich auch aus soziologischer und psychologischer Sicht sehr spannend.

Deshalb reicht es jetzt auch mit dem Schreiben und ich lese gespannt weiter...
 

Emswashed

Bekanntes Mitglied
9. Mai 2020
2.733
9.772
49
Der @Christian1977 mal wieder! Dir kann man nicht zuvorkommen, oder?;)

Nein, alles gut! Also im Gegensatz zu Christian, hat mich diese Thematik, Wohnungsuche in München, sofort angesprochen! Meine kleine Familie stand vor 16 Jahren vor dem gleichen Problem, wir hatten sogar auch so etwas, wie einen "schrägen" Mitbewohner...

Die Hauptperson ist wohl Coordt, der als "moderener" Familienhäuptling eine Menge Positionen auszufüllen hat. Angemessener Wohnraum, ausreichendes Gehalt und möglichst viele Sympathien bei Vorgesetzten, Vermietern und natürlich der eigenen Familie. Das wird auf eine harte Probe gestellt.

Sein Sohn lehnt ihn zunächst völlig ab, sein Chef lobt seine Unterwürfigkeit (versteckte Kritik?) und den Mietvertrag bekommt er auch nur, weil der Exmann der Vermieterin mit ihm einverstanden ist.

Und jetzt findet seine Frau auch noch zu ihrem eigenen Leben zurück und er kann nicht mehr der rettende Held sein. Außerdem ist da noch Bobo, mit dem seine Frau lockerer umgeht als er. Er hat schlaflose Nächte.

Im Widerspruch zum Klappentext, ist Bobo ja nicht ganz unsichtbar und, wie ich finde, auch nicht unheimlich. Coordt ist mit unheimlich, schließlich versucht er ja mit angeklebten Haaren einen vermeintlichen Bösewicht zu überführen. Doch was will er beweisen?

Den Kaninchenbau habe ich erst einmal gegoogelt und die Kunst-to-go muss ich mir wohl mal am Stachus genauer anschauen. Hat ein bißchen was von München-Werbung.
 

Christian1977

Bekanntes Mitglied
8. Oktober 2021
2.630
12.864
49
47
Der @Christian1977 mal wieder! Dir kann man nicht zuvorkommen, oder?;)
Und ich war mir sehr sicher, dass du als Zweite etwas schreiben würdest. ;)
Coordt ist mit unheimlich, schließlich versucht er ja mit angeklebten Haaren einen vermeintlichen Bösewicht zu überführen
Das habe ich ehrlich gesagt nicht verstanden mit den angeklebten Haaren?

Wie gefällt dir denn der Stil des Romans?
 

Emswashed

Bekanntes Mitglied
9. Mai 2020
2.733
9.772
49
Das habe ich ehrlich gesagt nicht verstanden mit den angeklebten Haaren?
Bei mir , oder im Text? Egal! Musst Du mehr alte Detektivfilme gucken.:D

Also, man "klebt" ein Haar quer über Zarge und Tür. Das Haar ist fast unsichtbar und es reißt sofort, wenn die Tür geöffnet wurde. Wenn also am nächsten Morgen dieses Haar noch unversehrt ist, dann hat sich auch niemand fortgeschlichen.

Coordt will Kontrolle über Bobo.

Der Stil ist o.k.. Die Geschichte klebt ziemlich an Coordts Sicht der Dinge, dadurch bleibt Franziska relativ oberflächlich, obwohl sie doch die Wochenbettdepressionen hatte und ihr Leben sich von Grund auf geändert hat.

Die kurzen Abschnitte und die wenigen Protagonisten machen das Lesen allerdings sehr einfach. Die Absurdität der Situation wird so schon fast zur Normalität.

(allerdings habe ich schon weitergelesen... es ändert sich)
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.444
49.883
49
Mich hat der Roman interessiert, seitdem die nette Verlagsvetreterin ihn uns auf der FBM schmackhaft gemacht hat:). (Allerdings galt das ebenso für den Ausflug...)

Kurze, klare Sätze, konsequent Coordts Perspektive, die ihn natürlich als modernen, aufgeschlossenen Familienvater zeigt, der Verständnis für die Grillen seiner Frau hat. Ich finde es herrlich beschrieben, wie sich dieses Verhältnis regelrecht umkehrt: in der alten Bleibe ist Franzi unzufrieden, hat psychische Probleme, fühlt sich zu sehr aufs Muttersein reduziert. Nun atmet sie auf, die neue Wohnung gibt ihr die Lebenszufriedenheit zurück, was sich natürlich auch auf den zuvor schwierigen Sohn auswirkt. Alles könnte so schön sein. Wenn nicht, ja wenn nicht Coordt sich nun in die Situation mit dem Untermieter hineinsteigern würde. Zugegeben, in solch eine Wohnsituation hätte ich mich nie rein begeben. Aber wenn man es tut, muss man damit leben. Das nächtliche Überwachen, seine Phantasien haben ja etwas von einer Paranoia.

Nun kommt noch diese Nachbarin dazu, die Coordt als ein Butterbrot bezeichnet - nicht sehr nett. Offenbar hat Franzi ihre Liebe zum luxuriösen Leben entdeckt. Das geht wahrscheinlich nicht gut. Denn die Gehaltserhöhung wurde schon für die höhere Miete gebraucht. Nun wird im Feinkostladen eingekauft, Schmuck getragen, Ansprüche gestellt. Früher hatte Franzi wenig Lust auf Sex, jetzt ist Coordt zu müde.
Franzi hat keinen Beruf, das schränkt ihre Möglichkeiten ein. Die Aushilfe im Laden bringt außer Spaß nichts ein. Sie wirkt auf mich ein bisschen wie eine Anspruchspflanze.

Die Veränderungen in der Paarbeziehung werden sehr anschaulich beschrieben, die Dialoge empfinde ich als gelungen. Im Hintergrund spielt eine glaubwürdige Symbolik mit: die drückende Hitze, der platzende Luftballon, das Gewitter. Alles sehr bildlich.

Zu was entwickelt sich dieser Roman? Psycho-Thriller, Beziehungskrieg, Eifersuchtsdrama? Ich lese sehr interessiert weiter.
 

Christian1977

Bekanntes Mitglied
8. Oktober 2021
2.630
12.864
49
47
  • Like
Reaktionen: Emswashed

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.444
49.883
49
Anspruchspflanze: Eine Person, die immer hohe Ansprüche an andere stellt, ohne selbst welche zu erfüllen. Kaum hat der Mann eine Gehaltserhöhung, wird gleich von Schmuck-Geschenken gesprochen, die jetzt fällig werden, und nur noch um die Ecke eingekauft. Sie selbst will ihre Träume verwirklichen vom Schmuckdesign, hat aber nicht mal ihr Studium abgeschlossen. Solche Frauen/Männer brauchen in der Regel einen Partner, der sehr, sehr gut verdient! Die Schmuckboutique als Abschreibungsmodell:p
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.444
49.883
49
Sehr gut gemacht ist außerdem, wie langsam aber stetig sich das Konfliktpotenzial zwischen dem Paar aufbaut, ohne dass es dafür großer Worte bedarf. Er
Das finde ich auch sehr gut gelungen. Die Beziehung ist zu Beginn im Ungleichgewicht, tariert sich aus, um gleich anschließend auf der anderen Seite ins Ungleichgewicht zu geraten. Wunderbar subtil geschildert.
Coordt ist mit unheimlich,
Nein, unheimlich ist er mir (noch) nicht, auch wenn er sich da ungemein reinsteigert. Die beiden Begegnungen Coordts mit Bobo habe ich schon auch als speziell empfunden. Es muss doch auch jeder mal einkaufen? Schon seltsam.
Coordt will Kontrolle über Bobo.
Nein, er will doch nur überprüfen, ob jener nachts in seiner Wohnung/bei seinem Kind umherwandelt. Diese Fixierung hat unser Coordt ja.
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.444
49.883
49
Franziska fragt nur nach der Summe und interessiert sich ansonsten gar nicht für ihn.
Habe ich auch so empfunden. Man muss ihr zugute halten, dass sie gerade an dem Abend sehr im Erzählrausch war wegen dieser Nachbarin. Allerdings sollte man spüren, dass der andere noch mehr zu erzählen hat. Die Frau ist nicht ohne...
 

Emswashed

Bekanntes Mitglied
9. Mai 2020
2.733
9.772
49
Kaum hat der Mann eine Gehaltserhöhung, wird gleich von Schmuck-Geschenken gesprochen, die jetzt fällig werden, und nur noch um die Ecke eingekauft. Sie selbst will ihre Träume verwirklichen vom Schmuckdesign, hat aber nicht mal ihr Studium abgeschlossen.

Und ich denke, dass Coordt da noch nicht "aufgewacht" ist, und das immer noch für "süße Marotten", die er ja an ihr liebt, hält.
Ich verstehe nicht, warum er nicht Tacheles redet. Er hebt selbst seine Frau auf den goldenen Thron und denkt nicht daran, dass die Fundamente wackeln. Ich meine, wer bitteschön, leistet sich eine teure Wohnung und hofft darauf, dass er das mit einer Gehaltserhöhung, die ja zu dem Zeitpunkt keinesfalls gewiss war, schon stemmen wird.
 

Sassenach123

Bekanntes Mitglied
27. Dezember 2015
4.344
10.637
49
49
Mir tat Coordt in dieser Szene schon etwas leid, auch wenn ich nicht die größte Nähe zu ihm verspüre. Franziska fragt nur nach der Summe und interessiert sich ansonsten gar nicht für ihn.
Ja, das habe ich auch so empfunden. Er verschweigt die Beförderung, um ihr ihren Erfolg nicht kleiner zu machen. Traurig, wenn der Partner so denkt. Wobei man es Coordt ja nicht verdenken kann, wer will schon eine dunkle Phase heraufbeschwören
 

Sassenach123

Bekanntes Mitglied
27. Dezember 2015
4.344
10.637
49
49
Die Beziehung scheint sich kurz sehr verbessert zu haben, als sie die neue Wohnung, mit Mitbewohner, bezogen haben. Doch die Idylle bröckelt bereits, allerdings ist mir noch nicht ganz klar in welche Richtung das alles gehen wird.

Die Fiktion von Franziska auf die neue Nachbarin könnte durchaus zu noch größeren Problemen führen, erst Recht, wenn diese mit ihren Äußerungen Unmut sät. Die neue Fassade ist nur nach außen schick, ansonsten tut es Franziska nicht gut jemanden kopieren zu wollen. Coolste findet für sich die treffenden Worte, doch er schafft es nicht sie seiner Frau verständlich näher zu bringen.

Wieso eigentlich Bobo? Heißt er wirklich so? Hat er sich so vorgestellt? Oder ist mir etwas entgangen?

Der Stil gefällt mir, er ist locker und leicht verständlich. Allerdings bemerke ich, dass ich beim lesen oft denke wie bizarr das alles ist. Ich hätte mir nämlich so ein Arrangement nicht vorstellen können.
 

Sassenach123

Bekanntes Mitglied
27. Dezember 2015
4.344
10.637
49
49
Und ich denke, dass Coordt da noch nicht "aufgewacht" ist, und das immer noch für "süße Marotten", die er ja an ihr liebt, hält.
Ich verstehe nicht, warum er nicht Tacheles redet. Er hebt selbst seine Frau auf den goldenen Thron und denkt nicht daran, dass die Fundamente wackeln. Ich meine, wer bitteschön, leistet sich eine teure Wohnung und hofft darauf, dass er das mit einer Gehaltserhöhung, die ja zu dem Zeitpunkt keinesfalls gewiss war, schon stemmen wird.
Ich hatte manchmal das Gefühl das ihm durchaus einiges nicht gefällt, er aber Angst vor ihren Launen hat, und um diese zu umgehen, nimmt er den Weg des geringsten Widerstandes. Und er liebt sie wohl auch, und erkennt einiges noch nicht, wie du auch geschrieben hast
 

Renie

Moderator
Teammitglied
19. Mai 2014
5.892
12.585
49
Essen
renies-lesetagebuch.blogspot.de
Ich bin erleichtert, da ich ein gewisses Risiko gesehen habe, dass der Roman ein Banälchen sein könnte. Dem ist aber ganz und gar nicht so. Mich hat der Plot sofort angefixt. Kaum vorstellbar, dass man sich auf solch einen Deal einlässt. Doch scheinbar erfordert der Wohnungsmarkt in München verzweifelte Maßnahmen, um den Traum vom kuscheligen Familiennest leben zu können.
Der Bobo ist ein merkwürdiger Mensch, zumindest ist er ein Sturkopf. Hätte er die Hoffnung auf ein späteres betreutes Wohnen gehabt, wäre er Coordt gegenüber offener und freundlicher gewesen, würde sich nicht in seinem Zimmer verkriechen, sondern den Kontakt zu der Familie suchen. Das hätte richtig nett werden können. Der freundliche Opi im Haus, der sich auch mal um den Kleinen kümmert und den Eltern dadurch ein paar Freiräume verschafft. Im Gegenzug hätte Opa Bobo jemanden gehabt, der sich um ihn kümmert, wenn er seinen Alltag allein nicht mehr hinkriegt. Stattdessen ist er der unheimliche "Mitbewohner" in einer Zwangs-WG. Der führt doch etwas im Schilde.

Die Geschichte ist richtig verrückt und ich betrachte neugierig das Ehepaar.
Coordt ist für mich keiner, der gern aneckt. Er ist ein Rücksichtnehmer, der es vielen Recht machen will, insbesondere seiner Frau. Im Büro wird er nicht für voll genommen. "Systemkonform" ist die versteckte Spitze eines Chefs und steht für: Coordt macht, was er soll und davon soviel wie möglich, ohne Entscheidungen in Frage zu stellen. Solche Arbeitstiere muss man sich warm halten.

Die Ehe von Franzi und Coordt ist eigenartig. Es scheint sich alles um Franzi und ihre Befindlichkeiten zu drehen. Das Studium hat sie nicht zum Abschluss gebracht, die Schwangerschaft passte daher gut in den Kram. Als Mutter war sie anfangs überfordert. Sie träumt von einem anderen Leben, nur von welchem? Mit der Wohnung verbindet sie einen Lifestyle, der ihr gut zu Gesicht stehen könnte. Sie fängt an, sich ein neues Leben zurechtzulegen, nimmt dabei die Nachbarin im Haus als Vorbild und identifiziert sich mit ihr. Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass sie vieles anfängt, aber nicht zu Ende bringt.
Coordt spricht immer von der früheren Franni. Noch kann ich aber nicht erkennen., wer sie früher war und was er in ihr gesehen hat. Er scheint eine Vorstellung von ihr zu lieben und ich befürchte, dass er enttäuscht wird.
 

Renie

Moderator
Teammitglied
19. Mai 2014
5.892
12.585
49
Essen
renies-lesetagebuch.blogspot.de