1. Leseabschnitt: Beginn bis Seite 62 (bis Kapitel 10)

Emswashed

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9. Mai 2020
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Kathy Page wirft mich unvorbereitet ins Geschehen. Die ersten Kapitel sind kurze Aufblenden, Szenen aus Simons Leben in der Haftanstalt, der Eintritt, das Erlernen des Schreibens, die Zusammenkünfte mit seinem Betreuer, seine Arbeitseinsätze.
Sie werden präzis beschrieben, aber es wird kein Schritt nach links oder rechts geschaut, die erste Rückblende kommt erst am Ende der ersten LA.
Diese nüchterne Konzentriertheit wirkt aber sehr eindringlich und so bin ich als Leser erst einmal ganz darauf beschränkt und mache mir wenig Gedanken um das Wieso und Warum. Simon führt mich quasi mit strenger Hand durch die Geschichte und lässt mich erst wissen, was es zu wissen gibt, wenn er dafür bereit ist.
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Und vor allen Dingen, was will er mit den Briefbekanntschaften?
Vielleicht seine Einsamkeit kaschieren? Nicht nur seine Einsamkeit im Gefängnis sondern auch im Herzen. Er ist ja nie wirklich "heimisch" geworden, wurde immer nur "durchgereicht". Zu seiner einen Ziehmutter wollte er ja auch keinen Kontakt mehr.
Am Ende des Romans wissen wir mehr ;) .
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Positiv möchte ich noch anmerken, dass die Autorin das Feeling in einem Gefängnis großartig rüberbringt; sie hat ja selbst in einem Gefängnis gearbeitet und recherchiert. Außerdem macht sie durch Simon auf Missstände aufmerksam:
Unsere Gefängnisse platzen aus allen Nähten; Gefangene werden in beengten Verhältnissen festgehalten, haben kaum oder gar keinen Zugang zu jenen Bildungs- oder Sozialangeboten, die sie unter Umständen verändern könnten. Aus den Augen, aus dem Sinn, befürchte ich. (S. 46)
Von Resozialisierung war man damals noch weit entfernt...

Und - ein weiterer positiver Aspekt: es ist für mich eine Art Plädoyer für das Briefe schreiben:
Aber genau das macht einen Brief aus: Er ist ein Ding, verschwindet nicht wie ein Gespräch. Menschen bewahren Briefe auf, selbst wenn sie es besser nicht täten, in Schuhkartons so wie er, oder zwischen Büchern im Regal, mit einem Band verschnürt hinter dem Kleiderschrank. Jahre später ist er noch da: kein Gespräch, an das man sich erinnert, nur das, was tatsächlich niedergeschrieben wurde. Die Gefühle ihnen gegenüber mögen sich verändern, doch Menschen, die einem geschrieben haben, vergisst man nicht so leicht. (S. 40)
Was hat denn in unserer "modernen" Gesellschaft noch Bestand? Die Milliarden Nachrichten täglich auf aller Welt sind irgendwann nur noch im Cyberspace "verfügbar", aber es nichts zum "anfassen" - wenn ihr versteht, was ich meine. :cool:
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Wer es noch nicht gemerkt hat: mir gefällt das Buch bisher :D.
Ich halte mich zukünftig zurück.... Dann kann auch ein König mal gesprächig werden:p...
Spaß! Ich fange heute Abend erst an. Trotzdem freue ich mich über deine Beiträge (die ich inhaltlich natürlich noch nicht werten kann;))
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Ich halte mich zukünftig zurück.... Dann kann auch ein König mal gesprächig werden:p...
:D Ne ne, Hexle - du als Moderatorin musst mit gutem Beispiel vorangehen; ich halte mich ja nur zurück, weil ich Respekt (oder Angst? :eek::)) vor dir habe muhahahaha.
Ich wünsche dir auf jeden Fall viel Spaß mit dem ersten Abschnitt; ich werde heute noch mit dem 2. beginnen.
 
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Reaktionen: Emswashed

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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  • Simon hat nur wenige Habseligkeiten als er seine Strafe antritt. Der Brief macht direkt betroffen, lässt er uns doch wissen, dass seine Mutter es nicht versucht wollte ihren Sohn großzuziehen. Im Gefängnis bekommt er nun die Gelegenheit lesen zu lernen. Ted bemüht sich wirklich redlich! In diesem Zusammenhang denkt Simon, dass er nichts gegen Ted hat, dass er so noch nie empfunden hat, und sich das gut anfühlt. Damit gibt die Autorin uns direkt am Anfang eine erschreckende Information. Was empfindet Simon dann? Wut, Hass, und Unzulänglichkeiten? Wie muss es wohl sein, wenn alle positiven Empfindungen anderen Menschen gegenüber nicht existieren? Ist es ein Selbstschutz, ein Mechanismus des Geistes der vor Enttäuschungen schützt?
  • Als er mit den Briefen beginnt, scheint es fast so, als ob er versucht sich damit zu therapieren. Er sucht zwar auch Ablenkung, aber das scheint nicht sein Hauptantrieb zu sein. Das er nun durch Tasmin soweit ist, und über Amanda nachdenkt, scheint mir ein wichtiger Schritt.
  • Der Roman ist interessant, es fühlt sich merkwürdig an in Simons Gedankenwelt abzutauchen. Ich frage mich immer wieder, was genau dazu geführt hat, das aus ihm dieser Mensch geworden ist. Viele Menschen wachsen in Pflegefamilien auf, doch sie werden deshalb nicht zu Mördern.
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Simon führt mich quasi mit strenger Hand durch die Geschichte und lässt mich erst wissen, was es zu wissen gibt, wenn er dafür bereit ist.
Generell wirkt es auf mich so, als wenn Simon eine ganz klare Sicht auf alles hat. Er zeigt zwar so gut wie keine Empathie, und das scheint ein großes Problem zu sein, aber er ist ansonsten Herr seiner Sinne. Ich bin echt gespannt darauf, warum Amanda sterben musste.
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Was hat denn in unserer "modernen" Gesellschaft noch Bestand? Die Milliarden Nachrichten täglich auf aller Welt sind irgendwann nur noch im Cyberspace "verfügbar", aber es nichts zum "anfassen" - wenn ihr versteht, was ich meine. :cool:
Hört sich jetzt vielleicht blöd an, aber ich empfinde einen Brief viel persönlicher als eine Textnachricht. Inhaltlich kann zwar dasselbe drinstehen, aber irgendwie, ach, erklären kann ich es nicht
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Hört sich jetzt vielleicht blöd an, aber ich empfinde einen Brief viel persönlicher als eine Textnachricht. Inhaltlich kann zwar dasselbe drinstehen, aber irgendwie, ach, erklären kann ich es nicht
Da bin ich ganz bei dir! Ein Brief ist nachhaltiger und als Archivar liebe ich eh Originale mehr als nur diesen digitalen Kram ;) .
 

Xirxe

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19. Februar 2017
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Und vor allen Dingen, was will er mit den Briefbekanntschaften?
Vielleicht am Leben teilnehmen, das da draußen abläuft? Und für sich selbst die Möglichkeit nutzen, ein Anderer zu sein. Einer mit allen Möglichkeiten, mit einem 'normalen' Leben.
Er Spielt praktisch mit ihm und ich frage mich, mit wem noch?
Siehst Du das als spielen? Ich habe den Eindruck, er will von sich nichts preisgeben (weil er sich nicht verstanden fühlt, sich schämt, seine Verdrängung sonst aufgeben müsste ...) und ist intelligent genug um zu wissen, wie er das machen muss. Wenn Du das mit spielen meinst, kann ich das nachvollziehen.
In diesem Zusammenhang denkt Simon, dass er nichts gegen Ted hat, dass er so noch nie empfunden hat, und sich das gut anfühlt. Damit gibt die Autorin uns direkt am Anfang eine erschreckende Information.
Ja, das ging mir auch so. Wenn das wirklich der erste Mensch war ... Aber Amanda war doch seine Freundin und er fand sie anziehend, also muss sie wohl der erste Mensch gewesen sein. Erschreckend ist es dennoch.
wie es war, als noch Briefe geschrieben wurden :p:D.
Was heißt denn hier 'wurden'? Ich schreibe immer noch - ok, ich bin schon fast richtig alt und grau und tatterig ;) Zählt das dann nicht mehr?

Simon unterdrückt weitestgehend seine Gefühle, was nicht verwundert, denn wenn er sie zulässt, verwandeln sie sich schnell in Aggression und Gewalt. Kein Wunder, dass er so unterkühlt wirkt. Als Kind immer wieder verlassen zu werden, muss entsetzlich sein und irgendwann bildest Du einen solchen Panzer um Dich herum, um nur nicht wieder verletzt zu werden. Shuggie Bain kam ja auch aus schwierigen Verhältnissen, aber er hatte immerhin eine Mutter die ihn liebte und die ihn nicht verließ. Vielleicht ist das eine Erklärung für Simons Art.
Dass er am Ende dieses Abschnitts so wütend auf die Schreibmaschine wurde, hängt vielleicht auch damit zusammen. Dieses plötzliche Geschenk, einfach so, selbstlos, löst Gefühle in ihm aus und er verspürt plötzlich selbst den Wunsch, das Vergangene damit festzuhalten. Und er spürt, dass sein Panzer Risse bekommt - der Panzer, den er sich sein Leben aufgebaut hatte.
Simons Geschichte wirkt sehr überzeugend auf mich und ich glaube, ohne diesen einjährigen Aufenthalt der Autorin im Männergefängnis wäre das nicht so gut geworden.
Übrigens: Bei all dieser Korrektheit, die nun überall eingehalten werden soll: Dürfen Männer aus Frauensicht und Frauen aus Männersicht überhaupt noch schreiben? Sarah Jane und nun dieses hier geht doch eigentlich gar nicht mehr, oder ;)? Was würde uns dadurch nur verloren gehen!