1. Leseabschnitt: Beginn bis Seite 60

Bibliomarie

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10. September 2015
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Ich beginne mal mit meinen Eindrücken:


Nach außen wirken Peter und Rahel wie ein harmonisches Ehepaar in sehr komfortablen Lebensumständen. Die Kinder aus dem Haus, man hat sich arrangiert. Aber Risse sind nicht zu übersehen. Gleich am Anfang wird es erwähnt: die lebhaften Gespräche sind distinguierter Freundlichkeit gewichen und Peters feiner Humor kippt ins Zynische.

„Ohne mich zu fragen. Soweit sind wir schon gekommen“, einige Jahre früher hätte Peter der spontanen Entscheidung wohl vorbehaltlos zugestimmt.

Als Therapeutin kennt Rahel die Vorzeichen, wenn die Lust und das Begehren verloren gehen, sie fühlt sich schlecht damit. Es kränkt sie, dass Peter sie nicht begehrt, den Sex als Pflichterfüllung absolviert oder ihn möglichst ganz umgeht. Und dann seine Erklärung, warum er nicht mehr mit ihr schlafen kann. Sie sei ihm in den Rücken gefallen! Das wirkt für mich nicht echt. Die Skulptur die Rahel in Victors Atelier sieht – die nackte Tänzerin mit den Spinnweben zwischen den Beinen empfinde ich als deutliche Analogie.

Überhaupt scheint Victor ein besonderes Interesse an der jungen Rahel gehabt zu haben. Wird es da im Lauf der Geschichte noch zu Erklärungen kommen?

Der Vorfall an der Uni, der Peter so nachhaltig beschäftigt und beschädigt hat, ist ein zeittypischer Aufreger. Olivia P hätte wohl früher oder später eine Äußerung Peters zum Anlass genommen, sich zu produzieren. Aber mit seinem Beharren auf den Eintrag „Frau“ hat er P natürlich eine Steilvorlage geliefert, Shitstorm in Netz inclusive.
Wie ungeschickt hat er da reagiert, warum konnte er auf P nicht eingehen?
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Zu den Punkten die @Bibliomarie bereits aufgezählt hat kann ich nicht mehr viel ergänzen. Kurze Zeit dachte ich, dass Victor und seine Frau im selben Alter sind wie Rahel und Peter, aber sie waren im Alter von Rahels Mutter, daher kam sie auch um zu helfen als diese erkrankte.
Das Versorgen der Tiere scheint Peter sehr viel Spaß zu machen, ich wage bereits zu hoffen, dass die Idyle den beiden letztlich helfen wird, wieder zueinander zu finden. Zur Zeit ähnelt die Beziehung wirklich eher einer Freundschaft, ich kann verstehen, dass Rahel dies nur eine begrenzte Zeit aushalten kann. Zur Zeit wirkt es nicht so, als ob Peter aktiv etwas unternehmen möchte. Im Gegenteil, er äußert ja, dass er genau das nicht tun will. Schwierig, denn auch Peters Verhalten kann ich durchaus nachvollziehen, er will gar nicht erst versuchen etwas zu erzwingen.
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Die Skulptur die Rahel in Victors Atelier sieht – die nackte Tänzerin mit den Spinnweben zwischen den Beinen empfinde ich als deutliche Analogie.
Obwohl mir solche Andeutungen ja öfter mal entgehen, sprang es mir direkt ins Auge. Auch die kleine Elfe, die dann einen Flügel verloren hat, ist sehr aussagekräftig.
 

Bibliomarie

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10. September 2015
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Obwohl mir solche Andeutungen ja öfter mal entgehen, sprang es mir direkt ins Auge. Auch die kleine Elfe, die dann einen Flügel verloren hat, ist sehr aussagekräftig.
Mir wurde auch erst nach einigen Seiten klar, dass Victor und Ruth eine Generation älter sind und daher kam mir der Verdacht, dass Rahel vielleicht Victors Kind sein könnte. Die Mutter wurde ja als flatterhaft dargestellt und Rahel fand als Kind bei Victor und Ruth immer liebevolle Aufnahme und einen Ruhepol.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Mir wurde auch erst nach einigen Seiten klar, dass Victor und Ruth eine Generation älter sind und daher kam mir der Verdacht, dass Rahel vielleicht Victors Kind sein könnte. Die Mutter wurde ja als flatterhaft dargestellt und Rahel fand als Kind bei Victor und Ruth immer liebevolle Aufnahme und einen Ruhepol.
Der Verdacht drängt sich geradezu auf.
 
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Reaktionen: Renie und kingofmusic

Barbara62

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19. März 2020
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Baden-Württemberg
mit-büchern-um-die-welt.de
Warum trauert Peter dem entgangenen Bayern-Urlaub nicht nach? Ist es, weil er dort Rahel zwangsläufiger viel näher gewesen wäre - ohne Ablenkung durch diverse Medien und die Arbeit auf dem Hof?

Interessant ist die Aufzählung der diversen Lektüren. Daniela Krien hat einem Interview erzählt, dass sie Elizabeth Strout sehr bewundert. Der erwähnte Mutter-Tochter-Roman ist vermutlich "Die Unvollkommenheit der Liebe", ein Titel, der hier gut passt.

In besagtem Interview hat Daniela Krien auch berichtet, wie sie zu ihren Romanstoffen kommt: Sie hört vielen, vielen Menschen zu und lässt sich alle möglichen Geschichten erzählen. Sie sammelt, bis sie den Eindruck hat, es könnte reichen. Dann beginnt sie, die Episoden zu verfremden, zu sortieren und neu zu verweben. Wenn man das weiß, erkennt man die Splitter und es macht Spaß, sie wieder zu separieren. Sie schreibt sich die Episoden übrigens normalerweise nicht auf, sondern behält sie im Kopf, außer, wenn es Zitate sind.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Ich bin bisher wieder sehr angetan von Daniela Kriens Art zu schreiben. Mit wenigen Sätzen schafft sie es, mir die Figuren nahezu.bringen. Rahel und Peter, ein Ehepaar seit beinahe dreißig Jahren. Da hat man schon viel Gemeinsames hinter sich. Die Kinder sind erwachsen, sind aus dem Haus. Das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern ist nicht ganz ungetrübt. Die Tochter ist gestresst von ihrem Alltag als Mutter zweier kleiner Kinder und hat wenig Verständnis für den verpatzten Urlaub ihrer Eltern. Der Sohn hat eine Laufbahn eingeschlagen, die sie, Rahel zumindest, nicht unbedingt billigen und bei der sie Angst um sein Leben haben.
Das größere Problem aber ist die Beziehung zwischen dem Paar. Peter hat als Dozent Schwierigkeiten mit seinen Studenten/Studentinnen. Diese haben seiner Ansicht nach weniger Interesse an den Wissenschaften, sehen alles nur unter ihrem speziellen Blickwinkel ( würde mich auch nerven). Außerdem hat Peter massiv Schwierigkeiten mit einer Studentin ( weiß garnicht, wie ich sie bezeichnen soll), die sich nicht einem bestimmten Geschlecht zuordnen will . Und am meisten kränkt ihn, dass Rahel kein Verständnis für sein Problem aufbringt, sondern ihn eher maßregelt. Das kann ich nachvollziehen. Auch dass dadurch die Ehe in Schieflage gerät.
Obwohl wir die Geschichte aus Rahels Blickwinkel geschildert bekommen, bin ich eher auf der Seite von Peter. Außerdem hätte Rahel die Bitte von Ruth zuerst mit Peter besprechen müssen, auch wenn sich das Angebot geradezu aufdrängt.
Beide, Rahel und Peter, befinden sich in einer Midlifecrisis. Jeder reagiert auf seine Weise darauf. Dass beide unterschiedliche Temperamente haben, wird ja gesagt. Doch in der jetzigen Situation erweist sich das als Hindernis.
Rahel ist gekränkt, weil Peter nicht mehr mit ihr schlafen möchte . Peter braucht hier eine Pause, weil er sich in der Beziehung nicht mehr richtig angenommen fühlt.
Mal sehen, wie sich die Beziehung der beiden im Verlauf der drei Wochen verändert.
 

Bibliomarie

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10. September 2015
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In besagtem Interview hat Daniela Krien auch berichtet, wie sie zu ihren Romanstoffen kommt: Sie hört vielen, vielen Menschen zu und lässt sich alle möglichen Geschichten erzählen. Sie sammelt, bis sie den Eindruck hat, es könnte reichen. Dann beginnt sie, die Episoden zu verfremden, zu sortieren und neu zu verweben. Wenn man das weiß, erkennt man die Splitter und es macht Spaß, sie wieder zu separieren. Sie schreibt sich die Episoden übrigens normalerweise nicht auf, sondern behält sie im Kopf, außer, wenn es Zitate sind.
Das macht ihre Geschichte so wahrhaft und darum erkennt man viele Beziehungsmuster wieder.
Ist das Interview irgendwo veröffentlicht oder in einer Mediathek zu finden?
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Interessant ist die Aufzählung der diversen Lektüren. Daniela Krien hat einem Interview erzählt, dass sie Elizabeth Strout sehr bewundert. Der erwähnte Mutter-Tochter-Roman ist vermutlich "Die Unvollkommenheit der Liebe", ein Titel, der hier gut passt.
Das gefällt uns Bibliophilen natürlich und wir suchen auch gleich die Anspielungen. Elizabeth Strout kann ich im übrigen auch empfehlen, aber auch den Kopetzky von Peter.
 

Bibliomarie

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Obwohl wir die Geschichte aus Rahels Blickwinkel geschildert bekommen, bin ich eher auf der Seite von Peter. Außerdem hätte Rahel die Bitte von Ruth zuerst mit Peter besprechen müssen, auch wenn sich das Angebot geradezu aufdrängt.
Die Frage ist mir auch durch den Kopf gegangen. Aber wenn eine mütterliche Freundin, die mir immer zur Seite stand, in einer Notlage um Hilfe bittet, hätte ich auch nicht gezögert. Das wäre mir persönlich falsch vorgekommen.
 

RuLeka

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Die Frage ist mir auch durch den Kopf gegangen. Aber wenn eine mütterliche Freundin, die mir immer zur Seite stand, in einer Notlage um Hilfe bittet, hätte ich auch nicht gezögert. Das wäre mir persönlich falsch vorgekommen.
Natürlich nicht, aber zumindest sagen, dass man das Ganze noch mit dem Ehemann besprechen möchte. Argumente dafür gab es ja genug, es ist nur eine Frage der Höflichkeit.
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Natürlich nicht, aber zumindest sagen, dass man das Ganze noch mit dem Ehemann besprechen möchte. Argumente dafür gab es ja genug, es ist nur eine Frage der Höflichkeit.
Aber Peter hätte wahrscheinlich von vorne herein "Nein" gesagt und so hatte er keine Chance... Aber klar, reden ist das A und O in einer Beziehung...
 

Querleserin

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30. Dezember 2015
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Wadern
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dass Rahel vielleicht Victors Kind sein könnte. Die Mutter wurde ja als flatterhaft dargestellt und Rahel fand als Kind bei Victor und Ruth immer liebevolle Aufnahme und einen Ruhepol.
Der Gedanke ist mir auch gekommen, vor allem da Victor Rahel gegenüber ihrer Schwester Tamara bevorzugt hat und explizit erklärt, sie habe keinen Vater. Also ist er stattdessen eingesprungen oder weil er selbst der Vater ist ?

Ansonsten habt ihr schon viel zum ersten Abschnitt gesagt. Peter war in der Situation mit dem nicht-binären Menschen völlig überfordert, sein Beharren auf der Liste, in der Frau Olivia P. steht, zeugt von seiner Unsicherheit. Wahrscheinlich ist er niemals zuvor mit diesem zur Zeit sehr aktuellen Thema konfrontiert worden. Ich kann nachvollziehen, dass er sich von seiner Frau Unterstützung gewünscht hätte, die als Thearpeutin meines Erachtens sehr unsensibel reagiert hat. Andererseits erscheint Peter als etwas langweiliger, vernünftiger Zeitgenosse, oder?
 

Bibliomarie

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10. September 2015
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Ich kann nachvollziehen, dass er sich von seiner Frau Unterstützung gewünscht hätte, die als Thearpeutin meines Erachtens sehr unsensibel reagiert hat.
Das war deutlich zu spüren, der Vorfall hat Peter nachhaltig verunsichert. Er hat nicht die Leichtigkeit, das einfach abzuhaken und da hätten ihm Gespräche sicher geholfen.