1. Leseabschnitt: Beginn bis Seite 59 (MA- erste Hälfte)

RuLeka

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30. Januar 2018
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Der Autor wirft den Leser unvermittelt in das Geschehen. Eine Mutter ist gestorben und deshalb wird die dreizehnjährige Amor von ihrer Tante Marina aus dem Internat abgeholt. Obwohl der Tod der 40jährigen, krebskranken Mutter erwartbar war, fühlt es sich doch unwirklich an für das Mädchen.
Bald wird man mit den Familienverhältnissen vertraut gemacht. Die Verstorbene, Rachel, war nicht wirklich beliebt in der Familie. Zu wenig passte sie anscheinend in die Familie Swart. Auch dass sie wieder zu ihrem jüdischen Glauben zurückgekehrt war, hat ihr die Familie nicht verziehen.
Nach und nach bekommen wir die einzelnen Familienmitglieder vorgestellt: die dicke, klatschsüchtige Tante Marina, deren Mann Oom Ockie , einen der Cousins usw. .
Dann Vater Manie, der um seine Frau trauert, obwohl die Ehe schon lange nicht mehr glücklich war. Die ältere Schwester Astrid, die eher mit Liebesdingen beschäftigt ist und der Älteste in der Familie, der 19jährige Anton, der gerade beim Militär ist. Ihn belastet eine Schuld und er empfindet den Tod der Mutter als Strafe dafür, dass er eine Frau getötet hat.
Doch im Zentrum scheint Amor zu stehen. Ein Mädchen, das sich fremd fühlt, geplagt von Zwangsstörungen. Sie erwähnt auch bald das titelgebende Versprechen: Ihre Mutter hat dem Vater das Versprechen abgerungen, der schwarzen Hausangestellten Salome das Häuschen auf dem Farmgelände. in dem diese mit ihrem Sohn Lukas lebt, zu vermachen. Schliesslich hat Salome die Mutter bis zu ihrem Ende gepflegt ( „ all die Arbeiten erledigt, die ihre eigenen Verwandten nicht erledigen wollten, zu eklig oder zu intim“).
Auch der politische Hintergrund wird immer wieder in das Geschehen integriert. Wir sind im Jahr 1986. In den Townships gibt es Unruhen. Der Ausnahmezustand hängt über dem Land . Die Weißen hier fühlen sich zusehends bedrängt. „ Wir sind der letze Außenposten auf diesem Kontinent…Wenn Südafrika scheitert, knallen in Moskau die Champagnerkorken….“

Schon nach einigen Seiten war ich von dem Roman gepackt. Der Autor hat eine ungewöhnliche Art zu schreiben. Er wechselt die Perspektiven, spricht ab und an den Leser direkt an. Seine Figurenzeichnung ist sehr plastisch. Beschreibungen des Geschehen wechseln mit allgemeinen Betrachtungen ( z.B. „ die kuriose Sogwirkung, die eine Leiche entfaltet“).
Ungewöhnlich ist es auch, eine Trauergemeinschaft anhand des Inhalts einer Toilette zu beschreiben ( weshalb befindet sich Sperma darin?) Oder die Träume der nächsten Angehörigen… Auch sie charakterisieren die Figuren.
Kurz und gut: Ich bin sehr angetan von diesem Roman. Er verspricht ein neues Highlight in unserer Leserunde zu werden. Und ich bin schon sehr gespannt auf den Fortgang.
 

Christian1977

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8. Oktober 2021
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Wir sind im Jahr 1986. In den Townships gibt es Unruhen.
Interessant, wie bist du auf das genaue Jahr gekommen? Ich habe es entweder überlesen, oder mir fehlt es an genauem Hintergrundwissen. Ich habe sogar gegoogelt und hätte das Geschehen dennoch nur grob in die zweite Hälfte der 1980er-Jahre einordnen können.
Er wechselt die Perspektiven, spricht ab und an den Leser direkt an.
Das habe ich bislang tatsächlich auch als größte Besonderheit des Romans ausgemacht.
( weshalb befindet sich Sperma darin?)
Ich habe mich das auch gefragt, denke aber, das wird sich vielleicht noch klären. Das Erbrochene wurde auch erst kurz danach erklärt...
 

Barbara62

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19. März 2020
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Interessant, wie bist du auf das genaue Jahr gekommen? Ich habe es entweder überlesen, oder mir fehlt es an genauem Hintergrundwissen. Ich habe sogar gegoogelt und hätte das Geschehen dennoch nur grob in die zweite Hälfte der 1980er-Jahre einordnen können.
Seite 50.
 

Christian1977

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8. Oktober 2021
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Ich möchte zunächst einmal was zum Cover sagen. Ich stelle den Schutzumschlag meines jeweiligen Romans immer in mein Regal, so dass ich ihn meistens sehen kann. Den Blick des Mädchens (Amor) finde ich so traurig-intensiv, dass ich oft hinschauen muss. Die umgeblätterten Seiten finde ich als Idee auch sehr gelungen, die Umsetzung wirkt auf mich jedoch ein wenig artifiziell.

Die Lektüre empfinde ich bislang als sehr intensiv, manchmal etwas anstrengend, was ich aber nicht negativ meine. So musste ich beispielsweise einige Passagen zweimal lesen, weil ich sie zunächst falsch verstanden hatte. Ich war mir beispielsweise sicher, dass auch Amors Vater tot sei, weil es auf S. 15 heißt, Rachel wollte nicht neben ihrem Mann beerdigt werden. Dass dies eine zukunftsorientierte Aussage ist, leuchtete mir erst später ein. Durch die fehlenden Anführungszeichen weiß ich zudem nicht immer gleich, ob bzw wer gerade spricht. Konzentration ist also gefragt.

Sehr gelungen und absolut außergewöhnlich finde ich die Perspektivwechsel des Erzählers. Manchmal habe ich bei der Lektüre das Gefühl, einer Art Erzähler-Drohne zu folgen, die über das Geschehen saust und sogar in die Köpfe der Figuren blicken kann. Selbst vor vermeintlichen (?) Nebenfiguren wie Mervyn Glass oder Dr. Raaff macht sie keinen Halt.

Manchmal wechselt die Perspektive innerhalb einer Seite sogar mehrfach. Und der Erzähler weiß wirklich alles und zwar von jedem/jeder! Lässig!

Neutral ist der Erzähler nicht und grundsätzlich wohl auf der Seite Amors, die sich bislang auch als moralischste Figur zeigt. Insofern bin ich damit einverstanden, auch mit dem manchmal etwas lakonischem Spott.

S.31: "Sie sahen mich nicht, ich war wie eine Schwarze für sie." Der bislang vielleicht traurigste Satz. Der Roman erhält auch wegen des kürzlichen Todes Desmond Tutus, über den ich sehr traurig war, einen Aktualitätsbezug.

Wenn ich genau gelesen habe, fällt auf, dass sich der Erzähler nicht in wahrscheinlich wichtige Figuren wie Salome, Lukas und Lexington wagt. Auch das ist eine clevere und bemerkenswerte Entscheidung, denn so müssen wir Leser:innen uns in sie hineinversetzen.

Langer Rede, kurzer Sinn: Ich bin bislang beeindruckt, vor allem wegen der Art des Erzählens. Doch auch inhaltlich sind die Figuren interessant genug, um ihnen gern zu folgen.
 

Barbara62

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Ich bin ebenso angetan wie @RuLeka. Es scheint ein sehr guter Start in das LR-Jahr 2021 zu werden. Damon Galgut hat bei mir ein phänomenales Kopfkino erzeugt, alle Figuren des Romans - und es sind wahrlich viele - sind sehr plastisch dargestellt, mit Ausnahme der Schwarzen (Salome, Lukas, Lexington), über die man wenig erfährt. Sie bleiben unsichtbar, so wie sich das für die farbigen Angestellten "gehört". Einige äußerliche Infos bekommen wir, aber im Gegensatz zu den Weißen bleiben sie bisher oberflächlich gezeichnet, wir erfahren nicht, was sie denken, was sicher Absicht ist. Ich bin sehr gespannt, ob sich das noch ändert.

Das Versprechen bezüglich des Hauses für Salome könnte den Interessen des alten Geistlichen Alwyn Simmers entgegenlaufen, der Manies neuentdeckte Frömmigkeit für seinen eigenen bzw. den Vorteil seiner Kirche nutzen will.

Die direkte Ansprache des Lesers/der Leserin ist originell, wirkt nicht aufgesetzt und gefällt mir ("Glaub mir" S. 49). Ich kenne das sonst eher aus dem Kinder- und Jugendbuch.
 

Barbara62

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19. März 2020
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Wenn ich genau gelesen habe, fällt auf, dass sich der Erzähler nicht in wahrscheinlich wichtige Figuren wie Salome, Lukas und Lexington wagt. Auch das ist eine clevere und bemerkenswerte Entscheidung, denn so müssen wir Leser:innen uns in sie hineinversetzen.
Da hatten wir gleichzeitig die gleiche Idee... ;)
 

Christian1977

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8. Oktober 2021
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Danke! 20 Augen sehen eben mehr als vier, wenn ich Ulrike mitzähle. ;) Trotzdem ärgere ich mich, weil ich immer versuche, so aufmerksam zu lesen
Die direkte Ansprache des Lesers/der Leserin ist originell, wirkt nicht aufgesetzt und gefällt mir ("Glaub mir" S. 49)
Das finde ich auch total gelungen, vor allem, weil es so unvermittelt kommt.
 

RuLeka

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Manchmal habe ich bei der Lektüre das Gefühl, einer Art Erzähler-Drohne zu folgen, die über das Geschehen saust und sogar in die Köpfe der Figuren blicken kann. Selbst vor vermeintlichen (?) Nebenfiguren wie Mervyn Glass oder Dr. Raaff macht sie keinen Halt.
Guter Vergleich.
Ja, die Erzählstimme kümmert sich auch um Nebenfiguren.
 

ulrikerabe

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Wenn ich genau gelesen habe, fällt auf, dass sich der Erzähler nicht in wahrscheinlich wichtige Figuren wie Salome, Lukas und Lexington wagt. Auch das ist eine clevere und bemerkenswerte Entscheidung, denn so müssen wir Leser:innen uns in sie hineinversetzen.
und vielleicht auch eine gut überlegte Entscheidung, immerhin ist der Autor weiß und diese Personen nicht...
 

ulrikerabe

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14. August 2017
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Die direkte Ansprache des Lesers/der Leserin ist originell, wirkt nicht aufgesetzt und gefällt mir ("Glaub mir" S. 49). Ich kenne das sonst eher aus dem Kinder- und Jugendbuch.
dabei frage ich mich, richtet sich der Erzähler an die Lesenden? oder doch an eine Person im Geschehen, vielleicht ein zukünftiges Kind z.B S. 15 bei der Beschreibung des Hauses "....wo vielleicht auch du aufgewachsen bist. Wo alles angefangen hat."
 

ulrikerabe

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Bei Amor war ich mir am Anfang auch nicht sicher, wie alt sie eigentlich ist. Bis sie auf Lukas trifft und auf S. 32 dann steht "dreizehn Jahre alt wie sie"

Amor ist eine Figur, die mir im Ganzen sehr nahe geht. Hier lässt sich der Autor sehr schön auf das Mädchen ein (obwohl er ein "alter weißer Mann" ist) Sie ist mit sich selbst im Unreinen, mag ihren Körper nicht, scheint grundsätzlich immer für sich zu sein. Und in dieser schwierigen Phase der Adoleszenz verliert sie ihre Mutter. Sie war ein Nachzüglerkind, gezeugt in einer Zeit, wo die Ehe der Eltern schon zerrüttet war.
"Es war nicht mehr viel Liebe im Spiel." (S. 42) Trotzdem (deswegen?) trägt sie den Namen Amor.

Auch mich hat der Satz berührt "Sie sahen mich nicht. Ich war wie eine Schwarze für sie." Gleich doppelt, weil sie nicht wahrgenommen wird, aber auch weil es (noch?) ihr Weltbild ist, dass Schwarze unsichtbar sind.

Welches Vorbild gibt ihr wohl der Vater? Der weinerliche Trinker, mit seltsamen religiösen Anwandlungen. Auf S. 44 musste ich schmunzeln "Kommen Sie morgen wieder?, sagte er ängstlich, weil er nicht weiß, ob ihm Jesus allein genügen wird...")

Amor will das Wort "tot" nicht aussprechen, weil es dadurch wahr wird. Aber auch alle anderen in dem Trauerhaushalt tragen das Tabu wie ein Schild vor sich her
"Das mit deiner Mutter..." kommt von allen Ecken und Enden.

Was ich nicht ganz einordnen kann ist die Szene mit dem Schildkrötenpanzer(S.39) und der Hellsichtigkeit. Pubertäre Flucht in esoterische Vorstellungen?
 

Christian1977

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Bei Amor war ich mir am Anfang auch nicht sicher, wie alt sie eigentlich ist.
Ich auch nicht, ich hielt sie zunächst für älter, bis Marina irgendwann mal "Kind" erwähnte.
Es war nicht mehr viel Liebe im Spiel." (S. 42) Trotzdem (deswegen?) trägt sie den Namen Amor.
Das finde ich irgendwie gleichsam schön wie traurig, und ich war nicht auf diesen Gedanken gekommen.
Gleich doppelt, weil sie nicht wahrgenommen wird, aber auch weil es (noch?) ihr Weltbild ist, dass Schwarze unsichtbar sind.
Den zweiten Teil sehe ich nicht so, denn sie "sieht" Lukas wohl in allen Belangen sehr gut. Dagegen spricht auch ein Zitat auf derselben Seite: "Aber Amor kann sie durchs Fenster sehen, also ist sie wohl doch nicht unsichtbar." Ähnlich habe ich bisher nur Anton empfunden, für die anderen scheinen die Schwarzen wirklich Luft.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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und vielleicht auch eine gut überlegte Entscheidung, immerhin ist der Autor weiß und diese Personen nicht...
Solche „ Anmaßung“ ist ja heute nicht mehr erlaubt.
Bei Amor war ich mir am Anfang auch nicht sicher, wie alt sie eigentlich ist. Bis sie auf Lukas trifft und auf S. 32 dann steht "dreizehn Jahre alt wie sie"

Amor ist eine Figur, die mir im Ganzen sehr nahe geht. Hier lässt sich der Autor sehr schön auf das Mädchen ein (obwohl er ein "alter weißer Mann" ist) Sie ist mit sich selbst im Unreinen, mag ihren Körper nicht, scheint grundsätzlich immer für sich zu sein. Und in dieser schwierigen Phase der Adoleszenz verliert sie ihre Mutter. Sie war ein Nachzüglerkind, gezeugt in einer Zeit, wo die Ehe der Eltern schon zerrüttet war.
"Es war nicht mehr viel Liebe im Spiel." (S. 42) Trotzdem (deswegen?) trägt sie den Namen Amor.

Auch mich hat der Satz berührt "Sie sahen mich nicht. Ich war wie eine Schwarze für sie." Gleich doppelt, weil sie nicht wahrgenommen wird, aber auch weil es (noch?) ihr Weltbild ist, dass Schwarze unsichtbar sind.

Welches Vorbild gibt ihr wohl der Vater? Der weinerliche Trinker, mit seltsamen religiösen Anwandlungen. Auf S. 44 musste ich schmunzeln "Kommen Sie morgen wieder?, sagte er ängstlich, weil er nicht weiß, ob ihm Jesus allein genügen wird...")

Amor will das Wort "tot" nicht aussprechen, weil es dadurch wahr wird. Aber auch alle anderen in dem Trauerhaushalt tragen das Tabu wie ein Schild vor sich her
"Das mit deiner Mutter..." kommt von allen Ecken und Enden.

Was ich nicht ganz einordnen kann ist die Szene mit dem Schildkrötenpanzer(S.39) und der Hellsichtigkeit. Pubertäre Flucht in esoterische Vorstellungen?
Auf jeden Fall ist Amor eine sehr spannende Figur.