1. Leseabschnitt: Beginn bis Seite 100 (1. Buch, Kapitel 1 und 2)

Querleserin

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Der redselige auktoriale Ich-Erzähler stellt uns zunächst einen der Protagonisten des Romans vor
1913 war Anthony Patch fünfundzwanzig, und bereits zwei Jahre zuvor hatte ihn - zumindest theoretisch - die Ironie, der Heilige Geiste unserer Tage, berührt. (...) In dem Moment, da wir er ihn kennenlernen (...) (7)
Wir werden von Anfang an angesprochen, sozusagen einbezogen in die Welt, in der sich Anthony aufhält. Er ist ein Dandy und häufig musste ich beim Lesen an den roten Rock von Julian Barnes denken.
Während sein Großvater zu Reichtum gekommen ist, lebt er von dessen Vermögen, ist also nicht gezwungen zu arbeiten, auch wenn er nicht wirklich über die Runden zu kommen scheint. Seine Eltern sind früh verstorben, so dass Anthony im Alter von 11 bereits Waise ist.
Mit elf hatte er einen Horror vor dem Tod. (12)
Der Erzähler schildert uns im Überblick seine Jugend, seine Zurückgezogenzeit, sein Studium, seine Reise nach Europa und sein Aufenthalt in Rom.
1912 kehrt er nach Amerika zurück, da sein Großvater schwer erkrankt ist, und bleibt.
Im Jahre 1913 war Anthony Patch Anpassung an die Welt nahezu vollzogen. (16)
Wir erfahren, wie er seine Wohnung eingerichtet hat, mit besonderem Augenmerk auf sein Badezimmer ;).
Den ersten Dialog, den wir lesen, ist der zwischen Anthony und seinem Großvater, dessen Alterungsprozess Fitzgerald genial beschreibt. Das Leben wird als Blasebalg geschrieben, das zunächst pralles Leben gewährt und dann

Wangen und Brust, Arme und Beine leergesogen (hat). Er hatte gebieterisch seine Zähne gefordert, einen nach dem anderen, seine kleinen Augen in dunkel-bläuliche Säcke gebettet, ihm die Haare geraubt, an manchen Stellen Grau zu Weiß, an deren Rosa zu Gelb verfärbt, rücksichtslos Farben tauschend wie ein Kind, das einen Malkasten ausprobiert. (23)
Während sein Großvater ihn auffordert etwas zu tun, gaukelt Anthony ihm vor, er schreibe ein Buch über das Mittelalter, obwohl er tatsächlich kaum ernsthaft daran arbeitet. Statt dessen verbringt er seine Tage und Abende mit seinen Freunden Dick Caramel, der tatsächlich einen Roman schreibt, und Maury Noble, der auch nichts tut, um nicht allein sein zu müssen.
Ihr erster Dialog ist wie ein Theaterstück gesetzt - ungewöhnlich, sogar mit Regieanweisungen.
Ungewöhnlich ist auch das Kapitel "Rückblende ins Paradies", in dem die Schönheit auf die Erde geschickt wird (nebenbei eine Satire auf die USA) und wahrscheinlich in der Gestalt von Gloria auftaucht, denn das 2.Kapitel lautet: Porträt einer Sirene und gemeint ist eben jene junge, lebenslustige Dame, Gloria Gilbert, Dicks Cousine, deren Bekanntschaft Anthony macht und mit der er des Öfteren ausgeht.
Soweit die ersten 100 Seiten, die sich gefällig lesen und mich in der Welt, die sie beschreiben, sehr an den großen Gatsby erinnern.
 

Wandablue

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18. September 2019
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Ach schön, liebe @Querleserin, wie du alles schilderst.
Wenn Fitzgerald uns die Ödigkeit und Verkommenheit der oberen Gesellschaftsschichten vor Augen führen will, ist ihm das gelungen: ich langweile mich zu Tode. Niemand tut irgendwas Nützliches und alle suhlen sich im Lebensüberdruss und schauen auf die armen Trottel herunter, die arbeiten und ihnen den Luxus, in dem sie leben erst ermöglichen.

Anth. wird als besonders reinlich geschildert. Abgesehen davon, dass er ständig badet, wird mir nicht klar, worin seine Reinlichkeit bestehen sollte. Jedenfalls nicht als Charaktereigenschaft. Er raucht auch im Haus, was bedeutet, dass seine Kleider und die Wohnung stinken.
Die Wohnung wird ihm saubergemacht. Es wird eingekauft und gekocht. Oder man geht essen.
Seine Unterhaltungen triefen vor Belanglosigkeit.
Die Schönheit Glorias wird mir auch nicht nähergebracht. Oder ihre Besonderheit. Alles, was sie von sich gibt, sind pure Banalitäten.
Der einzige Lichtblick ist der griesgrämige Butler.
In welchem Jahr sind wir. Gibt es Aussicht auf eine Revolution? Der Erste Weltkrieg müsste heraufmarschieren.

Geschrieben ist das alles mit leichter Hand, so wird auch das Lesen leicht gehen. Es ist ja vllt eine Gesellschaftssatire. Seufz. Trotzdem. Man hat mir (das war die Lesefreundin) versprochen, F. wäre viel besser als Hemingway. Bisher bestätigt sich das nicht.
 
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In welchem Jahr sind wir.
1913, liebe @Wandablue. Der 1. Weltkrieg nähert sich also. Die Langeweile beim Lesen beschreibst du wiederum sehr schön ;) und ich teile sie. Auch wenn es sich gefällig liest, es passiert nichts. Erzähltechnisch interessante Einsprengsel ersetzen keine Handlung, die Langeweile der Oberschicht, die ihre Tage mit Nichtstun und Müßiggang verbringen, überträgt sich auch beim Lesen. Ich hoffe, das wird besser.
 

Renie

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Ich bin auch noch hin- und hergerissen. Der erste Leseabschnitt hat viele gute Momente, aber auch Aspekte, die mich gleichgültig lassen und schlimmstenfalls langweilen.
Ein großer Pluspunkt ist für mich die Ironie,"der Heilige Geist unserer Tage", die mir überall begegnet. FSF beschreibt die Dinge selten, wie er sie tatsächlich meint oder er übertreibt genüsslich. Das bringt mich immer wieder zum Schmunzeln. Seine Sprache, die immer wieder von bildhaften und äußerst ungewöhnlichen Vergleichen durchzogen wird, ist herrlich. Ich habe noch nie gelesen, dass man einen Menschen in "Halbkreisen und Parabeln" beschreiben kann. ;)
Sprachlich macht mir FSF also Spaß.
Leider ist die Handlung langweilig, denn hier passiert nichts. Allerdings ließe sich diese Langeweile mit der Darstellung des Alltags der Charaktere erkären. Das Leben der Charaktere ist genauso eintönig.
Insofern hoffe ich im weiteren Verlauf des Romans auf ein wenig Drama, vielleicht im Zusammenspiel mit Anthony und Miss Gilbert. Der Hinweis "Sirene" deutet darauf hin, dass Miss Gilbert ein besonderes Kaliber zu sein scheint.
 

Renie

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Ungewöhnlich ist auch das Kapitel "Rückblende ins Paradies", in dem die Schönheit auf die Erde geschickt wird (nebenbei eine Satire auf die USA)
Dieses Kapitel hat mich irritiert, weil sich mir die Sinnhaftigkeit nicht erschließt. Ich empfinde dieses Kapitel als störend, lese es zwar als Gesellschaftskritik, doch ich frage mich, was FSF bewogen hat, dieses Kapitel losgelöst von der bisherigen Erzählweise einzuschieben. Dieses Kapitel ist mir zu fantastisch/esoterisch und abgehoben.
Will FSF damit andeuten, dass Gloria als verkörperte Schönheit auf die Erde kommt und die Menschen heimsucht? Das ist mir zu ambitioniert.
 

Sassenach123

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Ich habe mich bisher erst durch die Hälfte des Abschnitts gekämpft, und kann mir ein gutes Bild von Anthony machen. Doch um dies zu erschaffen, hätten es für meinen Geschmack gerne ein paar Seiten weniger sein dürfen.
Ich kann mich noch nicht festlegen, ob ich das gelesene mag oder nicht. Ein Dandy durch und durch mit einer Vorliebe zur Reinlichkeit und einer Sammelleidenschaft in vielen Bereichen. Das er während des Studiums dann doch Anerkennung bei den anderen gefunden hat, hat mich übrigens sehr überrascht. Mal sehen wie mir der restliche Abschnitt gefällt, vielleicht kann ich dann alles besser einordnen.
 

Sassenach123

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Geschrieben ist das alles mit leichter Hand, so wird auch das Lesen leicht gehen. Es ist ja vllt eine Gesellschaftssatire. Seufz. Trotzdem. Man hat mir (das war die Lesefreundin) versprochen, F. wäre viel besser als Hemingway. Bisher bestätigt sich das nicht.
Meine Tochter hat mir zu der Leserunde geraten, da sie ein anderes Buch des Autors kennt und es sehr gern mag. Meist passen ihre Empfehlungen ganz gut zu meinem Geschmack, mal abwarten, ob es mich überzeugen wird
 

Querleserin

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Meine Tochter hat mir zu der Leserunde geraten, da sie ein anderes Buch des Autors kennt und es sehr gern mag. Meist passen ihre Empfehlungen ganz gut zu meinem Geschmack, mal abwarten, ob es mich überzeugen wird
Ich habe „Der große Gatsby“ gehört und das hat mir wirklich gut gefallen. Es kann auch sein, dass Längen beim Hören nicht so ins Gewicht fallen, aber hier sind es eindeutig mehr als ein paar Seiten zu viel.
 

Renie

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Das er während des Studiums dann doch Anerkennung bei den anderen gefunden hat, hat mich übrigens sehr überrasch
Mich nicht so sehr. In diesen Kreisen erfährt man keine Anerkennung, weil man ein netter Kerl ist, sondern weil man den nötigen Hintergrund hat. Ich schätze, das Vermögen seines Großvaters hat dafür gesorgt, dass er von den anderen "anerkannt" wurde.
 

Anjuta

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Ich hinke etwas hinterher mit dem Lesen und deshalb auch mit Kommentaren. Jetzt habt Ihr schon das meiste gesagt. Ja, mich begeistern die Figuren und Handlungen (welche Handlungen?) in dem Roman auch nicht gerade. Die Langeweile des Helden und eine fehlende irgendwie aktive Einstellung zum Leben bei Anthony überträgt der Autor in sein Buch und damit auch auf seine Leser.
Auf eine Sache möchte ich hier aber noch hinweisen. Immer mal wieder wabert durch das Buch der Begriff des Bilphismus, dem einige Akteure anhängen. Was ist das? Ich musste googlen und dabei erkennen: den gibt es wohl gar nicht. Das ist wohl eine Erfindung des Autors für dieses Buch. Wie finde ich das? Kann interessant werden, wenn wir mehr darüber erfahren werden. Wenn nicht? Dann finde ich es irgendwie unauthentisch und lässt mich dem Autoren nicht gerade vertrauen bei seiner Zeichnung der Zeit und der Gesellschaft in dieser Zeit. Sonst hätte er doch etwas gewählt, was wirklich für die Zeit und ihre Strömungen steht, findet Ihr nicht?
 

Sassenach123

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Auch nach beenden dieses Abschnitts bin ich nicht besser auf das Buch zu sprechen. Es dreht sich alles nun um den Müßigang den Anthony betreibt. Die Dialoge mit seinen Freunden sind nicht besonders interessant, sie befassen sich mit Dingen, die nur Menschen erleben, die in den Tag hineingeben können.
Sympathisch ist Anthony mir bisher auch nicht, er spekuliert auf das Erbe und hat gar nicht ernsthaft vor etwas zu tun. Wenn ich da an die Idee denke, er könne etwas schreiben, wird schnell klar, dass er dazu überhaupt keine Ambitionen hat.
Sicher stellt diese Zurschaustellung genau das dar, was der Autor beabsichtigt hat, denn ich schätze, dass er der Gesellschaft damit den Spiegel vorhalten möchte. Aber warum muss das alles so ausschweifend und uninteressant gestaltet sein……
 
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as ist wohl eine Erfindung des Autors für dieses Buch. Wie finde ich das? Kann interessant werden, wenn wir mehr darüber erfahren werden. Wenn nicht? Dann finde ich es irgendwie unauthentisch und lässt mich dem Autoren nicht gerade vertrauen bei seiner Zeichnung der Zeit und der Gesellschaft in dieser Zeit. Sonst hätte er doch etwas gewählt, was wirklich für die Zeit und ihre Strömungen steht, findet Ihr nicht?
Habe mich auch schon gefragt, was dieser Begriff bedeuten soll. Wenn man es googelt, landet man immer beim Roman. Ich frage mich auch, warum er das erfundenes. Ich dachte, es sei so etwas wie Bibeltreue.
 

Literaturhexle

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Niemand tut irgendwas Nützliches und alle suhlen sich im Lebensüberdruss und schauen auf die armen Trottel herunter, die arbeiten und ihnen den Luxus, in dem sie leben erst ermöglichen
Aber das auf sprachlichem Top-Niveau! Das gesamte Umfeld, die Befindlichkeiten dieser Klasse, ihre Unternehmungen, ihre Sinnsuche.... All das muss man erst einmal so ausdrücken können! Es ist klar, dass FSF das beschreibt, was er sieht, was sein Leben ausmacht. Bis jetzt finde ich es gar nicht so öde.

Die Schönheit Glorias wird mir auch nicht nähergebracht.
Sie bezaubert ihn, rührt ihn, in ihrer Jugend. Ihr Cousin beschreibt sie als dumm und hohl. Es ist erschreckend, wie die Männer über die Frauen und deren fehlenden Verstand reden.
Seine Sprache, die immer wieder von bildhaften und äußerst ungewöhnlichen Vergleichen durchzogen wird, ist herrlich.
Da bin ich ganz bei dir. Manche Sätze muss man zweimal lesen, damit sie ihre Wirkung entfalten können.
musste googlen und dabei erkennen: den gibt es wohl gar nicht. Das ist wohl eine Erfindung des Autors für dieses Buch. Wie
Haha! Das ging mir ebenso. Man wird auf diesen Roman verwiesen:D

Ich finde es passt: Diese Leute schlagen alle die Zeit tot, indem sie sich nichtige Beschäftigungen suchen. Da passt doch eine Passion, die es nicht gibt, prima hinein!
 

Literaturhexle

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Ihr seid schon weitergezogen, deshalb will ich mich hier nicht mehr tot sabbeln.

Mich hat noch keine gähnende Langeweile erfasst, weil ich die sprachliche Virtuosität des Autors schätzen kann. Seine Charakterzeichnungen (teilweise auch aus mehreren Perspektiven) gefallen mir, ebenfalls die Dialoge, die den Zeitgeist dieser Upper-Class wunderbar spiegeln. Es war genau so! Die haben so gelebt! Das Klassenbewusstsein (vgl. auch S. 44) kennen wir doch aus vielen anderen Büchern des 19. Jahrhunderts. In der neuen Welt wurde das offenbar fortgeführt. Geld ist Macht. (Für Frauen dürfte Schönheit eine ähnliche - zusätzliche - Währungseinheit sein).

Ich bin gespannt, ob der schnöselige Anthony noch auf die Nase fällt. Er schaut herablassend auf seinen Großvater, der das Vermögen offenbar eigenhändig erwirtschaftet hat und gewisse Anforderungen an den Enkel stellt, die dieser in keiner Weise zu erfüllen bereit ist. Sein Verbleib in NY ist sein einziges Zugeständnis.

Gloria wird hervorragend beschrieben! Ich kann mir dieses Hübschchen bestens vorstellen, deren Gedanken überwiegend um sich selbst kreisen. Zum Ende hat sie mich überrascht, weil sie sich zu den einfachen Leuten zugehörig fühlen will.... Geschwätz, wenn ihr mich fragt. Sie weiß doch gar nicht, was zu deren Leben dazugehört: Schweiß und Arbeit, Sorgen ums Tägliche...
Die Oberflächlichkeit der Upper-Class ist omnipräsent. FSF gehörte m.W. dazu. Insofern bin ich noch nicht sicher, ob er eine Gesellschaftsstudie als Lagebericht schreibt oder tatsächlich Kritik üben will. Wir werden sehen.

Mit schönen Zitaten verschone ich euch. Die habt ihr selbst gelesen;)
 

Renie

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Zum Ende hat sie mich überrascht, weil sie sich zu den einfachen Leuten zugehörig fühlen will.
Ich schätze, dass sie eher von der Andersartigkeit der einfachen Leute fasziniert ist. Letztendlich wird sie auf Dauer von allem, was sie kennt, angeödet. Sie ist auf der Suche nach dem gewissen Kick, irgendetwas, das ihr Leben abwechslungsreicher macht. Dazu gehört auch der Besuch in einem Etablissement, der von "exotischen" einfachen Leuten frequentiert wird.
 
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