Dass es immer noch unerzählte Geschichten aus dem dunkelsten Kapitel unsere Geschichte gibt, ist schon erstaunlich. Und dann auch noch so ein packendes. "Gleichschaltung"- ein Begriff, den uns mein Geschichtslehrer auf verschiedenen Ebenen versuchte, nahe zubringen. Hier gelingt es einem Roman in Bezug auf de bunte Welt der Kleinkünstler und Artisten. Wir springen zwischen zwei Zeitebenen hin und her. 1902: Mathis der verkrüppelte letzte Sohn eines Bohnenbauern und ist mit allen Elementen seines Lebens vom Unglück geschlagen. Das Dörfchen mit dem vielsagenden Titel Langweiler, seine Bohnenallergie bei der allgegenwärtigen Präsenz von Bohnen auf dem Hof, seine 12 Brüder, die "wohlgeratener" sind als er, der Krüppel und Denker unter ihnen. Da verliebt er sich , in eine Maschine, eine Jahrmarktsmaschine, die aus Menschen Skelette zu machen vermag, die wir heute als medizinisches Röntgengerät kennen, das damals aber als Absonderlichkeit auf Jahrmärkten herhalten msste. Als 15 jähriger wagt Mathis die Flucht aus Langweiler und von zu hause und zeht dem Jahrmakt ud der Maschine hiterher. Auch mehr als 20 Jahre später ist er dieser Maschine immer noch verfallen, hinzugekommen ist aber auch noch die Kraftfrau Meta. Mit ihr zusammen (und mit dem versteckt zu haltenden geistig behinderten Bruder Metas, lebt er in einem Jahrmarktwagen und ist inzwischen selbst zum Röntgenmaschinenbesitzer und -betreiber geworden. Wir befinde uns inzwischen im Jahr 1935 und damit in der Zeit, in der die Nationalsozislisten beginnen, das Leben in Deutschland entsprechend ihren eingeschränkten Vorstellungen zu glätten. Jahrmarktsmenschen, Absurditäten und aufmüpfige Reden sind dabei nicht nur nicht vorgesehen, sondern werden versucht, so gut es geht unter den Teppich zu kehren. Menschen der Jahrmarktsgesellschaft werden abgeholt und verschwinden. Und hier kommt Mathis in seiner zweiten Rolle ins Spiel, die ihn schon in Kindestagen zum Außenseiter in Langweiler gemacht hat. Die Rolle des Denkers. In diese gebiert er die Idee, ein Buch zu schreiben, das Buch der vergessenen Artisten, in dem er die Leben der Artisten festhalten möchte, um eben diesem Vergessen-werden entgegenzuwirken. Damit bringt er sich einerrseits in Gefahr, ermöglicht uns als Leser aber auch ein Eintauchen in die vielfältige Künstlerwelt in Berlin zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft, als das Vibrieren des Berlins in den 20ern noch zu spüren ist und noch nicht unter dem Teppich verschwunden ist. Kollisionen mit dem neuen Regime bleiben dabei nicht aus. Alle handelnden Personen sind dabei aus den unterschiedlichsten Gründen gefährdet. Der Grad hin zur Kollaboration mit dem neuen Regime ist sogar für diese Personen sehr schmal. Das wird verdeutlicht an dem Bildhauer Thorak, der Meta zur Zusammenarbeit für ein Denkmal gewinnen will. Wird sie sich langfristig verweigern können?
Weiter geht es mit weihnachtlichem Leseelan in den zweiten Teil.