Zu meinen Fragen habe ich mich mal im Internet auf die Suche begeben und zum einen ein Interview mit der Autorin gefunden:
und zum anderen bei Amazon.de Fünf Fragen des Verlags an die Autorin - kann ich hier nicht verlinken, weil dann das Buch hier bei WR auftaucht, die Datenbanken sind wohl miteinander verknüpft...Deshalb kopiere ich die Fragen und die Antworten einfach mal hier rein, man kann ja drüber weggehen, wenn einem das zu viel wird...
FÜNF FRAGEN AN JULIA PHILLIPS
1. dtv: ›Das Verschwinden der Erde‹ beginnt mit der Entführung von zwei Schwestern, Aljona und Sofija. Gibt es einen bestimmten Grund, warum Sie ein Verbrechen ins Zentrum Ihres Romans gestellt haben?
Julia Phillips: Von klein auf haben mich Geschichten verschwundener Mädchen magisch angezogen. Ich bin mit Märchen über Mädchen in Gefahr aufgewachsen und auch später habe ich mich viele Jahre intensiv mit True-Crime-Geschichten und Ermittlungsverfahren beschäftigt. Immer wieder hatte ich mir diese Art von Geschichten einverleibt, bis mich mein Appetit danach irgendwann neugierig machte, ja, mir beinahe unangenehm wurde. Kann ein solcher Hunger überhaupt gestillt werden? Warum scheinen so viele Menschen ihn zu teilen? Nachrichten, erfundene Geschichten, ungesagte Dinge – all das sagt etwas aus über unser Zusammenleben, unsere Werte, uns selbst. Ich habe mit und beim Schreiben dieses Buchs versucht, herauszufinden, was so faszinierend an dem Verschwinden eines Mädchens ist – in der Hoffnung, zu verstehen, wer, abgesehen von dem engen Kreis aus Opfer, Täter und Ermittler, eine Rolle dabei spielt, dass solch ein Verbrechen verübt wird, und wer noch davon betroffen ist. Den Roman um das Verschwinden von Aljona und Sofija herum aufzubauen, war für mich die Gelegenheit, die größeren Zusammenhänge unserer Welt zu verstehen.
2. Im Laufe des Romans tauchen Sie tiefer ein in die Leben von unterschiedlichen Frauen, allesamt lose verbunden durch das Verbrechen und dessen Nachwirkungen. Warum haben Sie sich ausschließlich auf die weibliche Perspektive konzentriert?
Der Roman ist vielstimmig angelegt, wobei sich jedes Kapitel auf die Perspektive einer anderen Frau konzentriert, um das Spektrum von Gewalt in den Leben von Frauen zu untersuchen – Gewalt im Sinne der seltenen und medial verbreiteten Ereignisse (die Entführung durch einen Fremden) und den alltäglichen, über die kaum gesprochen wird (ein schwieriger Arztbesuch, eine Beleidigung). Der Roman richtet sein Augenmerk auf dieses Spektrum, weil ich es als so prägend für meine eigenen Erfahrungen als Frau empfinde, und doch den Eindruck habe, dass wenig Auseinandersetzung damit stattfindet. Ich habe ›Das Verschwinden der Erde‹ geschrieben, um Gewalt gegen Frauen in unterschiedlichen Facetten in der heutigen Welt darzustellen, weil ich es erstaunlich finde, wie sehr sich die Verletzungen ähneln, überlagern und uns verbinden.
3. Sie sind Amerikanerin und ›Das Verschwinden der Erde‹ spielt in Russland. Können Sie uns ein wenig über Ihre persönliche Beziehung zu Russland erzählen?
Ich wurde in den USA am Ende des Kalten Kriegs geboren; als ich aufwuchs, verstand ich immer mehr, dass das Amerika, das ich kannte, nicht in einem Vakuum entstanden war, sondern sich zu einem großen Teil in der Auseinandersetzung mit und in Abgrenzung zur Sowjetunion und dem heutigen Russland entwickelt hat. Vieles der amerikanischen Kultur, in der ich groß geworden bin, ist eine Reaktion auf das amerikanische Verständnis von Russland. Das Studium der russischen Sprache, Literatur und Geschichte hat mir einen neuen Horizont eröffnet und ich habe die Romanidee als eine Möglichkeit der weiteren Auseinandersetzung mit diesen Themen entwickelt.
4. Kamtschatka ist eine entlegene und dünn bevölkerte Region, deren spektakuläre Landschaft eine große Rolle in Ihrem Roman spielt. Wie haben Ihre Recherche und der Schreibprozess selbst ausgesehen?
Meine Recherche zu Kamtschatka begann 2009, ein ganzes Jahrzehnt vor der Erstveröffentlichung. Im Jahr 2011 hatte ich das Glück und Privileg, ein Stipendium für einen einjährigen Aufenthalt in Kamtschatka zu bekommen, und erste Skizzen vor Ort machen zu können. Ich wohnte in der Hauptstadt Petropawlowsk-Kamtschatski und verbrachte so viel Zeit wie möglich damit, auf der Halbinsel herumzureisen und mit unterschiedlichen Leuten zu sprechen. Das Jahr war ein großes Geschenk. Nach meiner Rückkehr in die USA begann ich ernsthaft mit dem Schreiben des Romans. Mit einem ersten Entwurf reiste ich 2015 erneut nach Kamtschatka, um gezieltere Recherchen vorzunehmen. Während der zweiten Reise wohnte ich in Esso, einem Dorf, das geografisch in der Mitte Kamtschatkas liegt, und fuhr vermehrt ins Landesinnere statt an die Küsten. Danach ging es wieder in die USA, um dort weiterzuschreiben und das Manuskript zu überarbeiten. Die
Entstehung des Romans war ein langer und ungemein bereichernder Prozess, für den ich sehr dankbar bin.
5. ›Das Verschwinden der Erde‹ ist Ihr Debütroman und bereits ein großer Erfolg – unter anderem stand er auf der Shortlist für den National Book Award – und er erscheint in 25 Ländern. Inwieweit hat sich Ihr Leben verändert? Und was kommt als Nächstes?
In mancherlei Hinsicht hat sich mein Leben seit der Veröffentlichung des Romans kaum verändert. Ich lebe in dem gleichen Apartment, treffe mich mit den gleichen Freunden, habe die gleichen Verunsicherungen und Gedanken. Ein Buch da draußen in der Welt zu haben, ist einer meiner Lebensträume – und zu erleben, wie dieser wahr wird, war großartig. Es ist alles, was ich je wollte, und die Freude darüber lässt nicht nach. Wenige Monate vor der Veröffentlichung habe ich meinen Job gekündigt, sodass mein Alltag mittlerweile sehr anders aussieht; ich verbringe nun viel Zeit mit Lesungen oder aber damit, zu Hause in meinem Pyjama zu sitzen und zu arbeiten. Zu diesem Zeitpunkt habe ich keine genaue Vorstellung davon, was als Nächstes kommt, aber ich hoffe sehr, dass meine Zukunft beinhaltet, jeden Tag an einem kreativen Projekt zu arbeiten, das mich motiviert und fesselt. Ich würde mich sehr glücklich schätzen, wenn ich weiterhin die Möglichkeit habe, mein Schreiben mit der Welt zu teilen.