1. Leseabschnitt: Annäherung an das Monster (S. 9 - 50)

Literaturhexle

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2. April 2017
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Annäherung an das Monster ist dieser Abschnitt überschrieben.
Wir haben es meiner Ansicht nach mit einem personalen Erzählstil zu tun. Obwohl in der 3. Person erzählt wird, erleben wir die Gedanken und Erlebnisse Guiseppes. Als Monster wird er von seinen Cousins bezeichnet: weil er Bücher verschlingt.

Der gesamte Abschnitt wirkt sehr melancholisch auf mich. Dialoge haben keine Zeichen der wörtlichen Rede. Das gibt dem Text eine zusätzliche Schwere. Es geht um Verlust der Heimat, um das Ziehen einer Lebensbilanz, dem Wunsch, etwas zu hinterlassen, um die Auseinandersetzung mit dem Tod.
[zitat]Er war der Letzte seines Geschlechts, nach ihm kam nur noch Auslöschung. S. 11[/zitat]

Der Arzt bestätigt seinen wohl zuvor geäußerten Verdacht, dass G. an einem Lungenemphysem leidet, das quasi eine tickende Zeitbombe zu sein scheint. Die Änderung des ungesunden Lebenswandels, insbesondere des Rauchens, könnte Lebensverlängerung bedeuten, muss es aber nicht.

Der Arzt Coniglio schweift zu Tomasis Mutter ab, die ihm einst den Rat gab, immer den leichten Weg zu nehmen, was er wohl nicht getan hat. Nun plant er, auf Wunsch seiner Frau nach Frankreich zu gehen, was ihn unglücklich macht. Interessant fand ich diesen Satz:
[zitat]Wie kaum ein anderer hatte dieser Mann den Verfall der Liebe seiner kranken Mutter zu ihm miterlebt...S. 23[/zitat]
Warum fällt dem Arzt an dieser Stelle die Mutter ein? Weil sie auch schwerkrank war? Um abzulenken?

Die Mutter war eine gebietende Aristokratin, die letzte einflussreiche Lampedusa. Sie glaubte an Mussolini, bis er 1940 in den Krieg eintrat. Sie war geliebt und gefürchtet.

Guiseppe trifft "die Jungs", Gioacchino und Francesco, mit denen er und Licy Tischgespräche und Vorträge über Literatur organisieren. Der Anblick der Jugend lässt seine Gedanken erneut abschweifen. Er sieht sich mit einer neuen Welt konfrontiert, zu der er immer weniger dazu gehört.
Seine Endzeitstimmung bringt ihn zu einem Besuch in einer alten kleinen Kirche. Mit Schrecken erkennt er, dass mit ihm auch alle seine Erinnerungen ausgelöscht werden würden.

Anschließend trifft er noch seinen Cousin Lucio, einen berühmten Dichter, dem er eine Art Gruß vom Arzt Coniglio ausrichtet. Hat das jemand verstanden? Hat Lucio was mit des Arztes Frau zu tun?

Offenbar hat Guiseppe schon lange den Traum, ein Buch zu schreiben, womit Lucio ihn aufzieht. Guiseppes Gedanken verdichten sich, es scheint eine logische Folge zu sein, dass er am Abend zu schreiben anfängt. Protagonist ist der Ur-Großvater... die Buchstaben fließen nur so aus der Feder.
Seiner Frau hat er zwar vom Besuch beim Arzt, nichts jedoch von der kritischen Diagnose erzählt. Er möchte die Leichtigkeit zwischen ihnen nicht gefährden.

Der Besuch beim Arzt konfrontiert mit dem (möglicherweise) bevorstehenden Tod, lässt den Wunsch entstehen, etwas/seine Erinnerungen zu hinterlassen. Der Arztbesuch als Initialzündung zum Schreiben des Leoparden.

Mir hat der Einstieg gut gefallen. Die trübsinnige Stimmung, die Atmosphäre der Stadt Palermo wurden gut getroffen. Der Stil spricht mich an. Weiter geht´s!
 

RuLeka

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Anschließend trifft er noch seinen Cousin Lucio, einen berühmten Dichter, dem er eine Art Gruß vom Arzt Coniglio ausrichtet. Hat das jemand verstanden? Hat Lucio was mit des Arztes Frau zu tun?
Hier am Anfang des Romans treffen wir einige Personen, da ist es nicht leicht, den Überblick zu behalten. Vor allem, in welcher Beziehung die Einzelnen zu einander stehen, ist oft nicht sofort ersichtlich.
 

RuLeka

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Seiner Frau hat er zwar vom Besuch beim Arzt, nichts jedoch von der kritischen Diagnose erzählt. Er möchte die Leichtigkeit zwischen ihnen nicht gefährden.
Die Ehe ist ungewöhnlich. Da bin ich gespannt, was wir noch erfahren. Es gab schon längere Trennungen und seiner Frau nichts von der Diagnose zu erzählen, sagt auch einiges über die Beziehung aus.
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Hach, ich bewundere dich immer für deine tollen Zusammenfassungen, liebe @Literaturhexle :D.
Der gesamte Abschnitt wirkt sehr melancholisch auf mich. Dialoge haben keine Zeichen der wörtlichen Rede. Das gibt dem Text eine zusätzliche Schwere. Es geht um Verlust der Heimat, um das Ziehen einer Lebensbilanz, dem Wunsch, etwas zu hinterlassen, um die Auseinandersetzung mit dem Tod.
Er war der Letzte seines Geschlechts, nach ihm kam nur noch Auslöschung. S. 11
Erinnert mich vom Stil und Inhalt her etwas an Haruf - ohne jedoch (bisher) dessen Klasse zu erreichen.
Guiseppe trifft "die Jungs", Gioacchino und Francesco, mit denen er und Licy Tischgespräche und Vorträge über Literatur organisieren. Der Anblick der Jugend lässt seine Gedanken erneut abschweifen. Er sieht sich mit einer neuen Welt konfrontiert, zu der er immer weniger dazu gehört.
Ha ha ha, ich erwische mich auch öfter bei dem Gedanken, dass ich mit vielem nicht mehr mithalten kann. Ich merke das insbesondere auf Arbeit, wenn meine jüngeren Kollegen mit etwas ankommen, wo ich nur denke "Äh, what?" :D
 

kingofmusic

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Ich habe mal irgendwo gelesen, dass Tomasi di Lampedusa ein sehr inniges (?) Verhältnis zu seiner Mutter hatte. Er lebte auch als Erwachsener noch mit ihr zusammen.
Ich muss ehrlich gestehen, ich habe bisher noch überhaupt nichts von Tomasi di Lampedusa gehört. Aber das ist ja das schöne an Büchern: man kann Bildungslücken schließen. Auch wenn dieses hier nur eine fiktionale Biografie ist. :cool:
 

Renie

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Essen
renies-lesetagebuch.blogspot.de
Der gesamte Abschnitt wirkt sehr melancholisch auf mich.
Melancholisch - von wegen! Der Roman ist todtraurig. Ich brauche einen Stimmungsaufheller, sonst werde ich depressiv.:oops:
Die Mutter war eine gebietende Aristokratin, die letzte einflussreiche Lampedusa. Sie glaubte an Mussolini, bis er 1940 in den Krieg eintrat. Sie war geliebt und gefürchtet.
Die Mutter war schon eine Ansage. Ich sehe sie bildlich vor mir: eine stolze Dame, komplett in schwarz gekleidet, die mit strengem Regiment versucht, die Regeln der Aristokratie aufrechtzuerhalten.
Mich wundert, dass sie Mussolini-Fan war. Ohne sicher zu sein, hätte ich gedacht, dass Mussolini ihr zu bürgerlich war bzw. dass Mussolini dem Adel nicht wohlgesonnen war.

Hier am Anfang des Romans treffen wir einige Personen, da ist es nicht leicht, den Überblick zu behalten. Vor allem, in welcher Beziehung die Einzelnen zu einander stehen, ist oft nicht sofort ersichtlich.
Diese Schwierigkeiten habe ich auch.

Es gab schon längere Trennungen und seiner Frau nichts von der Diagnose zu erzählen, sagt auch einiges über die Beziehung aus.
So weit würde ich in dieser Situation nicht gehen. Mit solch einer Diagnose in der Tasche hast du erstmal genug mit dir selbst zu tun. Deinem Partner dann noch sagen zu müssen, dass Du nicht mehr lange zu leben hast, ist fast noch schlimmer. Der Gedanke, wie dessen Reaktion auf Deine Nachricht sein könnte, ist dabei in dieser Situation unerträglich. Diese Kraft musst Du erstmal aufbringen. Und Aufgeschoben ist nicht Aufgehoben.
 

kingofmusic

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So weit würde ich in dieser Situation nicht gehen. Mit solch einer Diagnose in der Tasche hast du erstmal genug mit dir selbst zu tun. Deinem Partner dann noch sagen zu müssen, dass Du nicht mehr lange zu leben hast, ist fast noch schlimmer. Der Gedanke, wie dessen Reaktion auf Deine Nachricht sein könnte, ist dabei in dieser Situation unerträglich. Diese Kraft musst Du erstmal aufbringen. Und Aufgeschoben ist nicht Aufgehoben.
Ich wäre emotional wahrscheinlich gar nicht in der Lage, das Ergebnis einer solchen Untersuchung lange vor meiner Frau zu verbergen...Aber jede:r reagiert da anders. :cool:
 

kingofmusic

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Was für eine starke, bildhafte Sprache :rolleyes:.
[zitat]Während Giuseppe den großen zerbombten Häusern im alten Palermo ähnlich geworden war: in Schutt und Asche gelegt von der Geschichte, ein peinliches Memento, das man am besten zudeckte und links liegen ließ. (S. 38)[/zitat]
 

Literaturhexle

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So weit würde ich in dieser Situation nicht gehen. Mit solch einer Diagnose in der Tasche hast du erstmal genug mit dir selbst zu tun.
Ich würde über die Qualität der Ehe auch noch keine Aussage treffen wollen. Beide scheinen sehr kameradschaftlich und vertraut miteinander umzugehen. Etwas befremdlich fühlt sich für mich die lange Trennung an, als sie sehr weit voneinander entfernt lebten und sich gewiss nur selten sehen konnten. Die Reisewege waren ja lang.
Für mich fühlt sich das im Moment wenig leidenschaftlich und mehr freundschaftlich an, was die beiden verbindet. Aber in einer langjährigen Ehe ist das nichts Schlechtes.

Mit der Verkündung der Diagnose wird sich das Verhalten der Gattin ändern. Sie wird ängstlicher und ihm vielleicht auch unliebsame Vorschriften machen (Hör auf zu rauchen, iss dies nicht, tu das nicht...). Ich denke, er wird sich bald erklären.
 

kingofmusic

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[zitat]Die Zeit war eine Abfolge von Räumen, die sich auftaten wie die guten Stuben seiner Kindheit, ein Nacheinander von Lichtstrahlen und Staub und Stille. Das war es, was anscheinend kein Roman zum Ausdruck bringen konnte. Manchmal kam es ihm so vor, als hätte ihn die Welt selbst dann nicht haben wollen, wenn er sie gewollt hätte. (S. 42)[/zitat]

:cool:
 

kingofmusic

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Mich fasziniert gerade der Cousin; seine Gedichte wurden im Wieser-Verlag (Österreich) in einer Reihe herausgegeben, die sich "Europa erlesen" nennt; sind spannende Titel dabei. Werde da mal näher gucken (müssen). :D
 

Sassenach123

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Giuseppe ist ein Mann, der auf sein Leben zurückblickt, und dabei zur Zeit eher belastende Dinge hervorkramt wie mir scheint. Das er seiner Frau nichts erzählt ist mir unverständlich, er scheint großen Respekt vor ihrer Meinung zu haben. Außerdem sucht man doch sicher Trost nach so einer niederschmetternden Diagnose. Er aber scheint Angst zu haben, dass sich ihre Beziehung dann verändert. Er möchte, dass es so bleibt wie bisher. Ein Trugschluss der sich nicht aufrecht erhalten lässt.
Die Familienverhältnisse sind mit noch nicht ganz geläufig, muss immer wieder überlegen, wenn von Cousins oder anderen Verwandten die Rede ist.
Warum er sich mit den beiden Jünglingen umgibt ist mir auch noch nicht ganz klar. Insgesamt ist sein gesamter Tagesablauf fremd. Kein Wunder, ich habe wenig Erfahrung damit adelig zu sein und an Reichtum gewöhnt zu sein. Doch das ist bei ihm ja eigentlich auch schon Schnee von gestern. Dennoch zeugt sein Tun doch noch sehr davon.
 

Sassenach123

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Ich würde über die Qualität der Ehe auch noch keine Aussage treffen wollen. Beide scheinen sehr kameradschaftlich und vertraut miteinander umzugehen. Etwas befremdlich fühlt sich für mich die lange Trennung an, als sie sehr weit voneinander entfernt lebten und sich gewiss nur selten sehen konnten. Die Reisewege waren ja lang.
Für mich fühlt sich das im Moment wenig leidenschaftlich und mehr freundschaftlich an, was die beiden verbindet. Aber in einer langjährigen Ehe ist das nichts Schlechtes.

Mit der Verkündung der Diagnose wird sich das Verhalten der Gattin ändern. Sie wird ängstlicher und ihm vielleicht auch unliebsame Vorschriften machen (Hör auf zu rauchen, iss dies nicht, tu das nicht...). Ich denke, er wird sich bald erklären.
Hängt die räumliche Trennung nicht auch mit seiner Mutter zusammen? Er wohnte doch zu der Zeit bei ihr, wenn ich das richtig verstanden habe. Schon ein merkwürdiges Arrangement auch für die Zeit und die Verhältnisse wie mir scheint