1. Leseabschnitt: Anfang + Teil 1 (Anf. bis S. 82) - Bombay

Anjuta

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8. Januar 2016
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Ein kleiner indischer Waisenjunge - Bartholomäus - wird inspiriert von einem deutschen Geistlichen, Vater Fuchs, der ihm Stolz, Neugier und Interesse an der Welt eingehaucht hat. Die Mission des Jungen wird es, das erste Museum Indiens zu erschaffen. Dessen erste Version liefert er tatsächlich schon als kleiner Junge in Form eines unansehnlichen Kastens voller Unrat bzw. voller eher zufällig gesammelter Alltagsgegenstände des indischen Lebens. Er trifft - nicht unerwartet - auf das vollkommene Unverständnis seiner Umwelt und Kollegen, für die dieses Museum nur ein weiterer Hinweis darauf sind, dass dieser Junge ein Außenseiter ist. Nach heutigen Maßstäben führt das zu Mobbing von Kindern und Lehrern in diesem Waisenhaus. Doch der Junge bleibt seiner Mission und Vater Fuchs treu und arbeitet weiter an dem Museumsprojekt und ist ständig mit der Suche nach Vater Fuchs beschäftigt, als dieser plötzlich und unerwartet aus seinem Leben verschwindet. Bartholomäus Leben verläuft so auf einem schmalen Grad von Ausgrenzung, Engagement und Frustration und Zurückweisung. Seiner Umwelt ist er vollkommen unverständlich:
[zitat]"Bartolomäus, wenn ich dir einen Rat geben darf: Du wirst niemals frei sein. du bist eine Waise. Schlimmer noch, eine ambitionierte Waise! Wenn du nicht aufpasst, wird dein Leben eine Reihe von Enttäuschungen sein. Einer wie du gründet keine Museen. Einer wie du muss dankbar sein, wenn er nicht als Kind krepiert. [/zitat]
Bartholomäus aber hält an seinem Projekt fest. Er erkennt, dass darin ein Weg liegen kann, sich von den Engländern, den Vickys, zu emanzipieren.
[zitat]Wenn wir frei sein wollen, müssen wir uns daran erinnern, wer wir sind. Wir brauchen alle ein Museum. [/zitat]
Diese streng verfolgte Idee des Museums findet sich in diesem Roman dabei nicht nur im Denken des Helden wieder, sondern hat auch Einfluss auf Struktur und Konzeption des Romans selber. Denn: das ist das wirklich Interessante an diesem Buch: während wir über die Idee des Museums und dessen Realisierung lesen, entsteht es selbst vor unseren Augen. Das Buch selbst wird zum Museum. Ausgedrückt wird dies vor allem durch die Kapitelüberschriften, die, wie beim Gang durch ein Museum, einzelne Objekte benennen. Wir lesen also und gehen gleichzeitig durch ein Museum der indischen Wirklichkeit und der Emanzipation. Sehr interessantes Konzept! Das mich begeistert.
 

Renie

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renies-lesetagebuch.blogspot.de
Entgegen meiner Befürchtung, bin ich ein bisschen in dieses Buch verliebt. Denn beim ersten Durchblättern und Reinlesen, habe ich den Text zunächst als sehr wirr empfunden, teilweise sogar unverständlich aufgrund der indischen Wörter. Als ich dann mit dem Lesen begonnen habe, bin ich relativ schnell von dem Buch gefangen genommen worden. Da beschreibt ein mindestens 12-Jähriger mit einer herzerfrischenden Naivität, aber großer Weisheit, das Leben zweier unterschiedlicher Kulturen. "Kindermund tut Wahrheit kund" fällt mir dazu ein. Gut, die deutsche Kultur kennt er nur von Erzählungen bzw. durch seinen Vater Fuchs. Dafür hat er eine ausgezeichnete Beobachtungsgabe und gibt das, was ihm an den Deutschen auffällt, unverfälscht wieder. Was uns als Selbstverständlichkeit erscheint, wird für den Jungen häufig zu einem Kuriosum. Und dementsprechend ist auch seine Wortwahl. Ich habe manches Mal schallend gelacht.
Das Buch selbst wird zum Museum. Ausgedrückt wird dies vor allem durch die Kapitelüberschriften, die, wie beim Gang durch ein Museum, einzelne Objekte benennen. Wir lesen also und gehen gleichzeitig durch ein Museum der indischen Wirklichkeit und der Emanzipation. Sehr interessantes Konzept! Das mich begeistert.
Das ging mir ganz genauso. Als Bartholomäus mit seiner "Unrat"-Sammlung als erstes Modell für sein Museum herumzog, war ich ein bisschen gerührt. Aber als sich aus diesem ersten Versuch die Idee entwickelt, ein Museum in Textform zu "bauen", hat es mich umgehauen. Was für eine grandiose Idee. Und wir erleben die Entstehung dieses Museums.:)
 

Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
So. Ich fange heute mit dem Buch an, das sehr sehr hübsch ausieht.
Kann ich zu der Leserunde prinzipiell ein Lesezeichen setzen? Es ist immer umständlich für mich, bis ich die jeweilige LR wieder finde.
 

Renie

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MRO1975

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Da beschreibt ein mindestens 12-Jähriger mit einer herzerfrischenden Naivität, aber großer Weisheit, das Leben zweier unterschiedlicher Kulturen. "Kindermund tut Wahrheit kund" fällt mir dazu ein. Gut, die deutsche Kultur kennt er nur von Erzählungen bzw. durch seinen Vater Fuchs. Dafür hat er eine ausgezeichnete Beobachtungsgabe und gibt das, was ihm an den Deutschen auffällt, unverfälscht wieder. Was uns als Selbstverständlichkeit erscheint, wird für den Jungen häufig zu einem Kuriosum. Und dementsprechend ist auch seine Wortwahl. Ich habe manches Mal schallend gelacht.
Dies Sichtweise gefällt mir auch unheimlich gut. Bart ist schlagfertig und ich habe auch schon etliche Male über seine Kommentare gelacht. :)
 

MRO1975

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Ich habe von Anfang an gut in dieses Buch hineingefunden. Sprache und Story gefallen mir richtig gut. Die Idee, dass das Museum eigentlich so etwas wie Tagebuch ist, das wir mitlesen, finde ich genial. Ich bin mal wieder begeistert.
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Ich fand schon die Fragen und den kurzen Exkurs seiner Schwiegermutter absolut lesenswert und aussagekräftig. Weiter bin ich leider noch nicht.
 
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MRO1975

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11. August 2018
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Ich fand schon die Fragen und den kurzen Exkurs seiner Schwiegermutter absolut lesenswert und aussagekräftig. Weiter bin ich leider noch nicht.
Da hast du recht. Das wollte ich eigentlich noch erwähnen. Das Interview als Vorwort passt super und hat gemeinsam mit der historischen Einkleidung durch die Mutter richtig Lust auf das Buch gemacht.
 

Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
Nach diesem ersten LA bin ich sehr angetan vom Buch. Zuerst war ich etwas irritiert, dass es ein kurzes Interview vom Autor gab. Und fürchtete schon, es werde wieder wie bei Middlemarch zuviel vorweggenommen. Aber gar nicht. Sehr schön geschrieben auch das Vorwort von Dr. Jain-Neubauer.

Dann eine sehr berührende Schilderung Bartholomäus. Über seine Umgebung, seine Herkunft, seine Bezugspersonen. Die Prügelstrafe. Der Tod Vater Fuchsens. Und die Schlagintweits - von denen ich noch niemals etwas gehört habe. Bildungslücke.

Die Sprache so hinbekommen muss man auch erst mal. Der erste Eindruck ist jedenfalls sehr gut und - man glaubt es kaum - ich habe nichts auszusetzen.

Viele schöne Bilder und Ausdrücke. Mein Lieblingszitat:

[zitat][/zitat]Vater Fuchs wäre ein ausgezeichneter Forscher geworden. Wenn Gott ihn nicht vor der Wissenschaft entdeckt hätte.

--- Ich habe noch die gehört, dass sich die Briten offiziell dafür entschuldigt hätten, dass sie Indien mit Opium kaputt gemacht haben. China auch. Seinerzeit. China noch viel mehr.
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Nach diesem ersten LA bin ich sehr angetan vom Buch. Zuerst war ich etwas irritiert, dass es ein kurzes Interview vom Autor gab. Und fürchtete schon, es werde wieder wie bei Middlemarch zuviel vorweggenommen. Aber gar nicht. Sehr schön geschrieben auch das Vorwort von Dr. Jain-Neubauer.

Dann eine sehr berührende Schilderung Bartholomäus. Über seine Umgebung, seine Herkunft, seine Bezugspersonen. Die Prügelstrafe. Der Tod Vater Fuchsens. Und die Schlagintweits - von denen ich noch niemals etwas gehört habe. Bildungslücke.

Die Sprache so hinbekommen muss man auch erst mal. Der erste Eindruck ist jedenfalls sehr gut und - man glaubt es kaum - ich habe nichts auszusetzen.

Viele schöne Bilder und Ausdrücke. Mein Lieblingszitat:

[zitat][/zitat]Vater Fuchs wäre ein ausgezeichneter Forscher geworden. Wenn Gott ihn nicht vor der Wissenschaft entdeckt hätte.

--- Ich habe noch die gehört, dass sich die Briten offiziell dafür entschuldigt hätten, dass sie Indien mit Opium kaputt gemacht haben. China auch. Seinerzeit. China noch viel mehr.
Wow - wenn DU schon nix auszusetzen hast, liebe Wanda - dann muss das Buch wirklich gut sein :p:D:D:D:D.
Aber ich kann dir da nur Recht geben - es ist wunderbar geschrieben. Der Humor kommt auch nicht zu kurz :).
 
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Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Mir gefällt der Roman sehr gut. Bartholomäus und seine Weisheiten sind immer gut platziert, ab und an scheint er mehr Erfahrungen zu haben als die Schlagintweits. Natürlich kennen sie sich im Land nicht so gut aus wie unser Waisenjunge, aber vieles scheint auch den Verhältnissen geschuldet, in denen er aufgewachsen ist. Die Warnung, dass es gleich heftig regnen wird, wird wohl so schnell nicht wieder ignoriert. Obwohl ich beim lesen oft ahne worauf es hinausläuft, sind diese kleinen Anekdoten unschlagbar. Bartholomäus Eindrücke und Einschätzungen dessen was die Forscher tun,was sie erleben, liest sich herrlich erfrischend und ich freue mich weiterlesen zu können.
Nun bin ich gespannt wie es weitergeht, nach Vater Fuchs tot hält Bartholomäus nun nichts mehr.
 

KrimiElse

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26. Januar 2019
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Das Buch selbst wird zum Museum. Ausgedrückt wird dies vor allem durch die Kapitelüberschriften, die, wie beim Gang durch ein Museum, einzelne Objekte benennen. Wir lesen also und gehen gleichzeitig durch ein Museum der indischen Wirklichkeit und der Emanzipation. Sehr interessantes Konzept! Das mich begeistert.
Diese Konzeption hat mich auch begeistert, denn man betrachtet Vergangenes anders, wenn es museal aufbereitet ist. Was mir sehr gefällt ist, dass nichts angestaubt oder durch die Glasscheibe gesehen wirkt.
 
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KrimiElse

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26. Januar 2019
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buchmafia.blogspot.com
Und die Schlagintweits - von denen ich noch niemals etwas gehört habe. Bildungslücke.
Ich bin immer sehr begeistert, wenn die Bücher, die ich lese, kleinen zumindest kleinen Abenteuerhauch haben, der mich zum Nachforschen anregt. Mir sind die Schlagintweits auch komplett unbekannt, den Wissenszuwachs verknüpft mit einem guten Roman liebe ich sehr.