1. Leseabschnitt: Anfang bis Seite 86

Anjuta

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8. Januar 2016
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Essen
Wir befinden uns in den Untiefen sowjetischer Haftanstalten und lernen dort Karoline Henschke als geknechteten Häftling kennen. Die geschichtlichen Großereignisse der 30er Jahre nehmen weiter ihren Lauf und hinterlassen weitere Spuren in der Lebenslinie der Karoline Henschke. Die nationalsozialistische Machtergreifung hat sie in die Sowjetunion gespült, der stalinistische Verfolgungswahn in dessen Lager und nun erscheint es so, dass der Hitler-Stalin-Pakt eine Tür zurück in die Heimat, die so gar nichts Heimatliches vermitteln will, aufgestoßen haben könnte. Jedenfalls wird Karoline nach Moskau in die Zentrale des Terrors verlegt, um hier geprüft zu werden, ob sie Teil eines Austauschprogramms mit den Deutschen werden könnte. Ihr Prüfer ist Kusnezow, der sich genüsslich das Leben der Karoline, in dem sie Carola Neher, die große Schauspielerin, war, erzählen. Und so machen wir als Leser Zeitsprünge zwischen 1939 (dem Zeitpunkt der sowjetischen Haft) bis zurück in das Jahr 1908 als Carola in München ihre eher unglückliche Kindheit verlebt. Wir hören von ihrer Passion für die Bühne und ihrer Abneigung gegen eher bürgerliche Lebensentwürfe. Und wir machen mit ihr schließlich auch die ersten Schritte in eine Schauspielkarriere, die sie in Baden-Baden macht.
Das, was aber nicht zum Vorschein kommt ist das, was den Verhörer Kusnezow vor allem interessiert und auf dessen Spuren er mit erstaunlicher Geduld und Ruhe zu gelangen versucht:
Wie wird ein Mädchen aus niedrigen Verhältnissen innerhalb kürzester Zeit zunächst zum Liebling der Bourgeoisie, um dann in langen Champagnernächten an der Seite von führenden Männern des Deutschen Reiches zum Kommunismus zu finden? Vor allem: Hat sie zu ihm gefunden oder spielte sie uns das nur vor, um ihren Geliebten bei seiner Agententätigkeit zu unterstützen?
 

Emswashed

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9. Mai 2020
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Karoline Henschke (39) ist Gefangene in Wladimir (Westrussland) und wir erfahren kurz, wie prekär dort die Verhältnisse in den Zellen sind. Karoline spricht kaum/kein Russisch, unterhält sich nicht mit ihren russichen Mitgefangenen, versteht aber die kurzen Anweisungen der Wärterinnen.
Am 20. Dezember 1939 wird Karoline nach Moskau ins Butyrka verlegt. Dort bekommt sie neue Kleidung, besseres Essen und eine komfortablere Zelle (mit Matratze und der Möglichkeit sich aufrecht zu bewegen). Die Frauen in ihrer Zelle sind alles Deutsche, zwei davon kennt sie sogar, Zenzl Mühsam und Emma Lopper. Letztere berlinert stark (warum bajuwaren Karoline und vor allem Zenzl nicht?).
Karoline muss täglich zum Verhör und ihr Leben vor dem Wolgadeutschen Kusnezow ausbreiten.

So weit so gut. Ein paar Sachen bereiten mir aber trotzdem Magengrummeln.

Die Frauen aus der Butyrka haben alle schlimme Erfahrungen aus anderen Gefängnissen hinter sich und treffen sich in der Butyrka wie "alte Freundinnen" auf dem Jahrmarkt. Sie besitzen Nähzeug um ihre Klamotten auszubessern?

Sämtliche Männer werden mit Figur, Haarfarbe und Auftreten beschrieben, die Frauen bleiben eigenartig farblos. Empfinde nur ich dieses Ungleichgewicht?

Die relativ "intimen" Details aus Karolines Jugend werden alle in den Textabschnitten beschreiben, die losgelöst sind vom Verhör. Ich hätte aber schon gern gehört, wie Frau Neher sich gegenüber Kusnezow ausgedrückt hat, als sie z. Bsp. mit ihrem ersten Lover ins Bett gestiegen ist.

Die Textpassagen scheinen so losgelöst voneinander. Andererseits wähne ich mich in einer sich anbahnenden Liebesschnulze. Die ständigen Wiederholungen der Befehle und des Klappern des Vierkantschlüssels an der Koppel haben schon was Jinglemäßiges. Ich werde noch nicht so recht warm mit dem Buch.
 

Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
Ich bin noch nicht durch mit dem ersten Abschnitt, empfinde aber ebenfalls Unbehagen. Zu offensichtlich sind die Stilmittel. Die Verhöre, die dazu dienen, dass wir Karolas Leben kennenlernen, sind *seufz* genau so taub wie dummer Frager und Antworter - dann der kindliche Stil - und die Wiederholungen, wie Emsi sie schon erwähnt. Dabei war der Anfang vielversprechend.
Ich mag sowie so so viele Rückblenden nicht (mehr), kann keiner mehr ein Buch schreiben, dessen Handlung von A bis Z geht? Wenn schon Rückblenden, möchte ich einen Grund dafür haben. Hier gibts keinen.
 
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Emswashed

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9. Mai 2020
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Wenn schon Rückblenden, möchte ich einen Grund dafür haben. Hier gibts keinen.

Ich hoffe doch, dass uns noch ein Grund geliefert wird. Interessant ist doch, was sich Kusnezow alles über Carola notiert.

Psst. Das nervige Hin- und Herspringen zwischen Karolina und Carola wird auch aufgelöst, obwohl mir darüber zuviel Bohei gemacht wurde (dafür, dass ich es dem Autor fast schon ankreiden wollte).
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Mir fehlen noch etwa 20 Seiten dieses Abschnitts, ich empfinde alles bisher sehr bedrückend. Carola hofft auch eine Ausweisung, weil die Knute unter Stalin wohl länger andauern wird, als die unter Hitler. Eine Einschätzung, die sich im Nachhinein ja durchaus als richtig erweist. Doch ich empfinde es eher so, als ob man zwischen Pest und Cholera wählen muss.
Carola gibt alles um Kusnezow gegenüber interessant zu wirken. Hier wird mit einem typischen Klischee gearbeitet, doch ob es ihr hilft ihren weiblichen Charme bestmöglich einzusetzen?
Alles ist recht nüchtern gehalten, richtig wohl fühle ich mich noch nicht, aber das könnte auch daran liegen, dass ich gebraucht habe mich einzufinden
 

Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
Hier geht ja alles wie geschmiert, kaum in BB angekommen, schon auf der Bühne. Ein wenig hoffte ich, als die kleine Carola hinter dem Intendanten her geht irgendwelche Stiegen hinauf, er drückt sie in eine dunkle Ecke und vergewaltigt sie ... ist wohl zu modern.

Das Leben von CN interessiert mich wohl, aber der PuckyStyle nervt mich. (Pucki, 12bändig). Der Transport von Informationen fast ausschließlich über Dialoge (und noch dazu recht naive) langweilt mich unsäglich.
 

Barbara62

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19. März 2020
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So weit so gut. Ein paar Sachen bereiten mir aber trotzdem Magengrummeln.

Die Frauen aus der Butyrka haben alle schlimme Erfahrungen aus anderen Gefängnissen hinter sich und treffen sich in der Butyrka wie "alte Freundinnen" auf dem Jahrmarkt. Sie besitzen Nähzeug um ihre Klamotten auszubessern?
Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass jemand, der monatelang nicht aufrecht stehen konnte, so problemlos läuft und eine so gute Figur abgibt wie Carola bei Kusnezow.

Das Leben von CN interessiert mich wohl, aber der PuckyStyle nervt mich. (Pucki, 12bändig).
Nix gegen Pucki! Ich habe noch alle Bände auf dem Dachboden... ;)

Der Transport von Informationen fast ausschließlich über Dialoge (und noch dazu recht naive) langweilt mich unsäglich.
Das geht mir ebenso. Ich hätte einen literarisch anspruchsvolleren Stil bevorzugt. Das naive Geplauder von Carola geht mir auf die Nerven. Wäre sie berechnend naiv, wäre das eine interessante Taktik, aber ich habe den Eindruck, sie hat tatsächlich nicht mehr drauf.
 

Barbara62

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Ich bin überrascht, wie leicht sich das Buch liest, aber mir ist es zu leicht und zu glatt bisher. Die Monate bei miesem Essen, fast ohne Konversation und ohne Bewegung scheinen völlig spurlos an Carola vorbeigegangen zu sein. Sie kommt in Moskau an und plaudert munter drauf los, genau wie Emma kurze Zeit später, die sogar im Lager war. So rotzfrech redet doch niemand, der gerade solches Grauen erlebt hat?
 
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Wandablue

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Ich bin überrascht, wie leicht sich das Buch liest, aber mir ist es zu leicht und zu glatt bisher. Die Monate bei miesem Essen, fast ohne Konversation und ohne Bewegung scheinen völlig spurlos an Carola vorbeigegangen zu sein. Sie kommt in Moskau an und plaudert munter drauf los, genau wie Emma kurze Zeit später. So redet doch niemand, der gerade solches Grauen erlebt hat?
Das ist der Autor. Seine erzählerischen Mittel scheinen recht begrenzt zu sein. Seine Art, uns zu erzählen, wie Karolines Leben gewesen ist.
 

Barbara62

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Meines (sehr bescheidenen Wissens nach) war es zuerst von 1918 bis 1923 die Deutsche Republik (Weimarer Republik) und danach das Deutsche Reich - ab 1933. Die BRD gibt es seit 1945 - wie wir alle ja wissen.
Also hat Carola 1939 eher nicht von "Deutschland" gesprochen.
 

Renie

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renies-lesetagebuch.blogspot.de
Mein erster Eindruck:
Durch die Buchbeschreibung weiß ich, dass es um Carola Neher geht, eine deutsche Schauspielerin, die in ihrer Zeit unglaublich erfolgreich war und dem entsprach, was in Neu-Deutsch als It-Girl bezeichnet wird. Geboren 1900 hat sie beide Weltkriege erlebt sowie Wirtschaftskrise und Golden Twenties mitgemacht. Später landet sie in einem sowjetischen Gefängnis.

Wie es dazu kommen konnte, erzählt uns hoffentlich dieser biografische Roman, der interessant angelegt ist, weil er in relativ kurzen Abschnitten in die Vergangenheit von Carola springt und sie ihre Lebensgeschichte erzählen lässt.
Gleich zu Beginn befinden wir uns in der Sowjetunion des Jahres 1939. Carola wird in ein Gefängnis in Moskau überführt. Hier ist sie zusammen mit anderen deutschen Frauen untergebracht, die von dem Auslieferungsabkommen zwischen Hitler und Stalin "profitieren" sollen, sofern man von Profit sprechen kann. Denn tatsächlich geht es um die Aussicht auf Pest oder Cholera. Als deutsche Staatsfeindinnen, denn als solche gelten sie, droht ihnen das deutsche KZ; die Alternative, sollten sie nicht zu den „Begünstigten“ gehören, die in die Heimat zurückgeschickt werden, wäre eine Haftstrafe in einem russischen Strafgefangenenlager.

Mit den ersten Kapiteln zeichnet sich ein Psychospielchen zwischen dem Vernehmungsbeamten und Carola ab, dem sie täglich vorstellig wird. Ich hoffe zumindest, dass es darauf hinauslaufen wird. Noch ist es nicht mehr als ein Spielchen. Was mir noch fehlt, ist die Motivation des Beamten. Warum zeigt er dieses Interesse an ihr? Wodurch unterscheidet sich Carola von den anderen Inhaftierten, dass sie eine derartige Aufmerksamkeit bekommt? Warum spielt er dieses Spiel?

Der erste Leseabschnitt ist spannend und lässt mich hoffen. Doch wie das Buch am Ende bei mir ankommen wird, hängt von der Beantwortung der von mir gestellten Fragen ab, genauso wie von einer Erklärung, wie der gefeierte Bühnenstar zu der geworden ist, die sie jetzt ist. Was ist eigentlich die weibliche Form von Sträfling? Sträflingin? Sträflinge? Sicher Sträfling* ;)
 

Renie

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Carola gibt alles um Kusnezow gegenüber interessant zu wirken. Hier wird mit einem typischen Klischee gearbeitet, doch ob es ihr hilft ihren weiblichen Charme bestmöglich einzusetzen?
Das nehme ich ihr sogar ab und sehe es in diesem Fall nicht als Klischee. Etwas Anderes als ihren Charme kann sie nicht einsetzen. Letztendlich testet sie ihre Möglichkeiten aus und fängt erst mal mit dem an, was sie am Besten kann: Männer bezirzen, nur dass sie außer Acht lässt, dass sie weit entfernt von der strahlenden Erscheinung ihrer Bühnenzeit ist.
 

Renie

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19. Mai 2014
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Essen
renies-lesetagebuch.blogspot.de
dass jemand, der monatelang nicht aufrecht stehen konnte,
Das habe ich anders verstanden. Nur an einigen Stelle in der alten Zelle konnte man nicht aufrecht stehen., da wo irgendwelche Rohre, oder Träger oder so verliefen, worauf noch weitere SChlafstätten gelegt worden sind. Carola war als Bühnenmensch auch Tänzerin und machte täglich Gymnastik, trotzdem es verboten war. Ihre Mitgefangenen haben den Wärterinnen dabei die Sicht versperrt. Unterernährt wird sie gewesen sein, aber dennoch hat sie sich ihre Körperhaltung bewahrt.