In diesem Leseabschnitt gewinnen wir einen ersten Eindruck der beiden Protagonistinnen.
Wir haben es also mit 2 Schwestern zu tun:
Sue, ein Familienmensch, verheiratet mit Martin, 2 Kinder und ältere Schwester von
Esther, geschieden, wohlhabend, ehemaliger Karrieretyp, Aussteigerin, lebt allein und abgeschieden im Wald in einer luxuriösen Villa, will mit dem Rest der Welt nichts zu tun haben, erst recht nicht mit ihrer Schwester und deren Familie.
Weihnachten steht vor der Tür, und Sue macht sich auf den Weg, um Esther einen Anstandsbesuch abzustatten. Sicherlich spielt ihr Pflichtgefühl dabei auch eine Rolle, denn schließlich hat sie sich schon immer für die jüngere Schwester verantwortlich gefühlt. Esther ist psychisch nicht auf der Höhe, stand unter Behandlung und muss Psychopharmaka nehmen.
Der Roman ist ein Wechselspiel der Perspektiven der Protagonisten. Die Überschrift jedes Kapitels weist darauf hin, wer gerade erzählt. Wobei es auch Rückblicke in die Vergangenheit gibt. Diese Aufteilung ist hochinteressant, zumal hier verdeutlicht wird, wie unterschiedlich die Sichtweisen der Schwestern sind, und wie unterschiedlich Situationen und Ereignisse von den beiden wahrgenommen werden.
Daher finde ich schwierig, mir ein eindeutiges Bild der Figuren zu machen.
Auf den ersten Blick erscheint die Familien-Schwester sehr bodenständig, führt ein Leben wie zig andere auch, mit allem Positiven und Negativen. Sie ist allerdings neidisch auf ihre reiche Schwester und kommt mit ihrer Lebensform nicht klar. Der Ausspruch „Leben und leben lassen“ scheint ihr fremd zu sein.
Die Einsiedler-Schwester will einfach ihr Leben leben, ohne von anderen dabei gestört zu werden. Sie ist von ihrer Schwester genervt.
Die Nähe, die man von Schwestern erwartet, gibt es nicht. Stattdessen wird die Verbindung der beiden nur von Konventionen aufrechterhalten, die allerdings nur von der Älteren ausgehen. „In der Familie kümmert man sich umeinander“, „an Weihnachten besucht man die Familie“, "als große Schwester muss man auf die kleine Schwester aufpassen".
Es zeichnet sich ab, dass das Verhältnis der beiden Schwestern auch in der Kindheit nicht das Beste war. Die Ältere hatte ein Bemutterungs-Syndrom und die Jüngere war nicht in der Lage, sich gegen so viel Kümmerei und Bevormundung zur Wehr zu setzen.
Langsam denke ich, dass beide Schwestern geistig nicht ganz auf der Höhe sind.
Also, der Einstieg in diesen Roman war schon mal leicht, und das Buch hat mich gepackt. Es zeichnet sich ab, dass hier Konflikte unter der Oberfläche schwelen, die vermutlich im weiteren Verlauf zutage treten werden. Es fragt sich nur, wie heftig der Ausbruch sein wird. Da wir einen Thriller lesen, rechne ich mit viel Radau.