1. Leseabschnitt: Anfang bis Seite 77

Literaturhexle

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2. April 2017
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Das Buch von Kundera habe ich schon zweimal gelesen. Weder in der Jugend noch jetzt hat es mir gefallen. Da steht die Liebesgeschichte im Vordergrund und der Protagonist hat ein Frauenbild, das zum Himmel schreit!
König: vielleicht was für dicho_O:p
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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denn die ewig ängstliche Vera, die später geschildert wird, muss ja irgendwie entstehen
Ich habe extra nochmals zurückgeblättert, um nachzulesen, ob Pavels Ehefrau wirklich Vera heißt. Die beiden Frauen scheinen sich stark zu unterscheiden, die selbstbewusste, junge Frau, in die sich Pavel verliebt hat und die überängstliche Ehefrau später.
 

ulrikerabe

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14. August 2017
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Ich lese es als Nachtisch. In welcher Reihenfolge es besser ist? Keine Ahnung.
Für mich wirklich Neuland, der Prager Frühling
Ich habe mich auch entschlossen zuerst den Roman und dann die Entstehungsgeschichte zu lesen. Ich glaube,dass ich dadurch den Roman "unabhängiger" lesen kann.
 

ulrikerabe

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14. August 2017
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Der Prager Frühling ist für mich kein Neuland. Ich habe viel Dokus über ihn gesehen. Aber noch nichts gelesen. soll ja auch davon handeln. Vielleicht auch etwas zum Lesen später nach dem hungrigen Krokodil. Und auch wartet noch. :);)

An die unerträgliche Leichtigkeit des Seins musste ich auch denken, vor allem weil da der Protagonist auch Arzt ist.
Ich habe vor etwa 30 Jahren Kundera gelesen. Ich hatte Familie in der ehemaligen CSSR. Aber über Politik wurde in meiner Kindheit nicht viel gesprochen (zumindest nicht mit Kindern) und als ich alt genug zum Fragen war, ist meine Großtanten schon verstorben.
 

RuLeka

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Hier finde ich das Verhalten von Pavel etwas komisch.

Schon vorher ist ein jüdischer Freund, David glaube ich samt seinen Eltern einfach verschwunden. Auch das wurde einfach so berichtet, ohne große Anteilnahme.

Und auch bei Arnost finde ich Pavel recht teilnahmslos.

Die nationalsozialistische Propaganda zu den Juden müsste doch bekannt sein. Will er es nicht wahrhaben weil es zu schmerzhaft ist? Oder weiß er noch nichts vom Vorgehen gegen die Juden? Was denkt ihr?
Das verwundert garnicht. Es gab auch in Deutschland Juden, die noch lange dachten, so schlimm wird es nicht werden. Das, was wir heute darüber wissen, war für die meisten unvorstellbar.
 

RuLeka

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Ich dachte hier eher ans Radio. Die Familie von Pavel waren ja nicht arm und müssten doch etwas über die Sichten der Nationalsozialisten gehört haben.

Ich meine das in keiner Weise wertend. Ich denke da auch an das Glück der späten Geburt. Wir, die danach Geborenen, können kein Handeln der damaligen Bevölkerung bewerten. Wir wissen nicht was wir gemacht hätten unter diesen Machthabern. Und hoffentlich erfahren wir es nie!!!
Wissen konnten alle, dass Juden ausgegrenzt, Geschäfte boykottiert, ihr Vermögen konfisziert, dass sie von bestimmten Berufen ausgeschlossen wurden usw. Es war bekannt, dass die Nazis die Juden raus aus ihrem Machtgebiet haben wollten. Aber was die endgültige Vernichtung der jüdischen Rasse betrifft, dass es eine ganze Maschinerie gab, die am Fließband Juden umgebracht haben, konnte der normale Bürger nicht wissen. Die richtigen Vernichtungslager wie Auschwitz und Treblinka z.B. wurden weit im Osten errichtet , davon sollte die Bevölkerung nicht so viel wissen.
 

RuLeka

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Nun denn:

Ich habe den ersten Leseabschnitt beendet und die Schreibe liest sich flüssig, ist spannend und berührt mich. Es gefällt mir sehr gut!

Der erste Erzählstrang handelt in Prag 1970, Pavel Vodák verabschiedet sich von seiner Heimatstadt. Wenn man sich vorstellt, was dies bedeutet, das ist schon heftig. Offiziell heißt es die Familie Vodák fährt in den Urlaub, das bedeutet, dass die Vodáks nur soviel mitnehmen können, wie man in den Urlaub mitnimmt. Sie wollen ja nicht auffallen. Auch wichtige Unterlagen müssen hierbleiben, für den Chefarzt sicher nicht so perfekt. Und das bedeutet, dass sie sich nicht von ihren Freunden verabschieden können. Und das bedeutet, dass sie andere gefährden, weil sie ja in einer Diktatur leben und wenn ein Chefarzt flieht, hat das sicher Konsequenzen für sein Umfeld. Und das bedeutet ebenso, dass sie dies ja schon länger planen und damit eine gehörige Geheimhaltung verbunden ist. Und das bedeutet ebenso, dass der Hund Ready, ihr Haustier auch hier gelassen wird. Wer ein Haustier hat und hatte, wird wissen, wie schmerzhaft das sein wird. Falls man sich hier wundert, nicht jede Unterbringung im Urlaub erlaubt Hunde, oder auch der Flug und dann könnte das Tier die Familie bei dem weiteren Fluchtweg gefährden. Wenn man sich das überlegt, kommt man ungefähr darauf was dies für die Vodáks bedeutet. Dann das Ungewisse, sie fliegen ja nach Jugoslawien, dort wartet eine Kontaktperson und übergibt ihnen die Pässe und weitere Instruktionen. Mehr scheint ja noch nicht bekannt zu sein. Und dazu kommt noch die Gefahr, Pavel und seine Frau Vera müssen die nichtsahnende Tochter Pavli und die ebenso unwissende Mutter von Vera, Frantiska durch das Kommende lotsen. Und dann muss man sich vor Augen führen, dass dies hier kein freiwilliger oder wirtschaftlicher Entschluss der Familie ist, sondern sie tun dies um einen Gefängnisaufenthalt des Ehemannes, einen eventuellen Gefängnisaufenthalt der Ehefrau und einen damit verbundenen Verlust ihres Kindes zu verhindern. So etwas ist geschehen in diesen sozialistischen Diktaturen. Und dazu kommt noch, sie wissen auch nicht, wie es für sie wirtschaftlich weitergeht in dem Land, wohin sie wollen. Das ist wirklich heftig!
Zitat: „ Er setzt nicht nur seine Existenz aufs Spiel. Er nimmt drei weitere Menschen mit. In die Freiheit oder ins Verderben. Ganz sicher aber in eine ungewisse Zukunft.“
Was für eine Entscheidung, die Pavel hier treffen muss und welche Verantwortung er dabei eingeht. Beeindruckend!
 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

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Das verwundert garnicht. Es gab auch in Deutschland Juden, die noch lange dachten, so schlimm wird es nicht werden. Das, was wir heute darüber wissen, war für die meisten unvorstellbar.

Aber wenn Freunde so mir nichts dir nichts einfach verschwinden.
Das nimmt man doch nicht einfach so hin. Oder? Gut, da war Pavel noch jünger. Aber insgesamt müsste sich doch ein riesiges Fragezeichen aufmachen. Tut es ja vielleicht auch.

Und wenn Juden am Studieren gehindert werden, wundert man sich doch. Gut, das macht Pavel aber.

Dieses unermessliche Grauen, was da passiert ist, darauf wäre niemand gekommen, weil sich normal denkende Menschen so etwas in real nicht vorstellen können.
 

Sandra Brökel

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Ich habe mich auch entschlossen zuerst den Roman und dann die Entstehungsgeschichte zu lesen. Ich glaube,dass ich dadurch den Roman "unabhängiger" lesen kann.
Tatsächlich war die Reihenfolge folgendermaßen "geplant": 1.das hungrige Krokodil 2.Pavel und ich
Es scheint aber auch anders herum zu funktionieren, was mich natürlich freut!
Nun denn:

Ich habe den ersten Leseabschnitt beendet und die Schreibe liest sich flüssig, ist spannend und berührt mich. Es gefällt mir sehr gut!

Der erste Erzählstrang handelt in Prag 1970, Pavel Vodák verabschiedet sich von seiner Heimatstadt. Wenn man sich vorstellt, was dies bedeutet, das ist schon heftig. Offiziell heißt es die Familie Vodák fährt in den Urlaub, das bedeutet, dass die Vodáks nur soviel mitnehmen können, wie man in den Urlaub mitnimmt. Sie wollen ja nicht auffallen. Auch wichtige Unterlagen müssen hierbleiben, für den Chefarzt sicher nicht so perfekt. Und das bedeutet, dass sie sich nicht von ihren Freunden verabschieden können. Und das bedeutet, dass sie andere gefährden, weil sie ja in einer Diktatur leben und wenn ein Chefarzt flieht, hat das sicher Konsequenzen für sein Umfeld. Und das bedeutet ebenso, dass sie dies ja schon länger planen und damit eine gehörige Geheimhaltung verbunden ist. Und das bedeutet ebenso, dass der Hund Ready, ihr Haustier auch hier gelassen wird. Wer ein Haustier hat und hatte, wird wissen, wie schmerzhaft das sein wird. Falls man sich hier wundert, nicht jede Unterbringung im Urlaub erlaubt Hunde, oder auch der Flug und dann könnte das Tier die Familie bei dem weiteren Fluchtweg gefährden. Wenn man sich das überlegt, kommt man ungefähr darauf was dies für die Vodáks bedeutet. Dann das Ungewisse, sie fliegen ja nach Jugoslawien, dort wartet eine Kontaktperson und übergibt ihnen die Pässe und weitere Instruktionen. Mehr scheint ja noch nicht bekannt zu sein. Und dazu kommt noch die Gefahr, Pavel und seine Frau Vera müssen die nichtsahnende Tochter Pavli und die ebenso unwissende Mutter von Vera, Frantiska durch das Kommende lotsen. Und dann muss man sich vor Augen führen, dass dies hier kein freiwilliger oder wirtschaftlicher Entschluss der Familie ist, sondern sie tun dies um einen Gefängnisaufenthalt des Ehemannes, einen eventuellen Gefängnisaufenthalt der Ehefrau und einen damit verbundenen Verlust ihres Kindes zu verhindern. So etwas ist geschehen in diesen sozialistischen Diktaturen. Und dazu kommt noch, sie wissen auch nicht, wie es für sie wirtschaftlich weitergeht in dem Land, wohin sie wollen. Das ist wirklich heftig!
Danke, dass du deine Gedanken so ausführlich teilst! Ich freue mich, dass es offenbar gelungen ist, diese Anspannung und diese unendlichen Grübelschleifen, die Pavel durchmachte, transportiert werden konnten... ich möchte nicht spoilern: aber mit dem Hund gibt es im Laufe des Romans noch eine (wahre!) Randgeschichte...
 

RuLeka

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Aber wenn Freunde so mir nichts dir nichts einfach verschwinden.
Das nimmt man doch nicht einfach so hin. Oder? Gut, da war Pavel noch jünger. Aber insgesamt müsste sich doch ein riesiges Fragezeichen aufmachen. Tut es ja vielleicht auch.
Manche gingen davon aus, dass die Juden emigriert sind, z.B. nach Palästina. Und manches will man oft garnicht so genau wissen, weil man darauf in irgendeiner Form reagieren müsste..
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Ich freue mich, dass es offenbar gelungen ist, diese Anspannung und diese unendlichen Grübelschleifen, die Pavel durchmachte, transportiert werden konnten...
Das ist dir absolut gelungen; ich habe bisher (leider) nur das 1. Kapitel lesen können, aber das hat es bereits in sich!
 

Sandra Brökel

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Von Pavels Eltern kann ich mir noch kein rechtes Bild machen: Die deutsche Mutter scheint eine Lebedame zu sein, der Vater ein zurückhaltender, unpolitischer tschechischer Arzt. Seit Jahren macht Pavel die Hausaufgaben für den kleinen Bruder - wo gibt es sowas?!
Nein, sein Vater war kein Arzt, sondern ein unpolitischer Offizier der tschechischen Armee... ich hoffe doch nicht, dass ich da was von Arzt geschrieben habe!!
Es ist überliefert - kann aber nicht bewiesen werden! - dass der Offizier Pavel Vodák senior u.a. (also mit anderen Männern des Militärs) als Vorlage für den berühmten "braven Soldaten Svejk" diente. Denn die Familie Vodák war sowohl mit dem Autor als auch mit dem Zeichner des Svejks befreundet.
Pavels Vater war ein sehr gutmütiger, gelassener und intelligenter Offizier, der durchaus humorvoll war. Alle liebten ihn! So eine Art gute Seele der Familie...
Die Mutter war eben KEINE böhmische Hausfrau, sondern ihr "Revier" war die Lebensfreude, die Bars und die Kaffeehäuser.
Pavels kleiner Bruder wurde im Roman etwas neutraler gezeichnet, als er wohl in Wahrheit war. In Wahrheit - so erzählt die Familie übereinstimmend - war er einfach nur dumm. Und es gibt famiienintern den Verdacht, dass die Mutter vielleicht nicht ganz nüchtern bei seiner Zeugung und während seiner Schwangerschaft war. Auch auf Fotos, die ich lange betrachtet habe, sind seine Augen stumpf und leer. So ein nichtssagender Blick...
Es war ein ungeschriebenes Gesetz, dass Pavel seinen kleinen Bruder durch die Schule "hievt"...
 

Sandra Brökel

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Ansonsten fand ich auch die Beschreibung der Vera interessant, fast wirkt sie wie eine andere Person, stark und auch autark. Das könnte bedeuten, dass sie noch einiges zu verkraften hat, denn die ewig ängstliche Vera, die später geschildert wird, muss ja irgendwie entstehen.
Sehr schön beobachtet... eine Facette des Romans ist auch, was der Verlust von Heimat in einem Menschen anrichten kann...
 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

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Was mich ein bisschen wundert, dass man Pavel die Urlaubsreise nach Jugoslawien gestattet hat, wo er doch schon unter Beobachtung stand. Oder kann es sein, dass man damit gerade einen Fluchtversuch provozieren wollte und letztlich diese Personen genau dort hatte, wo man sie haben wollte, in Haft?

Darüber hatte ich mich auch gewundert. Man hätte doch sicher auch innerhalb der Tschechoslowakei verreisen können.