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Sandra Brökel

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10. August 2020
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... ich bin da auch ratlos. Ich war da auch etwas erstaunt über Pavel. Ist das schreckliche Vorgehen noch nicht so public? Ist Pavel so naiv oder verleugnet er sein Wissen um die Tatsachen, weil das Anerkennen dieser Wahrheit zu furchtbar wäre?
Spannende Frage/Diskussion....
Ich bin nicht sicher, ob wir das heute WIRKLICH nachempfinden können, weil wir aus einer Perspektive denken, die er nicht hatte. Wir wissen heute um die Gräueltaten, er wusste es damals nicht.
Wir sind auch älter (und vielleicht reifer?) als er damals....
Das ist ein Thema, über das ich sehr viel gegrübelt und mit Paulchen diskutiert habe... aber natürlich blieb das Ergebnis dieser Diskussion offen...
Seine Aufzeichnungen lesen sich so, als habe er nichts gewusst und auch nichts wissen wollen (weil unerträglich?).... ???
 

SuPro

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28. Oktober 2019
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Spannende Frage/Diskussion....
Ich bin nicht sicher, ob wir das heute WIRKLICH nachempfinden können, weil wir aus einer Perspektive denken, die er nicht hatte. Wir wissen heute um die Gräueltaten, er wusste es damals nicht.
Wir sind auch älter (und vielleicht reifer?) als er damals....
Das ist ein Thema, über das ich sehr viel gegrübelt und mit Paulchen diskutiert habe... aber natürlich blieb das Ergebnis dieser Diskussion offen...
Seine Aufzeichnungen lesen sich so, als habe er nichts gewusst und auch nichts wissen wollen (weil unerträglich?).... ???
... Letztlich ist es ja plausibel, wenn es eine Kombination aus Verleugnung und Nichtwissen ist…
 

KrimiElse

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26. Januar 2019
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Bevor ich alle eure Beiträge lese zunächst:
Das Buch erzählt eine höchst spannende Geschichte aus einer sehr persönlichen Sicht, das gefällt mir ganz ausgezeichnet.
Mit der Ereignissen in Prag 1968 bin ich gut vertraut, wir hatten im August 1968 Freunde aus Prag zu Besuch, die mit dem Reformer Dubček sympathisierten, und damit auch die Stasi, die bei uns damals ein und ausging. (Ich war ein Baby, aber meine Mama hat viel davon erzählt). Es ist allerdings immer wieder spannend, Details zu erlesen, die mir nicht bekannt sind, und Sandra Brökel macht das ganz wunderbar.
Der zweite Erzählstrang, Einmarsch der Deutschen in Budweis (der Marktplatz kenne ich, er ist toll) und das Leben unter Deutscher Vorherrschaft mit Laken Repressalien bietet viel Neues für mich. Die Konstellation einer Deutschen, die mit einem Tschechin verheiratet ist, ist sehr spannend. Ich bin immer wieder erstaunt, dass Hitlers Anhänger dagegen nicht ernsthaft vorgingen. Allerdings gefällt mit der Stil in diesem Teil nicht so gut. Mir ist es etwas zu einfach geschrieben, naiv. Das soll sicher so sein, da ein junger Mann gebeutelt vom Schicksal erzählt, aber es ist eben nicht mein Ding.
Aber die Geschichte entschädigt mich.
 
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KrimiElse

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Zunächst hatte ich dabei einen Nein-Reflex. Bei genauerem Hinschauen ist aber auch was Wahres dran. Im Grunde aber auch nicht allzu schlimm, solange man daran arbeitet und vor allem Toleranz übt...
Wohl wahr. Der Herdentrieb sorgt für die Anpassung, auch im Tierreich werden andersartige verstoßen. Man muss sich das bewusst machen und Gegenhalten, auch und vor allem gegen die damit verbundene Angst vor Andersartigkeit.
 

KrimiElse

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26. Januar 2019
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Ansonsten fand ich auch die Beschreibung der Vera interessant, fast wirkt sie wie eine andere Person, stark und auch autark. Das könnte bedeuten, dass sie noch einiges zu verkraften hat, denn die ewig ängstliche Vera, die später geschildert wird, muss ja irgendwie entstehen.
Ich sehe Vera auch als Figur, auf deren Entwicklung ich sehr gespannt bin. Welche Erlebnisse haben bloß dazu geführt, dass sie wie ein Kaninchen vor der sozialistischen Schlange zittert?
 

KrimiElse

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26. Januar 2019
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Hier finde ich das Verhalten von Pavel etwas komisch.

Schon vorher ist ein jüdischer Freund, David glaube ich samt seinen Eltern einfach verschwunden. Auch das wurde einfach so berichtet, ohne große Anteilnahme.

Und auch bei Arnost finde ich Pavel recht teilnahmslos.

Die nationalsozialistische Propaganda zu den Juden müsste doch bekannt sein. Will er es nicht wahrhaben weil es zu schmerzhaft ist? Oder weiß er noch nichts vom Vorgehen gegen die Juden? Was denkt ihr?
Ich denke, dass er kuscht weil er eben nichts weiß und weil er in der Anfangszeit auch von zu Hause keine Informationen oder Rückenhalt bekommt. Pavel ist für mich einer, der viel nachdenkt, aber wenig handelt, den Daumen zwar gedanklich an der Wunde hat, aber eben nicht aktiv wird. Außer sein ganz persönlicher Kreis ist bedroht, wie 1968, und er hat keine andere Wahl.
 

KrimiElse

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26. Januar 2019
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Das Krokodil als Sinnbild für brutale Gewalt und Machtausübung finde ich sehr passend. : „ gibt es seit Urzeiteiten“, „ täuscht seine Beute“, „ ist nicht so träge, sondern schnell“ , usw.
Das ist ein tolles Bild, das die Autorin gewählt hat, fürchterlich und äußerst passend.
 

KrimiElse

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26. Januar 2019
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Nein, sein Vater war kein Arzt, sondern ein unpolitischer Offizier der tschechischen Armee... ich hoffe doch nicht, dass ich da was von Arzt geschrieben habe!!
Es ist überliefert - kann aber nicht bewiesen werden! - dass der Offizier Pavel Vodák senior u.a. (also mit anderen Männern des Militärs) als Vorlage für den berühmten "braven Soldaten Svejk" diente. Denn die Familie Vodák war sowohl mit dem Autor als auch mit dem Zeichner des Svejks befreundet.
Pavels Vater war ein sehr gutmütiger, gelassener und intelligenter Offizier, der durchaus humorvoll war. Alle liebten ihn! So eine Art gute Seele der Familie...
Die Mutter war eben KEINE böhmische Hausfrau, sondern ihr "Revier" war die Lebensfreude, die Bars und die Kaffeehäuser.
Pavels kleiner Bruder wurde im Roman etwas neutraler gezeichnet, als er wohl in Wahrheit war. In Wahrheit - so erzählt die Familie übereinstimmend - war er einfach nur dumm. Und es gibt famiienintern den Verdacht, dass die Mutter vielleicht nicht ganz nüchtern bei seiner Zeugung und während seiner Schwangerschaft war. Auch auf Fotos, die ich lange betrachtet habe, sind seine Augen stumpf und leer. So ein nichtssagender Blick...
Es war ein ungeschriebenes Gesetz, dass Pavel seinen kleinen Bruder durch die Schule "hievt"...
Ooooch, jetzt bedaure ich, dass ich Pavel und ich noch nicht kenne. Ich bin gespannt.
 

KrimiElse

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26. Januar 2019
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Was mich ein bisschen wundert, dass man Pavel die Urlaubsreise nach Jugoslawien gestattet hat, wo er doch schon unter Beobachtung stand. Oder kann es sein, dass man damit gerade einen Fluchtversuch provozieren wollte und letztlich diese Personen genau dort hatte, wo man sie haben wollte, in Haft?
Meines Wissens waren Jugoslawienreisen damals noch nicht „indiziert“. Aber ich glaube du meinst, dass er überhaupt reisen durfte...das war für die osteuropäischen Geheimdienste kein Problem, es wurde einfach ein Anhängsel mitgeschickt.
 

KrimiElse

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26. Januar 2019
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Im Roman habe ich das verdichtet auf einen einzigen Satz. Sinngemäß "er glaubt, Bildung hat weder Geschlecht noch Nationalität." In seinen Unterlagen geht diese These über bestimmt 10 Seiten. Gefüllt mit der Geschichte der Uni, etwas zum Namensgeber Karl usw.
Das unterscheidet eine gute Schriftstellerin von jemandem der einfach eine Geschichte aufschreibt. Die wichtigen Randinformationen würzen das Geschehen, lassen es aber nicht aus dem Ruder laufen. Sehr gut gemacht hier!
Ich bin auch ein Schreiberling im schlechtesten Sinne...
 

KrimiElse

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26. Januar 2019
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Warum so "bescheiden", also: warum hälst du dich für einen Schreiberling im schlechtesten Sinne? ;)
Weil ich es liebe, vom Stöckchen zum Steinchen zu kommen, auch wenn das alles nix mit dem Hauptthema zu tun hat. Meine Schüler finden das im Unterricht mitunter spannend, wenn ich abschweife und vom Hundersten ins Tausendste komme, aber Straffung ist schon gut. Und falls du auf meine Rezies anspielst - die erste Version willst du nicht lesen, glaub mir :D