1. Leseabschnitt: Anfang bis S. 42

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Puh.
Ich bin erstmal ziemlich ambivalent.
Ich war total neugierig und habe gespannt zu lesen begonnen. Aber ich merkte schnell, dass es mir schwer fiel, im Buch anzukommen.
Es ging erst leichter, nachdem ich mir klargemacht habe, dass dies kein Roman im eigentlichen Sinn sein wird.
Kein Roman, wie ich ihn mir vorgestellt oder wie ich ihn erwartet habe. Kein Roman aus meinem wohlbekannten Wohlfühlbereich.
Nachdem ich mir dann vorgestellt habe, Vivian Gornick auf einem ihre Spaziergänge durch New York zu begleiten und dabei ihre Begegnungen zu beobachten und ihren Gedanken und Erinnerungen zu folgen und nachdem mir klar wurde, dass ich wohl keine stringent erzählte Geschichte lesen würde, die ich mir detailliert merken und auch nachzählen können würde, konnte ich mich eher ins Geschehen fallen lassen.
Wahrscheinlich wird am Ende ein Bild aus vielen Puzzleteilen entstehen.

Gornick formuliert einen unglaublich wichtigen Satz, der fast täglich in meiner Praxis eine Rolle spielt und auf die ein oder andere Weise zur Sprache kommt:
Wir dürfen begehrende Wesen sein und sollten uns nicht darauf reduzieren, begehrt zu werden.(S. 26)

Überhaupt finden sich viele schön formulierte, wahre und zum Nachdenken anregende Sätze Das gefällt mir.

Was ich anstrengend finde, ist dass sie sehr viele Persönlichkeiten aus Politik oder Literatur erwähnt, die mir nichts oder nicht viel sagen. Ich recherchiere dann, damit ich besser Bescheid weiß. Das ist interessant, aber eben auch anstrengend. Und es unterbricht natürlich auch den Lesefluss. Aber Frau Gornick ist nun mal eine unglaublich belesene und intelligente Intellektuelle und um ihr einigermaßen folgen zu können, sollte man wohl so manches nachschlagen. Also ich zumindest.

Ich habe für mich beschlossen, einfach die einzelnen Sätze und die verschiedenen Begegnungen, Gedanken oder Erinnerungen zu genießen und nicht als Ziel das große Ganze zu haben. Ich glaube, dass das ein Buch ist, das ich ein zweites Mal lesen sollte, um es wirklich fassen zu können.

Aber mal sehen. Das ist ja erst der erste Eindruck nach 42 Seiten.
...
Hätte ich diese Bemerkung mal früher gelesen, dann wäre mir der Start wahrscheinlich leichter gefallen:
Es ist eine Reihe genau beobachteter Vignetten (New Yorker)
 
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RuLeka

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30. Januar 2018
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Ja, das ist mal ein ganz anderes Leseerlebnis . Und ich habe mich einfach darauf eingelassen. Es ist auch kein Buch, das man verschlingt, sondern häppchenweise genießen kann. Manche Begegnungen sagen mir weniger, andere Abschnitte lese ich gleich nochmal.
Der Dialog gleich zu Beginn, grandios. „ Und?“ , fragte ich. „Wie fühlt sich dein Leben so an?“ „ Wie ein Hühnerknochen, der mir im Schlund stecken geblieben ist“, sagt er. „ Ich kann ihn weder runterschlucken noch ausspucken. Im Moment versuche ich nur, nicht dran zu ersticken.“ Sehr bildlich dargestellt!
Etwas erfährt man auch aus dem Leben der Autorin: in der Bronx aufgewachsen, mit der Sehnsucht, andere Teile der Stadt zu erobern, Greenwich Village, Lower East Side usw., um irgendwann festzustellen, nie wirklich hier anzukommen, eine Randfigur zu bleiben.
Dann Überlegungen zum Thema Freunschaft: Jahrhundertelang sah man in einem Freund ein edles Wesen, der uns ebenfalls zu einem edlen Menschen macht. Heute dagegen nennen wir denjenigen einen Freund, der uns akzeptiert mit unseren Schwächen und Fehlern.
Über die Begegnung mit einer 90jährigen Trotzkistin, die sich lautstark über die sexuellen Qualitäten ihrer Liebhaber auslässt, musste ich laut lachen.
Oder die Begegnung auf der Holzplanke mit dem alten Mann hat mich beschäftigt. „ Er rief uns beiden in Erinnerung, dass jeder Mensch , der in Schwierigkeiten gerät, das Recht hat, Hilfe zu erwarten, so wie jeder Zeuge die Verpflichtung, diese Hilfe anzubieten.“
„ Das Essen ist erlesen, die Konversation dagegen Junk Food.“ Zum Glück bin ich selten bei solchen Einladungen
 
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Ja, das ist mal ein ganz anderes Leseerlebnis . Und ich habe mich einfach darauf eingelassen. Es ist auch kein Buch, das man verschlingt, sondern häppchenweise genießen kann. Manche Begegnungen sagen mir weniger, andere Abschnitte lese ich gleich nochmal.
Der Dialog gleich zu Beginn, grandios. „ Und?“ , fragte ich. „Wie fühlt sich dein Leben so an?“ „ Wie ein Hühnerknochen, der mir im Schlund stecken geblieben ist“, sagt er. „ Ich kann ihn weder runterschlucken noch ausspucken. Im Moment versuche ich nur, nicht dran zu ersticken.“ Sehr bildlich dargestellt!
Etwas erfährt man auch aus dem Leben der Autorin: in der Bronx aufgewachsen, mit der Sehnsucht, andere Teile der Stadt zu erobern, Greenwich Village, Lower East Side usw., um irgendwann festzustellen, nie wirklich hier anzukommen, eine Randfigur zu bleiben.
Dann Überlegungen zum Thema Freunschaft: Jahrhundertelang sah man in einem Freund ein edles Wesen, der uns ebenfalls zu einem edlen Menschen macht. Heute dagegen nennen wir denjenigen einen Freund, der uns akzeptiert mit unseren Schwächen und Fehlern.
Über die Begegnung mit einer 90jährigen Trotzkistin, die sich lautstark über die sexuellen Qualitäten ihrer Liebhaber auslässt, musste ich laut lachen.
Oder die Begegnung auf der Holzplanke mit dem alten Mann hat mich beschäftigt. „ Er rief uns beiden in Erinnerung, dass jeder Mensch , der in Schwierigkeiten gerät, das Recht hat, Hilfe zu erwarten, so wie jeder Zeuge die Verpflichtung, diese Hilfe anzubieten.“
„ Das Essen ist erlesen, die Konversation dagegen Junk Food.“ Zum Glück bin ich selten bei solchen Einladungen
... genau diese Episoden gefielen mir auch. Es sind so viele bedeutsame Begegnungen... so viele Vignetten... und deshalb „vergesse“ ich sie im Einzelnen und das frustriert. Wenn es einen roten Faden gibt, dann erinnert man sich irgendwie besser… So geht es mir jedenfalls. und das Vergessen von Bedeutsamem nervt mich
 
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Wandablue

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18. September 2019
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Ich schlage das Buch auf, wache auf und merke: das ist mein Buch. Wird es das Jahreshighlight?

Eine assoziative Betrachtung. Mit verschiedenen Themen. Und vielen Aufschreibsätzen. Einer davon:

[zitat][/zitat]
Unser Thema ist das entgangene Leben

Ein Thema ist Freundschaft. Sich jede Woche einmal zu treffen über diverse Stunden einschießlich Kino und Zusammenessen, ist für mich eine sehr intensive Freundschaft. Die Erzählerin aber findet es zu wenig, um ganz intensiv zu sein. Sie empfindet Unvollkommenheit.

Splitter über Sex und Liebe. Die Entdeckung, dass ein Mensch immer nur bei sich bleibt, egal wie sehr er liebt - ist eine existentielle.

Dann die Sehnsucht nach Seelenverwandtschaft, dh. das Verlangen danach, verstanden und erkannt zu werden. Das ist eigentlich eine Sehnsucht nach Gott.

Von der "Freundschaft", eigentlich Liebe zwischen Coleridge und Wordswoth habe ich doch erst kürzlich gelesen. In den "Optimisten" denk ich.

S. 25: [zitat][/zitat]
Niemand ist überraschter als ich, dass ich mich zu der entwickelte, die ich heute bin"

Über die Märchenprinzdoppelgänger musste ich schmunzeln.

Manchmal ist es auch ein bisschen too much mit den tiefsinnigen Sätzen und Assoziationen.
 

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Ich schlage das Buch auf, wache auf und merke: das ist mein Buch. Wird es das Jahreshighlight?

Eine assoziative Betrachtung. Mit verschiedenen Themen. Und vielen Aufschreibsätzen. Einer davon:

[zitat][/zitat]
Unser Thema ist das entgangene Leben

Ein Thema ist Freundschaft. Sich jede Woche einmal zu treffen über diverse Stunden einschießlich Kino und Zusammenessen, ist für mich eine sehr intensive Freundschaft. Die Erzählerin aber findet es zu wenig, um ganz intensiv zu sein. Sie empfindet Unvollkommenheit.

Splitter über Sex und Liebe. Die Entdeckung, dass ein Mensch immer nur bei sich bleibt, egal wie sehr er liebt - ist eine existentielle.

Dann die Sehnsucht nach Seelenverwandtschaft, dh. das Verlangen danach, verstanden und erkannt zu werden. Das ist eigentlich eine Sehnsucht nach Gott.

Von der "Freundschaft", eigentlich Liebe zwischen Coleridge und Wordswoth habe ich doch erst kürzlich gelesen. In den "Optimisten" denk ich.

S. 25: [zitat][/zitat]
Niemand ist überraschter als ich, dass ich mich zu der entwickelte, die ich heute bin"

Über die Märchenprinzdoppelgänger musste ich schmunzeln.

Manchmal ist es auch ein bisschen too much mit den tiefsinnigen Sätzen und Assoziationen.
Ich freue mich mit Dir. Also darüber, dass es „Dein Buch“ ist und vllt. ein Jahreshighlight wird.
Von diesen Empfindungen und diesem Eindruck bin ich bisher noch recht weit entfernt, auch wenn mich Manches erreicht und anspricht :-(
 
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Anjuta

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Mir fiel es gleich nach der Lektüre von LA 1 noch sehr schwer, etwas hier zu schreiben. Ich war noch nicht im Buch angekommen und habe es noch nicht verstanden. Das ist auch jetzt noch nicht so ganz der Fall, aber ich lese oben, dass ihr ähnliche Probleme habt und so versuche ich es Mal. Es ist wirklich kein Roman im klassischen Sinne. Die Autorin erzählt sehr assoziativ Szenen aus ihrem Leben und wertet und analysiert dabei sehr stark. Dabei treffen uns tiefe Erkenntnisse, meist abgesichert durch Zitate oder Einschätzungen großer Literaten/Soziologen/Psychologen, die die Autorin quasi zur Lebenshilfe für sich heranzieht. Für mich erscheint das Buch deshalb bisher etwas willkürlich einerseits und erzieherisch (neunmalklug) andererseits. Ich erhalte hier immer wieder Lebensweisheiten von einer Figur, die mir nicht unbedingt als lebensklug erscheint. Will ich das wirklich? ????
 

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Das ist ein Buch, das man nur absatzweise genießen kann. Beinahe jeden Abschnitt muss man erst mal sacken lassen.

Ja? Geht mir nicht so. Vllt, weil ich dieses Jahr schon einige Romane gelesen habe, die einfach nur sind, z.H. Hotel du Lac. Ich schlürfe den Roman und kann mich auch gut mit der Protagonistin identifizieren, sie denkt halt einfach. Es ist kein Roman, der durch Handlung besticht. Sondern durch Reflexion.
 

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Mir fiel es gleich nach der Lektüre von LA 1 noch sehr schwer, etwas hier zu schreiben. Ich war noch nicht im Buch angekommen und habe es noch nicht verstanden. Das ist auch jetzt noch nicht so ganz der Fall, aber ich lese oben, dass ihr ähnliche Probleme habt und so versuche ich es Mal. Es ist wirklich kein Roman im klassischen Sinne. Die Autorin erzählt sehr assoziativ Szenen aus ihrem Leben und wertet und analysiert dabei sehr stark. Dabei treffen uns tiefe Erkenntnisse, meist abgesichert durch Zitate oder Einschätzungen großer Literaten/Soziologen/Psychologen, die die Autorin quasi zur Lebenshilfe für sich heranzieht. Für mich erscheint das Buch deshalb bisher etwas willkürlich einerseits und erzieherisch (neunmalklug) andererseits. Ich erhalte hier immer wieder Lebensweisheiten von einer Figur, die mir nicht unbedingt als lebensklug erscheint. Will ich das wirklich? ????

Nun - die Themen, die sie anspricht, haben wir doch auch im Leben. Sie denkt über Freundschaft nach, wie das mit der Liebe ist - die Märchchenprinzendoubletten sind doch zum Schießen - denkt darüber nach, dass sich jeder Mensch nach einem Seelenverwandten sehnt ... kennt man doch alles. Oder?
 
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ulrikerabe

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Gornick formuliert einen unglaublich wichtigen Satz, der fast täglich in meiner Praxis eine Rolle spielt und auf die ein oder andere Weise zur Sprache kommt:
Wir dürfen begehrende Wesen sein und sollten uns nicht darauf reduzieren, begehrt zu werden.(S. 26)
Genau diese Stelle über das sexuelle Erwachsenwerden habe ich mir auch notiert.

und auch das "wollen", was man will, was man nicht will, wie es ist, wenn ein Mann zu wissen glaubt, was eine Frau will...
 
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ulrikerabe

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14. August 2017
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Ja? Geht mir nicht so. Vllt, weil ich dieses Jahr schon einige Romane gelesen habe, die einfach nur sind, z.H. Hotel du Lac. Ich schlürfe den Roman und kann mich auch gut mit der Protagonistin identifizieren, sie denkt halt einfach. Es ist kein Roman, der durch Handlung besticht. Sondern durch Reflexion.
Für mich trifft beides zu. Mir gefällt das Buch außerordentlich gut, auch wenn ich es nicht in einem Rutsch lesen kann, sondern immer wieder nur Häppchen genieße.

Mir ist Vivian Gornicks Art zu schrieben schon aus dem Buch Ich und meine Mutter vertraut. Das hat mir übrigens richtichg gut gefallen.
 
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RuLeka

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30. Januar 2018
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Mir ist Vivian Gornicks Art zu schrieben schon aus dem Buch Ich und meine Mutter vertraut. Das hat mir übrigens richtichg gut gefallen.
Kennst Du daraus schon die Geschichte mit dem zerschnittenen Kleid? (s.S.86f. ) . Das Mutter- Tochter- Verhältnis war sicher kein einfaches.
 

Wandablue

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Kennst Du daraus schon die Geschichte mit dem zerschnittenen Kleid? (s.S.86f. ) . Das Mutter- Tochter- Verhältnis war sicher kein einfaches.

Es ist schon erstaunlich, mit welcher Beharrlichkeit man manchmal auf eine falschen Erinnerung pocht. ich habe mal einen ganzen Film zurückgespult, weil jemand sich falsch erinnerte, aber einen Beweis brauchte. Haha, "Zeugen", man kann ihnen nichts, aber auch gar nichts glauben!
 
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Es ist schon erstaunlich, mit welcher Beharrlichkeit man manchmal auf eine falschen Erinnerung pocht. ich habe mal einen ganzen Film zurückgespult, weil jemand sich falsch erinnerte, aber einen Beweis brauchte. Haha, "Zeugen", man kann ihnen nichts, aber auch gar nichts glauben!

Das gehört allerdings in den 2. Abschnitt.