1. Leseabschnitt: Anfang bis Kapitel 6 (Anfang bis S. 57)

Emswashed

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9. Mai 2020
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Antoine Orsini ist tot! Und die Leute trauern nicht, sie kommen nur ihrer Pflicht nach, ihn zu begraben und dass eine Alte aufs Grab spuckt, scheint auch niemanden zu rühren.

Und dann fängt die Geschichte an. Vielmehr, Antoine erzählt von seinem Leben im Dorf. Antoine ist der Dorftrottel und mit jedem Satz wird das deutlich.

Was nicht deutlich ist und sich erst nach und nach herauskristallisiert, wie alt Antoine eigentlich ist. Seine kindliche Sicht auf die Welt ist zwar derb, aber doch sehr einfach. 1987 muss Antoine 32 Jahre gewesen sein und er erzählt rund 30 Jahre später (2016?). Er war ein Glücksbringer und er hatte das Mitleid von ein paar Menschen im Dorf, bevor er Florence fand. Er erzählt, dass er seine Mutter aus Versehen umgebracht hat und er droht dem Postboten "seiner Frau", Vanina, dass er ihm auch ein Loch in den Bauch schießen wird, so groß wie das Loch in Florence.

Antoine weiß auch um die dramatische Eifersucht des Außeriridischen... damals, als Florence noch lebte und in den Porsche gestiegen ist.

Ich bezweifle, dass Antoine einen richtigen Prozess bekommen hat. Ich bezweifle, dass die Dorfbewohner je nachgefragt haben. Fest steht nur, dass Antoine, inzwischen ein alter Mann immer noch die Schuld trägt und sich von Abfällen ernährt.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Den Einstieg fand ich schon gelungen.
An die derbe Sprache muss ich mich jedoch erst gewöhnen. Es ist ja nicht nur, dass Antoine so spricht, sondern auch die meisten Dorfbewohner. Sympathisch ist bisher kaum jemand, wenn man von Florence absieht. Antoine ist natürlich ein bemitleidenswerter Mensch, doch so ganz trauen kann man ihm auch nicht. Die familiären Verhältnisse sind furchtbar : der Vater ein Säufer, der Bruder ein militanter korsischer Aktivist, die Schwester ist abgehauen ( mit der Illusion, in Paris als Sängerin Karriere zu machen). Ich vermute, dass die Mutter bei der Geburt von Antoine gestorben ist.
Wir hatten vor kurzem eine Leserunde, bei der der Protagonist ebenfalls geistig eingeschränkt war. Kalman war dagegen ein liebenswerter Zeitgenosse. Ich tue mich noch schwer mit dem Buch. ( Und hadere mit mir, dass ich es versemmelt habe, mich bei „ Schilf im Wind“ angemeldet zu haben. Wäre für mich wahrscheinlich besser gewesen als dieses Buch.)
Doch ich will nicht vorschnell urteilen, vielleicht wird „ Antoine“ noch ganz toll.
 

SuPro

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Antoine ist natürlich ein bemitleidenswerter Mensch, doch so ganz trauen kann man ihm auch nicht
So sehe ich das auch. Anfangs erscheint er ob seiner geistigen Retardierung und der Hänseleien nur bedauernswert, aber dann schleichen sich auch andere Gefühle bei mir ein. Er trägt viele Aggressionen, Hass-und Rachegefühle in sich. S. 40.
Ihm fehlen Feingefühl und Empathie.
Noch mit 30 Jahren macht er was typisch Pubertäres: er entreißt Yvan den Zettel mit einem Liebesgedicht für Florence und liest es öffentlich vor. (S. 30)
Er ist kein Sympathieträger...zumindest nicht uneingeschränkt...
 

SuPro

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Was nicht deutlich ist und sich erst nach und nach herauskristallisiert, wie alt Antoine eigentlich ist. Seine kindliche Sicht auf die Welt ist zwar derb, aber doch sehr einfach. 1987 muss Antoine 32 Jahre gewesen sein und er erzählt rund 30 Jahre später (2016?).
Ich habe auch gerechnet:Dund bin auf die gleichen Ergebnisse gekommen :)
 

SuPro

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28. Oktober 2019
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Wir hatten vor kurzem eine Leserunde, bei der der Protagonist ebenfalls geistig eingeschränkt war. Kalman war dagegen ein liebenswerter Zeitgenosse.
Das dachte ich auch. Kalman war ein ausgeglichener und freundlicher Charakter.. er hatte aber auch nicht so ungünstige familiäre Rahmenbefingungen. Glaube ich.
Antoine „brachte seine Mutter um“ - ich denke auch, wie du, dass sie bei seiner Geburt gestorben ist und dass das ein Vorwurf seines Vaters war.
Der gewalttätige Vater.
Der kriminelle und schlichte Bruder.
Die Schwester, die ihn verlässt.
Gottseidank gab es diese Lehrerin, die sich ihm zugewendet hat.
 

SuPro

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An die derbe Sprache muss ich mich jedoch erst gewöhnen.
...ich finde es nicht ganz so gewöhnungsbedürftig oder störend... ich habe eher den Eindruck, dass diese Art des Sprechens und des Wortschatzes viele Rückschlüsse zulässt und das Bild authentischer für uns macht...
 

MRO1975

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11. August 2018
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Der Auftakt war auf jeden Fall spannend. Auch wenn wir jetzt schon wissen, dass Antoine am Ende sterben wird, ohne dass er sich mit den Dorfbewohnern aussöhnen wird. Fragt sich nur noch, woran er am Ende stirbt.

Die Sprache finde ich ansonsten gewöhnungsbedürftig. Da das Buch aus Antoines Sicht geschrieben ist, ging es natürlich nicht anders. Dennoch stört mich das hier mehr als bei Kahlman beispielsweise. Ich frage mich, was Literaturhexle dazu meint. ;)

Die Geschichte wirft bis jetzt jede Menge Fragen auf. Ist Antoines Mutter tatsächlich bei seiner Geburt gestorben? Er selbst umschreibt das ja fast wie einen Unfall. Wer hat Florence getötet? Ich habe da ja seinen Freund Magic im Verdacht. Hat Antoine die Schuld auf sich genommen, um Magic vor dem Gefängnis zu bewahren, und wo ist Magic jetzt? Ist Magic = der Außerirdische?

Spannend, spannend...
 

RuLeka

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dass diese Art des Sprechens und des Wortschatzes viele Rückschlüsse zulässt und das Bild authentischer für uns macht...
Das auf jeden Fall. Aber mit zunehmendem Alter werde ich anscheinend empfindlicher und mag so etwas immer weniger. Sicher, die Dorfbevölkerung ist nicht viel empathischer und intelligenter als Antoine, trotzdem stört mich das Geschwätz.
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Ich bin mir nicht sicher, ob Magic ein Mensch ist. Der "Außerirdische" wohl schon, aber Magic scheint noch nie etwas gesagt zu haben ...?
Die Sprache hat natürlich eine starke Wirkung, aber ich finde sie ein bisschen ermüdend. So wie Antoine seine Umgebung darstellt, haben - mal abgesehen von der Lehrerin - die allermeisten wohl kaum mehr auf dem Kasten als er selbst.
 

Mikka Liest

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Antoine Orsini ist tot! Und die Leute trauern nicht, sie kommen nur ihrer Pflicht nach, ihn zu begraben und dass eine Alte aufs Grab spuckt, scheint auch niemanden zu rühren.

Ich denke, für die meisten ist er entweder der Schwachsinnige oder der Mörder, es hat niemand eine wirkliche Bindung zu ihm.

Antoine weiß auch um die dramatische Eifersucht des Außeriridischen... damals, als Florence noch lebte und in den Porsche gestiegen ist.

Den hatte ich zwischendurch im Verdacht, abeeeeer... Antoine sprach ja davon, dass Magic mit Florence zusammengelegen hätte, als er ihre Leiche fand. Aber das kann vielleicht auch was ganz anderes bedeuten, je nachdem, wer oder was Magic wirklich ist.

An die derbe Sprache muss ich mich jedoch erst gewöhnen. Es ist ja nicht nur, dass Antoine so spricht, sondern auch die meisten Dorfbewohner.

Die Sprache finde ich ansonsten gewöhnungsbedürftig. Da das Buch aus Antoines Sicht geschrieben ist, ging es natürlich nicht anders. Dennoch stört mich das hier mehr als bei Kahlman beispielsweise.

...ich finde es nicht ganz so gewöhnungsbedürftig oder störend... ich habe eher den Eindruck, dass diese Art des Sprechens und des Wortschatzes viele Rückschlüsse zulässt und das Bild authentischer für uns macht...

Ich war hin- und hergerissen. Es gibt einen sehr deutlichen Eindruck davon, wie Antoine denkt und fühlt, aber manchmal ist das halt kein sehr schöner Eindruck. Wenn er zum Beispiel davon erzählt, dass er sich in die Hose geschissen hat, dann hätte ich gerne einen etwas weniger deutlichen Eindruck... Nein, schon gut, es wäre unglaubwürdig, wenn die Autorin ihn in manchen Dingen auf einmal feinfühlig und zartbesaitet darstellen würde, ist schon ok so. Ich bin nur froh, dass es noch keine eBooks mit Geruch gibt.

Ich vermute, dass die Mutter bei der Geburt von Antoine gestorben ist.

Ja, das vermute ich auch. Ich wüsste nicht, wie er sie sonst aus Versehen umgebracht haben könnte, ohne dass es erhebliche Konsequenzen für sein Leben gehabt hätte.

Sympathisch ist bisher kaum jemand, wenn man von Florence absieht.

Aber bei Florence stimmt doch irgendwas nicht. Wie sie zwischendurch halbnackt vor ihm tanzt und den Hintern am Bett reibt, da habe ich mich gefragt: wer hat diesem Kind beigebracht, sich so Zuneigung zu erkaufen? So wie das ganze Dorf ihr anscheinend schon im Alter von 13 Jahren hinterhergegeifert hat, würde mich nicht wundern, wenn da Dinge passiert wären, die unter #metoo fallen.

So sehe ich das auch. Anfangs erscheint er ob seiner geistigen Retardierung und der Hänseleien nur bedauernswert, aber dann schleichen sich auch andere Gefühle bei mir ein. Er trägt viele Aggressionen, Hass-und Rachegefühle in sich. S. 40. Ihm fehlen Feingefühl und Empathie.

Eigentlich ist das ja kein Wunder. In der Schule wurde er von den anderen verdroschen, der Vater prügelt auf ihn ein, der Bruder ist beileibe kein gutes Vorbild für friedliche Lösungen... Wo sollen das Feingefühl und die Empathie herkommen? Da muss sich ja selbst bei einem schlichten Gemüt irgendwann alles aufstauen.

Der für mich beste Satz im Abschnitt: „Feinde geben dem Leben nen Sinn, wenn einem sonst keiner einfällt.“ (S. 25)

Das war ein echter Kalmann-Satz!

Das dachte ich auch. Kalman war ein ausgeglichener und freundlicher Charakter.. er hatte aber auch nicht so ungünstige familiäre Rahmenbefingungen. Glaube ich.

Stimmt, und er hatte ja tatsächlich recht viele Menschen, die ihm wohlgesonnen waren!

Gottseidank gab es diese Lehrerin, die sich ihm zugewendet hat.

Wenn sie nicht gestorben wäre, was hätte dann aus Antoine werden können... Sicher auf jeden Fall ein ausgeglichener, weniger aggressiver Mensch.

Wer hat Florence getötet? Ich habe da ja seinen Freund Magic im Verdacht. Hat Antoine die Schuld auf sich genommen, um Magic vor dem Gefängnis zu bewahren, und wo ist Magic jetzt? Ist Magic = der Außerirdische?

Einfache Geister, simple Aufteilung.... Magic und der Außerirdische sind zwei unterschiedliche Menschen/Dinge.

Ich bin mir nicht sicher, ob Magic ein Mensch ist. Der "Außerirdische" wohl schon, aber Magic scheint noch nie etwas gesagt zu haben ...?

Ich habe mich von Anfang an gefragt, ob Magic real ist oder ein imaginärer Freund, oder vielleicht Antoines Alter Ego. Falls Letzteres, dann ist es vielleicht doch Antoine, der Flo umgebracht hat.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Aber bei Florence stimmt doch irgendwas nicht. Wie sie zwischendurch halbnackt vor ihm tanzt und den Hintern am Bett reibt, da habe ich mich gefragt: wer hat diesem Kind beigebracht, sich so Zuneigung zu erkaufen?
Ich habe den Namen verwechselt, ich meinte Madame Madeleine.
Diese Szene fand ich auch befremdlich. Hier genießt Florence ihre Macht. Es macht ihr Spaß.ihren Körper einzusetzen, um Antoine zu verunsichern. Sie hat schon früh gelernt, dass ihre Schönheit ihr Kapital ist. Damit erhält sie die Aufmerksamkeit, die ihr als Kind gefehlt hat. Früher hat sie sich einen tollen Vater erträumt, mittlerweile glaubt sie eher, dass er verschwunden ist, als er von der Schwangerschaft ihrer Mutter erfahren hat.
So wie Antoine seine Umgebung darstellt, haben - mal abgesehen von der Lehrerin - die allermeisten wohl kaum mehr auf dem Kasten als er selbst.
Die ganzen Dorfbewohner sind reichlich „ primitiv“, da hat keiner Empathie. Deshalb gehen sie so brutal mit Antoine um.
Es mag ja schon sein, dass es solche Dörfer in den 1980er Jahren auf Korsika oder auch anderswo gegeben haben mag, aber es ist kein angenehmes Personal in diesem Roman. Es ist kein Vergnügen, das Buch zu lesen.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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dass diese Art des Sprechens und des Wortschatzes viele Rückschlüsse zulässt und das Bild authentischer für uns macht...
Da bin ich bei dir.
Anfangs dachte ich an den wunderbaren Roman
Buchinformationen und Rezensionen zu Die Farbe von Milch: Roman von Nell Leyshon
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Die Protagonistin erzählt darin ihr Leben - auch in einer sehr einfachen Sprache und retrospektiv. Am Ende kommt ebenfalls ein Kriminalfall ins Spiel...
Allerdings ist die Erzählerin von Beginn an positiv besetzt. Was hier zunehmend nicht der Fall ist.
Trotzdem wird die Geschichte fesselnd erzählt: immer wieder lässt A. kleine, für ihn selbst scheinbar unwichtige Details fallen, bei denen wir Leser aufmerken....
Es kommen mehrere Männer für den Mord an Florence in Frage - nur Antoine war es sicher nicht (so scheint es, wenn man dem unzuverlässigen Ich-Erzähler glauben will). Über diese Dorfgemeinschaft will ich noch mehr wissen.