1. Leseabschnitt: Anfang bis Kapitel 4 (Anfang bis S. 77)

MRO1975

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11. August 2018
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Wir werden mitten ins Geschehen geworfen:

Kalmann findet im Schnee eine Blutlache und weiß nicht, wie er reagieren soll. Er will eigentlich nichts sagen, hofft, dass der Schnee alles zudecken wird und verplappert sich dann doch. Einer der Dorfbewohner, Robert McKenzie ist verschwunden. Die Polizei kommt, um den Fall zu untersuchen. Kalmann wird befragt.

Dieser relativ überschaubare Faden im ersten LA wird durch zahlreiche gedankliche Seitenausflüge begleitet, die mir sehr gut gefallen. Kalmann erinnert sich an seinen Großvater, den er offensichtlich sehr liebt und der jetzt im Altersheim ist. Der Großvater hat im alles beigebracht, was er kann, insbesondere das Jagen und die Herstellung von Gammelhai. Der Großvater hat wohl auch die Vaterrolle übernommen. Die Mutter hat Kalmann ansonsten allein großgezogen. Jetzt ist sie weg und Kalmann lebt allein. Sein einziger Freund ist Noi, mit dem er nur über das Internet kommuniziert.

Die Erzählung aus Kalmanns Perspektive finde ich hier ungewöhnlich. Kalmann ist offensichtlich geistig einfach gestrickt (sorry, ein besseres Wort fällt mir hier nicht ein, für behindert halte ich ihn nicht). Das birgt die Gefahr, dass auch die Perspektive "einfach gestrickt" wirkt. Dennoch finde ich seine Gedankengänge sehr ansprechend und seine Sicht der Dinge angenehm klar und manchmal bestechend einfach.

(Die Geschichte mit der Katze hat mir als einzige nicht gefallen.)
 

kingofmusic

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für behindert halte ich ihn nicht
Ich halte Kalmann auch nicht für behindert. Er macht für mich eher den Eindruck eines isländischen Forrest Gump, dem zu schnell zu wenig zugetraut wird. Ich mag den Erzählton etc. sehr sehr gerne. Ich finde die Perspektive auch nicht ungewöhnlich - sie passt hier 100%ig.
Klar gibt es den ein oder anderen Satz, der etwas "einfach" wirkt, aber hey: muss es immer hochtrabend bzw. hochgestochen sein? Okay, wir zwei haben diese Jahr mit dem Alleinunterhalter ja schon Schiffbruch erlitten, der auch "einfach gestrickt" war. Aber zwischen dem und Kalmann liegen WELTEN! :D
 

kingofmusic

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Kalmann findet im Schnee eine Blutlache und weiß nicht, wie er reagieren soll. Er will eigentlich nichts sagen, hofft, dass der Schnee alles zudecken wird und verplappert sich dann doch. Einer der Dorfbewohner, Robert McKenzie ist verschwunden. Die Polizei kommt, um den Fall zu untersuchen. Kalmann wird befragt.
Ich bin gespannt, worauf die ganze Sache hinausläuft. Sehr beliebt war McKenzie nicht im Dorf. Das wird schon recht deutlich.
 

Renie

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Ich bin mir gar nicht sicher, womit wir es hier zu tun haben. Gegenwartsliteratur oder Krimi? Egal, was es ist, es ist gut.
Mir ist die "Farblosigkeit" dieses Buches aufgefallen, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes "farblos". Weißtöne, Grautöne, Brauntöne ... vor meinem geistigen Auge liegt über allem Nebel ... und dann dieser grelle rote Blutfleck, der den Leser aufschreckt. Und nicht nur der Leser wird aufgeschreckt, sondern der ganze Ort wird aus seiner Lethargie gerissen. Ein bisschen erstaunt war ich, dass Kalmann diesen Blutfleck einfach als gegeben hinnimmt und sich erst näher gedanklich damit beschäftigt, als er die Reaktion der anderen mitbekommt und er quasi genötigt wird, sich damit zu befassen. Seine Idee, dass ein Eisbär der Übeltäter war, scheint für ihn das Normalste der Welt zu sein.
Was sind wir doch poltisch korrekt: ich fühle mich auch nicht wohl bei der Verwendung des Begriffes "behindert" ;).
Seine Gedankenwelt ist einfach und übersichtlich. In dem Moment, wo es kompliziert wird, beginnt er sich unbehaglich zu fühlen, ohne benennen zu können, warum er in diese Gefühlslage versetzt wird. Wenn es schlimm für ihn kommt, steigert er sich noch in diese Stimmung hinein. Und bevor er wie ein Dampfkessel explodiert, öffnet sich sein inneres Ventil und er wird aggressiv, meistens gegen sich selbst. Es muss stressig für seine Mutter gewesen zu sein, darauf zu achten, dass das nicht passiert.

Mir gefällt, mit welcher Beiläufigkeit Kalmann auf Dinge hinweist, die mich stutzig machen, oder die für ihn völlig normal sind, die ich aber eigenartig oder lustig finde. Ich denke da bspw. an Bragi, den Dichter vor seinem Dichterhaus "Seine Fingernägel waren heute rot lackiert." (S. 64):D
 

kingofmusic

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Welcher Alleinunterhalter? Jetzt bin ich neugierig.
Der hier:
Buchinformationen und Rezensionen zu Der Alleinunterhalter: Roman von Lars Saabye Christensen
Kaufen >
:D - eins meiner wenigen 2*-Bücher in diesem Jahr :D.
 
  • Haha
Reaktionen: Wandablue

Renie

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Was macht Kalmann nur den lieben langen Tag? Und dass sich keiner daran stört, dass er mit einer Knarre durch die Gegend rennt? Merkwürdige Leute leben dort in Raufarhöfn. Ich gebe zu, ich habe meine Schwierigkeiten mit den Namensgebungen und isländischen Orten.
Seid Ihr auch über den Satz "Das kann ich mir an den Cowboyhut streichen" (S. 20) gestolpert. "Von der Backe putzen" kenne ich. Aber dieser Ausdruck war mir neu. Wobei es vermutlich nur "an den Hut streichen" heißt. :rolleyes:
 

Renie

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Der hier:
Buchinformationen und Rezensionen zu Der Alleinunterhalter: Roman von Lars Saabye Christensen
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:D - eins meiner wenigen 2*-Bücher in diesem Jahr :D.
Kenne ich nicht. Aber der Buchbeschreibung nach, hätte es gut sein können .. ich hätte es zumindest lesen wollen. ;)
 

Sassenach123

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Auch mir gefällt der Roman bisher gut. Kalmen scheint seinen Fokus einfach auf andere Dinge zu legen, und das, was ihm wichtig ist, klappt dann auch hervorragend. Karten zeichnen zum Beispiel, oder das erlernte Wissen über die Tiere aus seiner Region. Die Eisbärtheorie, ist sie nun abwegig, oder könnte da doch etwas dran sein? Das hat mich nämlich ein wenig verwirrt. Er wirkt so kundig auf diesem Gebiet, dass ich erst dachte er äußert diesen Verdacht, weil er tatsächlich in Betracht zieht, dass ein Eisbär sich zum Ort der Blutlache verirrt hat.
Ein Mordmotiv für die vermeintliche Leiche scheint ja fast jeder zu haben, wenn man der Nachbarin von Kalmann glauben darf. Die meisten Bewohner haben wohl in das missratene Projekt investiert. Bin gespannt wie es weiter geht. Es gibt auf jeden Fall eine Menge zu schmunzeln, wenn Kalmann uns Lesern seine Sicht der Dinge näher bringt.
 

Sassenach123

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Was macht Kalmann nur den lieben langen Tag? Und dass sich keiner daran stört, dass er mit einer Knarre durch die Gegend rennt? Merkwürdige Leute leben dort in Raufarhöfn. Ich gebe zu, ich habe meine Schwierigkeiten mit den Namensgebungen und isländischen Orten.
Seid Ihr auch über den Satz "Das kann ich mir an den Cowboyhut streichen" (S. 20) gestolpert. "Von der Backe putzen" kenne ich. Aber dieser Ausdruck war mir neu. Wobei es vermutlich nur "an den Hut streichen" heißt. :rolleyes:
Bei dem Cowboyhut bin ich davon ausgegangen, dass Kalmann da einfach nur kreativ war, würde ja zu ihm passen.
 

wal.li

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1. Mai 2014
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Ich habe mich gefragt, wer Kalmanns Erzählungen aufzeichnet. Wenn er so schlecht in der Schule war, kann er es eigentlich nicht selbst.
Ansonsten finde ich den Ton sehr gut getroffen. Die Mutter hat ja mal gesagt, Kalmanns Einschränkung habe was mit der Geburt zu tun. Ob das noch genauer erklärt wird.
Auf mich wirkt Kalmann, wie ein Naturbursche, der vielleicht nicht viel Schulbildung hat, vielleicht auch, weil er nicht aufnahmefähig war, der aber dennoch nicht dumm ist. Er versteht, die Natur zu lesen.
Das mit dem Eisbär kommt mir allerdings schon etwas weit hergeholt vor. Möglicherweise will er sich selbst unbedingt eine harmlose Erklärung geben, damit er sich keine weitere Gedanken machen muss. Weiß er etwa doch mehr über MacKenzies Verschwinden?