1. Leseabschnitt: Anfang bis Kapitel 4 (Anfang bis S. 77)

Querleserin

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Wadern
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Ich bin etwas verspätet in die Geschichte gestartet und alles Wesentliche habt ihr schon gesagt. @SuPro hat bereits angedeutet, dass der Ich-Erzähler nicht immer wie die Stimme Kalmanns klingt, darunter liegen Kritik und kluge Äußerungen, die man ihm vielleicht nicht zutrauen würden, trotzdem klingt er durchweg authentisch. Beispiele folgen im 2.LA ;). Die Sichtweise ist interessant und verleiht dem Krimi (?) zusätzliche Spannung. Danke für den Hinweis, dass es dieses Bauwerk tatsächlich gibt, das verleiht dem Roman eine zusätzliche zeitkritische (?) Komponente...
 

Wandablue

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Brandenburg
Erfrischend. Ich atme auf. Nachdem mich ja, zum Missvergnügen der Leserunde, Annette Mingels "Dieses entsetzliche Glück" zugrunde gelangweilt hat, langweilt mich Kalmann gar nicht. Er überrascht positiv.

Ein lakonischer Ton. Über den ich lachen muss. Ich weiß nicht, ob ihr das wisst, aber Frauen mögen Männer, die gut drauf sind. Das weiß ich von Nói. Zum Glück ist der King meistens gut drauf ;-)

Hálldor: "Er war einer, der sich über alles ärgerte, er hatte an jedem etwas auszusetzen, aber er konnte es immer gut auf den Punkt bringen, so dass man sich schließlich auch ärgerte."

Das ist zum Schreien.

Und dergleichen mehr ... überall. Durch die Augen des geistig beschränkten Kalmann zeigt uns der Autor seine Welt. Die fremden Namen ... da muss man durch. Ich erinnere mich noch an den Vulkanausbruch vom Eyjafjallajökull? Plötzlich konnten diesen Namen die meisten auswendig.

Das macht der Autor geschickt. So nach und nach stellt er uns alle vor, ob es die schneeschippende Elinborg ist, die Schulmeisterin, die Polizistin Birna (zuerst dachte ich, wir wären in Birma) - und immer wieder die Erinnerungen an den Großvater. So wird uns auch seine Geschichte kundgetan, so nebenbei. Der Großvater hat sich beispielhaft für ihn eingesetzt. Eher mit Pragmatismus. Pragmatismus hat seine Vorteile.

Die Szene im Seniorenheim ist zum Schießen.
Endlich mal keine Demenzwehleidigkeiten. Die Traurigkeit kommt trotzdem durch.


"Und wenn einer spurlos verschwindet, ist das vor allem sein Problem". Hahahahaha. Köstlich.

Worauf es hinausläuft, weiß man noch nicht. Wird Kalmann verdächtigt, weil es so bequem ist, ihn zum Sündenbock zu machen? Das könnte ich mir vorstellen.

Ob der Lakonismus durch das gesamte Buch trägt oder sich abnützt, ist noch nicht zu sagen. Momentan amüsiere ich mich sehr.
 

Wandablue

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Brandenburg
Das birgt die Gefahr, dass auch die Perspektive "einfach gestrickt" wirkt.

Das stimmt. Es erschließt sich aber auch die Chance auf mancherlei Seitenhiebe auf die sogenannten Normalos.
Das mit dem Eisbär kommt mir allerdings schon etwas weit hergeholt vor.

Nun - er hat das dumpfe Gefühl, man könnte ihm was - also erfindet er den Eisbären.
„ Ärztepfusch“ nennt es die Mutter. Eventuell hat Sauerstoffmangel zu einer leichten Schädigung des Gehirns geführt.

Wie auch immer: Kalmann kommt eigentlich gut zurecht. Er ist einseitig begabt. Wenn er sich lange mit einer Sache beschäftigt, kommt er zu verblüffenden Ergebnissen. Nur ein bisschen einsam ist er und wünscht sich eine Frau, für die er abwechselnd nach Dänemark ziehen oder eine Fremdsprache (war das finnisch? nein, lettisch) lernen würde. Zum Kreischen.
 

Wandablue

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Brandenburg
dass er einen guten und einfach nachvollziehbaren Grund for dieser Verkleidung hat
Er schaut viel fern.
Sheriffs sind seine Idole.
Die Waffe ist ein uralt-Ding vom Opa. Funktioniert aber noch.

Das Problem ist, dass Kalmann tatsächlich einfach gestrickt ist, weil er Geistig beeinträchtigt ist, gleichzeitig die Ich-Erzählung nicht durchgehend einfach gestrickt ist. Das wird aber später noch deutlicher... da werde ich mehr dazu sagen.

Aber das macht doch nichts.
Es stimmt natürlich.
Die Beobachtungen und Kommentierungen Kalmanns sind nämlich durchaus tiefgründig und hätte Kalmann wahrscheinlich nicht hingekriegt (da und dort mal ein Zufallstreffer).
Es ist aber ein legitimer Trick eines Autors, me think. Er ist ja kein Psychologe, der eine wissenschaftliche Arbeit ablieferte ;-).


Igitt
 

kingofmusic

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Der Autor bringt gleich zwei Dinge auf den Punkt: Was die Frauenquote am Ort betrifft und die Möglichkeit, sich mit Gemüse gesund zu ernähren: „ Die Frauenauswahl war hier etwa so üppig wie die Gemüsekiste im Dorfleben. Bis auf Karotten, Kartoffeln, zwei schrumpeligen Paprika und braunen Salat hab’s da nichts.“
Ja, über diesen "Vergleich" bin ich auch gestolpert :D.
 

Wandablue

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Was macht Kalmann nur den lieben langen Tag?
Er ist viel draußen. Er treibt sich rum. Guckt sich alles an. Hat auch viel Ausdauer beim Betrachten von Dingen, Tieren, Spuren. Interessiert sich für Kleinigkeiten. Bewegt sich viel. Sehr gesund. Denkt nach. Guckt fern. Macht sich was zu Essen. Unterhält sich mit Leuten. Eigentlich ganz normal.
 

MRO1975

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Ich frage mich, was es mit diesem Noi auf sich hat. Woher kennen die Beiden sich? Vielleicht ist Noi eine Fantasiefigur?
Ja, diese Freundschaft ist wirklich ungewöhnlich. Irgendwie passt es nicht recht, dass der Jäger und Draußenmensch Kalmann im Internet surft und Facebook-Freunde hat. Aber er guckt ja auch den Bachelor... ;)
 

MRO1975

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Er macht für mich eher den Eindruck eines isländischen Forrest Gump, dem zu schnell zu wenig zugetraut wird. Ich mag den Erzählton etc. sehr sehr gerne.
Ja, ich finde ihn auch eher sympathisch - ein bisschen wie Forrest, nur ohne Rasenmäher. Allerdings neigt Kalmann auch zu agressiven Reaktionen, das macht mir etwas Sorge.
 

kingofmusic

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Allerdings neigt Kalmann auch zu agressiven Reaktionen, das macht mir etwas Sorge.
Ja, die beschriebenen Gewaltausbrüche sind schon teilweise heftig - auch wenn sie ihm hinterher immer leid tun. Die Szene, als er Dagbjört die Treppe runterstößt zum Beispiel fand ich sehr einfühlsam beschrieben, wie er dann lange gebraucht hat, um wieder zu sich selber zu finden.
 

MRO1975

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Ja, die beschriebenen Gewaltausbrüche sind schon teilweise heftig - auch wenn sie ihm hinterher immer leid tun. Die Szene, als er Dagbjört die Treppe runterstößt zum Beispiel fand ich sehr einfühlsam beschrieben, wie er dann lange gebraucht hat, um wieder zu sich selber zu finden.
Am Ende hat er sich eingeredet, Dagbjört sei gefallen. Mal sehen, ob Robert McKenzie auch "gefallen" ist.