1. Leseabschnitt: Anfang bis Kapitel 12 (Anfang bis S. 96)

Bartie

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12. Juni 2021
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Wenn ich mich recht erinnere, hatte Schulman zu diesem Zeitpunkt schon zwei gescheiterte Ehen hinter sich, kein Wunder also die Angst, wieder zu scheitern.
Bestimmt schreibt er im weiteren Verlauf mehr darüber. Es hat mich gewundert, dass er so ehrlich über seine Angst vorm Verlassen zu werden spricht.
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Ich habe hier auch an "Die Überlebenden" gedacht. Die Familienverhältnisse dort waren auch eigenartig.
In "Die Überlebenden" werden die Eltern als verantwortungslose Trinker dargestellt, und wenn ich damals gewusst hätte, dass Schulman seine eigenen Eltern meinte, hätte mich das - hm - ziemlich abgestoßen. Gibt es denn dazu eine Erklärung irgendeiner Art?

ps. Ich erinnere mich gerade, dass in "Die Überlebenden" ein Sohn Alex jedenfalls nicht explizit vorkam. Ein gewisses Maß an Verfremdung kann man wohl annehmen.
 

Bartie

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12. Juni 2021
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Und ich hoffe natürlich, dass Alex Schulman sein Buch und dessen Thematik im familiären Kreis bespricht und damit die Familie vorwarnt.
Hoffen wir es. Der Großvater hat seinen Sohn auch lächerlich gemacht, und wenn wir alle der Meinung sind, dass Verhaltensmuster vererbt werden ???? ;)
 
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RuLeka

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30. Januar 2018
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Was meinst Du mit Erklärung?
Und das stört mich ein bisschen. Ich bin zwar auch der Meinung, dass Verhaltensmuster weitergegeben werden. Aber versucht man dann nicht diese Manieren, die besonders gestört haben, zu vermeiden?
Manchmal ist man sich garnicht bewusst, dass man die gleichen Verhaltensmuster hat . Und wenn doch ist das Wissen das eine, das Umsetzen, also in dem Fall das Vermeiden, das andere.
Ein erster Schritt zur Veränderung ist Ursachenforschung, also genau das, was Schulman macht.
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Und das stört mich ein bisschen. Ich bin zwar auch der Meinung, dass Verhaltensmuster weitergegeben werden. Aber versucht man dann nicht diese Manieren, die besonders gestört haben, zu vermeiden?
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: nicht unbedingt.
Es liegt leider in der menschlichen Natur, ein Fehlverhalten klar erkennen und trotzdem wiederholen zu können. :apenosee
 

alasca

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13. Juni 2022
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Erstmal danke euch allen für den freundlichen Zuspruch!

Was, soweit ich sehe, noch niemand angesprochen hat im Zusammenhang mit dem Großvater, ist seine offensichtliche Genialität.
Doch. :p
"Jede Menge Genialität. Die Art, wie der Großvater liest! Was für ein Gehirn! Leider auch Toxizität."

Die streicht ja auch der Autor selbst heraus. Er stellt fest, dass sein Großvater in dem Alter, in dem er (der Autor) gerade ist, bereits brillante literaturtheoretische Abhandlungen geschrieben hat. Und wie der Großvater liest - schräg von einer Ecke zur anderen in Sekundenschnelle, und doch geht ihm kein Wort verloren -, das spricht ebenfalls dafür, dass er intellektuell ein einsames Genie ist.

Das entschuldigt natürlich nicht seine soziale Inkompetenz, seinen völligen Mangel an Empathie, selbst der engsten Familie gegenüber. Aber von "Schuld" sollte man vielleicht bei einem solchen Thema gar nicht erst sprechen. Es wäre auf jeden Fall der Ansatz einer Erklärung dafür, dass er alle seine Mitmenschen ausschließlich in ihrer Beziehung zu ihm selbst definiert, ihnen quasi gar kein Eigenleben zugesteht; alle anderen haben, wenn es nach ihm geht, wie Trabanten um ihn zu kreisen.
Ein klassischer Narziss.
Unglaublich armselig ist andererseits, wie er seine eigenen Bücher mit Anmerkungen wie "brillant" und "genial formuliert" versieht und dass er seinen Rivalen konsequent überall verreißt, und das sogar - finde ich geradezu unglaublich - in einem extra zu diesem Zweck geschriebenen Buch (S. 92). Ich wundere mich, dass ihn anscheinend niemand gefragt hat, warum er diesen Autor (Lagercrantz) so ausführlich behandelt, wenn er ihn für eine Niete hält. Darüber müsste man doch kein Buch schreiben. Die Selbstentlarvung, die mit solchen Aktionen verbunden ist (auch die Anmerkungen in seinen eigenen Büchern), entgeht ihm anscheinend völlig - meiner Meinung nach macht er sich damit selbst zur lächerlichen Figur, und dass er das nicht selbst merkt, zeigt einen erstaunlichen Mangel an Menschenverstand. Wie man sieht, schließt geistige Genialität vollkommene Doofheit nicht aus.

Was ich mich frage - er behauptet ja, Opfer eines "sexuellen Attentats" gewesen zu sein. Damit kann doch nicht die Erkenntnis gemeint sein, dass seine Frau ihn betrog?
Das hat mich auch sehr verwirrt. Ein weiteres Beispiel dafür, dass er absolut alles auf sich bezieht.
 

alasca

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13. Juni 2022
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Auch finde ich es wichtig bei solchen Bloßstellungen, dass der Autor sich selbst auch nicht schont. Und dies gelingt dem Autor in meinen Augen.
Aus meiner Sicht sind das keine Bloßstellungen, sondern notwendige Entheroisierungen öffentlicher Personen, die es verstanden, sich nach außen bestens darzustellen. Solche Menschen wie der Großvater MÜSSEN entlarvt werden.
 

Bartie

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12. Juni 2021
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Ich habe den ersten Abschnitt mit gemischten Gefühlen gelesen. Denn ich finde alle bisherigen Familienmitglieder irgendwie schräg.

Es ist beachtenswert, dass Alex seine Wutausbrüche unter Kontrolle bringen und sein Verhalten ändern will. Andererseits stört mich irgendwie, dass er die Gründe dafür bei seinen Vorfahren zu suchen versucht. Ich weiß, dass diese Vorgehensweise von den Therapeuten empfohlen wird, aber bei mir erweckt es den Eindruck, als hätte man seine Aggressivität so erklären, sogar rechtfertigen wollen. Er selbst schreibt sogar so darüber: „Ich habe in der These von der Wut, die über Generationen vererbt wird, etwas Tröstliches gesehen. Denn dann bin ich nicht selber schuld. Ich brauche nicht so streng mit mir zu sein.“ (67)

Der zweite Punkt: der Großvater. Einerseits genial, gebildet, kultiviert, ein Schriftsteller und Rezensent, die anderen zu analysieren, beurteilen, sogar kritisieren vermag. Andererseits ein richtiger Ekel, der seine Familie terrorisiert und die Umgebung ins Schrecken versetzt.

Auch die Ehefrau ist für mich voller Widersprüche. Einerseits die unterwürfige Ehefrau, liebe Oma und Mutter (?). Andererseits eine Frau, die wahre Liebe erfahren (?) und auf sie verzichtet hat. Ich hoffe, wir erfahren mehr darüber.

Sonst zum Buch selbst. Man kann es wunderbar lesen, die Geschichte weckt von Anfang an viele Emotionen. Besonders hat mir der Kapite12 gefallen über die Werke von Lagercrantz und seine Liebe zu Karin. Der Vergleich mit einer Wildrose ist sehr schön.
 

alasca

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13. Juni 2022
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In "Die Überlebenden" werden die Eltern als verantwortungslose Trinker dargestellt, und wenn ich damals gewusst hätte, dass Schulman seine eigenen Eltern meinte, hätte mich das - hm - ziemlich abgestoßen.
Was hätte dich abgestoßen? Dass sie Trinker waren und ihre Kinder schändlich behandelt haben? Oder dass er sie als das zeigt, was sie sind/waren?

Es gibt allgemein die Haltung, dass so etwas Privatsache ist und die Öffentlichkeit nichts angeht. Aber gerade diese Haltung finde ich fragwürdig. Sie erlaubt es, dass Gewalt in der Familie überhaupt stattfinden kann.

Bücher wie die von Schulman sorgen dafür, dass sich das Bewusstsein dafür schärft, was toxisch ist. In vielen toxischen Familien existiert keins - weil alle nichts anderes kennen und es gar nicht wahrnehmen können. Und weil es (auto-)biografisch ist, kann man auch nicht hingehen und sagen, hey, ist doch nur Fiktion. Nein, ist es nicht. Und ja, Ähnliches passiert vielleicht nebenan. Oder genau hier, bei mir, bei uns.
 
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Die Häsin

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Rhönrand bei Fulda
Was hätte dich abgestoßen? Dass sie Trinker waren und ihre Kinder schändlich behandelt haben? Oder dass er sie als das zeigt, was sie sind/waren?

Es gibt allgemein die Haltung, dass so etwas Privatsache ist und die Öffentlichkeit nichts angeht. Aber gerade diese Haltung finde ich fragwürdig. Sie erlaubt es, dass Gewalt in der Familie überhaupt stattfinden kann.

Bücher wie die von Schulman sorgen dafür, dass sich das Bewusstsein dafür schärft, was toxisch ist. In vielen toxischen Familien existiert keins - weil alle nichts anderes kennen und es gar nicht wahrnehmen können. Und weil es (auto-)biografisch ist, kann man auch nicht hingehen und sagen, hey, ist doch nur Fiktion. Nein, ist es nicht. Und ja, Ähnliches passiert vielleicht nebenan. Oder genau hier, bei mir, bei uns.
Um es mal hart auszudrücken: Da nutzt ein Autor seine Reichweite, um eine Geschichte seiner Familie zu verbreiten, aus seiner persönlichen Sicht. Diejenigen Menschen, die er beschreibt, haben diese Reichweite womöglich nicht. Und solange wir nur seine Sicht der Dinge kennen, können wir in keiner Weise beurteilen, ob es die ganze Wahrheit ist. Ich habe oft beobachten können, wie einfach es ist, im Nachhinein Erinnerungen zu verfälschen - das muss keineswegs böse Absicht sein, das geschieht manchmal ganz von selbst.
 

Barbara62

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Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: nicht unbedingt.
Es liegt leider in der menschlichen Natur, ein Fehlverhalten klar erkennen und trotzdem wiederholen zu können. :apenosee
Nicht umsonst werden Kinder von Alkoholikern überdurchnittlich häufig selbst zu Trinkern und Töchter prügelnder Väter heiraten gewalttätige Ehemänner.
 

Die Häsin

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Rhönrand bei Fulda
Noch etwas, ganz am Rande: Bei der Beschreibung am Anfang, wie genau die Kinder ihren Papa beobachten und seine Stimmungen deuten, musste ich daran denken, was ich mal in einem Krimi gelesen habe, da ging es um Aussagenexperten - also Leute, die besonders gut darin sind, Lügen und Ausflüchte zu erkennen. Das sind angeblich oft Kinder von drogensüchtigen oder anderweitig unberechenbaren Eltern, zum Beispiel auch Borderlinern. Deren Kinder bilden von klein auf eine besondere Beobachtungsgabe aus, was Gesichtausdrücke und Körpersprache angeht.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Noch etwas, ganz am Rande: Bei der Beschreibung am Anfang, wie genau die Kinder ihren Papa beobachten und seine Stimmungen deuten, musste ich daran denken, was ich mal in einem Krimi gelesen habe, da ging es um Aussagenexperten - also Leute, die besonders gut darin sind, Lügen und Ausflüchte zu erkennen. Das sind angeblich oft Kinder von drogensüchtigen oder anderweitig unberechenbaren Eltern, zum Beispiel auch Borderlinern. Deren Kinder bilden von klein auf eine besondere Beobachtungsgabe aus, was Gesichtausdrücke und Körpersprache angeht.
Das glaube ich sofort. Diese Kinder müssen ganz früh Antennen entwickeln, um die jeweilige Situation richtig einschätzen zu können.
 

alasca

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13. Juni 2022
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Noch etwas, ganz am Rande: Bei der Beschreibung am Anfang, wie genau die Kinder ihren Papa beobachten und seine Stimmungen deuten, musste ich daran denken, was ich mal in einem Krimi gelesen habe, da ging es um Aussagenexperten - also Leute, die besonders gut darin sind, Lügen und Ausflüchte zu erkennen. Das sind angeblich oft Kinder von drogensüchtigen oder anderweitig unberechenbaren Eltern, zum Beispiel auch Borderlinern. Deren Kinder bilden von klein auf eine besondere Beobachtungsgabe aus, was Gesichtausdrücke und Körpersprache angeht.
Das gilt auch für Kinder, die Missbrauch erlebt haben. Für diese ist es überlebenswichtig, sich anbahnende Missbrauchssituationen zu erkennen - und ihnen vielleicht zu entgehen.