Rezension Rezension (5/5*) zu Das Lied der Arktis: Roman von Bérengère Cournut.

ulrikerabe

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14. August 2017
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Wien
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In einer fremden Welt

Das Mädchen Uqsuralik ist noch sehr jung als sie aufgrund einer auseinanderbrechenden Eisscholle von ihrer Familie getrennt wird. Nur mit einem Bärenfell und einer Harpune, die ihr der Vater gerade noch zuwerfen kann, ausgerüstet ist sie der eisig kalten Arktis ausgeliefert. Sie weiß, dass sie keine Zeit auszuruhen, wenn sie am Leben bleiben will. Nach einigen Tagen trifft sie auf einen Clan, der sie aufnimmt. Mit dem Sohn des Familienoberhaupts bildet sie eine Gemeinschaft. Doch nicht alle Mitglieder der Familie sind ihr freundlich gesinnt. Weil Uqsuralik eine gute Jägerin ist, zieht sie sich Neid und Eifersucht des alten Mannes zu. Es kommt zu einem tragischen Unglück und Uqsuralik ist wieder auf sich allein gestellt. Glücklicherweise findet sie die Familie ihres Onkels und von da an bleibt sie bei diesem Familienverband.

Das Lied der Arktis ist ein ganz besonders eigentümliches Buch, in Inhalt und Sprache. Die französische Schriftstellerin Bérengère Cournut beschreibt das Leben der Inuit, ein Leben mit und gegen die Natur, achtsam und respektvoll. Es ist in der unwirtlichen Kälte ein täglicher harter und entbehrungsreicher Kampf, für eine geschützte Unterkunft, Kleidung, Nahrung zu sorgen. Wir begleiten aber Uqsuralik und ihre Familie nicht nur bei ihrem physischen Fortkommen, sondern erleben die magische Welt archaischer Mythen und Rituale rund um Geburt, Leben und Sterben.

„Jetzt habe ich eine Mutter, die zugleich die Tochter meiner Tochter ist, während ich ihre Großmutter bin: Wir drei bilden zusammen einen Lebenskreis, und auch die anderen fühlen sich uns durch ihre Blutsbande …. auf natürliche Weise verbunden.“

Der Fortbestand der Familie, Geburt und Wiedergeburt, die Weitergabe von Namen, Amuletten und Zaubern, die wir heute natürlich als völlig anachronistisch ansehen würden, ist wichtigste Grundlage– ein Zusammenhalt, ohne den ein Überleben in der Arktis unmöglich wäre.

„Während meines langen Lebens als Inuit habe ich gelernt, dass Macht etwas Stilles ist. Etwas, das man empfängt und das – genau wie für Kinder und Lieder – durch einen durchgeht. Und das man wieder loslassen muss.“

Im Epilog spricht Uqsuralik von „ihrer Zeit“ und erzählt von den Menschen - den weißen Männern mit dicken Augenbrauen - die kamen, um zu kolonialisieren, von der Vorstellungswelt keine Ahnung hatten und alles besser wussten als das, was über tausende Jahre tradiert wurde. Das lässt diese fremde Welt noch einmal mehr wirken.

„Ich habe euch im Blick. Ich, die Frau aus Stein mit dem Wesen eines Bären und dem Namen des Hermelins. Die Frau aus Stein – Uqsuralik.“