Rezension (4/5*) zu Nachtigall im Winter: Thriller (KNAUR eRIGINALS) von Ralph B. Mertin

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parden

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1950 haben es die Jungen im Waisenhaus Königspfalz nicht leicht. Die Bedingungen sind denkbar schlecht, es gibt von allem zu wenig, niemanden, der sich wirklich für die Jungen interessiert, statt Solidarität gibt es oftmals sogar verbitterte Rivalität, vor allem unter den verschiedenen Häusern des Waisenhauses. Im Zentrum des Geschehens stehen hier die Häuser namens 'Nachtigall' und 'Winter', wobei aus unerfindlichen Gründen die Kinder im Hause 'Nachtigall' deutlich bevorzugt werden.
Dies ändert sich erst, als der neue Lehrer Choran an die Schule kommt und das Haus 'Winter' übernimmt. Er setzt sich für die Kinder ein, formt aus den zerstrittenen Individuen nach und nach eine Einheit, die Stärke demonstiert und in der der Einzelne nichts mehr zu befürchten hat. Doch was sind die wahren Abichten Chorans?

Neben den Geschehnissen im Jahr 1950 wird in einem zweiten Erzählstrang berichtet, wie im Jahre 1959 ein erfolgloser und heruntergekommener Reporter versucht zu ergründen, was vor neun Jahren im Internat Köigspfalz wirklich geschah. Denn es gab dort mehrere unerklärliche Todesfälle, dazu ungeklärte Vergangenheiten einzelner Lehrer und sonstige mysteriöse Vorfälle. Der Reporter Harry ist schon seit Jahren dem Alkohol verfallen, trauert seiner großen Liebe nach und hat als einziges verbliebenes Ziel eben die Auflösung der Geschehnisse von damals. Dabei erfährt er nun Hilfe von unerwarteter Seite. Doch wer ist der mysteriöse Mann? Und weshalb will er Harry helfen?

Über weite Strecken war dies ein wahrlich spannendes Buch mit unvorhersehbaren und überraschenden Wendungen und Finten. Gut ausgearbeitet war dabei die Gruppendynamik, die durch die Veränderungen der Bedingungen in Gang kamen und zeigten, wie einzelne Jungen plötzlich ganz andere Rollen übernahmen. Dadurch dass über lange Strecken alle mit verdeckten Karten spielen, nimmt das Rätselraten kein Ende, und die Eindringlichkeit der Schilderung der Geschehnisse tut ein übriges, um einen das Buch am besten gar nicht erst weglegen zu lassen. Wer verbirgt welches Geheimnis, wer handelt aus welcher Motivation heraus und wohin wird sich das Ganze schließlich entwickeln sind nur einige der Fragen, die den Leser während der Lektüre treu begleiten.
Ein wenig ernüchtert war ich allerdings, als es schließlich auf das Ende zuging. Da nahm das Mystische für meinen Geschmack doch zu sehr überhand - und es zeigte sich, dass die Themenvielfalt (alte Kulturen, NAZI-Vergangenheiten, unlautere Vorkommnisse in abgeschiedenen Internaten, Machtspiele, Religion, Mystik) letztlich doch wohl ein wenig zu groß war. Jedes Thema für sich: spannend und hochbrisant - aber in der Summe einfach zu viel, so dass einiges zwangsläufig auf der Strecke bleiben bzw. fast 'nebenher' abgehandelt werden musste. Da wäre weniger vielleicht doch mehr gewesen, es ist schade um das verschenkte Potential...

Insgesamt eine spannende Unterhaltung, deren eher 'plattes' Ende mich ernüchtert und ein wenig enttäuscht hat. 3,5 Sterne, die ich aber auf 4 aufrunde, weil die Spannung mich über einen langen Zeitraum gefangen halten konnte...

© Parden

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Zum Buch... (evtl. mit weiteren Rezensionen)
 

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