Rezension Rezension (2/5*) zu Die Schweigende von Ellen Sandberg.

ulrikerabe

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Buchinformationen und Rezensionen zu Die Schweigende von Sandberg, Ellen
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Sehr subjektives Unbehagen

Kurz vor seinem Tod nimmt Jens Remy seiner Tochter Imke ein Versprechen ab. „Such nach Peter“, ist das Letzte, was er Imke mitgeben kann So tastet sich Imke langsam an das große Geheimnis ihrer Mutter Karin heran. Ihre Schwestern Anne und Angelika sind Imke bei der Spurensuche in die Vergangenheit keine große Hilfe, zu sehr sind die beiden mit ihren eigenen Problemen miteinander beschäftigt. Der Blick zurück reißt bei Karin eine lang verdrängte Erinnerung auf an die Jahre, die sie Ende der 1950er in einem Erziehungsheim verbringen musste.

Ellen Sandberg ist ein Alias des der deutschen Schriftstellerin Inge Löhning, deren Münchner Krimserie ich sehr gerne gelesen habe. „Die Schweigende“ ist kein Krimi, nicht mal ein Spannungsroman, viel eher ein Schicksalsroman.

Wie es heutzutage fast schon Usus ist, spielt die Geschichte auf zwei Zeitebenen. Die Rahmenhandlung bietet die gegenwärtige Situation: Karin, die bitter um ihren Mann Jens trauert, mit dem sie den Großteil ihres Lebens verbracht hat. Imke die mit Mann und den Teenager Zwillingen eine heile Welt lebt, mit Häuschen, gutem Einkommen, Zeit und genügend Ressourcen für Selbstverwirklichung. Angelika, die nach dem Tod ihres Mannes zahlreiche Liebschaften hatte und jetzt glaubt, den neuen Mann fürs Leben gefunden zu haben. Und Anne, deren Karriereschub abrupt geendet hat und die sich mit aller Kraft beruflich neu ausrichten will, koste es was es wolle. Es reihen sich dramatische Ereignisse aneinander, die einer Vorabend Telenovela würdig wären. Die erwachsenen Töchter sind nicht in der Lage, aus Karins Verhalten ein tief zurückliegendes Trauma zu erkennen, bis es Imke irgendwann dämmerte:

„Es ging nicht darum, Peter zu finden, sondern Mama.“

Aus der Vergangenheit erfahren wir in Rückblenden Stück für Stück von Karins Geschichte, ihrer Jugend und ihrer schrecklichen Zeit im Heim. Die Autorin erwischt dabei die Leserin selbstverständlich auf der Gefühlsebene. Karins Erlebnisse sind so furchtbar, dass ich sie gar nicht in Worte fassen mag. Aber!

Mir bereitete das Lesen ein sehr subjektives Unbehagen. Der Missbrauch Schutzbefohlener, physisch, psychisch, sexuell, ist so ein ernsthaftes Thema. Verpackt in diese klischeehafte und überdramatisierte Gegenwartsgeschichte erwischt mich dieses Buch auf dem völlig falschen Fuß und wird zum Betroffenheitskitsch. Belanglose und triviale Querelen lösen sich ab mit seitenweisen Schilderungen unerträglicher Qualen.

Ganz leise erinnerte mich das Buch „Die Schweigende“ beim Lesen an ein anderes Buch: The Nickel Boys von Colson Whitehead. In ihrem Nachwort schreibt die Autorin dann auch, dass genau dieses Buch sie zu ihrem eigenen Werk inspiriert hat. Dem Anspruch Colson Whiteheads Buch gegenüber wird Ellen Sandberg nur überhaupt nicht gerecht. Und wenn sich der amerikanische Autor in einigen Besprechungen die Kritik gefallen lassen musste, zu distanziert zu sein, möchte ich kurz aus meiner eigenen Rezension zu The Nickelboys zitieren: „Muss ich über jede Grausamkeit detailliert Bescheid wissen. Ich finde, nein. Mittlerweile geht mein Vorstellungsvermögen, darüber, was der Mensch dem Menschen anhaben kann, ins Unermessliche. Dazu braucht es keine Details, die möchte und muss ich nicht lesen, um trotzdem erschüttert zu sein.“

„Die Schweigende“ geht mit dem Leid gequälter Kinder und Jugendlicher hausieren und verkauft sich als „Unterhaltungsliteratur“. Es tut mir sehr leid um das Thema, aber ich konnte dem Buch damit nichts mehr abgewinnen als unendlichen Ärger.


 

Wandablue

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Verpackt in diese klischeehafte und überdramatisierte Gegenwartsgeschichte erwischt mich dieses Buch auf dem völlig falschen Fuß und wird zum Betroffenheitskitsch.
!!!!!!!!!!!
Man mag nicht gern "voyeuristisch" sagen, aber tatsächlich verdienen sich viele Autoren ihr Geld damit, dass sie das Leid buchstäblich verkaufen.