Interessant die Annäherung zwischen Sepp und Licy. Sie funken auf einer Ebene, teilen die Liebe zu Kunst und Literatur. Hier wird deutlich, dass Giuseppe doch kein asexuelles Wesen ist, er spürt so etwas wie Verlangen
Überrascht hat mich, wie offen Licy mit ihrer Liebe umgehen kann, obwohl sie verheiratet ist. Allerdings heißt es ja, dass die 1920er Jahre weit offenherziger waren als z.B. die 50er. Ihr Mann geht auch seiner Wege. Mit dem Wissen, das wir aus vorangegangenen Kapiteln haben, wissen wir, dass er seiner Frau das Herz gebrochen hat und homosexuell ist.
Sepp scheint diese Art Frauen zu mögen: die Selbstbewussten, die Aufrechten, Vitalen, Starken, die sich nehmen, was sie wollen. Er vergleicht sie mit seiner Mutter, die er trotz aller Dispute für ihre Stärke bewundert hat. Zuviel Kritik an ihr wird bislang noch nicht laut. Obwohl die Mutter einen riesigen Einfluss auf den noch zu Hause lebenden Sohn hat, erfahren wir nicht allzu viel von ihr. Nur, dass sie Licys Mutter Alice aus tiefer Seele ablehnt, was sich offenbar auf deren Tochter überträgt.
Licy ist sehr gebildet, machte eine zusätzliche therapeutische Ausbildung in der Schule Freuds, den sie sogar persönlich kennenlernte. Irritiert hat mich der Satz: "Sie hatte die schönen traurigen Augen seiner Mutter." So direkt möchte wohl keine Frau mit der Schwiegermutter verglichen werden
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Die Gegenwart mit dem Ausflug zu den Piccolos vermischt sich mit Gius Erinnerungen. Er betrachtet das junge Paar Gio und Mirella und zieht Parallelen zu seiner eigenen Verliebtheit. Interessant, dass Licy die Piccolo Villa meidet: Ihr fehlt das Verständnis für die Künstler-Allüren und den Faible für Okkultes... Herrlich! Licy hat eine feste Meinung und keinen Sinn für Getue. Als Getue schätze ich auch Lucios Gebahren und Geschweige ein. Dieses "Denken" mit Tuch über den Augen, dieses Geziere, auf klare Fragen auszuweichen... Behämmert. Casimiro ist es dann schließlich, der das erste Feedback zum Roman gibt. Ihm gegenüber empfindet Giu auch Empathie, etwas das ich bislang vermisst hatte (bezüglich dessen Verlust, der Einsamkeit und seiner daraus resultierenden Phobie).
Durch die Geschichte der Adoption wird auch das Verhältnis zu Gio und Mirella klar. Ich habe da bislang ja nix Sexuelles gesehen und sehe das bestätigt. Dass Gios Eltern des Sohn so einfach abgeben? Für einen WEITEREN Titel? Offensichtlich kann man in Italien zwei Elternpaare beerben, ich wüsste nicht, dass das bei uns so geht.
Auf S. 238/39 fühlt sich Giu sogar mal glücklich! Allerdings ist sein Glück sehr stark an das Gedeihen seines Romanes geknüpft, den er innerlich nicht abgeschlossen hat und noch weitere Seiten einfügt.
Licy ist bislang die einzige, die Beatrice kritisiert. Giu rechtfertigt deren Verhalten mit dem großen Kummer, den sie hat erleben müssen. Licy hält gegen: Als Therapeutin sagt sie "Sie ist ihren Schmerz nicht angegangen". Andererseits zeigt sie Verständnis, dass es dr Mutter nicht gefallen wird, ihren Sohn auch noch zu verlieren. Licy gefällt mir in den gezeigten Szenen immer besser.
Beachtlich, dass sie die Jahre der räumlichen Distanz so gut überstanden haben. Das zeugt von einer intensiven Bindung zueinander. Seiner Mutter gefällt das nicht. "Schweigen und Beschämumg waren schon immer ihre Waffen gewesen." (S. 252)
Aus seinen Reflexionen über Vergangenheit und Gegenwart zieht er neue Inspirationen für ein weiteres Buch. Die letzten Seiten des Abschnitts legen nahe, dass sein aktuelles Buch viel mehr auch mit ihm selbst zu tun hat, als er dachte.