Rezension Rezension (4/5*) zu Das Gewicht von Schnee: Roman von Christian Guay-Poliquin.

Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
Zwei Männer im Schnee


Kurzmeinung: Der Winter. Der Winter. Der Schnee. Der Schnee. Das alles ist wunderschön. Und dann noch ein bisschen Apokalypse.



Der neue Roman des franco-kanadischen Autors Christian Guay-Poliquin, ist der zweite dystopische Roman des Autors. Sein erstes Buch, „Le fil des kilomètres“, ein dystopisches Roadmovie ist bisher nur ins Englische übersetzt (Running on fumes).



In einem nicht allzulangen Roman (unter 300 Seiten) und in einer nicht allzufernen Zukunft geschieht im abgelegenen Dorf irgendwo in Kanada ein Autounfall, der einem jungen Mann fast das Leben kostet. Im Dorf herrschen familiäre Strukturen, Fremde sind eine Belastung. Zum Glück erkennt jemand den jungen Mann, er ist ein Verwandter eines verstorbenen Dörflers.

Das Dorf windet sich. Einerseits will man nicht unmenschlich sein, andererseits ist der Schwerverletzte Ballast. Es gibt keinen Strom mehr, die Verbindung zur Außenwelt ist gekappt, die Vorräte sind knapp, medizinische Versorgung nur begrenzt leistbar.

Man kommt auf die Idee, den jungen Mann, den man so gut zusammengeflickt hat wie es halt geht, zu einem Außenseiter abzuschieben, den man in eine Hütte außerhalb des Dorfes verbannt hat. Dort haust der alte Matthias, der hier gestrandet ist. Und der nur im Kopf hat, irgendwie wieder in die Stadt zurückzukehren, um dort seiner kranken Frau beistehen zu können. Aber dafür braucht er gewisse Dinge. Vorräte. Ein Auto. Eine Waffe. Und die Schneeschmelze. Denn es ist Winter geworden. Das Dorf macht einen Deal mit ihm.

Der Autor beschreibt fast lyrisch den Schnee und den Winter in seinen vielen Spielarten. Dabei kommen sowohl die Schönheit der Landschaft und die der Natur zum Ausdruck wie auch die Abhängigkeit des Menschen von den Jahreszeiten. Der Roman ist bestimmt eine sehr schöne Winterlektüre. Wenn man im Sessel sitzt und den fallenden Schneeflocken zuschaut.



Neben den eindrücklichen Landschaftsbeschreibungen wendet sich der Autor psychologischen Vorgängen zu.

Was geht in Menschen vor, die gegenläufige Interessen verfolgen, aber durch die Umstände zu einer Bruderschaft gezwungen werden? Werden sie miteinander auskommen, mögliche Animositäten, die in unterschiedlichem Charakter, unterschiedlichem Alter, Eifersüchteleien und Konkurrenzdenken Grund haben, überwinden oder sich bekriegen und zu schaden suchen? Ist nicht schon die vorgegebene Enge der Behausung und die Abhängigkeit des einen vom anderen ein kaum zu lösendes Problem?



Der Autor befleissigt sich einer wunderschönen Sprache. Über weite Strecken hinweg fesselt es den Leser, wie die Natur wirkt. Und wie die beiden Männer Katz und Maus miteinander spielen. Ihre Lebensgeschichten kommen allmählich zum Vorschein. Der Schnee, das Wetter, man ist mit ihnen eingekesselt und macht sich Sorgen. Doch was ist denn passiert in der Welt? Vom Dorf her kommen immer beunruhigendere Impulse.



Auf die weltweite Apokalypse geht der Autor indes nicht weiter ein. Er findet einen versöhnlichen Schluss, bleibt aber thematisch in den Innenwelten der Figuren. Die Anbindung an das große Ganze unterbleibt. Das ist verständlich, aber schade.



Fazit. Eine schöne Winterlektüre mit vielen fesselnden Momenten. Doch beschränkt sich die Story eben nur auf das Innen und die Einbindung in die Weltkatastrophe bleibt peripher. Auf die Dauer wirkt deshalb das Geschehen, das sich auf die beiden Männer fokussiert, dann doch ein wenig monoton.(Eine kleine Lawine und ein bisschen Tod, m.a.W. echtes Drama hätten dem Roman ausnahmsweise gut getan). Aber ist immer noch eine schöne Lektüre.



Kategorie: Dystopie
Verlag: Hoffmann und Campe, 2020


 
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Literaturhexle

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2. April 2017
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Dystopie. Da bin ich raus, auch wenn deine Renzension durchaus verführerisch klingt. Aber man muss irgendwo seine Grenzen setzen;)