Rezension Rezension (5/5*) zu Die Schwestern vom Ku damm von Brigitte Riebe.

EmiliAna

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4. Mai 2019
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Buchinformationen und Rezensionen zu Die Schwestern vom Ku damm von Brigitte Riebe
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Hoffnungsvoller Neubeginn in schweren Nachkriegsjahren

Bekannt ist Brigitte Riebe vorwiegend als Autorin historischer Romane, als deren Begründer der englische Schriftsteller Sir Walter Scott mit seinem Roman "Waverley" gilt und die seit den 60er Jahren eines der, vor allem bei Frauen, beliebtesten Genres der postmodernen Literatur darstellen. Scott setzte auch die Kriterien dafür, was als historischer Roman zu gelten hat - die geschichtlichen Ereignisse sollten nämlich mindestens sechzig Jahre zurückliegen.
Und gerade in den letzten Jahren kann man feststellen, dass die jüngere Vergangenheit, die fast noch Zeitgeschichte ist, das 20. Jahrhundert, sozusagen historisch wird, was sicherlich auch der beschleunigten Zeitwahrnehmung der Moderne geschuldet ist, die ebenso zur Veränderung der Wahrnehmung der vergangenen Zeit, besonders derjenigen, die noch nicht lange zurückliegt, als zeitliche Größe geführt hat.
Und genau in jenem noch nicht lange vergangenen Jahrhundert, nämlich in den 40er und beginnenden 50er Jahren siedelt Brigitte Riebe ihren Roman "Wunderbare Zeiten" an, der den Auftakt einer Trilogie um die drei "Schwestern vom Ku'damm", Rike, Silvie und Florentine Thalheim bildet, von denen die Älteste, Rike, die Hauptperson in vorliegendem Band ist.

Der Leser begegnet den Schwestern erstmals in einem Berliner Luftschutzkeller in den letzten Kriegstagen, das Ende des von Wahnsinnigen angezettelten Weltensturms erwartend und gleichzeitig voller Angst und Ungewissheit vor dem, was die Zukunft bringen mag.
Das familieneigene Kaufhaus der einstmals wohlhabenden Thalheims ist nurmehr eine Ruine, in der Villa machen sich russische Besatzungssoldaten breit, der Verbleib der beiden Männer der Familie, Vater und Bruder, ist ungewiss. Dennoch, das Leben geht weiter, für die Frauen der Thalheims wie für Millionen Deutsche, die den grausamen Krieg überlebt haben, irgendwie und mit viel Glück.
Und wie all die anderen auch kämpfen sich die Protagonistinnen Rike, Silvie und Miriam, die Freundin jüdischer Abstammung, fast zur Familie gehörend, die im Berliner Untergrund der Deportation in eines der Vernichtungslager entgehen konnte, mit enormem Überlebenswillen, Tatkraft und Erfindungsgeist zurück ins Leben, überstehen den strengen Frostwinter 1946/47 und auch die langen, kräftezehrenden Hungerzeiten.
Die enorme Hilfsbereitschaft der westlichen Alliierten während der Berliner Blockade vom Juni 1948 bis zum Mai 1949 gibt ihnen gemeinsam mit der Bevölkerung Berlins neuen Auftrieb, denn sie erfahren eine nie gekannte Solidarität untereinander, einen Zusammenhalt, der wie nichts sonst Mut macht und Kraft verleiht.
Im Jahre 1951 schließlich, das auch das Ende des Romans bildet, ist die Familie gewissermaßen "über dem Berg"! Mit dem vom Großvater geerbten Geld gelingt es der zupackenden und rationalen Rike, Integrationsfigur der Familie, das Modehaus Thalheim wieder aufzubauen - und zudem hat sie, stets ein wenig überschattet von der so schönen wie lebenslustigen jüngeren Schwester Silvie, nun endlich allen Grund, freudig in die Zukunft zu blicken, hat sie doch in den prekären Nachkriegsjahren den Mann fürs Leben gefunden....

In seinen klugen Anmerkungen zum Wesen des historischen Romans hat der Schriftsteller Peter Prange einmal unter anderem festgestellt, dass ein solcher Roman ein Spiel mit der Wirklichkeit ist, dass er die historische Geschichte nicht reproduziert sondern sie vielmehr benutzt. Die Wissenschaft liefert die Fakten, während der Erzähler sie mit Sinn und Leben erfüllt und sie dadurch glaubwürdig macht, dass er seine Protagonisten nicht nur entsprechend ihrem inneren Wesen fühlen, denken und handeln lässt, sondern auch nach Maßgabe ihrer eigenen Lebenswirklichkeit.
Besser kann man es, bezogen auf Brigitte Riebes hier zu besprechenden Romans, nicht ausdrücken. Genau das beherrscht sie wahrhaftig meisterhaft! Ihre Charaktere sind immer authentisch, komplex, vielschichtig, ihre Handlungen so, wie Peter Prange es oben in Worte gefasst hat. Sie sind Menschen aus Fleisch und Blut, mit Fehlern und Schwächen, Handlungsweisen, die man kritisch sehen mag, aber auch Stärken, die gerade in schweren Zeiten zum Tragen kommen. Ganz schnell fühlt man sich den so unterschiedlichen Protagonistinnen, die in erster Linie Rike, Silvie und Miriam sind, nahe, ergreift Partei, bangt mit ihnen und um sie, hofft mit ihnen, begleitet sie durch eine Zeit, die die allermeisten Leser nur, wenn überhaupt, vom Hörensagen kennen - und ganz gewiss nicht selber durchmachen wollen! Und da ist sie wieder - die Gnade der späten Geburt, wie manch einer dankbar erkennen mag!
Doch zeigt die Autorin auch, wie spannend diese Jahre des Aufbaus waren, wie trotz aller Entbehrungen eine unglaubliche Kreativität zum Aufblühen kam, die sicherlich einen der Grundsteine legte für das spätere Wirtschaftswunder. Die Stunde Null - die Thalheim-Frauen haben sie miterlebt, und dies nicht nur als Zeitzeuginnen oder gar als Unbeteiligte, als Zuschauerinnen, sondern vielmehr als tatkräftig Mitwirkende, als Hoffnungsträger sie selbst, denn auf ihre Weise haben auch sie die Moral der überlebenden Berliner, der mutigen Frauen, der Trümmerfrauen vor allem, gestärkt, indem sie dem ureigenen weiblichen Bedürfnis nach Schönheit Rechnung trugen - sie gaben ihnen Mode, Kleider, die sie alsbald schon zu nähen begannen! Und die zeigten sie erstmalig in einer improvisierten Modenschau draußen, vor den Trümmerbergen - eine Szene in dem Roman, die mich überwältigte ob ihrer Symbolkraft. Ende und Anfang - ein trotzdem Leben und der Beginn der neuen, der besseren Zeit!

Ja, Brigitte Riebe ist von Hause aus Historikerin. Das merkt man ihren Romanen stets an, denn sie ist präzise, sie weiß, wovon sie schreibt, zeichnet sich durch exaktes, umfangreiches und wasserdichtes Faktenwissen aus. Darüberhinaus besitzt sie allerdings eine bestechende Erzählergabe, kann mitreißen, anrühren, eine Atmosphäre schaffen, die so stimmig erscheint, dass man sich mühelos in Zeit und handelnde Personen, bei ihr eine untrennbare Einheit, hineindenken kann.
Und obwohl ihre Art zu schreiben so leichtgängig wirkt und dabei so wunderbar klar und verständlich ist, sind ihre Bücher doch qualitätsvoll und ganz gewiss nichts, das man nach dem Lesen schnell wieder vergisst oder gar abhaken möchte. Ihre Romane, und der vorliegende reiht sich da nahtlos ein, begleiten in den Alltag und setzen sich noch lange darin fest - und das eben ist es, was ich von einer guten Geschichte erwarte!
Auf den zweiten Band der Trilogie darf man gespannt sein....



 

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