2. Leseabschnitt: Kapitel 5 bis Kapitel 8 (S. 78 bis S. 142)

Querleserin

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Noch eine Bemerkung zur Erzählperspektive und die Diskrepanz. Einerseits gibt es grammatikalisch falsche Sätze wie
„weil dann war auch Sigfus plötzlich wütend auf mich.“ Typisch für gesprochene Sprache ist die falsche Stellung des Verbs.
Und dann verwendet er in der indirekten Rede den Konjunktiv, wie jemand schon bemerkt hat. (allerdings ist die Kopplung von dass und Konjunktiv I eine doppelte Markierung und wird bei uns in Aufsätzen angestrichen :rolleyes:, auch wenn es nicht falsch ist)
Das passt nicht zusammen, trübt jedoch immer noch noch nicht meine Lesefreude, aber es fällt eben auf, ebenso wie @SuPro schon gesagt hat, dass manche Passagen sehr reflektiert sind, andere wiederum naiv.
Letztere haben eine unfreiwillige Komik, zudem ist es spannend, ob und wie der Mordfall aufgedeckt wird.
 

Barbara62

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Es scheint, dass Teile der Bevölkerung Islands eine islamfeindliche Gesinnung haben. Der Roman entwickelt sich immer mehr zu einer Quelle des Wissens, was Island betrifft. Tatsächlich sind nordeuropäische Länder für mich immer der Inbegriff der Toleranz. Dem ist wohl nicht so, wenn man dem Autor Glauben schenken darf. Aber er wird es wissen, schließlich lebt er seit 13 Jahren in Island.
Es gibt auch in Skandinavien starke rechtsgerichtete Parteien, ein unrühmliches Beispiel sind die Schwedendemokraten.
 
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Barbara62

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Sehr lustig fand ich das Fernsehinterview. Ich konnte mir bildhaft vorstellen, wie die beiden TV Profis an Kalmann gescheitert sind ;)
Ich fand es auch sehr lustig, aber gleichzeitig zeigt Kalmanns Ausraster am Ende - so nachvollziehbar er auch sein mag - dass man ihm nicht ganz trauen kann. Was, wenn er Róbert doch begegnet ist und der ihn provoziert hat???
 
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Barbara62

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Aus dem gleichen Grund halte ich für unwahrscheinlich, dass Kalmann wirklich eine englische Unterhaltung behalten und wiedergeben, geschweige denn selber Englisch sprechen könnte.⠀
In Skandinavien läuft sehr vieles im Fernsehen im englischen Original. Außerdem ist sein Vater ja Amerikaner und ich weiß nicht, wie alt Kalmann war, als er die Familie verlassen hat.
 

Querleserin

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Kann mir jemand sagen, warum das 7. Kapitel "Hákarl" heißt? Ich finde auch im zweiten Anlauf keine Erklärung dafür. Habe ich beide Male etwas überlesen?
Hákarl ist der finnische Name für Gammelhai und in diesem Kapitel erzählt Kalmann vom Grönlandhai und davon, wie er ihn fängt ;).
 

Barbara62

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Ich lese das Buch immer mehr als Krimi, obwohl mit Kalmann mehr die Person als der Kriminalfall im Vordergrund steht. Die Informationen über Island gefallen mir sehr gut, allerdings würde ich mich nun vor einer Islandreise vorsichtshalber mit Müsliriegeln ausstatten. ;)

An der Geschichte mit der Platzwahl in der Tankstelle wird deutlich, dass das Zusammenleben mit Kalmann doch nicht ganz einfach ist. In Raufarhöfn klappt es, weil die Menschen ihn kennen und wahrscheinlich solchen Situationen aus dem Weg gehen, aber sobald eine unerwartete Situation auftritt (Fernsehinterview, Touristen...) wird es problematisch und es ist nicht unmöglich, dass Kalmann mit einem Gewaltausbruch reagiert.

Róbert McKenzie hatte jede Menge Feinde, prinzipiell hätte wohl fast jeder in Raufarhöfn ein Motiv. Es mangelt der Polizei also nicht an Verdächtigen. Einerseits halte ich es durchaus für möglich, dass Kalmann ihn im Affekt umgebracht hat, andererseits ist es doch wieder unwahrscheinlich, dass Joachim B. Schmidt seinen sympathischen Helden zum Täter macht...
 

Querleserin

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An der Geschichte mit der Platzwahl in der Tankstelle wird deutlich, dass das Zusammenleben mit Kalmann doch nicht ganz einfach ist.
Da hast du Recht, wenn man sich bildlich vorstellt, wie er sich vor dem Paar aufgebaut hat. Die Szene ist einerseits sehr authentisch, aber eben auch bedrohlich.
 

Bibliomarie

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Kalmann ist ein sehr genauer Beobachter, so erkennt er schon die Blicke, die Menschen tauschen, wenn sie ihn zum ersten Mal sehen. Aber da ihm Ironie völlig fremd ist, kann er auch keine Schlüsse daraus ziehen.

Schon witzig, wie er als Gammelhaispezialist vorgestellt wird und sein erster Gedanke ist, dass er gar nicht so viel Hai fangen kann, wie er jetzt bei den vielen Menschen wohl braucht:)

Auch im Hotel gab es so eine Szene. Siggi nennt den Großvater einen Kommi und K. lässt sich erklären, was das ist und konstatiert dann: so wie Robin Hood. Einfach witzig.
Beim Interview scheitern auch so erfahrene Reporter, wie der Tagesschausprecher, aber K. ist schon recht stolz auf seine Berühmtheit.

Wie traurig, dass ihn sein Großvater nur noch selten erkennt, er war ganz einfach sein Halt.

Es passiert ja eigentlich nicht viel, aber ich mag das Buch. Dabei ist mir gar nicht so wichtig, was mit Robert passiert ist. Also aus dem Verschwinden ziehe ich keine Spannung und vermisse sie auch nicht.
 

Bibliomarie

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Außer Gammelhai gibt es noch andere kulinarische Köstlichkeiten: Schafsköpfe, Sauerwal, Widderhoden. Ich bin doch froh, dass die guten alten Pommes als Beilage nie aussterben. Das würde mich in Island vor dem Hungertod bewahren.

Es gibt auch geräucherten Papageientaucher, aber ich finde die so niedlich, die wollte ich nie essen.
 

Bibliomarie

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Er kombiniert sehr gut und wenn seine Naivität nicht wäre, käme er auch anderswo gut zurecht. Ich denke nämlich, dass die meisten in Raufarhövn ihn nehmen wie er ist, was in anderen Dörfern sicher erstmal nicht so wäre.

In der Stadt, egal ob Husavik oder Reykjavik, wäre er wohl schnell in die "Behinderten-Ecke" geschoben worden. Im Ort, da kennt man seit klein auf und ich habe den Eindruck, man achtet auch ein wenig auf ihn.
 

Bibliomarie

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Was mich oft ein wenig aus dem Lesefluss reißt, ist der Konjunktiv. Da Kalmann normal anscheinend hauptsächlich Dinge weiß, die für ihn eine praktische Anwendung oder etwas mit seinen Interessengebieten zu tun haben, kann ich mir nicht vorstellen, dass er wirklich weiß, wann man welchen Konjunktiv anwendet. Aus dem gleichen Grund halte ich für unwahrscheinlich, dass Kalmann wirklich eine englische Unterhaltung behalten und wiedergeben, geschweige denn selber Englisch sprechen könnte.⠀

Das stört mich beim Lesen gar nicht. Englisch wird er wohl aus dem TV kennen, denn die Sendungen werden nur untertitelt ausgestrahlt, da bleibt sicher einiges hängen.
Ob der Autor ihn den Konjunktiv richtig anwenden lässt oder nicht, ist mir beim Lesen gar nicht aufgefallen.
 

Bibliomarie

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... ja, das sind alles weitere Punkte, die die Glaubwürdigkeit etwas herabsetzen. Ein geistig zurückgebliebener junger Mann kann das alles in der Form nicht. Da hat der Autor sich entweder nicht gut genug damit beschäftigt, welche Beeinträchtigungen und Einschränkungen solche Menschen haben oder er sieht großzügig darüber hinweg...

Aber würden wir das Buch lesen, wenn es durchgehend im Ton eines geistig zurückgebliebenen Protagonisten geschrieben wäre?
Ich denke jetzt auch an den Simplicissimus, auch er ein reiner Tor, ein Simpel, der seine Erlebnisse und Abenteuer erzählt und ihm gibt Grimmelshausen eine "gewählte" Stimme.
 

Wandablue

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Kalmanns Gespräche sind überhaupt witzig, aber manchmal tut er mir auch leid, wenn er so garnicht aus seiner Haut kann. Zum Beispiel, als er nicht an einem anderen Tisch sitzen kann.
Zwanghaft.
Ein einfacher Mensch ist er nicht. Aber seine Dörfler kommen mit ihm klar.
Jeder ist irgendwie speziell und damit ist jeder irgendwie normal. Da ist was dran.
Ein Pragmatiker vor dem Herrn.

Natürlich hat Kalmann das nicht absichtlich gemacht. Auch heute hat er sich nicht immer im Griff.
Generell eine geringe Frustrationstoleranz. Das ist ein Problem.

An der Stelle „verpackt“ der Autor seine Kritik daran meines Erachtens geschickt, indem er Kalmann naiv fragen lässt: „aber die meisten, die diese Meinung hatten, gingen gar nicht in die Kirche oder so, und darum fragte ich mich, ob sie denn überhaupt eine Religion hatten.
Das fand ich plump.

Es stellt sich heraus, dass dieser mit Robert verfeindet gewesen ist, da der Großvater Kommunist ist.
Das kann man doch nicht ernst nehmen

Die Reaktion des Großvaters auf Roberts Aussage, dass man aus Kalmann früher Haifischfutter gemacht hätte, zeigt, wie glücklich er sich schätzen kann, dass der Großvater sich um ihn gekümmert hat.
Erinnert stark an andere bösartige Äusserungen über behinderte Menschen und ist eine Beleidigung.

Er glaubt, Robert habe ihm nicht verziehen, dass er Dagbjört die Treppe heruntergestoßen hat
Damit kann er durchaus recht haben.
Natürlich ist Kalmanns Frage, warum Magga Autofahren darf und er nicht, mehr als berechtigt.
Sehe ich nicht so.Was, wenn es kein Hydrant gewesen wäre?

Ich bin doch froh, dass die guten alten Pommes als Beilage nie aussterben. Das würde mich in Island vor dem Hungertod bewahren.
Dito
 

SuPro

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Aber würden wir das Buch lesen, wenn es durchgehend im Ton eines geistig zurückgebliebenen Protagonisten geschrieben wäre?
Ich denke jetzt auch an den Simplicissimus, auch er ein reiner Tor, ein Simpel, der seine Erlebnisse und Abenteuer erzählt und ihm gibt Grimmelshausen eine "gewählte" Stimme.
... das kann ich so gar nicht eindeutig beantworten. Wahrscheinlich eher nicht. „Wir brauchen“ die differenzierten und reflektierten Phasen eigentlich schon, um wirklichen und umfassenden Lesegenuss zu bekommen ... ich zumindest ... aber dann hätte sich der Autor irgendetwas einfallen lassen müssen, um dieses Dilemma, diese Diskrepanz aufzufangen. Aber man kann nur etwas auffangen, wenn es einem auffällt... da kommt dann der Lektor ins Spiel...
 

Wandablue

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Hm. Es ist funny - aber in diesem Abschnitt will ich SuPro beipflichten. Es ist too much und insoweit nicht mehr so authentisch.

Dennoch macht es Spaß einiges über Island zu erfahren. Nun wissen wir einiges über den Gammelhai. Nur googeln muss ich ihn noch, um zu gucken, wie er aussieht.

Kalmann vermutet, dass Nói nicht immer die Wahrheit sagt. Er hat ein feines Gespür für Menschen.

Die Sache mit Dagbjört ist eines seiner unschönen Kindheitserlebnisse. Er mag sie. Aber er hat ihr weh getan. Er steht sich oft selber im Weg, er weiß das (Interview), kann aber nichts dagegen tun. Dann will er etwas kaputt machen, um seinen Frust loszuwerden.

Dass er so angewiesen ist auf andere, stinkt ihm. Das kann ich verstehen.

Der Autor lässt uns mehr und mehr einen Blick in Kalmanns innere Welt tun. Wie die Menschen ihn behandeln. Wie er mit seinen Wünschen auf Widerstand stößt. Was er für Gewohnheiten hat.
Aber auch, wie leicht er zu manipulieren ist.

Es ist sehr unterhaltsam, aber ich wünschte, der Autor würde seine Ironie feiner dosieren, weil ... zu viel ist immer zu viel, egal von was.