Rezension Rezension (5/5*) zu Pavel und ich: Eine Spurensuche von Sandra Brökel.

parden

Bekanntes Mitglied
13. April 2014
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49
Niederrhein
www.litterae-artesque.blogspot.de
Ein erstaunlich persönliches Buch...

Zwei Länder, zwei Generationen und zwei völlig verschiedene Menschen. Die Autorin Sandra Brökel ist ein Adoptivkind, auf der Suche nach ihren Wurzeln. Bei ihren Recherchen zum Thema stößt sie schließlich auf ein Buch aus den 1960ern. Autor ist der Prager Kinderarzt und Psychiater Dr. Pavel Vodák. In ihrer Kollegin und Freundin Paula entdeckt sie viele Jahre später überraschend Pavel Vodáks Tochter. Und nicht nur das: Paula hütet das Lebenswerk ihres Vaters, ein umfangreiches Manuskript. - Sandra Brökel zeigt eindrucksvoll, auf welch außergewöhnliche Weise zwei Menschenleben miteinander verbunden sein können. Ein bewegendes Buch über die Suche nach der Bedeutung von Heimat und dem eigenen Seelenfrieden.

Dieses Buch entstand nach dem erfolgreichen Roman "Das hungrige Krokodil" und erzählt von den Hintergründen der Entstehung besagten Romans. Erwartet hatte ich, von Begegnungen zu lesen, von einer umfassenden Recherchearbeit, vom Schreibprozess. Nun ja, diese Erwartungen wurden durchaus erfüllt - aber anders als vermutet.

Sandra Brökel scheut sich nicht, sich als Autorin und vor allem als Mensch mit in die Erzählung einzubeziehen. So erfährt der Leser einiges aus ihrem aktuellenLeben, aber auch manches aus ihrer Vergangenheit - als adoptiertes Kind hat sie sich spät auf die Suche nach ihren leiblichen Eltern gemacht und sie auch gefunden. Diese Begegnungen verliefen teilweise erfreulich, z.T. aber auch enttäuschend - und haben doch allesamt dafür gesorgt, dass die Autorin ihre Wurzeln fand und dadurch im Leben mehr zur Ruhe kam.

Auf den Arzt Pavel Vodák stieß Sandra Brökel erstmals im Rahmen ihrer Suche nach Literatur über adoptierte Kinder und deren Eltern. Leider waren die Bücher, die der Prager Arzt zu diesem Thema verfasst hatte, ausschließlich auf Tschechisch, so dass sich Sandra Brökel anderen Arbeiten zuwandte. Durch einen großen Zufall erfuhr sie Jahre später, dass ihre beste Freundin und Kollegin die Tochter ausgerechnet dieses Arztes war.

Auch die Freundin, Pavli, Paula, Paulchen genannt, hatte mit dem Thema "Entwurzelung" zu kämpfen und alte Verletzungen aufzuarbeiten - schließlich floh Pavel Vodák 1970 mit seiner Familie aus der Tschechoslowakai nach Deutschland und entriss das Kind dem, was es bis dahin selbstverständlich als Heimat angesehen hatte. Und im Rahmen der gemeinsamen Aufarbeitung von Pavlis nicht einfacher Lebensgeschichte überließ diese der Autorin schließlich einen Koffer voller Dokumente: die Aufzeichnungen Pavel Vodáks über sein Leben.


"Oft frage ich mich: Sind es meine Gedanken oder Pavels? Es war sein Leben. Auf gewisse Weise verschmelzen wir in dem Buch, seine Gedanken tragen jetzt meine Handschrift." (S. 121)


In einfacher Sprache aber dennoch eindringlich und stellenweise auch sehr berührend schildert Sandra Brökel ihre Verbundenheit mit dem Prager Arzt Pavel Vodák sowie mit seiner Tochter Pavli bis zu deren plötzlichem Tod. Sie schildert Episoden gemeinsamer Vergangenheitsrecherche, die Spurensuche in Prag, Begegnungen mit Menschen und vor allem Empfindungen. Die Stimmung in einem bestimmten Café in Prag, die Kreativität und Hartnäckigkeit bei der Suche nach Originaldokumenten, die Verbundenheit der Autorin auch zu der Stadt Prag selbst - all dies fließt wie nebenher ein.

Die Verquickung der Erzählung rund um den Entstehungsprozess des Romans mit persönlichen Anteilen der Autorin hat mir sehr gut gefallen. Keine Nabelschau, glücklicherweise, sondern gerade die richtige Dosis, um deutlich zu machen, wie hilfreich und notwendig es für Sandra Brökel war, genau diesen Roman "Das hungrige Krokodil" zu schreiben - und wie anstrengend. Nach gerade einmal zehn Wochen war der gesamte Roman beim Verlag, eine unglaubliche Leistung.


"Pavel Vodák träumte zu Lebzeiten von einem Buch über sein Leben, hautnah erlebte europäische Geschichte. Nicht, um sich als Schriftsteller zu profilieren, sondern um eine Botschaft zu verbreiten. (...) Ich lernte viel über Mut und Geduld, über Schuld und Verzeihen." (S. 128)


Wer den Roman "Das hungrige Krokodil" liest (unbedingt empfehlenswert!), der sollte sich im Anschluss mit diesem ergänzenden Buch belohnen. Hier erfährt der Leser wissenswerte Hintergründe, taucht tiefer in einige Details des Romans ein und gibt der Perspektive der Tochter von Pavel Vodák Raum, was das Bild letztlich rund macht.

Für mich eine lohnenswerte Lektüre...


© Parden

 

Sandra Brökel

Mitglied
10. August 2020
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Sandra Brökel scheut sich nicht, sich als Autorin und vor allem als Mensch mit in die Erzählung einzubeziehen.
Danke! Schön, dass sich das aus dem Buch herauslesen lässt! Ich habe lange überlegt, ob ich so viel von mir preisgeben möchte... am Ende dieses inneren Prozesses konnte ich sagen: Ja, ist so in Ordnung, darf so gedruckt werden.
Ich wünsche mir, dass es meine Geschichte vielleicht auch anderen Mut machen kann, auf die kleinen Wunder des Lebens zu achten, diesen zu folgen....
Tja, so bin ich und das ist so in Ordnung.
Danke für die tolle Rezension und dass du das Buch weiterempfiehlst!
 
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