Rezension Rezension (4/5*) zu Der letzte Satz: Roman von Robert Seethaler.

Literaturhexle

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2. April 2017
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Buchinformationen und Rezensionen zu Der letzte Satz: Roman von Robert Seethaler
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Gustav Mahlers letzte Reise

Gustav Mahler verlässt New York, die Stadt, in der er große Erfolge als Konzertmeister und Dirigent feiern durfte, zum letzten Mal. Er ist chronisch krank, von Schmerzen gepeinigt, fiebrig und schwach. Auf dem Passagierschiff Amerika hat man eigens für ihn einen Teil des Sonnendecks abgetrennt, wo er sich gerne aufhält. Ein Schiffsjunge wurde abkommandiert, um sich um die Bedürfnisse des berühmten Gastes zu kümmern.

Die Weite des Meeres lässt auch die Gedanken Mahlers durch die Zeit mäandern. Er erinnert sich an Stationen seines Lebens. Gerne war er in den Bergen, oft auf der Suche nach entscheidenden Inspirationen für seine Musik. Während seiner Arbeitsphasen erlebte ihn sein Umfeld oft als gereizt und launisch, alles musste sich der Kunst unterordnen – auch sein Körper. Gustav Mahler war ein Genie, ein Perfektionist, der auch anderen viel abverlangte.

Einst konnte er die schönste Frau Wiens für sich gewinnen, Alma Werfel. Mit ihr hatte er zwei Töchter. Die ältere von beiden, Maria, starb noch im Kindesalter – ein Schicksalsschlag, den er nie verwunden hat. Die Ehe war anfangs glücklich, nutzte sich jedoch über die Jahre ab, nun ist sich Mahler sicher, dass Alma ein Verhältnis zu einem Baumeister hat.

Mahlers Gedanken fließen aber auch an seine Wirkungsstätten. Er erinnert sich an seine Arbeit mit Orchestern, die er zu Höchstleistungen trieb und an seinen größten Erfolg, die Uraufführung der Achten Sinfonie der Tausend in Wien. Auch an einen Besuch bei Professor Freud erinnert er sich.

Diese Erinnerungsfetzen werden unterbrochen von Szenen auf dem Schiffsdeck. Bedingt durch seine Leiden ist die Stimmung melancholisch-gedrückt. Lichtblicke scheinen die Gespräche mit dem Schiffsjungen zu sein, auf den er regelrecht wartet und in dem er ein Stück der eigenen Jugend zu erkennen glaubt. Der Junge passt auf den Musiker auf, versorgt ihn und verwickelt ihn in Gespräche, die manchmal anrühren, manchmal aber auch barsch sind:
„Was ist das für Musik, die sie machen? Erzählen Sie mir etwas darüber?“
„Nein. Man kann über Musik nicht reden, es gibt keine Sprache dafür. Sobald Musik sich beschreiben lässt, ist sie schlecht.“ (S. 65)

Für Mahler ist die Musik das Höchste im Leben: „Musik hat noch jeden Menschen hinter sich gelassen und braucht im Grunde weder Musiker noch Zuhörer. Musik braucht nichts und niemanden, sie ist einfach da.“ (vgl. S. 72)

Robert Seethaler hat einen kleinen Roman über einen großes Genie geschrieben. Seine Prosa ist gewohnt eindringlich und verständlich. Man muss den Text langsam lesen, um das Zwischenmenschliche, die Stimmungen, das Ungesagte aufnehmen zu können. Man kann sich wunderbar in die Figur des Gustav Mahler hineindenken, dessen Krankheit so allgegenwärtig ist, dass der Tod während dieser Schiffspassage schon vor der Tür steht. Dem Komponisten ist klar, dass er in Kürze sterben wird. Insofern sind seine Gedanken auch als Resümee über sein Leben zu verstehen. Seethaler arbeitet mit Bildern, Stimmungen und Motiven. Das macht er sehr gekonnt, gerade die letzten Seiten haben es ungemein in sich… Im kurzen Epilog gelingt mit einem Perspektivwechsel noch ein Kunstgriff, den ich sehr gelungen finde und der einen zusätzlichen Nachhall beim Leser erzeugt.

Der Roman ersetzt definitiv keine Biografie über den Komponisten oder seine Frau. Aber er macht neugierig, sich anschließend mit ihnen oder mit Mahlers Musik zu beschäftigen.

Die Nominierung zur Longlist des DBP 2020 halte ich für sehr gerechtfertigt und wünsche dem Roman viele Leser.


 

Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
Es mussten doch besonnene Leser geben, denen es gefällt. Ein anderer Roman sagte mir, dass Gropius, Mahler und la femme fatale einige Zeitlang zusammenlebten, also wenigstens unter einem Dach. War überzeugend. Musiker sind eh alle irre. Also, Vollblutmusiker. Wie KD Pratz ;-). (Aktionskünstler).
 

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